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Das große Interview mit Mario Theissen - Teil eins
Der BMW Motorsport Direktor im Interview mit 'F1Total.com' über Grauzonen im Reglement, das neue Qualifying und die 900-PS-Marke
(Motorsport-Total.com) - Bei entspannter Atmosphäre vor dem Hintergrund der Mobilen Tradition von BMW in München nahm sich BMW Motorsport Direktor Mario Theissen Zeit, um Vertretern der Medien allfällige Fragen vor der neuen Formel-1-Saison zu beantworten. 'F1Total.com' war mit dabei und präsentiert das aufgezeichnete Interview nun in drei hochinteressanten Teilen.

© xpb.cc
Laut Mario Theissen hat der neue Motor von BMW schon jetzt mehr als 900 PS
Frage: "Herr Theissen, der Motor muss wegen des neuen Reglements zwei Rennwochenenden halten. Schafft BMW das?"
Mario Theissen: "Das wollen wir hoffen, obwohl im Moment kein Motorenhersteller auf der sicheren Seite ist. Die Ausgangsposition ist gigantisch. Vor zwei Jahren mussten wir nur 400 Kilometer schaffen, aber wir waren dennoch so am Limit, dass Teile nach 450 Kilometern kaputt gegangen sind. Hätte mir damals jemand gesagt, dass innerhalb von zwei Jahren die Laufleistung vervierfacht wird, dann hätte ich mit 20 Kilogramm mehr Gewicht und deutlich größeren Ausmaßen gerechnet. Heute sind wir in der Situation, dass die Abmessungen gleich geblieben sind, das Gewicht nahezu gleich, wir sind immer noch in der Lage, 19.000 Umdrehungen pro Minute anzusteuern, und wir haben bei der Leistung schon wieder eine Neun vorne. Das war eine riesige Herausforderung, aber die Jungs hier in München haben einen großartigen Job gemacht. Ich schätze die Verdoppelung der Laufleistung weit höher ein als 50 PS hinzuzuentwickeln. Das ist wirklich enorm und hochinteressant, was sich da abspielt."#w1#
Konzept für den P85 musste wieder eingestampft werden
Frage: "Der Motor heißt in diesem Jahr P84/5. Warum?"
Theissen: "Wir hatten - so wie übrigens jedes Jahr - ein neues Konzept in Entwicklung. Dieser Motor hätte P85 geheißen und war auch schon relativ weit, als die Regeländerung bezüglich der Verlängerung der Laufleistung kam. Der P85 wäre sehr aggressiv gewesen vom Konzept her, wirklich auf der Kante gebaut. Wir gehen nicht davon aus, dass wir mit diesem Konzept in der kurzen Zeit die doppelte Laufleistung hätten realisieren können, also haben wir uns entschieden, auf den P84, den Motor des letzten Jahres, aufzusetzen und ihn weiterzuentwickeln. Daher kommt die Bezeichnung P84/5."
Frage: "Wie war es, die neuen Motoren zu entwickeln? War es eine Herausforderung? Haben Sie gesagt, 'Geil, mein Motor muss jetzt zwei Rennen halten', oder wie muss man sich das vorstellen?"
Theissen: "'Geil' habe ich nicht gesagt, eine Herausforderung war es aber schon. Die Verdoppelung der Laufleistung ist meiner Meinung nach sehr schwierig und entspricht sicher dem Anspruch eines Automobilherstellers. Vom Grundsatz her macht es Sinn, auf die längere Laufleistung zu gehen, weil man damit die Kosten eindämmen kann. Das ist sicher nützlich."
Traummotor: "1.000 PS, stirbt nie ab und wiegt nichts..."
Frage: "Was wäre denn aus Ihrer Sicht ein Wunschmotor? Was sind realistische Ziele für diese Saison?"
Theissen: "1.000 PS, stirbt nie ab, wiegt nichts und Schwerpunkt unter der Fahrbahnoberfläche (lacht). Nein, im Ernst: Die Leistungsdaten sind nicht so gravierend anders als letztes Jahr."
Frage: "Ist es schwierig, einen neuen Motor zu entwickeln, wenn man weiß, dass beide Fahrer das Team verlassen?"
