• 26.03.2009 14:20

Button im Gespräch: Vom Underdog zum WM-Favoriten

Jenson Button erklärt, warum sein Vater eine Flasche Rotwein braucht, spricht über seine WM-Chancen und analysiert das Phänomen Brawn

(Motorsport-Total.com) - So schnelllebig ist die Formel 1: Beim Saisonfinale in Brasilien 2008 endete Jenson Buttons Horrorjahr mit einem brennenden Honda-Boliden - und kaum jemand interessierte sich anschließend für ihn. Als er jedoch heute in Melbourne im Fahrerlager eintraf, herrschte um den Brawn-Piloten ein Wirbel wie schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Für alle, die die vergangenen Wochen verschlafen haben: Button und Brawn gehen als Mitfavoriten auf den WM-Titel in die am Sonntag beginnende Saison 2009...

Titel-Bild zur News: Jenson Button, Melbourne, Albert Park Melbourne

Zählt nach einem überraschenden Winter plötzlich zu den Favoriten: Jenson Button

Frage: "Jenson, mit welchem Gefühl gehst du in die neue Saison?"
Jenson Button: "Ehrlich gesagt habe ich diese Woche nicht viel geschlafen! Es ist großartig für mich, überhaupt hier zu sein. Beim ersten Rennen herrscht in Melbourne immer eine fantastische Atmosphäre. Das zu erleben, war einmal das erste Ziel. Noch dazu sehen wir viel besser aus, als viele noch vor gar nicht allzu langer Zeit geglaubt hätten. Es ist schön, die Saison mit einem positiven Gefühl zu beginnen."#w1#

So früh wie noch nie in Melbourne

Frage: "Ist dir im Flugzeug hierher durch den Kopf gegangen, dass du gewinnen kannst?"
Button: "Ich bin am Samstag angekommen - so früh wie sonst noch nie. Normalerweise fliege ich über Japan, aber diesmal bin ich gleich nach Melbourne gekommen, um mich mit dem Schlaf umstellen zu können. Es geht nicht um den Jetlag, sondern um die Aufregung der neuen Saison - ich bin schon unglaublich gespannt! Natürlich will jeder in Melbourne gewinnen. Unsere Ausgangslage ist zumindest deutlich besser als vor einem Jahr."

"Tag. Wir können nicht einfach einsteigen, die Hände in den Schoss legen und erwarten, dass sich alles von selbst erledigt." Jenson Button

"Zunächst einmal müssen wir uns auf den Freitag konzentrieren, denn das ist ein wichtiger Tag. Wir können nicht einfach einsteigen, die Hände in den Schoß legen und erwarten, dass sich alles von selbst erledigt. Wir müssen am Setup arbeiten und unser Testdefizit vom Winter aufholen. Die Zuverlässigkeit war bisher gut, aber wir haben nicht genug Runden zurückgelegt, um hundertprozentig sicher sein zu können. Morgen werde ich das Auto nach meinem Geschmack abstimmen, denn ich hatte erst drei Testtage - und da war das Setup meistens beschissen. Es war immer windig oder kalt. Morgen brauchen wir mal einen guten Tag, dann können wir uns auf den Samstag freuen."

Frage: "Wie ist es, Mann der Stunde zu sein?"
Button: Im Vergleich zum Vorjahr ist es schon komisch, denn wir haben noch nicht einmal einen Grand Prix hinter uns, aber alle sind stinkfreundlich zu mir! Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, dass zehn Journalisten auf einmal zu meiner Medienrunde gekommen sind! Es ist schon krass, dass die Leute nach drei guten Testtagen denken: 'Wow, wo nimmt er auf einmal dieses Talent her?' Das war immer schon da, nur hatte ich nicht das Material, um es zu beweisen."

"Ich hoffe, dass wir jetzt einmal auf Augenhöhe mit den Topteams sind und dass wir uns im Saisonverlauf steigern können. Es ist meine zehnte Saison in der Formel 1 und ich hatte noch nie eine realistische Chance. Ich sage nicht, dass das dieses Jahr der Fall ist, aber ich werde alles dafür geben."

