• 23.03.2011 15:49

Haug im Interview: "Wollen zur Messlatte werden"

Mercedes-Sportchef Norbert Haug spricht über die Erwartungen für die kommende Saison und seine beiden Fahrer Michael Schumacher und Nico Rosberg

(Motorsport-Total.com/SID) - Norbert Haug kann den Saisonstart der Formel 1 kaum noch erwarten: "Wo wir im Vergleich zur Konkurrenz stehen, erfahren wir - wie alle unsere Wettbewerber auch - endlich am kommenden Wochenende in Melbourne", erklärt der Mercedes-Sportchef mit Blick auf den Grand Prix von Australien. Außerdem spricht er über die Ziele des Silberpfeil-Teams mit Michael Schumacher und Nico Rosberg, aber auch über Weltmeister Sebastian Vettel.

Titel-Bild zur News: Norbert Haug

Norbert Haug hofft, dass Mercedes 2011 einen Schritt nach vorne machen kann

Frage: "Herr Haug, der Saisonauftakt wurde um zwei Wochen verschoben. Inwieweit haben diese zusätzlichen zwei Wochen geholfen, das Auto zum Saisonstart vielleicht noch besser zu machen?"
Norbert Haug: "Wenn wir alleine diese zwei Wochen gehabt hätten, wäre das vielleicht eine andere Ausgangslage, aber jeder hatte diese etwas längere Zeit, jeder hat also ein Stück weitergemacht. Insofern glaube ich nicht, dass man von großen Vor- oder Nachteilen reden kann. Es ist eigentlich eine Parallelverschiebung."

Frage: "Die Strategie in der Testphase war bei Ihnen so, dass sie zunächst ein - wie Nico Rosberg es ausgedrückt hat - 'primitives' Auto für die ersten Testfahrten hatten, um Erfahrungen und Kilometer zu sammeln, und es dabei in Kauf genommen haben, möglicherweise nicht auf Höhe der Konkurrenz zu sein. Im Laufe der Testfahrten sind Sie dann schneller geworden. Inwieweit haben Sie Ihre Ziele und Vorgaben in der Vorbereitung erreicht?"
Haug: "Wir sind beim letzten Test vor der Saison in Barcelona schneller geworden. Wo wir im Vergleich zur Konkurrenz stehen, erfahren wir - wie alle unsere Wettbewerber auch - endlich am kommenden Wochenende in Melbourne."

WM-Titel als Langzeit-Ziel

Frage: "Im vorigen Jahr war es nach der Verpflichtung von Michael Schumacher und dem Mercedes-Einstieg ins damalige Weltmeisterteam Brawn relativ klar, dass man Weltmeister werden will. Wie sieht das 2011 aus, nachdem es im letzten Jahr mit dem Erreichen des Ziels nicht geklappt hat?"
Haug: "Gut, ganz so war es ja nicht. Klar wollen wir Weltmeister werden, aber wir sind nicht so vermessen, dass wir sagen, wir steigen ein und sind direkt die Besten. Das ist aber die ultimative Zielsetzung."

"Wir haben das Team umstrukturiert, wir arbeiten mit weniger Mitarbeitern als die stärksten Konkurrenten und mit einem vernünftigen Budget, weil wir meinen, dass das für die Zukunft unsere Basis ist. Nach unserer Lernphase wollen wir sukzessive an die Spitze herankommen. Das ist unsere Zielsetzung und das trauen wir uns zu."

Frage: "Kann man sagen, was in diesem Jahr schon möglich ist? Siege oder der Kampf um die WM?"
Haug: "Ich denke, es ist ziemlich sinnlos, sich in Ansagen ergehen zu wollen. Unsere Zielsetzung ist klar, die ist definiert. Wir brauchen die Zeit dazu, wir müssen das Team entwickeln und wir werden das schaffen, Schritt für Schritt. Wir sind 2010 Vierter geworden und wollen vom vierten Platz aus in der WM in die richtige Richtung losziehen. Und die richtige Richtung geht nach vorne."

