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  • 07.02.2015 08:32

  • von Gary Anderson (Haymarket)

Formel-1-Tests 2015: Gary Andersons Fazit nach Jerez

Ex-Formel-1-Designer Gary Anderson zieht seine ersten Schlüsse nach den vier Testtagen in Andalusien und geht mit Adrian Newey und McLaren hart ins Gericht

(Motorsport-Total.com) - Es ist immer schwierig, nach den Tests echte Schlüsse zu ziehen, vor allem in der ersten Testwoche einer neuen Saison. Die meisten Teams konzentrieren sich darauf, ordentlich Kilometer zu sammeln. Andere versuchen, etwas Scheinwerferlicht abzubekommen, um die dringend benötigten Sponsoren anzuziehen. Dennoch werde ich die acht Teams in der Reihenfolge der besten Testzeiten analysieren. Wie sollte es anders sein: Nach drei von vier Tagesbestwerten beginnt alles mit Ferrari, Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen:

Titel-Bild zur News: Kimi Räikkönen

Kimi Räikkönen war in Jerez der schnellste Formel-1-Pilot überhaupt Zoom

Ferrari: Schon viel besser als im Vorjahr

Ferrari scheint deutlich besser in Form zu sein als im Vorjahr. Die Rundenzeiten waren in Jerez generell beeindruckend. Beide Fahrer benötigen ein Auto, dass an der Vorderachse gut liegt und stabil ist, und beiden gefällt das Fahrverhalten des neuen Ferrari SF15-T. Das ist beim Setup und bei der Entwicklungsrichtung immer eines der Hauptziele - der Test war für Ferrari daher insgesamt sehr ermutigend.

Sauber: Schlagzeilen können kein Nachteil sein

Sauber scheint von der verbesserten Ferrari-Antriebseinheit zu profitieren. Wie ich am Anfang erwähnt habe, könnten einige Teams bei den Tests versuchen, für Schlagzeilen zu sorgen (Ja, das habe ich teilweise auch selbst versucht!), und es besteht kein Zweifel, dass das bei Sauber der Fall ist.

Sie müssen Sponsoren anlocken - und gibt es diesbezüglich einen besseren Weg, als ein paar konkurrenzfähige Rundenzeiten hinzuknallen und sicherzustellen, dass man an jedem der vier Tage entweder Erster oder Zweiter wird? Das Auto sieht aber konstant und im Vergleich zum Vorjahr deutlich verbessert aus. Und wenn Felipe Nasr und Marcus Ericsson mit dem C34 starke Zeiten fahren, dann wird das jeden in Hinwil motivieren.

Mercedes: Die Pflicht erfüllt

Mercedes hat sich voll auf das eigene Testprogramm konzentriert und alles, was rund um das Team ablief, sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dennoch muss am Ende des ersten Testtages irgendjemand am Mercedes-Kommandostand die Stoppuhr gezückt haben, um sich Ferrari anzusehen. Selbst Nico Rosberg gab schließlich zu, dass die Ferrari-Leistung seine "Augen geöffnet" hat.

Nico Rosberg

Der W06 hatte technische Defekte, spulte aber viele Kilometer ab Zoom

Es ist immer schwierig, in einem schnellen Auto langsam zu fahren. Der beste Weg ist es normalerweise, viel Sprit an Bord zu haben. Dann können die Piloten gleich aggressiv sein, liefern aber keine auffälligen Rundenzeiten ab. Ist das die Herangehensweise von Mercedes oder wird Ferrari den Silberpfeilen dieses Jahr das Leben schwer machen? Blufft Mercedes?

Wir sollten den nächsten Test in Barcelona abwarten, um die Situation besser einschätzen zu können, aber es ist auffällig, dass die Mercedes-Zeit auf den Medium-Reifen gefahren wurde, während Kimi Räikkönen die Wochen-Bestzeit auf der Soft-Mischung fuhr.

Williams: Einige Schwächen aus dem Jahr 2014 beseitigt

Williams scheint kleine Fortschritte gemacht zu haben. Das 2014er-Auto hatte eine starke Vorderachse und lag am Kurveneingang sehr gut, aber ich hatte stets den Eindruck, dass das Heck am Limit ist. Das diesjährige Auto verfügt weiterhin über eine starke Vorderachse, die Hinterachse ist aber verbessert.

Eine der größten Williams-Stärken war im Vorjahr der Topspeed: Das Auto war auf den Geraden stets schnell. In Jerez rangierte der Williams bei der Haupt-Geschwindigkeitsmessung mit 307,6 km/h ex aequo mit Mercedes an der Spitze. Das Hauptproblem des Williams war im Vorjahr, dass er auf gewissen Strecken einfach nicht so viel Abtrieb generierte wie einige andere Autos.


Fotostrecke: Die neuen Nasen der Formel 1 2015

Der Barcelona-Test wird diesbezüglich aufschlussreicher sein, denn der Circuit de Barcelona-Catalunya ist eine Strecke, auf dem Abtrieb eine Bedingung für eine gute Rundenzeit ist.

