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Das war 2008: Renault

Zwei Saisonhälften wie Tag und Nacht: Nicht zuletzt der Alonso-Effekt war verantwortlich dafür, dass Renault die Wende des Jahres gelungen ist

(Motorsport-Total.com) - Viele trauern den "goldenen Jahren" der Formel 1 nach, dabei war die Saison 2008 so spannend wie kaum eine andere zuvor. Speziell das packende Herzschlagfinale in Brasilien ging in die Grand-Prix-Geschichte ein. 'Motorsport-Total.com' rollt die zurückliegenden Ereignisse in Form einer Artikelserie noch einmal auf. Den Anfang machen die elf Teams, dann folgen die fünf Deutschen und zum Abschluss am 1. Januar Weltmeister Lewis Hamilton. Heute: Renault.

Titel-Bild zur News: Fernando Alonso

Das Qualifying in Spanien war für Fernando Alonso der Anfang der Wende

Für 40,92 Prozent unserer Leser war Renault 2008 das meistverbesserte Team des Jahres. Diese Einschätzung wird von der WM-Tabelle untermauert: In der ersten Saisonhälfte holte das Team gerade mal 15 Punkte und lag damit auf dem siebenten Gesamtrang, während in der zweiten Saisonhälfte mit 65 Punkten noch eine Steigerung auf Platz vier gelang. Besonders ab Singapur ging bei Renault so richtig die Post ab.#w1#

Aus den letzten fünf Grands Prix des Jahres (Italien, Singapur, Japan, China und Brasilien) holte kein anderer Rennstall mehr Zähler als Renault. Da wurden Erinnerungen an die Weltmeisterjahre 2005 und 2006 wach, als die gelb-blauen Boliden mit Michelin-Reifen und mit Fernando Alonso am Steuer nicht zu schlagen waren. Michelin ist inzwischen nicht mehr in der Formel 1 vertreten, Alonsos Heimkehr scheint dem französischen Team aber gut getan zu haben.

Genugtuung gleich am Saisonbeginn

Zunächst sah es nicht so aus, als würde Renault 2008 Grands Prix gewinnen: Alonso verpasste in Australien als Elfter der Startaufstellung den Einzug ins Top-10-Qualifying und erreichte im Rennen nur durch viel Glück einen soliden vierten Platz. Immerhin verschaffte er sich persönliche Genugtuung, als er kurz vor Schluss am McLaren-Mercedes von Heikki Kovalainen vorbeiging, also an jenem Fahrzeug, in dem er eigentlich selbst hätte sitzen sollen.

Fernando Alonso

Persönliche Genugtuung: Fernando Alonso in Australien vor einem Silberpfeil Zoom

Auf Australien folgte ein achter Platz in Malaysia, eine Nullnummer in Bahrain und ein Ausfall wegen Motorschadens beim Heimspiel in Spanien. Dennoch war Barcelona so etwas wie der Anfang der Wende: Im Qualifying fuhr der Lokalmatador sensationell in die erste Startreihe, obwohl er nur um drei beziehungsweise vier Runden weniger Benzin an Bord hatte als die Ferraris, und im Rennen fuhr er immerhin sicheren vier Punkten entgegen, bis ihn die Technik im Stich ließ.

Es sollte nach diesem ersten Impuls bis nach der Sommerpause vier Monate später dauern, um die Aufwärtstendenz zu festigen und konstant an der Spitze mitzufahren. Der Europa-Grand-Prix in den Straßen von Valencia sollte noch mit einer Enttäuschung enden, doch von da an lief Renault BMW im Kampf um die dritte Kraft mehr und mehr den Rang ab. Bis auf Toro Rosso, wo es ein neues Auto von Red Bull gab, konnte sich kein anderes Team während der Saison dermaßen steigern.

Alles für Alonso?

"Ich glaube, dass sie wie wild gearbeitet haben, um Alonso zu halten", analysiert 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer. "Sie wussten: 'Fernando ist weg, wenn wir nicht besser werden. Er will ein Siegerauto - und nur dann bleibt er bei uns.' Und sie wussten: Ohne Alonso können sie alles vergessen. Das hat man im Jahr zuvor gesehen, als mit Fisichella und Kovalainen überhaupt nichts mehr ging. Diese Situation hat Renault wohl motiviert, mehr zu arbeiten als andere."

Fernando Alonso

Fabrik in Enstone: Kaum jemand kann ein Team so motivieren wie Fernando Alonso Zoom

Der Schweizer spielt damit auf die Konstellation auf dem Transfermarkt an, auf dem Alonso wie schon im Vorjahr die begehrteste Aktie war. Der zweifache Weltmeister wäre am liebsten zu Ferrari gegangen, doch dort hatte man (noch) kein Cockpit für ihn. Also musste die Wahl zwischen BMW, Honda und Renault fallen. Schlussendlich entschied er sich gegen Honda, was sich als goldrichtig herausstellen sollte, und für Renault. Wie ernst die Gespräche mit BMW waren, ist unklar.

