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28 Sekunden im Feuer: So hat sich Romain Grosjean befreien können

Romain Grosjean schildert im Detail, wie er die Sekunden im Flammenmeer in Bahrain erlebt hat und was ihm durch den Kopf gegangen ist

(Motorsport-Total.com) - Sechs Tage nach seinem schrecklichen Feuerunfall erzählt Romain Grosjean in Bahrain ausführlich, wie er sich aus den Flammen befreien konnte. Der Haas-Pilot schildert eindrücklich, wie er die bangen Sekunden nach dem Einschlag in die Leitplanken wahrgenommen hat. "Für mich hat sich das nicht wie 28 Sekunden angefühlt ..."

Titel-Bild zur News: Romain Grosjean

Romain Grosjean kämpft sich aus den Flammen Zoom

So nahe kam der 34-Jährige dem Tod noch nie. In der ersten Runde des Bahrain-Grand-Prix krachte er mit dem Haas-Boliden nach einer Berührung mit Daniil Kwjat bei 221 km/h in die Leitplanken. Das Monocoque durchbohrte die Absperrung, das Heck wurde beim Aufprall weggerissen - und plötzlich stand das Wrack in Flammen.

Insgesamt rund 28 Sekunden war Grosjean im Feuer gefangen, "das hat sich jedoch mehr nach eineinhalb Minuten angefühlt", ergänzt er am Freitag in einer Medienrunde in Bahrain. Wie hat er die Sekunden nach dem Einschlag in der Streckenbegrenzung erlebt?

"Ich dachte, ich warte einfach, bis mir jemand hilft"

"Als das Auto zum Stehen kam, öffnete ich die Augen und löste sofort meinen Sicherheitsgurt", erinnert er sich. Was er allerdings nicht mehr wusste: Wie er das Lenkrad abgenommen hatte. Doch das Haas-Team klärte ihn auf: "Das Team sagte mir, dass die Lenkstange gebrochen war und das Lenkrad zwischen meinen Beinen lag."

Daher musste er das Lenkrad, wie ansonsten üblich, nicht zunächst abnehmen, um aus dem Cockpit klettern zu können. Danach versuchte er, sich aus dem Auto zu befreien. "Ich wollte rausspringen, aber mit dem Kopf habe ich irgendetwas berührt. Daher habe ich mich wieder gesetzt."

Grosjean erzählt, dass er zunächst dachte, dass er kopfüber liege und mit seinem Kopf an einer Mauer ankam. "Ich dachte, ich warte einfach, bis jemand kommt und mir hilft." Zu jenem Zeitpunkt habe er geglaubt, dass die größte Gefahr bereits vorüber sei - erst dann habe er die Flammen realisiert.

"Ich war nicht in Eile und wusste offensichtlich nicht, dass es brennt. Ich habe dann nach rechts und links geschaut und erst dann das Feuer gesehen. Daher wusste ich, dass ich nicht wirklich Zeit habe, um einfach zu warten."


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Der Franzose versuchte mehr auf der rechten Seite, dann mehr auf der linken Seite aus dem brennenden Monocoque zu entkommen. "Aber es hat nicht geklappt. Ich habe mich wieder hingesetzt und musste an Niki Lauda denken, seinen Unfall. Und ich dachte, dass es so nicht enden könne."

Der Bahrain-Grand-Prix 2020 könne nicht sein letztes Rennen sein, so dürfe es nicht enden. "Ich habe es wieder versucht, und ich steckte fest." Die verbogene Leitplanke und das Halo sorgten dafür, dass Grosjean zunächst keinen Weg ins Freie fand.

Körper entspannte sich: "Ich dachte, ich würde sterben"

Grosjean rekapituliert, dass jener Moment der schwierigste war. Denn sein Körper entspannte sich und er fragte sich, ob er gar überhaupt aus dem Wrack entkommen könnte und wie viel Schmerz er wohl erleiden würde.

"Dann gab es den weniger angenehmen Moment, in dem mein Körper anfing, sich zu entspannen. Ich war im Reinen mit mir selbst und [ich dachte], ich würde sterben", schildert er das Erlebte. Welche Gedanken gehen einem Menschen in solch einem Moment durch den Kopf?

"Ich habe mir die Frage gestellt: Wird es meinen Schuh, meinen Fuß oder meine Hand verbrennen? Wird es schmerzhaft sein? Wo wird es anfangen?" Für ihn habe sich dieser Moment wie "zwei, drei oder vier Sekunden" angefühlt, doch in Wahrheit waren es wohl nur Millisekunden.

