Das große Interview mit Mario Theissen - Teil zwei

Mit 'F1Total.com' unterhielt sich der BMW Motorsport Direktor über den ewigen Formel-1-Streit, die Verpflichtung von Heidfeld und mehr

(Motorsport-Total.com) - Auf der einen Seite Ferrari, die FIA und Bernie Ecclestone, auf der anderen Seite die Automobilhersteller der 'GPWC' - und irgendwo dazwischen stehen die meisten Experten, denen es schwer fällt, im leidigen Formel-1-Streit die Übersicht zu behalten. Für 'F1Total.com' versucht BMW Motorsport Direktor Mario Theissen, Licht ins Dunkel zu bringen. Außerdem sprach er bei dem Treffen in München ausführlich über die Verpflichtung von Nick Heidfeld.

Titel-Bild zur News: Mario Theissen

Mario Theissen glaubt, dass eine Alternativserie funktionieren kann

Frage: "Herr Theissen, hat Sie der Vorstoß von Ferrari, ein neues Concorde Agreement zu unterzeichnen, überrascht?"
Mario Theissen: "Das hat alle überrascht, Hersteller wie Teams. Das hat dazu geführt, dass sich alle anderen solidarisiert und darauf verständigt haben, sich an einen Tisch zu setzen und die künftige Führung des Grand-Prix-Sports zu definieren. Das war vorher nicht da."#w1#

Die Pläne der Hersteller gehen "nicht gegen Ferrari"

Frage: "Es war wieder einmal ein cleverer Schachzug von Bernie Ecclestone, Ferrari zu sich zu holen, denn ohne Ferrari funktioniert keine Rennserie. Sehen Sie das auch so?"
Theissen: "Was die Hersteller und die Teams derzeit ausarbeiten, geht nicht gegen Ferrari. Ferrari ist selbstverständlich eingeladen, da auch dabei zu sein. Es ist sicher richtig, dass Ferrari sehr große Verdienste um die Formel 1 hat. Es ist auch richtig, dass sie am längsten von allen Teams in der Formel 1 sind, aber das darf nicht dazu führen, dass die Formel 1 zu einer Formel Ferrari wird. Es muss schon so sein, dass alle Teams unter gleichen Rahmenbedingungen starten. Wenn Sie 20 oder 25 Jahre zurückdenken, wenn damals jemand gesagt hätte, was die Formel 1 ohne Lotus wäre, wäre es eine ähnliche Situation gewesen. Heute schreit niemand mehr nach Lotus."

Frage: "Die restlichen neun Teams boykottieren im Moment die Meetings der FIA. Warum ist das so? Erst kürzlich saß Max Mosley alleine mit Leuten von Ferrari an einem Tisch..."
Theissen: "Weil wir die dort vorgesehene Diskussion zu dem Zeitpunkt nicht für sinnvoll gehalten haben. Dem ist ein Schreiben der FIA vorausgegangen, in dem angeregt wurde, eine Marktanalyse zu machen, was denn der Fan wirklich will. Dann kam die Einladung zu einer Diskussion über das Sportliche und Technische Reglement. Wir sind aber der Ansicht, dass man zuerst eine Marktanalyse und dann die Regeln machen sollte, nicht umgekehrt."

Frage: "Wie lange wird diese Marktanalyse dauern? Und heißt das, dass erst einmal alles still liegt, bis diese Marktanalyse abgeschlossen ist?"
Theissen: "Das war die Anregung der Teams, nachdem die FIA diese Marktanalyse vorgeschlagen hat, ja. Dann haben wir nämlich danach gutes Material, um über die Regeln zu entscheiden. Ob diese Studie schon in Auftrag gegeben ist und wann die genau kommt, weiß ich nicht."

Über die 'GPWC': "Habe den Eindruck, dass es funktionieren kann"

Frage: "Die große Schwierigkeit für die 'GPWC' ist, dass Bernie Ecclestone Verträge mit TV-Stationen, Rennstrecken und so weiter hat, bei denen er die Fäden zieht. Hat eine Konkurrenzserie überhaupt eine Chance?"
Theissen: "Ich habe den Eindruck, dass es funktionieren kann. Ich sage damit nicht, dass es erstrebenswert ist. Dieses Konzept - der Businessplan, der kürzlich vorgelegt worden ist - wurde gemeinhin als sehr schlüssig und umsetzbar betrachtet."

