• 12.02.2015 08:10

  • von Gary Anderson (Haymarket)

Formel-1-Technik: McLaren-Erwartungen und Token-Taktiken

Technikexperte Gary Anderson beantwortet Fragen zu McLarens erstem Eindruck, Ferraris Token-Taktik und den (un)sichtbaren Nasenunterschieden

(Motorsport-Total.com) - Die ersten Tests mit den neuen Formel-1-Boliden für die Saison 2015 haben eine Menge Eindrücke hinterlassen. Aber wie sind diese einzuordnen? Gary Anderson, der früher als Chefmechaniker bei McLaren, Chefdesigner bei Jordan, Stewart sowie Jaguar tätig war und heute als TV-Experte für der 'BBC' arbeitet, antwortet die Fragen von Formel-1-Fans. Dabei erklärt er unter anderem den Wert der vielbesprochenen Token, die Regenreifenproblematik und welchem Team er heute noch gerne unter die Arme greifen würde.

Titel-Bild zur News: Jenson Button

Die Tests in Jerez warfen viele Fragen auf - Gary Anderson hat Anworten Zoom

Parminder Sidhu (Twitter): "Was kannst du trotz der wenigen Runden in Jerez schon zu McLaren-Honda sagen?"
Gary Anderson: "Das Auto sieht nach einem ordentlichen Paket aus und ich denke, es wird ein wenig besser sein als der McLaren der vergangenen Saison. Man muss bedenken, dass sie das mehr oder weniger viertbeste Mercedes-Betriebene Team waren. Und da Mercedes die beste Antriebseinheit hatte, sagt das nicht viel über das Chassis aus."

"In der Formel 1 dreht sich momentan noch alles um die Antriebseinheiten, und so lange dies nicht ordentlich läuft, ist eine Einschätzung schwierig. McLaren hat sich auf Honda eingelassen, was auf lange Sicht Sinn macht. Bis alles passt könnte es aber in naher Zukunft erst einmal nach hinten losgehen."

@CassisDrinker (Twitter): "Was sind die innovativsten Neuerungen, die du an den neuen Autos bisher feststellen konntest?"
Anderson: "Leider sind die Zeiten des Bodeneffekt-Lotus, des Ventilator-Brabhams oder des Sechs-Reifen-Tyrells vorbei. So, wie sich die Regeln in den letzten Jahren entwickelt haben, wird es immer schwieriger, echte Innovationen hervorzubringen. Die Innovationen bestehen heute darin, mehr Effizienz zu erzeugen, und das spielt sich leider alles unter der Haube, also für die Öffentlichkeit verborgen, ab."

Yenti van Lancker (Twitter): "Worin besteht der aerodynamische Unterschied zwischen den Nasen von McLaren und Mercedes?"
Anderson: "Da die Regeln in diesem Bereich sehr streng sind, unterscheiden sich die Konzepte nur geringfügig voneinander. Dennoch kommt es darauf an, wie sich der Luftstrom nach hinten verhält. Befindet sich die vordere Kante oder die Unterseite des Seitenkastens im Sog der Frontflügel-Einstellung, so kann man so viele Nasen-Varianten ausprobieren, wie man möcht - man wird nur wenige Unterschiede feststellen."


Fotos: Testfahrten in Jerez


"Man muss sich von vorne nach hinten arbeiten, denn der Rest des Autos muss mit dem Luftstrom klarkommen, der unter der Nase und über den Frontflügel entsteht. Wenn man ein Auto entwickelt, müssen daher zuerst die Konzepte für Nase und Frontflügel stehen, bevor man sich durch den Rest des Autos arbeiten und alles optimieren kann. Hat man das hinbekommen, fängt man wieder von vorne an. Deswegen haben die Teams mit dem meisten Geld die besten Chancen. Aber wenn einem kleinen Team mal ein Glücksgriff gelingt, dann kann es auch einmal eine Überraschung geben."

@eggry (Twitter): Ferrari will sich so viele Motoren-Token wie möglich für die Entwicklung während der Saison aufsparen. Denkst du, diese Taktik wird aufgehen?"
Anderson: "Ferrari hat über den Winter offensichtlich schon Fortschritte gemacht. Der Motor wirkte bei den ersten Tests jedenfalls schon stärker, als im vergangenen Jahr, also schätze ich mal, dass sie hoffen, dass das für den Saisonstart reicht. Das würde ihnen erlauben, abzuwarten, wie sich alle anderen entwickeln und in welche Richtung es geht, um einen Hinweis für den eigenen nächsten Schritt zu bekommen.