Eine Flasche Rotwein für Button sen.

Frage: "Die Aufregung ist groß. Dein Vater sagt, er muss wahrscheinlich Beruhigungsmittel nehmen..."
Button: "Eine Flasche Rotwein sollte reichen. Mein Vater redet zu viel. Er ist im Moment sehr aufgeregt. Ich weiß nicht recht: Alle anderen haben den ganzen Winter getestet, aber wir mussten mit zwei Wochen auskommen. Wir hatten alle Hände voll zu tun - es waren sehr hektische Wochen. Daher ist es schön, dass wir hier sind - noch dazu mit einer so positiven Einstellung. Diesen Winter mussten wir eine harte Zeit durchmachen, aber die Jungs sind stark geblieben. Wir waren bei den Tests zuverlässig und haben das Auto rechtzeitig fertig bekommen. Das spricht für das Team."

"Ich hatte gar keine andere Wahl, als daran zu glauben!" Jenson Button

Frage: "Es muss wie eine Achterbahnfahrt der Gefühle für dich gewesen sein, aber du scheinst immer daran geglaubt zu haben, dass du hier antreten wirst. Wie ist die Atmosphäre im Team?"
Button: "Zunächst mal hatte ich gar keine andere Wahl, als daran zu glauben! Als ich die Nachricht von Hondas Rückzug im November erfahren habe, war das natürlich ein Riesenschock. Da kannst du machen, was du willst, aber es wird nichts ändern. Also stand ich den ganzen Winter hindurch mit dem Team in Kontakt. Manche Tage waren gut, andere weniger. Jetzt bekommen wir hoffentlich unser Happy End..."

Frage: "Wie ist die Atmosphäre im Team?"
Button: "So gut, wie sie nur sein kann - aber die war sogar gut, als ich am Tag nach der Honda-Nachricht in der Fabrik war! Ich war ein bisschen niedergeschlagen und hätte in den Abteilungen mit ein paar verärgerten Leuten gerechnet, aber das war nicht der Fall. Alle gingen ihrer Arbeit nach, als wäre nichts passiert. Sie haben fantastische Arbeit geleistet und das stellt mich ungemein zufrieden. Es ist schön, Teil davon zu sein, denn im Auto für dieses Jahr stecken das Herz und die Seele all unserer Mitarbeiter."

Kein Einfluss auf die Diffusordiskussion

Frage: "Machst du dir keine Sorgen, dass all das für die Katz' gewesen sein könnte? Gegen euch wurde heute Protest eingereicht..."
Button: "Ich habe darauf sowieso keinen Einfluss. Außerdem solltet ihr darüber mit Ross (Brawn; Anm. d. Red.) sprechen."

¿pbvin|512|1393|button|0pb¿Frage: "Aber wäre es nicht eine große Enttäuschung für dich, sollte sich das Auto als illegal herausstellen?"
Button: "Du sagst es. Aber für mich ändert das nichts - ich kann es nicht beeinflussen. Es liegt an Ross und all den anderen Leuten, in deren Einflussbereich das gehört."

Frage: "Glaubst du, dass das Auto legal ist, mit dem du hier fahren wirst?"
Button: "Ja. Aber mehr möchte ich dazu nicht mehr sagen."

Frage: "Fühlst du dich unter Druck, weil Brawn plötzlich als Favorit gehandelt wird?"
Button: "Das ist kein Druck, sondern ein schönes Gefühl. Wir hatten sieben Testtage als Team, ich drei. Das ist normalerweise nicht genug, aber wir waren halbwegs zuverlässig und bekamen dadurch einiges erledigt. Ich fühle mich wohl im Auto und wir kommen unbelastet hier an. Testen ist aber eine Sache. Sicher waren unsere Rundenzeiten schnell, aber das war 2006 auch so - und im ersten Rennen hatten wir gegen die Ferraris nicht den Funken einer Chance. Ich habe das Gefühl, dass wir nicht langsam sein werden, aber wie schnell, das müssen wir abwarten."