Im nächsten Moment kamen Grosjean ganz andere Gedanken: "Ich musste an meine Kinder denken, sie könnten ihren Vater nicht einfach verlieren." Noch ein letztes Mal versuchte er deshalb dem Feuer zu entkommen - und es gelang ihm.


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"Ich weiß nicht warum, aber ich habe mich dazu entschlossen, meinen Helm auf die linke Seite zu legen und es dort noch einmal zu versuchen." Er drehte seine Schulter und konnte schließlich durch eine kleine Öffnung nach oben gelangen.

Allerdings war sein linker Fuß eingeklemmt. "Ich habe so fest gezogen, dass der Schuh eingeklemmt blieb, aber der Fuß schlüpfte raus." Schließlich kam er hoch und wusste, dass er rausspringen könnte.

"Ich dachte, ich bin ein laufender Feuerball"

"Da hatte ich beide Hände im Feuer. Normalerweise sind meine Handschuhe rot, aber ich konnte sehen, wie sich vor allem der linke verfärbte und zu schmelzen begann."

Schließlich war der Handschuh schwarz. "Ich habe den Schmerz in meinen Händen gespürt, aber gleichzeitig auch die Erleichterung, dass ich es aus dem Auto rausgeschafft habe." Er kletterte über die beschädigte Leitplanke, dort versuchten Sportwarte und FIA-Rennarzt Ian Roberts zu helfen.

"Ich habe gespürt, wie Ian an meinem Rennanzug zog. Da wusste ich, dass ich nicht mehr alleine bin." Als er schließlich zum Medical-Car gebracht wurde, hatte er noch eine ganz andere Sorge: "Ich dachte: 'Oh scheiße, ich bin ein laufender Feuerball'."

Er hatte Bilder von einem FIA-Test im Kopf, als sich ein Stuntman in Flammen setzte, um zu zeigen, wie feuerfest die Rennanzüge sind. "Ich hatte das Bild im Kopf, dass mir das Feuer folgen würde." Außerdem schüttelte er seine Hände vor Schmerzen.


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"Ich habe mir gleich die Handschuhe ausgezogen, weil ich dachte, meine Haut würde Blasen bilden und schmelzen. Und dass die Handschuhe verkleben würden." Rennarzt Roberts zog Grosjean von der Unfallstelle weg Richtung Medical Car und wollte, dass sich der Pilot hinsetzt.

"Ich sagte zu ihm, er soll normal mit mir reden. Da hat er wohl verstanden, dass ich okay war. Wir waren dann aber sehr nahe am Feuer dran und ich hörte die Jungs schreien, dass die Batterie auch Feuer gefangen habe und dass sie mehr Feuerlöscher brauchen würden."

Grosjean wollte zum Rettungswagen gehen

Deshalb setzte sich Grosjean schließlich auf die Rückbank des Medical-Cars - jene Szene, die von der Regie nach dem Unfall als erstes übernommen und weltweit ausgestrahlt wurde. "Sie haben mir kalte Kompressen auf meine Hände gegeben. Ich sagte ihnen, dass meine Hände verbrannt und mein Fuß gebrochen sei."

Erst im Auto bemerkte er außerdem, dass sein linker Fuß stark schmerzte. Er wartete auf den Rettungswagen, der sich bereits auf dem Weg zur Unfallstelle befand. Als ihm gesagt wurde, dass er auf einer Liege abtransportiert werde, weigerte sich Grosjean.

Er wollte zum Wagen gehen, um der ganzen Welt zu zeigen, dass er nicht schwer verletzt ist. Roberts versuchte Grosjean zwar noch davon zu überzeugen, dass es besser wäre, wenn er nicht geht. Doch der Franzose setzte sich durch.

"Aus medizinischer Sicht war das wohl nicht die perfekte Entscheidung, aber sie haben verstanden, dass mir das sehr wichtig war, dass es Aufzeichnungen gibt, wie ich zum Rettungswagen gehe." Grosjean wollte der gesamten Welt damit signalisieren, dass es ihm im Grunde gut gehe und er gehen könne.

"Danach sagte ich jedes Mal, wenn ich jemanden traf: zwei verbrannte Hände, ein gebrochener Fuß. Das war alles, was ich jedem sagen konnte, den ich traf. Ich hatte offensichtlich Angst vor meinem Zustand, und ich wollte, dass jeder, der zu mir kam und mich behandelte, wusste, was die Symptome waren."

Das sei die ganze Geschichte der 28 Sekunden, die Grosjeans Leben wohl für immer verändern werden.

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