¿pbvin|512|3537||0|1pb¿Frage: "Welche Schwachpunkte im Jahr 2010 hat man erkannt und wie versucht man die abzustellen?"
Haug: "Wir hatten gar nicht so viele Schwachpunkte. Wir hatten ein Auto, das 2010 rund 99 Prozent der Leistungsfähigkeit der Besten erreicht hat. 99 Prozent sind nicht gut genug, ein Prozent hinter der Messlatte, und die Rennen gewinnt nur, wer die Messlatte ist. Unsere Rundenzeiten waren im letzten Jahr im Schnitt rund eine Sekunde pro Runde langsamer als die Spitze. Deshalb müssen und wollen wir unser neues Auto um dieses eine Prozent - das schwierigste von allen 100 - verbessern. Wir wollen dann sukzessive zur Messlatte werden - ein Prozess, der Jahre dauert."

Frage: "Nico Rosberg und erst recht Michael Schumacher sind im vorigen Jahr erst recht spät zum Team gestoßen, als die Entwicklung des Autos schon weitgehend abgeschlossen war. Wie viel Einfluss haben die beiden auf die Konstruktion ihres Silberpfeils für 2011 nehmen können?"
Haug: "Die Fahrer konstruieren das Auto nicht. Sie schildern ihre Eindrücke, dann wird das Auto von den Konstrukteuren entworfen. Die Eindrücke der Fahrer fließen in die Konstruktion mit ein, aber es wäre falsch zu sagen, dass die Fahrer die Richtung der Fahrzeugkonstruktion bestimmen."

Frage: "Aber die Fahrer geben zumindest gewisse Rückmeldungen und nennen Vorlieben..."
Haug: "Die Autos sind übersät von Sensoren, zumindest bei Testfahrten. Da werden Daten aufgezeichnet und der Fahrer reichert das an mit eigenen Eindrücken, die er im Cockpit sammelt."

Einfluss der Fahrer überschätzt?

Frage: "Heißt das dann, dass die immense Erfahrung von Michael Schumacher aus fast 20 Jahren Formel 1 vielleicht gar nicht so viel wert ist wie von vielen vermutet?"
Haug: "Nein, das heißt das überhaupt nicht. Aber ich glaube, dass es manchmal den Irrglauben gibt, dass der Fahrer sagt: 'Ich setze mich hier hin und sage A, B, C, D, E, F - und dann baut ihr das Auto um mich rum.' Das war noch nie so. Der Fahrer reichert das sehr stark an, was der Konstrukteur als Basis hat. Daraus wird dann ein Ganzes. Selbstverständlich spielt der Fahrer dabei eine Rolle, aber der Fahrer ist bei dem Prozess Fahrer und der Konstrukteur Konstrukteur."

Frage: "Wo hat denn Schumacher seine Stärken, die ihn mit Blick auf seine einzigartigen Erfolge in seiner Karriere deutlich von allen anderen Fahrer abgegrenzt haben? Hat er sie auch noch nach seiner zwischenzeitlichen dreijährigen Pause?"
Haug: "Ich glaube, dass Michael nach wie vor ein extrem konkurrenzfähiger Fahrer ist. Sonst hätten wir ihn nicht im Team."

"Ich glaube, dass Michael einen immensen Erfahrungsschatz hat, eine immense Motivation und ein immens guter Teamplayer ist. Nico Rosberg ist ein junger, aber schon sehr erfahrener Fahrer. Die Kombination aus Michael und Nico bringt uns in eine gute Position und wir denken, dass wir auf Fahrerseite sehr gut aufgestellt sind. Wir müssen jetzt unser Auto verbessern und unsere technischen Umsetzungen steigern. Dann werden wir einen Schritt nach vorne machen."

Frage: "Was trauen Sie in absehbarer Zeit Nico Rosberg zu?"
Haug: "Genauso Siege, wie ich sie Michael zutraue, wenn wir beiden das Auto dazu geben. Nico ist ein sehr profilierter Fahrer der jungen Generation. Er hat im letzten Jahr aus dem Auto, das wir hatten, in den meisten Fällen das Allermeiste herausgeholt und gehört zu den hoch geschätzten Fahrern im Feld. Er kann Rennen gewinnen, sobald er das Auto dazu hat."


