Geoff Willis im großen 'F1Total.com'-Interview (1)
Hondas Technischer Direktor über Buttons Führungsqualitäten, Barrichellos Probleme, die Schwachpunkte des RA106 und die tolle Pace im Qualifying
(Motorsport-Total.com) - Nach dem Seuchenjahr 2005 erlebte das Honda-Team einen ermutigenden Winter, in dem Jenson Button und auch Neuzugang Rubens Barrichello immer wieder Siegespotenzial aufblitzen lassen konnten. Allerdings ist der japanische Werksrennstall nach vier Grands Prix noch den Beweis schuldig, auch tatsächlich gewinnen zu können.

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Ex-Williams-Mann Geoff Willis ist der geistige Vater des aktuellen Honda RA106
Die Meinungen der Experten gehen weit auseinander: Manche glauben, dass Honda im Winter nur geblufft hat, andere wiederum sind sich sicher, dass der große Durchbruch nur noch eine Frage der Zeit ist. Fest steht, dass der RA106 möglicherweise sogar das schnellste Modell des Formel-1-Jahrgangs 2006 ist, doch Technikchef Geoff Willis und seine Ingenieurstruppe haben es bisher noch nicht geschafft, diesen Speed länger als nur für eine Runde abrufbar zu machen.#w1#
Willis kam 2002 von Williams zu BAR
In Imola sprach der 46-Jährige, der seit seinem Weggang von Williams in der Saison 2002 für das Team aus Brackley arbeitet, mit 'F1Total.com' ausführlich über die Vorzüge und Schwächen der aktuellen Honda-Fahrer, das Phänomen, dass der von ihm konstruierte RA106 nur im Qualifying, nicht aber im Rennen konkurrenzfähig ist, und die schier unglaubliche Entwicklungsgeschwindigkeit im Wettrüsten der beiden Reifenhersteller.
Frage: "Geoff, nach den ersten paar Rennen der Saison 2006 seid ihr viel besser vorbereitet als zur gleichen Zeit vor einem Jahr. Wie ist die Atmosphäre im Team - auch hinsichtlich der Übernahme durch Honda?"
Geoff Willis: "Die Atmosphäre ist immer besser, wenn man ein schnelles Auto hat, und unser diesjähriges Auto ist zweifellos sehr gut. Ich aber kann nicht behaupten, dass wir schon das Maximum herausholen. Im Qualifying ist es noch recht wankelmütig - und wir arbeiten gerade daran, auch im Rennen konstanter zu werden. Die vergangene Saison war schwierig, aber wir haben viel daraus gelernt. Das Gefühl innerhalb des Teams ist jetzt natürlich ein anderes, weil wir ein Teil von Honda sind. Beim Design haben wir sicher bessere Arbeit geleistet als im Vorjahr."
Frage: "Kommt diese Steigerung von Änderungen innerhalb des Teams oder nur von den Dingen, die ihr 2005 gelernt habt?"
Willis: "Wir haben viel daraus gelernt. Wenn man ein schlechtes Jahr hat, kann es zumindest zum Teil auch etwas Gutes mit sich bringen, sobald man versteht, warum es ein schlechtes Jahr war. Die Lösungen, auf die man stößt, helfen einem dabei, in den folgenden Jahren einen viel besseren Job zu machen. Da spielen viele Dinge zusammen. Von Honda erfahren wir natürlich eine Menge Unterstützung, seit sie hundertprozentiger Eigentümer des Teams sind. Mit Rubens, Jenson und Anthony (Davidson; Anm. d. Red.), der unser Testfahrer ist, haben wir auch fantastische Piloten unter Vertrag."
"Darüber hinaus herrscht im Team Stabilität und wir arbeiten eng mit den Honda-Ingenieuren in Japan zusammen. Mit jedem Jahr wird diese Zusammenarbeit noch besser, die Beziehungen innerhalb des Teams ebenfalls - und ein bisschen fühlt es sich momentan fast wie eine Wiedergeburt an. Zumindest gibt es jede Menge Leben bei uns. Wir unternehmen viele positive Schritte, was ja schon mal nicht schlecht sein kann."