Frage: "Wie konkret war diese Präsentation in Bezug auf mögliche Rennstrecken und sonstige Partner?"
Theissen: "Ich kann nicht in die Details gehen, aber diese Punkte sind natürlich adressiert worden, denn genau das waren auch die Sorgen der Teams."

Honda und Toyota sollen in die 'GPWC' geholt werden

Frage: "Im jüngsten 'GPWC'-Kommunique sind auch Honda und Toyota angeführt. Ist das nur eine Kooperation oder steckt mehr dahinter?"
Theissen: "Man muss zwei Wochen weiter zurückgehen. Da gab es schon einmal ein Meeting, nämlich erstens zwischen den Herstellern und zweitens zwischen den Teams. Bei den Herstellern waren damals zum ersten Mal Honda und Toyota dabei. Diese Meetings waren eine direkte Folge des Vorpreschens von Ferrari mit der FIA und der 'FOM', was dazu geführt hat, dass sich alle anderen Teams und Hersteller plötzlich einig waren. Honda und Toyota sagen, dass sie die Grundzüge, die die 'GPWC' verfolgt, mittragen wollen. Dann gab es in derselben Woche ein Meeting der Teamchefs, die sich auch auf bestimmte Prinzipien verständigt haben, die sie sich wünschen. Also war es nahe liegend, diese beiden Meetings zusammenzulegen, was auch passiert ist. Daraufhin gab es letzte Woche ein gemeinsames Meeting von Herstellern und Teams, bei dem sich diese Parteien darauf verständigt haben, ein Modell des Grand-Prix-Sports für die Zukunft zu skizzieren. Die Folge davon ist, dass wir uns jetzt darüber unterhalten, die frühere 'GPWC' in eine Herstellervereinigung umzuwandeln, in der die beiden japanischen Hersteller mit dabei sind. Das ist das Ziel."

Frage: "Soll das Modell, das Sie angesprochen haben, auf eine eigene Rennserie angewendet werden oder ist der Plan nach wie vor der, es zu schaffen, dieses Modell in die derzeitige Formel 1 einzubringen?"
Theissen: "Das Ziel ist sicher nicht, etwas zu spalten oder doppelt aufzulegen. Wir leisten einmal die Arbeit, etwas zusammenzustellen, von dem wir glauben, dass so die Zukunft aussehen sollte. Dann diskutieren wir mit allen anderen Betroffenen. Selbstverständlich ist Ferrari jederzeit eingeladen, sich uns anzuschließen."

Alternativserie: "Für mich ist der Name nicht so entscheidend"

Frage: "Der Idealfall aus Sicht von BMW wäre also, das 'GPWC'-Modell auf die Formel 1 mit ihrem derzeitigen Namen anzuwenden. Ist das eine richtige Interpretation?"
Theissen: "Für mich ist der Name nicht so entscheidend. An der Form müsste sich einiges verändern, aber wenn sich alle Parteien verständigen können, wäre das sicher der ideale Zustand, ja."

Frage: "Das ist doch jetzt aber schwieriger geworden, wo Ferrari ein neues Concorde Agreement unterschrieben hat, denn man muss davon ausgeben, dass es nur eine Version des Concorde Agreements geben kann. Das heißt, was Ferrari unterschrieben hat, ist zwangsläufig Basis auch für alle anderen Teams, nicht wahr?"
Theissen: "Man muss da vorsichtig sein. Das Concorde Agreement hat mehr als zehn Unterzeichner, nämlich zwölf oder 13. Es ist für mich nicht vorstellbar, dass einer dieser Unterzeichner hergeht und sagt, 'Wir verlängern das jetzt einfach'. Bis 2008 bleibt erst einmal alles gleich."