Bei den Franzosen, die den Motor in Viry-Châtillon und das Chassis im britischen Enstone entwickeln, gab es im Vergleich zu 2007 mit Ausnahme von Alonso kaum Änderungen, sodass sich der polarisierende Spanier durchaus einen großen Anteil am Erfolg an die eigene Brust heften darf. "Einen Topfahrer zeichnet nicht nur aus, was er hinter dem Lenkrad kann, sondern auch, dass er das Team mitreißt, die Sponsoren, das eigene Land", betont unser zweiter Experte Sven Heidfeld.

Der Alonso-Effekt

"Ohne Alonso wäre Renault ganz weit hinten gewesen. Daran sieht man, wie wichtig er für das Team ist", meint der Deutsche weiter. Und Surer fügt an: "Es ist nicht so, dass ein Fahrer dem Team sagt, wie sie das Auto machen müssen, aber er kann ihnen auf die Füße treten und ihnen klarmachen, dass es so nicht geht. Michael Schumacher hatte da sicher eine diplomatischere Art als Alonso, der auch in der Öffentlichkeit laut jammert."

Fernando Alonso

Nelson Piquets Unfall verhalf Fernando Alonso indirekt zum Sieg in Singapur Zoom

"Aber Alonso macht das auch intern. Er drückt mit dem Finger auf die Wunde und sagt: 'Wenn das nicht besser wird, können wir es vergessen.' So lässt er dem Team keine andere Wahl als zu arbeiten. Wenn der Fahrer das dann auch umsetzt, wissen die Leute, wofür sie arbeiten. Der Fahrer kann ein Team also schon vorwärts bringen, ohne dass er das Auto selbst entwickelt, wie das oft fälschlich angenommen wird", lobt der Ex-Formel-1-Pilot den 27-Jährigen.

Gewisse Parallelen zwischen Alonso und Schumacher lassen sich nicht leugnen: Als Schumacher von Benetton zu Ferrari ging, hinterließ er einen Scherbenhaufen, der sportlich auf Jahre in der Bedeutungslosigkeit verschwand. Anschließend lockte er Leute wie Ross Brawn und Rory Byrne zu sich nach Maranello und legte damit den Grundstein für die größte Ferrari-Ära der Formel-1-Geschichte. Erst durch Alonso und Renault wurde diese beendet.

Parallelen zu Schumacher

Als Alonso Ende 2006 Renault verließ, stürzte das Ex-Benetton-Team wieder rapide ab - und kaum ist der "verlorene Sohn" zurück, läuft es wieder besser. Erinnert dich das an Schumacher, Marc? "Michael hing damals sicher oft am Telefon und hat sich beschwert, dass man dies und jenes anders machen sollte. Alonso hat eine andere Art, die vielleicht nicht überall so gut ankommt, aber er pusht das Team dadurch auch", nickt Surer zustimmend.

Flavio Briatore und Fernando Alonso

Der zweite Streich: Flavio Briatore und Fernando Alonso jubeln in Japan Zoom

Doch auch wenn Renault die Wende mit den beiden Siegen in Singapur und Japan eingeleitet hat, so war man noch weit von der Form von 2005 und 2006 entfernt. Dabei hat sich seither eigentlich wenig geändert: Alonso war ein Jahr weg, Pat Symonds hat im Ingenieursstab eine übergeordnete Rolle eingenommen, Alonsos früherer Renningenieur Rod Nelson ist zu Williams gegangen. Ansonsten ist das Weltmeisterteam von damals weitgehend unverändert.

Oder doch nicht? "Die Kombination Renault/Michelin hat hervorragend funktioniert", verweist Surer auf einen weiteren Faktor. "Damit haben sie auch Ferrari schlagen können. Jetzt ist dieses Plus weg. Sie sind ein Team wie jedes andere, Kunden von Bridgestone. Jetzt müssen sie das Auto für die Reifen bauen und nicht umgekehrt. Das war natürlich eine neue Aufgabe. Im zweiten Jahr haben sie aber offenbar irgendwann den richtigen Weg gefunden."

Motor: Entwicklung verschlafen

Das gilt auch für die Motorenfrage, 2008 eines der größten Renault-Handicaps. Während die anderen Hersteller die erste Homologierungsphase genutzt haben, um das Reglement voll auszuschöpfen und ihre V8-Triebwerke weiterzuentwickeln, hielt sich das Team um Motorenbauer Rob White voll an den Geist des Reglements und verschlief damit einen wichtigen Leistungsschritt. Die FIA lieferte dafür den Beweis, als Renault als einzigem Hersteller die Erlaubnis zum Nachrüsten erteilt wurde.

Motor Engine

Der Renault-Motor war 2008 zu Beginn eines der größten Handicaps des Teams Zoom

Nun gilt es, die Spätform von 2008 ins Jahr 2009 mitzunehmen, was gar nicht so einfach wird, denn Konzernchef Carlos Ghosn gilt als eiserner Sparmeister. Zwar soll er im Sommer signalisiert haben, das Formel-1-Budget aufzustocken, doch ob dieses Versprechen auch in Zeiten der Weltwirtschaftskrise noch gilt, sei dahingestellt. Generell kann Renault im Gegensatz zu Toyota und Co. nicht beliebig mit Geld um sich schleudern.

