• 16.08.2016 19:21

  • von Gary Anderson (Haymarket)

Das wahre Kräfteverhältnis: Gary Andersons Halbzeitbilanz

Formel-1-Experte Gary Anderson analysiert die bisherige Performance der einzelnen Teams und vergleicht die Stärken anhand konkreter Zahlen

(Motorsport-Total.com) - Zwölf Rennen sind in der Saison 2016 absolviert, und mittlerweile haben wir ein ordentliches Bild davon, wer gut drauf ist - und wer weniger. Allerdings ist es immer interessant, auf die Performances der verschiedenen Teams und auf die Trends der bisherigen Saison zu blicken. Um auf die Performance eines jeden Teams zu schauen, habe ich die schnellste Rundenzeit eines jeden Autos an einem Wochenende genommen und prozentual mit der absolut schnellsten Rundenzeit verglichen. Der Durchschnitt davon gibt einen Gesamtperformance-Wert.

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg, Sebastian Vettel, Kimi Räikkönen

Keine Überraschung: Mercedes liegt weit vor dem Rest der Welt Zoom

Das eliminiert jede Diskrepanz, die durch unterschiedliche Streckenlängen hervorgerufen wird, wenn man nur die reine Rundenzeit im Durchschnitt benutzen würde. Es dürfte nicht überraschend sein, dass Mercedes das Feld anführt. Aber dass der durchschnittliche Vorsprung größer ist als zum gleichen Zeitpunkt im Vorjahr, könnte schon eher ins Auge stechen.

In der Sommerpause 2015 hatte Mercedes 0,877 Prozent Vorsprung auf den nächsten Verfolger Ferrari, was auf einer Runde von 90 Sekunden acht Zehntelsekunden ausmacht. Jetzt beträgt der Vorsprung 0,926 Prozent, was noch einmal fast eine halbe Zehntelsekunde bringt. Bedenkt man, dass ein ordentliches Update-Paket rund 0,1 bis 0,2 Prozent Performance bringt, dann wird schon deutlich, wie viel Arbeit der Rest zu erledigen hat, um aufzuholen.

Außerdem gibt es die Herausforderung der großen technischen Veränderungen für 2017, wodurch die Teams gezwungen sind, ihre Anstrengungen aufzusplitten.

Mercedes - 100,019 Prozent

Bester Wert: 100,000 Prozent (elf Rennen)
Schlechtester Wert: 100,230 Prozent (Monaco)
2015: 100,072 Prozent

Was kann man über Mercedes sagen? An elf von zwölf Wochenenden konnte man die schnellste Runde fahren, und selbst als man in der Performance abgefallen war, konnte Lewis Hamilton trotzdem den Monaco-Grand-Prix gewinnen. Mercedes hat ein Auto für alle Bedingungen, und die Daten zeigen, dass es das Team verstanden hat, wie man an jedem Wochenende das Beste herausholt.

Die Designer und Ingenieure dahinter haben einen außergewöhnlichen Job gemacht, und die meisten der Details an den Aerodynamik-Komponenten sind deutlich besser als der Rest. Die Mechaniker stellen zudem immer sicher, dass das Auto bei jeder Ausfahrt gut vorbereitet ist und die Fahrer sein wahres Potenzial zeigen können. Es gab ein paar Probleme mit der Zuverlässigkeit, aber wenn man so nah am Limit fährt wie Mercedes, dann kann das wohl erwartet werden.

Ferrari - 100,945 Prozent

Bester Wert: 100,244 Prozent (Kanada)
Schlechtester Wert: 101,654 Prozent (Großbritannien)
2015: 100,775 Prozent

Mit hohen Erwartungen eines Titelkampfes war Ferrari in die Saison 2016 gegangen, doch schon bald musste sich jeder in Maranello der Realität stellen. Ferrari scheint in kompletter Unordnung zu sein, die passende Phrase in Italien wäre wohl "grande casino". Um die Sache schlimmer zu machen, hat Ferrari nun Technikchef James Allison verloren. Zudem gibt es Gespräche über eine flachere Managementstruktur ohne hohes Tier. Das zeigt, wie wenig die Verantwortlichen bei Ferrari darüber wissen, was ein konkurrenzfähiges Formel-1-Auto ausmacht.

