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  • 28.01.2009 13:41

Die KERS-FAQ: Fragen und Antworten

KERS für Dummys: Was Energierückgewinnung eigentlich bedeutet, welche Systeme es derzeit in der Formel 1 gibt und was diese in der Praxis bewirken

(Motorsport-Total.com) - Das Energierückgewinnungssystem KERS (Kinetic Energy-Recovery-System) ist die größte technische Herausforderung der Formel-1-Saison 2009 und zugleich auch die größte Unbekannte. Doch auch wenn die Experten tagtäglich darüber sprechen, so fragen sich doch viele unserer Leser, was KERS eigentlich ist. Die folgenden Fragen und Antworten sollen KERS auch für Laien verständlich erklären.

Titel-Bild zur News: KERS-Elektromotor

So kompakt kann der Elektromotor eines Motorsports-KER-Systems sein

Frage: Worum handelt es sich bei KERS überhaupt?
Antwort: Ein KER-System kann die Bewegungsenergie (kinetische Energie) des Autos, die beim Bremsen bislang in Form von Reibungshitze verpuffte, speichern und wieder für den Antrieb nutzen. Als Energiespeicher kommen Batterien oder ein Schwungrad in Frage. Das Reglement begrenzt für 2009 die Obergrenze des zusätzlich abrufbaren Schubs auf 60 kW (82 PS). Insgesamt darf ein Fahrer pro Runde nicht mehr als 400 kJ abrufen. Das entspricht einem Einsatz der 60 kW über eine Dauer von knapp sieben Sekunden.#w1#

Zwei verschiedene Konzepte

Frage: Wie unterscheiden sich die derzeit in der Formel 1 verwendeten Systeme zur Speicherung und Wiederabgabe von Energie?
Antwort: Die technische Lösung für KERS ist vom Reglement freigestellt. Derzeit verfolgen die Formel-1-Ingenieure zwei unterschiedliche Wege: Der erste besteht in einem Schwungrad aus Kohlefaser, das mit extrem hohen Drehzahlen in einem Vakuumzylinder rotiert und über eine variable, stufenlose Übersetzung (CVT) mit dem Differenzial verbunden ist. Dieses System speichert große Mengen mechanischer Energie und bietet zusätzlich den Vorteil, dass es unabhängig vom Getriebe angeordnet werden kann. Um seine Kraft präzise zu nutzen, sind allerdings kraftvolle und entsprechend sperrige Regler erforderlich, die viel Platz in Anspruch nehmen.

Die zweite Möglichkeit: Ein Elektromotor wandelt beim Bremsen die kinetische Energie wie ein Generator in Strom um, speichert sie in Batterien und lässt sie bei Bedarf wieder in den Antriebsstrang fließen.

KERS-Stromschlag

Die Kehrseite von KERS: Ein Mechaniker bekam bei Tests einen Stromschlag ab Zoom

Frage: Welche Teams setzen auf welches Konzept?
Antwort: Williams hat sich als einziges Team für eine Schwungradlösung entschieden. Dem Schwungrad wird langfristig das größere Entwicklungspotenzial nachgesagt. Außerdem ist die Gefahr von Stromschlägen eliminiert.

Alle anderen Teams setzen auf eine Einheit, die aus drei Komponenten besteht:

- einem Elektromotor, der zugleich als MGU-Generator (Motor/Generator-Unit) funktioniert und zwischen Kraftstofftank und Motor verbaut ist. Angeflanscht direkt an die Kurbelwelle des V8 gibt er seinen Schub unmittelbar an den Antriebsstrang ab.

- Lithium/Ionen-Batterien der neuesten HVB-Generation (High-Voltage-Battery-Pack), die Energie sehr schnell speichern und wieder abgeben.

- einer Regeleinheit KCU (KERS-Control-Unit), die die Arbeit des MGU bei der Aufnahme und Abgabe von Energie steuert und kontrolliert. Die KCU ist mit dem standardisierten ECU-Zentralrechner des Fahrzeugs (Electronic-Control-Unit) verbunden.

Frage: Worin bestanden die technischen Herausforderungen bei der Entwicklung von KERS?
Antwort: Zunächst einmal darin, mit der Masse und dem Platzbedarf des Systems umzugehen. KERS erhöht das Fahrzeuggewicht im Vergleich zum 2008er-Auto beträchtlich. Dies bedeutet, dass den Ingenieuren bei der Fahrzeugabstimmung weniger frei verschiebbarer Ballast zur Verfügung steht. Zum anderen ist eine effiziente Kühlung der Batterien unverzichtbar. Dafür musste ein spezielles System konstruiert werden.

Der Einbau der Komponenten

Frage: Wo sind die Batterien im Auto untergebracht?
Antwort: Unter dem Kraftstofftank, direkt unter den Beinen des Fahrers oder in den Seitenkästen.

Schwungrad-KERS

Williams setzt als einziges Team auf ein KERS mit Schwungradspeicher Zoom

Frage: Muss der MGU zwischen Tank und Motor eingebaut sein?
Antwort: Nein, das Reglement stellt die Positionierung frei. Der Generator/Motor kann auch parallel zum Getriebe im Heck des Autos sitzen. Auf diese Weise ist er direkt mit den Antriebswellen verbunden und gibt seinen Schub über das Differenzial ab.

Frage: Warum liegen so viele Teams in der KERS-Entwicklung hinter ihrem eigenen Zeitplan?
Antwort: Das Zeitfenster für die Entwicklung und den Bau dieses Systems war mit 18 Monaten von Beginn an sehr knapp bemessen. Dies schränkte die Zahl der möglichen Projekt- und Vorstudien deutlich ein. Einige Teams gerieten in Terminprobleme, auch weil sie den Entwicklungsaufwand für die von ihnen jeweils bevorzugten Lösungen unterschätzt haben. Zugleich erwies sich die Sicherheit als sensibler Punkt: Um Fahrer und Mechaniker vor gefährlichen Stromschlägen zu schützen, wurden umfangreiche Sicherheitstrainings nötig. Darüber hinaus musste auch in den Workshops eine völlig neue Infrastruktur mit speziellen Prüfständen und geschultem Personal geschaffen werden.

Frage: Sorgt KERS für spannendere Rennen?
Antwort: Nicht unbedingt. Wenn alle Teams KERS auf dieselbe Weise einsetzen - also die gleiche Zusatzleistung am selben Ort über einen identischen Zeitraum abrufen - ergibt sich für niemanden ein Vorteil. Andererseits wird es ein enormes Handicap sein, 2009 ohne KERS zu starten.

Frage: Hat die Einführung der Energierückgewinnung in der Formel 1 bereits positive Effekte für die Serienfertigung gebracht?
Antwort: Die Entwicklung von sehr leichten und kompakten 82-PS-Elektromotoren, die unter Extrembedingungen fehlerfrei arbeiten, ist zweifellos ein bedeutender Fortschritt für die Einführung solcher Systeme auf breiter Basis.