Leistung hat den Ausschlag zugunsten von Heidfeld gegeben

Frage: "Kommen wir zum Sportlichen. Was hat schlussendlich den Ausschlag gegeben, dass Nick Heidfeld den Zuschlag bekommen hat?"
Theissen: "Es ging um die Leistung und um nichts anderes. Der Nick hatte von WilliamsF1 genau einen Test zugesagt, nämlich in der ersten Dezemberwoche. Er hat sich bei dem Test hervorragend geschlagen. Es war nass und er hat auf Anhieb Superzeiten hingelegt. Das hat uns alle sehr beeindruckt, vor allem die Ingenieure von WilliamsF1. Man hat danach sofort gesagt, dass er eine echte Chance bekommen soll. Eine echte Chance ist aber mehr als nur ein Test und wir hatten ja bis Ende Januar Zeit mit der Fahrerentscheidung. Die Zeit haben wir uns genommen und vor allem haben wir sie den Fahrern gegeben. Wenn der Nick jetzt sagt, dass es ein Stress für ihn war, dann muss ich sagen, das gehört eben dazu. Wenn er während der Saison bestehen will, dann muss er auch in so einer Phase bestehen. Aus meiner Sicht ist ihm diese Phase entgegengekommen, denn sein Kontrahent war dem Team und den Ingenieuren bekannt, er kannte auch das Auto und die Michelin-Reifen. Meiner Meinung nach wäre es nicht in Ordnung gewesen, sie nur zwei Tage testen zu lassen, auf die schnellste Zeit zu schauen und davon dann die ganze Saison abhängig zu machen. So war es eine Arbeitsphase über sechs Wochen hinweg, keineswegs immer mit demselben Programm, weil die Weiterentwicklung des Fahrzeugs im Vordergrund gestanden ist. Nick hat in der Zeit zeigen können, was er drauf hat, und das nicht nur im Sinne von Rundenzeiten, sondern auch im Sinne von Einstellung und Technikverständnis. Unterm Strich war es für ihn sicher ein Vorteil, diese lange Testphase zu bekommen. Er hat diese Chance genützt."

Theissen traut Webber/Heidfeld eine "positive Überraschung" zu

Frage: "Was trauen Sie Nick und Mark Webber zu?"
Theissen: "Ich traue ihnen viel zu und erkenne auch gewisse Parallelen in der Arbeitsweise. Beide sind sehr engagiert, setzen sich sehr stark mit dem Fahrzeug, mit der Abstimmung, mit den Technikern auseinander und verstehen ihre Rolle über die des Fahrers im Cockpit hinaus, was meiner Meinung nach eine sehr wichtige Voraussetzung für Erfolg ist. Jetzt warten wir einmal ab, wie diese Saison verläuft, aber ich bin sehr zuversichtlich, dass beide Fahrer am Ende des Jahres als positive Überraschung gehandelt werden."

Frage: "Wie kommen Nick und Mark miteinander aus?"
Theissen: "Sehr gut. Sie liegen nicht so weit auseinander. Im Technikverständnis und in der Fähigkeit, sich mit der Technik auseinanderzusetzen, geht Nick vielleicht sogar einen Schritt weiter."

Heidfeld laut Theissen "zurückhaltender als Ralf"

Frage: "Wenn man Ralf Schumacher und Nick anhand ihrer Arbeit mit der Öffentlichkeit beurteilt, dann ist Nick eher ein zurückhaltender Typ. Ist er das auch im Team?"
Theissen: "Ja. Er ist zurückhaltender als Ralf. Er ist sehr analytisch, konzentriert sich sehr auf die Arbeit am Auto und auf die Diskussionen mit den Ingenieuren. Ich habe bei ihm den Eindruck, dass er sich in der Zeit, in der er eigentlich frei hat, auch permanent mit dem Auto auseinandersetzt."

Frage: "Können Sie Parallelen zu Michael Schumacher erkennen?"
Theissen: "In dieser Hinsicht schon. Da kann ich Gemeinsamkeiten sehen. Bei den Testfahrten saß Nick immer lange mit den Ingenieuren zusammen."