Man kann sich jede Ära anschauen: Immer hatten die erfolgreichen Teams eine Führungsfigur und einen Bezugspunkt. Natürlich braucht man immer noch eine sehr gute Gruppe von Leuten, die zusammenarbeiten, aber irgendjemand muss aufstehen und die Richtung für die Gruppe vorgeben. In der Formel 1 - und das ist auch in anderen Lebensbereichen so - sind Komitees nicht reaktionsschnell genug und funktionieren im Grunde nicht.

Da 2017 schon kurz bevorsteht und Red Bull drauf und dran ist, Ferrari als ersten Verfolger zu überholen, bin ich sicher, dass noch mehr Köpfe auf der Abschussliste stehen werden, bevor die Saison zu Ende geht. Maurizio Arrivabene könnte in Kürze schon Maurizio Arrivederci sein.

Red Bull - 100,978 Prozent

Bester Wert: 100,000 Prozent (Monaco)
Schlechtester Wert: 102,090 Prozent (Australien)
2015: 101,521 Prozent

Red Bull kämpft sich nach ein paar schwachen Saisons zurück. Ja, Renault hat das Team mit der Power-Unit im Stich gelassen, aber Red Bull hat in den vergangenen Erfolgen gelebt, und das Auto war nicht so gut, wie es sein sollte. In Sachen relativer Performance hat man im Vergleich zu 2015 den drittgrößten Sprung gemacht. Bedenkt man, dass sich nur die Sorgenkinder Manor und McLaren stärker verbessert haben, ist der Schritt von 0,543 Prozent sehr gut.

In diesem Jahr ist Red Bull das einzige Team, das neben Mercedes einen Grand Prix gewonnen hat. Allerdings wurde das Rennen in Barcelona weniger von Max Verstappen gewonnen, sondern eher von Mercedes verloren. Dafür hätte Daniel Ricciardo in Monaco gewinnen müssen. Verstappen zu holen, war ein großartiger Zug. Wir wissen alle, dass Ricciardo einer der Schnellsten ist, aber ein Teamkollege mit Max' Jugend und Enthusiasmus hält dich immer auf Trab.

Das Chassis gehört definitiv zu den besten, aber beim Team scheint es an der Fähigkeit zu mangeln, konstant das Beste herauszuholen - speziell zu Beginn des Wochenendes. Mit fortschreitendem Event scheint man aufholen zu können, doch ein besserer Start könnte Red Bull das kleine Bisschen Extramotivation und Glauben liefern, das manchmal notwendig ist.

Williams - 101,673 Prozent

Bester Wert: 100,937 Prozent (China)
Schlechtester Wert: 102,504 Prozent (Großbritannien)
2015: 101,544 Prozent

Man könnte sagen, dass Williams ein wenig verloren ist, weil man sich seit der Wiederbelebung 2014 im Sinkflug befindet. Die Verträge beider Fahrer laufen am Ende des Jahres aus, und das Team motiviert sie nicht gerade dadurch, dass sie über potenziellen Ersatz reden.

Williams hat zudem ein paar Probleme mit der Entwicklungsrichtung, und neue Teile bringen nicht die erwarteten Schritte. Wenn das passiert, muss man fragen, ob Williams versteht, was das Auto zum Verbessern benötigt. Wenn man dieses Problem hat, dann muss man zurückgehen und untersuchen, wie man Entwicklungen freigibt. Irgendwas fehlt dort, und bis man das versteht, ist es ziemlich einfach, Teile zu produzieren, die in der realen Welt nicht funktionieren.

Force India - 101,867 Prozent

Bester Wert: 100,971 Prozent (Europa)
Schlechtester Wert: 102,832 Prozent (Großbritannien)
2015: 101,967 Prozent

Wenn man bedenkt, wie stark Force India am Ende der Saison 2015 war, dann sind sie ziemlich schwach in die Saison gestartet und haben drei oder vier Rennen gebraucht, um auf Speed zu kommen. Mittlerweile ist Force India allerdings eine ernsthafte Gefahr für Williams im Kampf um den vierten Platz in der Konstrukteurs-WM.

