• 04.04.2009 18:52

  • von Dieter Rencken

Brawn: "Wir sind uns nicht zu sicher"

Ross Brawn im Interview über die aktuellen Leistungen von Jenson Button, die Probleme der anderen Teams und die Entwicklung für 2010

(Motorsport-Total.com) - Der Brawn-Traum könnte sich auch beim zweiten Grand Prix des Jahres fortsetzen. Nach teils nur mäßigen Leistungen in den Freien Trainings in Sepang war Jenson Button mit dem BGP 001 im Qualifying zur rechten Zeit wieder vorn. Der Brite geht als klarer Favorit in das Rennen in Malaysia. Teamchef Ross Brawn schätzte die Chancen am Samstag im Mediengespräch ab, analysierte die Leistungen der bisherigen Topteams und erklärte den Fahrplan in Richtung 2010.

Titel-Bild zur News: Ross Brawn (Teamchef)

Ross Brawn geht vorsichtig optimistisch an den morgigen Renntag in Sepang

Frage: "Ross, wie sehr sind sie von den starken Leistungen von Jenson Button überrascht?"
Ross Brawn: "Schon sehr. Wobei man natürlich sagen muss, dass er bisher nur ganz selten ein Auto hatte, in welchem er glänzen konnte. Wenn das der Fall war, hat er eigentlich immer schon tolle Leistungen gezeigt, aber ich habe im vergangenen Jahr auch weniger gute Dinge von ihm gesehen. Er fühlt sich in unserem Auto wohl und man sieht nun, was er für ein fantastischer Pilot ist."#w1#

"Er arbeitet regelrecht mit dem Auto, spricht viel mit den Ingenieuren. Irgendwie ist es eine Wechselbeziehung. Er verbessert das Auto und auf der anderen Seite sorgt das Auto dafür, dass er sich gut präsentieren und verbessern kann. Er ist hoch talentiert, aber zwei solch magere Jahre gehen nicht spurlos an einem Piloten vorbei. Ich bin von seinen Leistungen wirklich beeinruckt. Er hat einen tollen, sehr weichen Fahrstil. Wir sind sehr glücklich."

Frage: "Jenson sagte gestern, dass er sich mit dem Auto nicht mehr so wohlfühlt wie noch in Australien. Habt ihr das lösen können?"
Brawn: "In gewissem Maße ja. Wir sind gestern mit sehr viel Benzin gefahren. Und natürlich fühlt man sich als Pilot immer besser, wenn man sofort wieder allen auf und davon fahren kann. Ich denke, es war bei ihm ein Gemisch aus dem vielen Benzin auf der einen Seite und einer nicht ganz passenden Einstellung des Autos auf der anderen Seite. Wir waren noch nicht ganz dort, wo wir sein wollten. Wir haben über Nacht tolle Fortschritte gemacht, was man heute dann auch deutlich sehen konnte."

Frage: "In Melbourne war euer Erfolg eine Sensation. Fühlt es sich hier schon anders an, wenn man mit solch einem Sieg im Rücken hier nach Malaysia kommt?"
Brawn: "Ja, denn dieser Erfolg in Melbourne war natürlich ein unglaublicher Schub für das gesamte Team. Wir treten selbstbewusster auf. Das merkt man bei allen im Team: Alle haben Selbstvertrauen hinzu gewonnen. Dennoch ist die Situation nach wie vor gar nicht so einfach. Wir haben kaum Ersatzteile und uns fehlt die Zeit, viele Dinge auszuprobieren. Aber wir als Team werden immer stärker. Die gesamte Mannschaft glaubt immer mehr an sich selbst."


Fotos: Großer Preis von Malaysia, Samstag


Frage: "Wie wirkt sich der Umstrukturierung-Prozess im Werk mit all den Entlassungen aus?"
Brawn: "Das ist wirklich keine einfache Situation, zumal es jetzt gerade stattfindet, wo ich nicht vor Ort bin. Das Problem für mich ist, dass die gesamte Belegschaft in Brackley an diesem wundervollen Auto mitgearbeitet hat. Jetzt muss ich einigen der Leute sagen, dass ich ihnen keine Zukunft bieten kann. Wir haben versucht, es möglichst fair zu gestalten. Aber insgesamt ist es eine ganz schwierige Phase. Es lässt sich aber leider nicht vermeiden, weil ich muss die Zukunft des gesamten Unternehmens im Blick haben. Es wäre einfach gar nicht möglich, alle Leute weiter zu behalten."