"Man muss außerdem bedenken, dass diese Token mehr wert sind, als das Geld, was man in eine Neuausrichtung des Motors investieren würde. Das ist zumindest bei Ferrari der Fall. Wenn man das Geld erst einmal aufgewendet hat, dann kann man sich irgendwoher schon mehr davon beschaffen. Das ist bei den Token anders. Sind die verbraucht, ist es vorbei. Es ist also vielleicht gar keine so schlechte Idee, sich ein paar aufzuheben."

@LesRosbifs (Twitter): "Im Vergleich zu anderen Motorsportserien ist die Formel 1 recht langweilig. Welche drei Dinge würdest du ändern, um ein wenig mehr Spannung zu erzeugen?"
Anderson: "Was die Autos angeht würde ich die Aerodynamik um mindestens 50 Prozent reduzieren, die Reifen vergrößern (vor allem die Hinterreifen) und das Benzindurchfluss-Ventil entfernen, um die potenzielle Ausgangsleistung zu erhöhen."

"Ansonsten würde ich das Qualifying so belassen, wie es heute samstags abläuft. Anschließend daran würde ich aber Sprint-Rennen stattfinden lassen, so etwa 150 Kilometer lang, dessen Startaufstellung aus dem Qualifying hervorgeht. Während dieser Rennen dürften nur sechs Teammitglieder in der Boxengasse arbeiten, um die Boxenstopps zu verlängern. Außerdem sollte es für diese Rennen vielleicht Punkte nach dem alten 10-Punkte System geben."

"Am Sonntag sollten dann 250 Kilometer lange Rennen stattfinden, bei denen die Fahrer entgegen ihrer Platzierung in der Weltmeisterschaft antreten sollten. Dabei könnte es, wie jetzt auch, 25 Punkte für den Sieg geben."


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"All das zusammen würde bedeuten, dass die Autos schwieriger zu fahren wären, das Qualifying an Bedeutung gewinnen würde, die Reifenbehandlung ein Faktor wäre und Überholen wieder wichtig werden würde. Ich bin mir sicher, dass, richtig umgesetzt, es zur Spannung beitragen und den Zuschauer zwei actiongeladene Tage verschaffen würde."

Mark Lovas (Twitter): "Sowohl Die Fahrer als auch Pirelli habe über eine Verbesserung der Regenreifen gesprochen. Können die überhaupt merklich verbessert werden?"
Anderson: "Es können immer Fortschritte erzielt werden, bei allen Reifentypen. Bei den Intermediates scheint es keine Probleme zu geben, aber die Regenreifen wirken verbesserungswürdig. Das ist aber eine große Herausforderung für Pirelli, denn sobald es einmal ordentlichen Regen gibt, wollen die Teams am liebsten sofort ihre Autos in der Garage parken."

"Bei einer Rundenzeit von etwa 1,40 Minuten im Trockenen, würde man bei gleichmäßig nasser Strecke Regenreifen bis zu einer Rundenzeit von etwa 2,00 Minuten, oder eben etwa 20 Prozent langsamer, benutzen. Dann wäre es Zeit für die Intermediates, die sofort zu den gleichen Zeiten fähig sein sollten. Wenn die Strecke dann abtrocknet, sollten sich die Zeiten bei 1,50 Minuten einpendeln, bis man wieder auf Slicks umsteigen kann."

Pirelli

Auch Pirelli sind bei der Entwicklung oft die Hände gebunden Zoom

"Die Rillentiefen sind in den Regeln festgeschrieben, und ich denke, Pirelli müsste da mehr Spielraum eingeräumt werden. Genauso wie mit der Festigkeit, um andere Übergangspunkte zu erreichen."

Dermot Farrelly (Facebook): "Wenn irgendein Team bei dir anfragen würde, für welches (außer Mercedes) würdest du arbeiten?"
Anderson: "Ich muss erst einmal klarstellen, dass ich offiziell im Ruhestand bin. Meine Antwort ist also rein hypothetisch! Ich bin immer noch ein Mann der kleinen Teams. Ich habe nie den Reiz darin gesehen, für die Öl-Tanker, also Teams mit 600 bis 800 Mitarbeitern, zu arbeiten. Es sind die Teams, die so ihre Probleme haben, denen ich gerne helfen würde, wenn ich könnte. Ich hatte immer das Gefühl, dass es nichts Befriedigenderes gibt, als die großen Jungs zu schlagen."

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