"Wahrscheinlich hat man nie genug Geld, wenn man in der Formel 1 ist, denn man kann immer noch mehr austesten und so weiter. Von dem her ist ein kleines Budget sicher kein Vorteil, aber man hat bei großen Teams auch schon gesehen, dass man sich leicht verzetteln kann, wenn man zu viel macht", geht Surer auf die Frage nach der Bedeutung des Budgets ein. "Es kann also kein Vorteil sein, aber vielleicht ist der Nachteil gar nicht so groß, wie man immer meint."

Es geht auch ohne viel Geld

Untermauert wird diese Aussage durch zwei konkrete Beispiele der vergangenen Jahre: Toyota hat es in sieben Jahren trotz 400-Millionen-Euro-Etat bisher nicht geschafft, einen Grand Prix zu gewinnen, während der BAR-Honda-Höhenflug zu Platz zwei in der Konstrukteurs-WM 2004 erst gelang, als David Richards in Brackley Personal abbaute und überschaubarere Strukturen schaffte. Man weiß heute in der Formel 1: Erfolg kann man nicht kaufen.

Fernando Alonso

Auch das war 2008: Defekt bei Fernando Alonso im Qualifying in Singapur Zoom

Talent offenbar auch nicht, wie das Beispiel von Nelson Piquet jun. beweist. Zwar etablierte er sich im Laufe der Saison insofern als Mitglied der Formel-1-Gemeinde, als er von immer mehr Medien nicht mehr "Junior" genannt wurde - Vater Nelson sen. war 1981, 1983 und 1987 Weltmeister -, doch an die überragende Rookiesaison von Hamilton im Jahr 2007 konnte der Brasilianer nicht anknüpfen. Trotzdem wurde sein Vertrag bis Ende 2009 verlängert.

"Er hat sich gesteigert", hält Surer dem 23-Jährigen zugute. "Anfang des Jahres hätte ich gesagt, den Jungen kannst du vergessen, weil er nur auf Strecken schnell war, auf denen er vorher getestet hatte. Ein Talent muss auf die Strecke gehen und eine Zeit hinknallen, aber bei ihm kam einfach nichts. Er hat sich dann jedoch gesteigert - und das ist immer ein gutes Zeichen, denn wenn sich jemand steigert, dann ist noch Potenzial da."

Piquet: Alle 18 Qualifyings gegen Alonso verloren

Heidfeld glaubt ebenfalls, dass Renault mit Leuten wie Lucas di Grassi oder Romain Grosjean durchaus Alternativen gehabt hätte, denen man eine Chance geben hätte können, doch ganz versagt habe Piquet auch nicht - immerhin schrammte er in Deutschland knapp an seinem ersten Grand-Prix-Sieg vorbei. Natürlich kam der zweite Platz in Hockenheim nur durch eine glücklich getimte Safety-Car-Phase zustande, aber einem geschenkten Gaul schaut man bekanntlich nicht ins Maul.

Felipe Massa Nelson Piquet Jr.

Nelson Piquets Highlight des Jahres 2008: Zweiter Platz in Deutschland Zoom

"Über die gesamte Saison gesehen war seine Leistung mit Sicherheit zu wenig, aber das Podium muss man trotzdem anerkennen - das muss man erstmal nach Hause fahren", nickt Heidfeld zustimmend. "Die Frage ist bei einem jungen Fahrer auch immer, ob er sich noch steigern kann, aber da kam über das ganze Jahr zu wenig. Andererseits war er in den Nachwuchsklassen sehr gut, in denen man jedoch viel mit Geld bewegen kann, wie man weiß."

2009 wird für Renault eine entscheidende Saison: Am Jahresende laufen die Verträge von Alonso, Piquet und Teamchef Briatore aus, der bereits angekündigt hat, dass er künftig kürzer treten möchte. Sollten die sportlichen Ziele also verfehlt werden, droht ein Zerfall des Teams - und dann steht das gesamte Renault-Engagement in Frage. Denn in Zeiten der Weltwirtschaftskrise wird sich Sparmeister Ghosn doppelt überlegen, wie viel Geld er für die Formel 1 ausgeben will...

Saisonstatistik:

Team:

Konstrukteurswertung: 4. (80 Punkte)
Siege: 2
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Podestplätze: 4
Ausfallsrate: 33,3 Prozent (9.)
Durchschnittlicher Startplatz: 10,2 (5.)

Fernando Alonso (Startnummer 5):

Fahrerwertung: 5. (61 Punkte)
Siege: 2
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 6,9
Bestes Ergebnis Qualifying: 2.
Bestes Ergebnis Rennen: 1.
Ausfallsrate: 16,7 Prozent (8.)

Nelson Piquet (Startnummer 6):

Fahrerwertung: 12. (19 Punkte)
Siege: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 13,4
Bestes Ergebnis Qualifying: 7.
Bestes Ergebnis Rennen: 2.
Ausfallsrate: 50,0 Prozent (20.)