Theissen: "Überhaupt nicht. Die Motorenentwicklung spielt sich zu 90 Prozent auf den Prüfständen ab. Das Feintuning nachher, also das Einstellen der Traktionskontrolle oder der Eingriffspunkt der Kupplung, das sind die letzten Dinge, die man aber permanent während der Saison durchführen kann. Das hat auf die Auslegung des Motors keinen Einfluss. Beim Auto ist das anders, weil sich die Fahrzeugerprobung großteils auf der Strecke abspielt."
Frage: "Angenommen, jemand überdreht den Motor bewusst am Ende des Rennens, dann kann der Motor für das nächste Rennen ohne Strafe gewechselt werden. Ist das noch eine Grauzone im Reglement, vor allem natürlich für Teams im hinteren Bereich? Wie sieht die Kontrolle der FIA aus?"
Theissen: "Ich weiß es auch nicht. Für mich ist das eine echte Grauzone, die den Fall betrifft, dass jemand das Rennen nicht beendet, denn dann darf er einen frischen Motor einbauen. Der muss zwar auch wieder zwei Rennen halten, aber es gibt dann keine Strafe. Das könnte jemanden dazu verleiten, der auf Platz zehn herumfährt und erkennt, dass er keine Chance mehr auf Punkte hat, den Motor in die Luft zu jagen. Das kann jeder machen, wobei es natürlich nicht dem Geist des Sports entspricht."
Theissen erklärt die Grauzone im Motorenreglement
Frage: "Wie ist ein Motorschaden in diesem Zusammenhang definiert? Was passiert zum Beispiel, wenn ein Teil in der Peripherie des Motors kaputt geht?"
Theissen: "Das darf man nicht verwechseln. Es geht da nur um den Motor selber. Ob ein Motor gewechselt wird, entscheidet der Hersteller. Der muss gar nicht wirklich kaputt sein, aber wenn der Hersteller sagt, 'Wir trauen diesem Motor kein zweites Rennen zu und bauen einen neuen ein', dann wird man bestraft. Wenn man jetzt aber in aussichtsloser Position fährt und den Motor hochgehen lässt, wird man nicht bestraft. Das ist eben die Grauzone."
Frage: "Ist es überhaupt möglich, dass ein Fahrer einen Motor in die Luft jagt, oder gibt es von außen Möglichkeiten, das zu regulieren? Gibt es eine Art Drehzahlbegrenzer?"
Theissen: "Es gibt keinen Drehzahlbegrenzer. Das Maximallimit geben wir selber ein. Man kann von außen auch nicht auf die Motorsteuerung eingreifen. Man kann allerdings im Motor verschiedene Kennfelder hinterlegen, die der Fahrer dann auf Knopfdruck abrufen kann."
Frage: "Können Sie für Laien verständlich erklären, warum ein 2,4-Liter-V8-Motor in der Entwicklung billiger sein soll als ein V10 nach derzeitigem Reglement?"
Theissen: "Die Milchmädchenrechnung ist, dass er zwei Zylinder weniger hat und zwei Kolben weniger. Das ist natürlich tatsächlich so. Wenn man alleine die Teile her nimmt, liegen die Kosten pro Motor um sieben Prozent unter dem derzeitigen Stand."
Konzeptumstieg bedeutet immer höhere Kosten
Frage: "Das kann für einen Hersteller wie BMW aber nicht von Relevanz sein, oder?"
Theissen: "Nicht nur für BMW, auch für die anderen Hersteller. Jeder Konzeptumstieg ist eine komplette Neuentwicklung und bedeutet mehr Kosten. Wenn das dann - wie in diesem Fall - so spät bekannt gegeben wird, dass man andere Vorleistungen wegwerfen muss, hat man noch einmal mehr Kosten. Von daher wäre die Rechnung eher aufgegangen, wenn man beim V10 geblieben wäre."
Frage: "Das heißt anders ausgedrückt, dass es mehr Sinn macht, Materialien einzuschränken oder sonstige Restriktionen geltend zu machen?"