Toro Rosso: Ein Underdog, der glänzen könnte

Das einstige Minardi-Team hat einmal mehr beweisen, dass ein relativ kleines Team ein funktionierendes Auto konstruieren kann, das auf Anhieb keine Rätsel aufgibt, auch wenn man wegen der Renault-Motorenprobleme in regelmäßigen Abständen für Überprüfungen an die Box kommen musste.

Max Verstappen

Max Verstappen und Carlos Sainz jun. sollen für Toro Rosso der Jungbrunnen sein Zoom

Die Fahrerpaarung ist sehr jung (obwohl sogar das wie eine Untertreibung klingt), und man könnte dies als Vorwand benutzen, aber Teamchef Franz Tost gilt als "Racer". Er und Technikchef James Key scheinen zu wissen, wie man das beste aus dem Team herausholt.

Franz spricht von Platz fünf in der Konstrukteurs-WM - und was spricht auch dagegen? Das Auto sieht vielversprechend aus und war zuverlässiger als der Red Bull. Mit einem guten Entwicklungsplan vor Melbourne und wenn der Renault-Motor beim kommenden Test ordentlich Kilometer zulässt, dann könnte sich das kleine Team als große Nummer erweisen.

Lotus: Das Selbstvertrauen kehrt zurück

Lotus kam dieses Jahr etwas langsam auf Touren, aber das Team hatte 2015 einen viel besseren Testauftakt als im Vorjahr, als Lotus beim ersten Test sogar fehlte. Die Truppe hat im Vorfeld der Saison 2014 viele gute Leute verloren und stand dadurch unter Schock. Es bedurfte ein paar Umstrukturierungen, damit das verbleibende Team wieder effizienter wurde, aber es arbeiten immer noch genügend talentierte und erfahrene Leute in Enstone, um wieder nach vorne zu kommen.

Der Mercedes-Motor stellt einen großen Schritt nach vorne darf, aber auch das Auto sieht besser aus. Das Vorjahres-Auto war sehr inkonstant und unberechenbar. Wenn man einmal ein derartiges Auto hat, dann narrt es den Fahrer, der dann jegliches Vertrauen verliert. Hoffentlich kommt das Vertrauen mit dem diesjährigen Auto zurück.


Fotos: Lotus, Testfahrten in Jerez


Red Bull: Ganz oder gar nicht

Warum mussten Sie bis hierher lesen, ehe ich das Team erwähne, das so viele dominante Saisons hinter sich hat und dachte, dass ihm die Formel 1 gehört? Vergleicht man das Red-Bull-Team mit Toro Rosso, dann könnte der Eindruck entstehen, dass das Juniorteam kompetente Arbeit abliefert, während das Hauptteam danebengegriffen hat.

Adrian Newey hat seine wahre Begeisterung für die Formel 1 verloren. Das Reglement hat ihn desillusioniert, und er kümmert sich um andere Projekte. Klar, er ist immer noch ein Teil von Red Bull Racing, aber so ist es nun mal in der Formel 1: Nur Besucher sein geht nicht. Entweder 100 Prozent oder gar nicht - ein bisschen gibt's nicht.

Daniel Ricciardo

Red Bull ist noch im Tarnlook unterwegs, obwohl Experten viel entschlüsselt haben Zoom

Dass Vettel zu Ferrari geht, ist ein weiterer Rückschlag, da das Team mehr oder weniger um ihn herum aufgebaut. Daniel Ricciardo hat im Vorjahr großartige Arbeit geleistet, aber was wird dieses Jahr passieren, wenn Red Bull die Leistung nicht bringt? Das Team könnte auseinanderbrechen.

Barcelona wird der Härtetest. Der Renault-Motor war in Jerez die Bremse, und da Red Bull als Renault-Werksteam fungiert, gibt es keine Entschuldigungen, wenn es nicht besser läuft. Wenn sich Red Bull nicht verbessert, dann werde die Risse ans Tageslicht treten.

McLaren: Was für ein Fehlstart

Nach dem ersten Start ist McLaren schwer einzuschätzen. Alle verweisen darauf, wie toll sich die Beziehung zwischen McLaren und Honda entwickelt, wie innovativ das Auto sei. So innovativ, dass sie all diese Probleme erwartet hätten. Alles Blödsinn! Eigentlich hätten sie etwartet, das Auto auf die Strecke zu bringen und zumindest 100 Runden pro Tag abzuspulen.

Also wird McLaren sehr enttäuscht die Heimreise antreten, denn offenbar folgte ein Problem dem anderen, und niemand hat bislang den Motor im Griff. Und der Test in Barcelona könnte ganz ähnlich ablaufen.

Jenson Button

Herbe Kritik Gary Andersons müssen McLaren und Honda einstecken Zoom

Abgesehen davon sieht das Auto auf der Strecke ziemlich gut aus. Aber wenn man nicht die volle Leistung hat, dann sehen die meisten Autos gut aus... Hoffentlich täusche ich mich, denn wir wollen doch, dass McLaren-Honda vorne mitfährt. Barcelona wird hoffentlich zeigen, wo sie stehen.

Vier Testtage liegen bereits hinter uns, acht folgen noch. Grundsätzlich habe ich das Gefühl, dass Mercedes dieses Jahr an der Spitze etwas Gesellschaft bekommt, aber ich habe noch nicht wirklich eine Ahnung, wer das sein wird.