Lob in den höchsten Tönen für Button
Frage: "Jenson Button ist jetzt seit sechs Jahren in der Formel 1. Kann er ein Team schon führen oder braucht er eher Führung von eurer Seite?"
Willis: "Jenson ist ein sehr kompletter Fahrer, der in all den Jahren viel Erfahrung sammeln konnte und inzwischen sicher zu den Besten gehört, was diese Dinge angeht. Er arbeitet mit dem Teamumfeld sehr gut zusammen, hat ein gutes Gespür für das Auto und ist sehr anpassungsfähig. Er kann auch mal fordernd sein, wenn er etwas erledigt haben will, und bei Änderungen kann er genau sagen, was wir gemacht haben und wie es sich auswirkt. Er gibt gutes und konstantes Feedback an die Ingenieure. Wir haben auch vollstes Vertrauen in ihn, denn wenn er zum Beispiel in ein Qualifying geht, wissen wir, dass er das Beste aus dem Auto herausholen wird. Er macht so gut wie nie Fehler - und wenn doch, dann ist er der Erste, der das auch zugibt."
"Die Beziehung zwischen Jenson und dem Team ist sehr positiv. Man muss auch sagen, dass er Honda mit seinen Entscheidungen in den vergangenen Jahren zu seiner sportlichen Heimat gemacht hat. Das Team vertraut ihm. Umso mehr wollen wir ein gutes Auto bauen und sicherstellen, dass Jenson Rennen und die Weltmeisterschaft gewinnen kann."
Frage: "Jenson Button ist ja schon seit einigen Jahren im Team, Rubens Barrichello ist dieses Jahr hingegen neu zu euch gekommen. Ist das ein Vorteil?"
Willis: "Einen zweiten Topfahrer wie Rubens an Bord zu holen, war für uns eine Win/Win-Situation: Entweder er ist schneller als Jenson, womit wir goldrichtig gehandelt hätten, oder aber er ist nur fast so schnell wie Jenson und stachelt ihn dadurch an, noch härter zu arbeiten. Beides sind angenehme Szenarien. Insofern konnten wir gar nicht verlieren. Rubens ist eine ganz andere Persönlichkeit - sehr südamerikanisch, sehr erfahren, weiß, wie man Rennen gewinnt, hat 220 Grands Prix auf dem Buckel und war an einigen WM-Titeln beteiligt. Seine Erfahrung ist gewaltig. Da gibt es keine Überschneidungen mit Jenson, sondern die beiden passen sehr gut zusammen und kommen auch sehr gut miteinander aus."
"Das färbt natürlich auch auf das Ingenieursbüro ab. Wir sind intern ein sehr offenes Team. Zwischen den beiden Teams des Ingenieursbüros gibt es natürlich einen Wettbewerb, aber einen sehr gesunden. Wenn mal ein Fahrer ein Experiment ausprobiert, dann werden diese Informationen untereinander ausgetauscht, genau wie auch diverse Ansichten über das Auto. Es bringt schon viel, wenn - Anthonys Team eingerechnet - drei Seiten am selben Strang ziehen und versuchen, das Auto schneller zu machen. Das ist sehr positiv."
Barrichello nur in einem guten Auto wirklich schnell?

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Noch hat Honda die Ferraris und Renaults viel zu selten im Rückspiegel... Zoom
Frage: "Rubens Barrichello klagt noch über Probleme mit der Traktionskontrolle und den Bremsen. Er sagt, dass er sich nicht so auf diese Systeme verlassen kann wie bei Ferrari. Bedeutet das, dass eure Systeme nicht so gut entwickelt sind wie die von Ferrari oder muss er sich nur auf eine neue Bedienungsweise einstellen?"