Frage: "Dein Team ist schwer einzuordnen, denn ihr seid ein unabhängiges Team mit einem Kundenmotor, aber ihr habt die Fabrik eines Topteams. Beinahe wärt ihr in Konkurs gegangen, aber dann wart ihr auf einmal unglaublich schnell. Wir würden dich gerne als Underdog sehen, aber irgendwie bist du inzwischen fast schon Favorit. Fühlst du dich selbst auch so unterschiedlich? Und wie geht es dem Team damit?"
Button: "Ich kann nachvollziehen, was du meinst. Wir sollten eigentlich als Privatteam mit einem Kundenmotor die Underdogs sein, aber das sind wir aufgrund der Testzeiten nicht."

Der Tag der Wahrheit naht

"Die sieben Testtage waren immens wichtig für uns. Wir werden sicher nicht hinten herumrollen. Mal schauen, was drin ist, wie wir das Maximum aus dem Auto herausholen können. Wir haben aber keine Wahl - und ob wir nun Favoriten sind oder nicht, macht eigentlich keinen Unterschied. Es geht darum, wie konkurrenzfähig das Auto ist. Ich weiß bisher nur, dass es sich großartig anfühlt und dass es auf alle Änderungen anspricht, ob gute oder schlechte. Insofern bin ich sehr glücklich."

"Es wäre sehr bedauerlich gewesen, nie damit zu fahren." Jenson Button

Frage: "Hast du im Winter schon gewusst, dass euer Auto so schnell sein wird? Und glaubst du, dass ihr diese Form die ganze Saison hindurch halten könnt?"
Button: "Ich wusste, dass es in die richtige Richtung geht, ja. Ich habe viel Zeit in Brackley verbracht. Wir haben uns ja früh auf das neue Auto konzentriert, wie man an unseren Leistungen am Saisonende sehen konnte. Das ist einer der Gründe, weshalb ich die Hoffnung nicht aufgegeben habe: Wir alle wussten, dass wir ein starkes Auto haben, und es wäre sehr bedauerlich gewesen, nie damit zu fahren. Also haben sich alle voll auf ihren Job konzentriert. In den vergangenen zwei Jahren waren wir nur in Melbourne, um der Welt zu zeigen, wie schlecht wir sind. Das ist diesmal anders."

Frage: "Glaubst du, ihr könnt diese Form halten?"
Button: "Da kann ich auch nur raten. Keine Ahnung, was im Qualifying am Samstag und im Rennen am Sonntag passieren wird. Ich hoffe, dass es klappt, dass wir die Form halten können, wie auch immer sie sein mag. Das ist das Ziel. Wir hoffen, dass wir die ganze Saison fahren werden."

"Wir sind nicht nach Melbourne gekommen, um nur bei den ersten zwei oder drei Rennen dabei zu sein, sondern wir wollen die ganze Weltmeisterschaft bestreiten. Darauf hoffe ich. Was den Speed angeht, so ist dieses Team schon immer beim ersten Test schnell gewesen, aber dann wird das Auto meistens nicht mehr viel schneller. Wir finden nicht vom ersten bis zum letzten Test eineinhalb Sekunden, wie das bei Renault der Fall war. Auch McLaren hat sich in Jerez noch deutlich gesteigert, glaube ich."

Respekt vor dem Teamkollegen

Frage: "Wie viele Kilometer hast du im Winter getestet?"
Button: "1.800, glaube ich."

"Rubens ist sicherlich sehr schnell." Jenson Button

Frage: "Dein Teamkollege Rubens Barrichello war dreimal Vizeweltmeister und hat viele Rennen gewonnen. Ist er dein Hauptkonkurrent?"
Button: "Rubens ist sicherlich sehr schnell und wir sind in einem Team, in dem wir gleich behandelt werden. So sollte es auch sein. Gegen Ende der vergangenen Saison war er sehr konkurrenzfähig. Ich glaube, dass das Auto besser zu seinem Fahrstil gepasst hat."