Fotos: Mercedes, Großer Preis von Australien


Frage: "Heißt das dann auch, dass er ein potenzieller Weltmeister ist?"
Haug: "Wir sind keine Ankündigungs-Weltmeister. Nico ist mit meinen Aussagen so beschrieben, dass er das Zeug dazu hat, Bestleistung zu bringen und sich fahrerisch vor niemandem im Feld verstecken muss. Titel anzukündigen, haben wir nie gemacht - und das werden wir nie machen."

Frage: "Den Titel gewonnen hat 2010 Sebastian Vettel. Wie viel Schub bringt es dem deutschen Motorsport insgesamt, wieder einen deutschen Weltmeister zu haben?"
Haug: "Sehr viel, und das spricht für die Nachwuchsschulung, die hier getätigt worden ist. Konsequent, seit vielen Jahren, über die Formel BMW, über die Formel 3 in Deutschland. Die Hälfte des aktuellen Formel-1-Starterfeldes ist durch die Schule unserer Formel-3-Euroserie gegangen und sehr viele der talentierten Junioren benutzten dabei einen Mercedes-Motor. Das ist hoch bemerkenswert."

Vettel als Messlatte

"Sebastian Vettel ist einer dieser Schüler, die da gelernt haben. Und natürlich ist es ganz toll, dass die Autonation Deutschland nach Michael Schumacher jetzt in Sebastian den aktuellen Weltmeister hat. Und wir werden uns mit ihm messen und versuchen, in die richtige Richtung zu kommen, und um den Titel zu fahren."

Frage: "Sie kennen Sebastian Vettel auch schon seit vielen Jahren. Was zeichnet ihn im Moment aus?"
Haug: "Sebastian zeichnet aus, dass er den Weltmeistertitel geholt hat, obwohl er nur einmal im Jahr in der Tabelle geführt hat, und zwar nach dem letzte Rennen. Und nach dem letzten Rennen zählt's, und da war er da. Deshalb verdient er den Titel."

Frage: "Ist er jemand, auf den man aus Teamsicht auch schaut?"
Haug: "Das steht im Moment gar nicht zur Debatte. Wir müssen schauen, dass wir unsere Technik weiter steigern, dass wir sukzessive Schritt für Schritt in die Richtung gehen, das beste Auto zu bauen. Und dann werden wir mit unserer Fahrerbesetzung keine Probleme haben."

Frage: "Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz hat gesagt, wenn man nicht in der Lage sei, Sebastian ein siegfähiges Auto zu geben, brauchen man sich auch keine Gedanken machen, ihn halten zu wollen. Wenn er dann gerne einmal einen Mercedes oder Ferrari fahren wolle, stehe ihm das frei. Man würde ihm keine Steine in den Weg legen. Ist das wirklich so einfach, wenn man das beste Auto hat, dass man sich dann seine Fahrer quasi aussuchen kann?"
Haug: "Es ist nicht einfach, das beste Auto zu bauen. Aber wenn man das beste Auto hat, dann glaube ich, muss man sich um die Fahrer keine Gedanken machen - die Besten wollen ins beste Auto."

"Wenn man das beste Auto hat, muss man sich um die Fahrer keine Gedanken machen." Norbert Haug

"So sind die Spielregeln. Das hat Herr Mateschitz vollkommen richtig beschrieben. Er weiß exakt, wovon er spricht. Er hat sehr gute Leistung gezeigt mit seiner Mannschaft, innerhalb von sechs Jahren etwas Tolles aufgebaut, dem Sport sehr viel gegeben und jetzt auch sehr viel zurückbekommen. Das ist auch vollkommen richtig so."

Frage: "Wenn Sie sich für das Jahr 2011 eine Schlagzeile über Mercedes aussuchen könnten, wie würde die aussehen?"
Haug: "Das hätte ich damals vielleicht hingekriegt, als ich Journalist war. Aber ich lasse das die Kollegen von der Presse machen, und ich denke, dass die Schlagzeile umso besser ausfällt, je besser unsere Rennresultate sind."