Theissen: "Motorenseitig ist das Patentrezept meiner Meinung nach, die Laufleistung zu verlängern. Das hilft insbesondere den unabhängigen Teams, die ja nicht die Entwicklung eines Motors zahlen, sondern nur die Anzahl der Motoren, die sie für eine Saison einkaufen. Diese Zahl wird proportional geringer. Eine Saison mit einem einzigen Motor zu fahren, würde wohl etwas zu weit gehen, aber ich kann mir schon vorstellen, noch über zwei Rennwochenenden hinaus zu gehen. Den Anspruch der Königsklasse des Motorsports kann man auch mit einer längeren Laufleistung erfüllen. Diese Erkenntnis wird sich am Jahresende durchsetzen, davon bin ich überzeugt."
Frage: "Allerdings muss man auch sagen, dass die Verdoppelung der Laufleistung nicht viel gebracht hat, denn die Autos sind wieder genauso schnell wie vorher..."
Theissen: "Das ist das Bemerkenswerte, denn es zeigt, was für ein Entwicklungspotenzial da ist, wenn man auf so ein Ziel losgeht. Ich bin der Ansicht, dass Sicherheit immer ein wichtiges Thema ist, das aber im Moment kein großes Defizit aufweist. Wenn man die Formel 1 der letzten 20 Jahre betrachtet und analysiert, was alles passiert ist, dann ist es sehr sicher geworden - absolut und auch relativ zu anderen Motorsportarten."
2,4-Liter-V8-Motor wird im Sommer erstmals getestet
Frage: "Wie weit ist denn der Fahrplan für den 2,4-Liter-V8-Motor schon gediehen?"
Theissen: "Wir sind nicht glücklich gewesen über die Vorlaufzeiten, mit denen die Regeländerungen gekommen sind. Der V8 befindet sich in der Konstruktionsphase und wird im Sommer erstmals laufen. Datum gibt es noch keines. Natürlich hätten wir uns dafür ein paar Monate mehr gewünscht."
Frage: "Warum haben BMW, Mercedes und Honda die Drohung der rechtlichen Schritte gegen das Motorenformat zurückgezogen?"
Theissen: "Im November vergangenen Jahres ist das passiert. Wir sind davon ausgegangen, dass wir die Beibehaltung des V10-Motors durchsetzen können würden. Es hätte aber ein Schiedsgerichtsverfahren gegeben, das voraussichtlich bis Mitte 2005 gelaufen wäre. Bis zu dem Tag hätten alle Hersteller parallel V8- und V10-Motoren entwickeln müssen. Das hätte die Kosten noch weiter nach oben getrieben und wäre nicht im Sinne des Sports gewesen. Daher haben wir uns entschieden, das Thema nicht weiter zu verfolgen."
Frage: "Wie stehen Sie zu den Plänen der FIA, die Kosten zu senken?"
Theissen: "Das Ziel unterstützen wir. Wir sind der Ansicht, dass die Erhöhung der Motorenlaufzeit der richtige Weg ist, denn das bedeutet, dass man weniger Motoren pro Jahr braucht. Damit sinken automatisch die Kosten. Nicht glücklich waren wir über die kurze Vorlaufzeit, die uns zu einem Umschwenken in der Entwicklung gezwungen hat, sodass am Ende sogar mehr Kosten entstanden sind."
Versiegelung der Motoren ist inzwischen geregelt
Frage: "Gibt es Grauzonen im derzeitigen Reglement?"
Theissen: "Zum Beispiel die Versiegelung der Motoren, die ja zu den Herstellern nach Hause gehen. Die FIA hat letzte Woche präsentiert, wie sie sich das vorstellt - mit Plomben und einer Abdeckplatte auf den Auslassquerschnitten. Unsere Techniker sagen, dass das funktionieren dürfte."
Frage: "Auch bei den Reifen gibt es Grauzonen. Dürfen Reifen vorbeugend gewechselt werden, wenn akutes Risiko eines Reifenschadens besteht?"
Theissen: "Das ist die andere Grauzone, das ist richtig. Es darf nur gewechselt werden, wenn der Reifen tatsächlich hinüber ist. So will es das Reglement. Wie das dann von der FIA gehandhabt wird, muss man abwarten."