Frage: "Ist es schwierig für ein Team, eine Saison mit zwei neuen Fahrern zu beginnen?"
Theissen: "Diese Einstellungsphase ist bei uns schon vorbei, um ehrlich zu sein. Das ging sehr schnell und hat natürlich mit den Fahrern zu tun. Bei Mark war es so, dass er schon im Sommer gewusst hat, dass er kommen wird. Er hat im alten Team kaum noch Möglichkeiten gehabt, das Auto zu entwickeln, weil einfach die Ressourcen nicht da waren. Von daher ist er regelrecht heiß in die Tests im November gegangen. Bei Nick war es so, dass er in dieser sechswöchigen Testphase mit Antonio regelrecht ins Team hineingewachsen ist. Dadurch, dass beide von sich aus auf die Ingenieure zugehen und viel Zeit mit ihnen verbringen, war die Umstellung ruck-zuck erledigt. Ich kann heute nicht mehr empfinden, dass noch ein Einarbeitungsbedürfnis entsteht. Die sind schon voll integriert."

Pizzonia hat die Enttäuschung gut weggesteckt

Frage: "Wie kommt Antonio mit seiner Situation klar?"
Theissen: "Ich habe ihn nach der Teampräsentation noch gar nicht gesehen. Bei der Präsentation hat er das sehr anständig weggesteckt, muss ich sagen. Natürlich ist das eine Riesenenttäuschung für einen Fahrer. Vordergründig geht es um sehr viel und ein so junger Bursche - er ist ja erst 23 - kann in so einem Moment nicht sehen, dass er seine ganze Karriere vor sich hat und noch viele Chancen kommen werden. Insofern hat er das sehr gut gemeistert. Er testet jetzt wieder für uns, aber ich habe ihn seitdem noch nicht gesprochen."

Frage: "Hätte Nick den Job des Testfahrers auch gemacht?"
Theissen: "Ja, das hat er vorher gesagt. Sonst wären wir in diese sechswöchige Phase gar nicht erst eingestiegen. Beide Fahrer haben vorher gesagt, dass sie auch den Testfahrerjob machen - unabhängig vom Ausgang."

Frage: "Angeblich will er in die ChampCar-Serie."
Theissen: "Das habe ich auch gehört, aber im Team und von seiner Seite gibt es keine Anhaltspunkte dafür."

Fehlt dem BMW WilliamsF1 Team ein charismatischer Fahrer?

Frage: "Mit Nick und Mark haben Sie nicht unbedingt die charismatischen Figuren unter Vertrag, die die Werbebotschaft von BMW angemessen vertreten könnten. Ist das ein Problem?"
Theissen: "Mark hat vielleicht dieses Jahr einmal die Chance, auf das Podium zu springen und zu zeigen, dass er Charisma hat. Nick taut auch noch auf, da bin ich mir sicher. Aber wenn man anfängt, Fahrer oder technische Leistungsträger nach ihrem Charisma zu bewerten, hat man schon verwachst. Man kann Erfolge nur vermarkten, wenn Erfolge da sind. Wenn nicht, dann nicht. So einfach ist das. Es hängt immer davon ab, welche Art von Aufmerksamkeit man erregen will. Wir bevorzugen die Reihenfolge, dass zuerst das Sportliche kommt und dann der Rest."

Frage: "Ist dieses Jahr der Fahrer wegen der neuen Regeln mehr gefragt als bisher?"
Theissen: "Ich würde nicht sagen, dass das auf Dauer so bleibt, aber dieses Jahr schon, ja. Wenn man das Reglement umkrempelt, dauert es zwei oder drei Jahre, bis die Autos ausgereift sind. In so einer Phase kommt es sehr stark drauf an, dass ein Fahrer ein Gefühl für die Technik und für die Belastbarkeit entwickelt und wie er diese Belastbarkeit ausnutzt. In diesem Jahr ist das ein Faktor, ja."

Frage: "Wen schätzen Sie am höchsten ein, was die Qualitäten eines Fahrers außerhalb des Cockpits angeht?"
Theissen: "Ich habe das Gefühl, dass Michael Schumacher da der absolute Prototyp ist und allen anderen einiges voraus hat. Das ist eine Einstellungsfrage. Ein Fahrer muss seine Aufgabe auch über das Autofahren hinaus interpretieren. Er muss sich als Führungskraft im Team verstehen, genau wie auch ein Ingenieur."

Teil drei des Interviews mit Mario Theissen können Sie morgen bei 'F1Total.com' nachlesen.