"Dieses Jahr sind mir die Reifen, die Slicks, viel lieber. Ich brauche eine starke Vorderachse. Ein untersteuerndes Auto liegt mir überhaupt nicht, aber mit den neuen Regeln kommt mir wieder alles so vor wie vor zwei Jahren. Der Grip am Kurveneingang ist wieder da. Ich genieße das Fahren sehr. Im Vorjahr war das anders, daher denke ich, dass ich mich steigern kann."

Frage: "Du hast in Barcelona gesagt, du fühlst dich wie neugeboren, aber für Rubens könnte es die letzte Saison sein..."
Button: "Nicht wenn er konkurrenzfähig ist."

Frage: "Aber er steht am Ende seiner Karriere, während du noch viele Jahre vor dir hast. Meinst du wirklich, dass er noch hungrig genug ist?"
Button: "Natürlich ist er das, aber ich bin es auch. Er wird sicher schnell sein - und der Teamkollege ist immer der erste Gegner. Rubens ist mein Rivale, aber auch mein Freund, denn wir müssen zusammenarbeiten, um konkurrenzfähig zu sein. Wenn wir nicht dort sind, wo wir sein wollen, dann müssen wir an einem Strang ziehen und das Auto verbessern. Das ist schwierig. Auf der Strecke ist er mein Gegner, aber außerhalb des Cockpits lachen wir miteinander. Das ist ganz normal."

Surtees-Kritik verpufft an Button

Frage: "John Surtees hat gesagt, dass er dich vergangene Saison rausgeschmissen hätte, weil ein guter Fahrer auch mit einem schlechten Auto alles geben muss. Stachelt dich das zusätzlich an?"
Button: "Nicht wirklich. Solche Kommentare sind mir egal, weil diese Leute die Situation nicht kennen. Wer so etwas sagt, der kennt sich in der modernen Formel 1 nicht mehr aus. Sollen sie sagen, was sie wollen! Ich weiß nicht, welchen Sinn und Zweck sie damit verfolgen, aber eigentlich ist mir das auch egal."

Helm von Jenson Button, Melbourne, Albert Park Melbourne

Jenson Button geht mit einem neuen Helmdesign in die Formel-1-Saison 2009 Zoom

"Mir geht es nur darum, dass wir mit dem Team etwas aufgebaut haben, was gut ist und was wir seit einigen Jahren nicht mehr hatten. Ich werde mein Bestes geben und mich nicht verunsichern lassen, egal ob ich gelobt oder kritisiert werde. Mir ist am wichtigsten, dass die Fans sehen, wie es wirklich ist - und dass sie nicht jeden Furz lesen, den irgendjemand von sich gibt. Sie sollten das Gesamtbild sehen und verstehen, dass der Kommentar einer Person nichts bedeutet."

Frage: "Aber wäre die Befriedigung bei einem Sieg am Sonntag deswegen nicht umso größer?"
Button: "Ich werde sicher nicht aussteigen und sagen: 'Ich habe es euch doch gesagt!' Wenn es passiert, dann freue ich mich mit dem Team. Was die Leute denken, ist mir egal. Daran werde ich nicht einmal denken, weil es mir einfach nicht wichtig ist."

Frage: "Startzeit ist am Sonntag um 17:00 Uhr Ortszeit. Machst du dir Sorgen wegen der Dämmerung?"
Button: "Es wird ja wohl noch Licht haben, oder nicht? Ich hoffe es zumindest. Wir haben ein helles Auto! Im Ernst: Für uns macht es keinen Unterschied. Es wird schwierig, so spät noch einen Tisch zum Abendessen zu bekommen, aber ansonsten bleibt alles gleich. So können wir am Sonntag wenigstens später aufstehen, was mir nicht ungelegen kommt. Keine Ahnung, was sich für euch Journalisten ändert, aber für uns ist es okay - solange es nur nicht zu kalt wird."