Frage: "Was würden Sie als Techniker an den Regeln ändern, wenn Sie schalten und walten könnten?"
Theissen: "Ich würde keinen Schnellschuss machen. In den letzten zwei, drei Jahren war die Situation unter anderem deswegen so unerfreulich, weil die Regeln sehr schnell und zum Teil überstürzt geändert worden sind. Es war immer die Stärke der Formel 1, dass die Regeln über Jahre konstant waren. Das ist verloren gegangen. In den letzten Jahren haben wir einige Regeländerungen gesehen, die genauso schnell gekommen wie auch wieder verschwunden sind, weil sie sich als nicht voll durchdacht erwiesen haben. Mein Ansatz ist, da nicht spontan neue Vorschläge einzubringen, sondern diesen Arbeitskreis aus Herstellern und Teams, der sich gerade konfiguriert, erst einmal wirken zu lassen. Die werden sich genau mit diesen Fragen befassen. Die Richtung hinsichtlich der Ziele ist nicht umstritten. Die FIA hat das definiert und dazu stehen alle. Die Punkte sind Kostensenkung, Verbesserung der Show und womöglich Erhöhung der Sicherheit. Es geht jetzt nur darum, die richtigen Maßnahmen zu definieren."
Theissen plädiert für Einzelzeitfahren plus normaler Session
Frage: "Wie stellen Sie sich das Qualifying vor? Wie würde es aussehen, wenn es nach Ihnen ginge?"
Theissen: "Ich halte ein kombiniertes Qualifying aus Einzelzeitfahren und gemeinsamer Session für interessant. Man könnte separieren und beides machen. Ich würde es aber so machen, dass am Samstag ein Polesetter feststeht, damit die Meldung auch rausgehen kann. Dann kommt es drauf an, am Sonntagvormittag ein gutes Rennprogramm zu bieten. Das muss nicht unbedingt Formel 1 sein, aber es muss Action sein auf der Strecke. Da muss es Programm geben, damit die Fans unterhalten werden. Ein Aufwärmtraining ist nicht zwingend erforderlich. Das kann man zwar einstreuen, aber Hauptsache ist, dass am Sonntagvormittag ein attraktives Programm geboten wird."
Frage: "Ist der Vorschlag, die Rennwochenenden auf zwei Tage zu beschränken, sinnvoll?"
Theissen: "Ich würde vorschlagen, die Rennwochenenden auf Samstag und Sonntag einzudampfen, am Freitag und vielleicht sogar schon am Donnerstag einen Testtag mit freien Motoren und freien Reifen einzulegen, denn damit bietet man dem Publikum was, man hilft den Sponsoren und auch den Veranstaltern. Ich glaube, auch die Teams würden profitieren, denn sie würden Daten von der Strecke bekommen, auf der sie am nächsten Tag Rennen fahren. Das Ganze müsste man natürlich sinnvollerweise an restriktive Testbestimmungen koppeln - am besten so restriktiv, dass das separate Testteam überflüssig wird."
Ein Testkilometer kostet "einige Hundert Euro pro Auto"
Frage: "Was kostet ein Testtag ungefähr?"
Theissen: "Das weiß ich nicht. Ein Testkilometer kostet sicher einige hundert Euro pro Auto."
Frage: "Man hat den Eindruck, dass sich die neun Teams nicht wirklich einig sind, zumindest bezüglich der Testreduzierung. Stimmt dieser Eindruck?"
Theissen: "Nein. Honda waren die Letzten, die unserer Aussage zugestimmt haben, aber die sind jetzt auch auf 30 Tage heruntergegangen. 30 Tage heißt 30 Tage zwischen erstem und letztem Rennen. Heute sind es 48 Tage. Ich wüsste nicht, dass gegen die 30 Tage jemand etwas einzuwenden hat. Ursprünglich war der Vorschlag sogar 24 Tage, aber auf die 30 hat man sich schlussendlich geeinigt."
Teil zwei des Interviews mit Mario Theissen können Sie morgen bei 'F1Total.com' nachlesen, Teil drei am Montag.