Force India ist ein kleines Team, von daher kommt der mögliche vierte Platz auch darauf an, wann man die Entwicklung am aktuellen Auto einstellt und sich vollkommen auf 2017 konzentriert. Wenn ich entscheiden würde, würde ich bei diesem Jahr bleiben. Das Extrageld für den guten Platz könnte dabei helfen, eine B-Version vom nächstjährigen Auto zu bauen. Durch die gigantischen Änderungen im technischen Reglement werden die meisten Teams ohnehin dazu gezwungen sein, während sie etwas über die Autos 2017 lernen.

Toro Rosso - 102,048 Prozent

Bester Wert: 101,458 Prozent (Ungarn)
Schlechtester Wert: 102,484 Prozent (Bahrain)
2015: 101,918 Prozent

Toro Rosso ist vermutlich das konstanteste Team 2016. Natürlich ist die ultimative Pace nicht da, aber Konstanz ist für jedes Team der erste Schritt, und wenn man das erreicht hat, dann kann man darauf aufbauen. Der STR11 ist ein gutes Auto, und Entwicklungen haben auf der Strecke gut funktioniert. Carlos Sainz ist ein Fahrer, der mit jedem Wochenende reift.

Zu Beginn der Saison war die 2015er Power-Unit von Ferrari ein gutes, zuverlässiges Paket, aber mit fortschreitender Saison werden die anderen Motoren Fortschritte gemacht haben, während dieser stillsteht. Dadurch wird die zweite Saisonhälfte schwierig werden, auch durch den Verlust von Verstappen zu Red Bull. Im anderen Auto ist Daniil Kwjat ein sehr guter Fahrer, der aber verunsichert ist. Er muss sein Selbstvertrauen wiedergewinnen.

McLaren - 102,317 Prozent

Bester Wert: 101,558 Prozent (Ungarn)
Schlechtester Wert: 102,798 Prozent (Großbritannien)
2015: 103,026 Prozent

Es ist eine weitere Aufbausaison für das einst dominante Team. In den ersten 18 Monaten der Beziehung mit Honda war es nicht einfach, aber wenn beide den kurzfristigen Schmerz überstehen können, dann könnte es langfristig Vorteile haben. Es gibt allerdings keine Garantien. McLaren behauptet weiter, dass man das drittbeste Chassis in der Formel 1 habe, und das könnte möglich sein.

Mit den aktuellen Regeln kommt es aber mehr denn je auf das Paket an, und McLaren scheint Honda in einen Bereich zu drängen, der die Lernkurve beschränkt. Zuletzt sah es besser aus, und an einem guten Tag könnte McLaren nun am Ende der Top 10 landen. Da will McLaren-Honda nicht sein, aber es ist besser als zuvor. 0,709 Prozent konnte man im Vergleich zum Vorjahr aufholen.

Haas - 102,800 Prozent

Bester Wert: 102,038 Prozent (Österreich)
Schlechtester Wert: 105,304 Prozent (Australien) oder 103,169 (China)
2015: -

Haas ist 2016 neu in der Formel 1 und hat in den ersten paar Rennen mit einigen guten Resultaten für Aufsehen gesorgt. In den letzten Rennen der ersten Saisonhälfte war man zwar nicht so produktiv, trotzdem ist Haas konkurrenzfähig genug, um Punkte zu holen. Das Auto scheint kritisch in den Bremszonen zu sein. Wir sehen häufig, dass beide Fahrer die Vorderreifen blockieren oder dass das Heck unruhig ist.

Wenn man eine Situation wie diese hat, dann verliert man wahrscheinlich mehr Zeit als bei jedem anderen Handlingproblem, weil ein Bremsproblem am Vertrauen der Fahrer nagt. Ich habe oben zudem zwei schlechteste Prozente gelistet: Das eine ist das erste Rennen, was wir Haas als neues Team vergeben können. Ab da war Haas relativ konstant.

