• 03.07.2005 20:14

Haug: "Hätten die allerbesten Siegchancen gehabt"

Mercedes-Sportchef Norbert Haug im ausführlichen Interview über das Rennen in Magny-Cours - Zuversicht vor Silverstone ist groß

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Herr Haug, der zweite Platz durch Kimi Räikkönen ist unter diesen Umständen doch fast wie ein Sieg, nicht wahr?"
Norbert Haug: "Vom 13. Platz loszufahren, ist nicht leicht, aber das Team hatte eine gute Strategie und Kimi einen sehr guten Speed. Darüber nachzudenken, was möglich gewesen wäre, ist müßig, aber als Dritter wäre er sehr nahe an den Spitzenreitern dran gewesen - und dann hätte er sehr gute Chancen gehabt. Wir sind aber froh, dass wir trotz des Handicaps durch den Motorschaden am Freitag nur zwei Punkte auf Fernando Alonso verloren haben. Deshalb ist alles noch sehr gut abgelaufen."

Titel-Bild zur News: Norbert Haug

Mercedes-Sportchef Norbert Haug weiß, wie schnell seine "Silberpfeile" sind

Frage: "Hätten Sie vermutet, dass das heute noch so ein famoser Podestplatz werden könnte?"
Haug: "Es ist auf jeden Fall keiner ausgefallen, der vor ihm gewesen wäre, sondern Kimi hat sich das selbst erarbeitet. Das zeigt, dass der Speed da ist. Ich glaube, er ist auch die schnellste Rennrunde gefahren. Klar ist, dass mit einem besseren Startplatz der Kampf um den Sieg drin ist, aber vielleicht können wir das nächste Woche schaffen. Es ist auf jeden Fall schön, fortgesetzt den Speed zu haben. Alonso und Kimi waren die zwei Fahrer, die bis zum Schluss attackieren konnten."#w1#

Räikkönen überstand die Anfangsphase mit allen vier Rädern

Frage: "Zu Beginn des Rennens hat Kimi Räikkönen auch einige Konkurrenten überholt. Was war in dieser Phase die Devise?"
Haug: "Gut, es war am Anfang natürlich zäh, aber die Devise war zunächst mal, alle vier Räder am Auto zu behalten, denn wenn man sich zu sehr reinquetscht, dann kann auch mal was schief laufen. Ich denke, Kimi hat das wirklich mit Kalkül gemacht, und das ist das Allerwichtigste. Es war trotzdem zäh, denn ich glaube, nach zehn Runden haben schon um die 30 Sekunden gefehlt. Da muss man wirklich diszipliniert bleiben, denn sonst verliert man die Nerven und macht irgendwann einen Fehler. Kimi hat das wirklich gut gemacht."

Frage: "Nach dem ersten Boxenstopp lag Kimi Räikkönen plötzlich vor Juan-Pablo Montoya..."
Haug: "Weil er davor länger gefahren ist. Da gewinnt man pro Runde anderthalb Sekunden, und wenn dann einer vier Runden länger draußen bleiben kann, hat er sechs, sieben Sekunden Vorsprung. Kimi war davor 3,9 Sekunden hinten und kam deshalb vor Juan-Pablo, weil er in der Phase die schnellste Rennrunde gefahren ist."

Fachsimpeln über die geniale McLaren-Mercedes-Strategie

Frage: "Aber was war in diesen Runden mit Juan-Pablo Montoya los? War das ein taktisches Manöver?"
Haug: "Nein, überhaupt nicht. Juan-Pablo war aufgefüllt bis Runde 25, glaube ich, und Kimi bis Runde 28 oder 29. In den drei Runden ist - sage ich mal - Juan-Pablo 60 Kilogramm schwer und Kimi zehn Kilogramm schwer vom Sprit her. Das macht 50 Kilogramm Unterschied und das macht anderthalb Sekunden aus. Das ist der Witz der Strategie. Man kann sich vorstellen, dass Kimi, wenn er als Dritter losgefahren wäre, mit dieser Strategie wirklich die allerbesten Siegchancen gehabt hätte. Nur: Von 13 bis auf Platz eins, das ist schwierig. Man kann ihm nur Lob aussprechen. Nach Indianapolis war es außerdem toll, hier so ein spannendes und rundherum positives Rennen zu haben. Wir haben nur zwei Punkte auf Alonso verloren."