Willis: "Du glaubst ernsthaft, dass ich zugeben würde, dass ein anderes Team besser ist als wir (lacht)? Spaß beiseite: Rubens bringt jede Menge Erfahrung mit, aber er hat eine andere Einstellung dem Auto gegenüber. Eine von Jensons größten Stärken ist es, um Probleme einen Bogen herumzufahren und mit den Problemen, die er vielleicht gerade hat, bestmöglich umzugehen."
"Rubens kommt aber von einem anderen Topteam, wo man ihm beigebracht hat, auf der Lösung von gewissen Problemen stärker zu bestehen. Wenn er sich über etwas beschwert, dann hat er damit Recht. Er kann da auch sehr spezifisch sein, was für uns eine gute Sache ist, denn das treibt uns an, diese Probleme zu lösen, was das Auto ja nicht nur für ihn schneller macht, sondern auch für Jenson. Der Trick ist, zwischen den beiden Fahrern eine gute Balance herzustellen: Ein Fahrer muss bei Tests und an den Freitagen wirklich pingelig und fast schon nervend sein, aber am Rennsonntag bringt es nichts mehr, wenn er sich groß über das Auto beschwert, denn dann ist es nun einmal das, was ihm zur Verfügung steht."
"Es ist gar nicht schlecht, dass wir zwei Charaktere haben, die geringfügig unterschiedlich sind, denn zusammen ergänzen sie sich. Wir hoffen, dass wir daraus die notwendigen Informationen erlangen können, um das Auto hinzubekommen."
"Um auf die spezifische Frage nach der Traktionskontrolle und den Bremsen zurückzukommen: Es gab Eigenschaften des Bremssystems, die Rubens nicht mag, aber wir haben da viel verändert und er fühlt sich schon um einiges wohler. Er mag auch manche Bereiche unserer Traktionskontrolle nicht, die wir sicher verbessern müssen. Auf einige dieser Bereiche hat er uns schon hingewiesen, was sich positiv auf die Performance auswirken wird. Diese Dinge standen bei den letzten zwei oder drei Tests ganz hoch oben auf unserer Prioritätenliste - und das wird vermutlich auch bei den nächsten zwei oder drei Tests noch so bleiben. Das ist also ein Bereich, in dem wir nicht so gut sind wie Ferrari - oder Rubens fährt nicht so gut. Jedenfalls haben wir Input von seiner Seite, mit dem wir etwas anfangen können."
Hondas Stärke liegt in den schnellen Kurven
Frage: "Ist es für eure Ingenieure interessant, dass Rubens Barrichello euer Auto mit dem Ferrari vergleichen kann, auch wenn der F2005 in der vergangenen Saison ja nicht so gut war wie erwartet?"
Willis: "Der Ferrari war über viele Jahre hinweg sehr gut, daher hat Rubens eine gute Basis, von der aus er fundierte Kommentare abgeben kann. Er ist sehr schmeichelhaft, was einige Bereiche unseres Autos angeht - speziell in den schnellen und mittelschnellen Kurven -, aber er ist in anderen Bereichen auch kritisch. Er findet, dass die Bremsen und die Traktionskontrolle nicht gut genug sind. Wir müssen nun an den schlechteren Bereichen arbeiten, dürfen uns aber hinsichtlich der guten Bereiche auch nicht ausruhen, denn wenn wir sagen, dass wir in den schnellen Kurven gut genug sind und daran nichts mehr verbessern müssen, dann beschweren sich die Fahrer in spätestens drei Monaten auch darüber."
Frage: "Stimmst du der Aussage zu, dass euer RA106 auf eine einzelne Runde genauso schnell ist wie der Renault, aber nicht auf die komplette Renndistanz?"