Renault - 103,438 Prozent

Bester Wert: 102,464 Prozent (Ungarn)
Schlechtester Wert: 104,121 Prozent (Bahrain)
2015: 101,953 Prozent

Es war ein schwieriger Start bei der Rückkehr Renaults als eigenständiger Formel-1-Konstrukteur. Im Heck von Red Bull hat man gezeigt, dass man sich für 2016 verbessert hat, aber das Werksteam bewegt sich auf das Ende vom Hinterfeld zu und schafft es im Bestfall knapp über Q1 hinaus.

Renaults Übernahmedeal wurde ziemlich spät getätigt, von daher waren Design und Bau des diesjährigen Autos dramatisch verspätet, da es nur um das Überleben ging. Mit den Chassisregeln für 2017 werden alle mehr oder weniger mit einem weißen Papier starten, von daher werden wir erst im kommenden Jahr sehen, wo Renault steht.

Sauber - 103,727 Prozent

Bester Wert: 102,955 Prozent (Europa)
Schlechtester Wert: 104,819 Prozent (Großbritannien)
2015: 102,604 Prozent

Sauber befindet sich in einer weiteren Überlebenssaison, und wir haben das zu oft vom Schweizer Team gehört. Sie scheinen Probleme zu haben, lange genug über Wasser zu bleiben, um ihr wahres Potenzial zu zeigen. Nach der Übernahme von Longbow Finance hat Monisha Kaltenborn gesagt, dass es 2017 keine Ausreden gibt.

Das zeigt, wie wenig sie darüber weiß, wie lange es dauert, bis eine Gruppe von Leuten auf technischer Seite als Einheit arbeitet. Um ein Team aufzubauen, braucht man Konstanz beim Budget. Es muss nicht das größte Budget sein, aber es muss konstant sein, und das hatte Sauber viele Jahre lang nicht.

Manor - 104,089 Prozent

Bester Wert: 102,019 Prozent (Österreich)
Schlechtester Wert: 106,213 Prozent (Australien)
2015: 106,459 Prozent

Manor steckt in einer schwierigen Situation. Als Team muss man die Motivation aufrechthalten und gleichzeitig realistisch über seine eigene Position im Kräfteverhältnis sein. Manor ist das kleinste Team in der Formel 1 und hat in Österreich einen sehr wertvollen Punkt geholt. Wenn man Rang zehn verteidigen kann, dann wird das für 2017 sehr wertvoll sein.

Manor muss versuchen, sich darauf zu konzentrieren, die Verbindung mit Mercedes zu entwickeln. Wie Red Bull gezeigt hat, ist ein Juniorteam für seine jungen Fahrer in der Formel 1 unerlässlich, und Manor könnte genau dieses Team werden, das eng mit Mercedes arbeitet.

Als das Auto vorgestellt wurde, war es ein ziemlich grundlegendes Paket. Daher hatte ich erwartet, dass man während der Saison ein wenig aufholen kann. Aber im Vergleich zu den anderen herrscht bei Manor etwas Stillstand. Verglichen mit dem Vorjahr hat man allerdings enorm aufholen können, und zwar um 2,370 Prozent.

Performancegewinne und -verluste 2016

Manor ist aus logischen Gründen der größte Gewinner in Sachen relativer Performance von 2015 auf 2016. Fuhr man zuvor den Vorjahresmotor von Ferrari und wechselte dann auf das aktuelle Triebwerk von Mercedes, dann dürfte viel von der Performance dort gefunden worden sein. Zudem ist Manor regelmäßig schnell bei der Geschwindigkeitsmessung. Aber wir haben auch Fortschritte mit dem Chassis gesehen, von daher kommt das Team zusammen.

McLaren hat ebenfalls gute Schritte gemacht, was angesichts der Probleme 2015 aber nicht überraschend kommt. Abgesehen von diesen beiden Teams kommt der größte Sprung von Red Bull, die gute Schritte in Richtung Mercedes gemacht haben und drauf und dran sind, Ferrari hinter sich zu lassen.

Auf der Verliererseite ist es keine Überraschung, dass Renault Probleme hat. Die Unsicherheit im Vorjahr hat dazu geführt, dass die Arbeit am Auto für 2016 limitiert war. Ein größerer Schritt zurück in die richtige Richtung ist im kommenden Jahr notwendig. Sauber hat ebenfalls Boden verloren, während Ferrari und Williams nur ein kleines Stück zurückgerutscht sind.