Frage: "Wer denkt sich so schlaue Strategien aus?"
Haug: "Es ist immer eine Frage dessen, was man sich leisten kann. Wenn man sich mit viel Sprit vorne qualifizieren kann, würde das jeder gerne machen. Nur: Wenn ich Sprit rausnehmen muss, um überhaupt noch bei der Musik dabei zu sein, dann ist es natürlich schwieriger. Der Witz ist natürlich, die ersten zwei Startreihen mit dem höchstmöglichen Spritvolumen zu erreichen. Dann hat man die beste Chance. Wir müssen an der Zuverlässigkeit noch etwas tun, aber mir ist wichtig, dass der Speed da ist. Darauf lässt sich aufbauen. Es ist jetzt Saisonhalbzeit und wir können in diesem Jahr sicherlich noch sehr viel bewegen."

Räikkönen war im Qualifying vom Speed her am schnellsten

Frage: "Mit dieser hohen Benzinmenge im Qualifying war Kimi Räikkönens Runde umso bemerkenswerter, nicht wahr?"
Frage: "Man kann es umrechnen: Wenn man die sieben Runden nimmt, die es mehr waren, dann ist das in Zeit ausgerechnet fast eine Dreiviertelsekunde, aber er war nur 0,1 Sekunden hinten. Gewichtsneutral war das also vielleicht eine halbe Sekunde, die Kimi Vorsprung gehabt hätte eigentlich."

Frage: "Was bedeuten diese zwei verlorenen Punkte jetzt in der Weltmeisterschaft?"
Haug: "Es gibt in diesem Monat noch 30 Punkte zu gewinnen für einen Fahrer, wenn er alles richtig macht und immer der Schnellste ist. Das heißt nicht, dass ich sage, dass das gelingen wird, aber man muss es sich vor Augen führen. Kimi hat jetzt ein Gesamtkonto von 45 Punkten, aber in den nächsten drei Rennen kann ein Fahrer 30 Punkte gutmachen, wenn er dreimal gewinnt. Insgesamt sind sogar noch 90 zu vergeben. Da ist noch viel drin. Wir sind nicht als WM-Favoriten gestartet, aber ich denke, wir haben uns in diesem Jahr ganz gut profiliert."

"Großes Loch" hinter McLaren-Mercedes und Renault

"Wenn ich mir die Konkurrenzzeiten anschaue, dann bin ich überrascht, dass Renault und McLaren-Mercedes auf einem Level fahren - aber der Nächstschnellste, Michael Schumacher, ist um 1,2 Sekunden langsamer. Das ist auch ein bisschen ein Novum, denn in Magny-Cours waren die Zeiten in der Vergangenheit oft recht dicht beieinander. Ich erinnere mich auch nicht an ein Rennen, wo ab dem Dritten aufwärts alle überrundet worden sind. Insofern ist das - hier zumindest - schon ein großes Loch gewesen."

Frage: "Beinahe wären beide Autos auf dem Podium gestanden. Was war bei Juan-Pablo Montoya los?"
Haug: "Er hatte ein Problem mit dem Hydrauliksystem und nicht mit dem Getriebe, wie wir zuerst angenommen hatten. Was genau falsch lief, ist noch nicht klar. Das schadhafte Hydrauliksystem hat dazu geführt, dass alles am Getriebe, was mit Hydraulikdruck betrieben wird, nicht mehr richtig funktioniert hat. Deshalb musste er aufgeben. Er hatte davor den Speed von Kimi und war absolut fähig, auf das Podium zu fahren. Er war absolut dabei, was sehr erfreulich ist, muss ich sagen."

Frage: "Es gibt keine lange Pause, sondern es geht in Silverstone gleich weiter. Was ist da zu erwarten?"
Haug: "Ich hoffe, dass wir den Trend fortsetzen können, und ich hoffe, dass wir ihn auch mit zwei Autos fortsetzen können. Es ist der Heim-Grand-Prix unseres Partners McLaren - da gibt es jede Menge zu tun."

"Haben gezeigt, dass die vorherige Ausbaustufe auch gut ist"

Frage: "Kimi Räikkönen fuhr heute mit der älteren Motorenspezifikation und muss diese auch in Silverstone verwenden, aber Juan-Pablo Montoya kann jetzt auf die neue Stufe wechseln, oder?"
Haug: "Das ist richtig. Das werden wir auf jeden Fall machen. Kimi hätte hier schon mit der neuen Spezifikation fahren sollen, aber das hat leider nicht so ganz funktioniert. Ich denke aber, wir haben gezeigt, dass die vorherige Ausbaustufe auch gut ist."

"Ganz bestimmt gehört unser Motor mittlerweile auch zu den besten im Feld. Die neue Ausbaustufe wird noch ein bisschen mehr können. Wir hatten bei Tests die absolute Zuverlässigkeit, hier leider nicht. Deshalb müssen wir da noch mal kurz drübergehen, aber ich denke, dass das bis Silverstone klappt. Und dann hoffen wir, dass wir bei den nächsten Rennen auch oft genug mit zwei Autos vorne landen können."