Willis: "Die Beweislage zeigt definitiv, dass wir auf eine einzelne Runde sogar schneller sind. Die Statistik beweist das. Leider trifft das auf das Rennen nicht zu. Das ist etwas, an dem wir hart arbeiten. Vielleicht müssen wir ein wenig von unserer Performance im Qualifying opfern, um im Rennen besser zu werden, vielleicht gelingt es uns aber auch einfach, die Performance im Rennen so zu steigern, dass sie genauso gut wird wie die im Qualifying."
Frage: "Wie kann es sein, dass ein Auto im Rennen deutlich weniger konkurrenzfähig ist als im Qualifying? Hängt das mit dem Setup zusammen, mit den Reifen?"
Willis: "Die Performance eines Reifensatzes variiert ziemlich stark vom neuen bis zum stark gebrauchten Zustand. Auch wenn wir jetzt die Reifen wieder wechseln dürfen, besteht jedes Rennen sozusagen aus drei einzelnen Minirennen. Wenn man nun das Beste daraus machen will, benötigt man ein anderes Setup als für eine einzelne Runde. Im Extremfall kann ein Auto mit neuen Reifen sehr konkurrenzfähig sein, aber furchtbar schlecht mit alten Reifen. Umgekehrt kann es auch Autos geben, die mit alten Reifen verhältnismäßig schnell sind, aber mit neuen Reifen nicht mehr wesentlich zulegen können."
Frage: "Ist das auch der Grund dafür, weshalb viele Teams mit angefahrenen Reifen ins Rennen gehen?"
Willis: "Das kann auch eine Vorsichtsmaßnahme sein, wenn man Graining befürchtet. Vor zwei oder drei Jahren zogen die Reifen auch oft Blasen. So kann man dem ein bisschen entgegensteuern."
Konstanz im Rennen hängt von vielen Faktoren ab
"Der Schlüsselaspekt ist aber, daran zu arbeiten, wie man das Abbauen des Autos während eines Rennstints minimieren kann. Dafür braucht man das richtige Setup, den richtigen Fahrstil, die richtigen Einstellungen der Traktionskontrolle und insgesamt einfach eine stimmige Abstimmung. Das ist auch der Grund dafür, dass verschiedene Strecken verschiedenen Autos unterschiedlich stark in die Hände spielen, denn die Evolution der einzelnen Rennen ist einfach nicht überall gleich. Die Reifen ändern sich ja auch - nicht nur während eines Rennens, sondern auch von Rennen zu Rennen. Wir müssen sicherstellen, dass die Entwicklung unseres Autos der Richtung der Reifenentwicklung folgt und auch dem Verhalten der Reifen während eines Rennens. Das ist eine sehr komplexe Sache, die mit der Gesamtphilosophie des Setups zu tun hat."
Frage: "Könnten diese Dinge durch das bevorstehende Reifenmonopol für alle vereinfacht werden?"
Willis: "Wenn wir nur noch einen Reifenhersteller hätten, wären wir bestimmt nicht so schnell, denn der Reifenkrieg führt reifenseitig zu einer außergewöhnlichen Entwicklungsgeschwindigkeit. Wie viel Performance die Reifenhersteller gefunden haben, ist wirklich unglaublich. Wir haben heute Reifen, die schneller sind als 2004, aber genauso haltbar wie 2005. Man muss sich das mal vor Augen führen! Natürlich würde ein einheitlicher Reifenhersteller diese Entwicklungsgeschwindigkeit einbremsen. Trotzdem müsste man natürlich die Eigenschaften des Autos denen der Reifen anpassen."
Frage: "Da schöpft man doch Hoffnung, dass davon auch die normalen Straßenreifen profitieren werden, oder?"
Willis: "Das muss auch so sein! Wenn ich mir anschaue, wie viel sich da in den vergangenen zehn Jahren getan hat, dann bin ich mir sicher, dass diese Technologien ihren Weg in die Serienproduktion machen."
Teil zwei des Interviews mit Geoff Willis wird am Freitag auf 'F1Total.com' veröffentlicht.