Frage: "Haben Sie in der Technikabteilung viele Fäden aufgenommen und viele Umstrukturierungen vorgenommen?"
Brawn: "Nein, ich versuche nur die Übersicht zu behalten und die Mitarbeiter auf ihren Wegen zu bestärken. Ich muss nicht viel umbauen in der technischen Abteilung. Hier und dort finden langsame Anpassungen statt, aber das geht ganz vorsichtig voran. Viele Leute hatten gedacht, dass ich bei meiner Ankunft in Brackley erst einmal alles auf den Kopf stelle, aber das musste ich gar nicht. Ich fand dort eine wirklich gute Organisation vor. Es arbeiteten immer schon viele gute Leute dort, ich musste also gar nicht viel tun. Ich musste im Grunde nur eine Richtung vorgeben."

¿pbvin|512|1427|Pitstop|0pb¿Frage: "Wer hat dieses Auto eigentlich entworfen?"
Brawn: "Wir als Team. Es gibt bei uns nicht den Rory Byrne, der damals bei Ferrari das Design machte. Bei uns ist das eine Gruppe, die zusammenarbeitet. Natürlich gibt es drei oder vier Schlüsselpersonen. Einen für den Bereich Aerodynamik, einen für die Chassisentwicklung und so weiter. Aber wir arbeiten als Gruppe. Ich denke, dass so etwas in diesen Zeiten in der Formel 1 normal sein sollte. Die Rory Byrnes und Adrian Neweys können das nicht mehr allein."

Frage: "Wie zuversichtlich sind sie für das morgige Rennen?"
Brawn: "Wir sind nie zu sicher. Es kann immer viel passieren. Das Auto läuft gut mit viel Benzin, es geht ganz gut mit den Reifen um. Wir sind ganz bestimmt gut aufgestellt, aber trotzdem bleiben wir vorsichtig. In der Formel 1 kann immer etwas dazwischen kommen."

Frage: "Es gibt viele Leute, die sich in der Formel 1 über eine neue Hackordnung freuen. Endlich sind mal andere Teams vorne dabei und nicht mehr nur die Topteams Ferrari und McLaren-Mercedes. Sind die Kräfteverhältnisse umgekrempelt?"
Brawn: "Es gibt für die derzeitige Situation eine eindeutige Erklärung, wenn man mal auf das vergangene Jahr blickt. Die Regeln haben sich deutlich verändert. Im vergangenen Jahr haben Ferrari und McLaren einen der härtesten WM-Kämpfe ausgefochten. Ich kann vollkommen nachvollziehen, dass es für die beiden Teams natürlich schwierig war, damals einfach zu sagen, dass man die Entwicklung sein lässt und sich auf das kommende Jahr konzentriert. Für uns war eine solche Entscheidung ganz einfach. Wir hatten kein gutes Auto, also warum hätten wir Zeit verschwenden sollen?"

"Für die anderen war es viel schwieriger. Beides sind tolle Mannschaften mit hervorragenden technischen Möglichkeiten. Aber sie bezahlen eben den Preis für ihren letztjährigen Titelkampf. Normalerweise profitierst du auch im Folgejahr von der intensiven Weiterentwicklung eines Autos. Aber genau dies ließ sich in dieses Jahr nicht übertragen. Dadurch, dass wir jetzt Slicks haben und eine ganz andere Aerodynamik, können sie ihre Entwicklungen aus dem Vorjahr eigentlich in die Tonne treten."

Jenson Button

Jenson Button erntete viel Lob von seinem Chef Ross Brawn Zoom

Frage: "Wie bewerten sie den Ferrari-Fehler, der Massa heute schon früh aus dem Qualifying genommen hat?"
Brawn: "Sie haben gepokert und wollten sich Reifen sparen. Ich weiß, wie man dort handelt - ich war selbst einmal dort. Aber heute hat sich die Strecke unheimlich schnell entwickelt. Auch Rubens wurde zwischenzeitlich recht weit nach hinten durchgereicht. Das ging alles sehr schnell. So etwas passiert eben mal."

Frage: "Wie sehen Sie die anhaltende Diskussion um die Diffusoren?"
Brawn: "Wir müssen da nun durch. Das ist kein schöner Prozess, aber er scheint nun gerade notwendig. Wenn im Zuge der Regeländerungen drei Teams unabhängig von einander eine besondere Lösung finden, die im Einklang mit den Regeln steht, dann kann man das doch nicht verurteilen. Jedes Team hat seit Bekanntwerden der neuen Regularien konsequent daran gearbeitet, das bestmögliche Auto hinzubekommen."

Frage: "Luca di Montezemolo hat eine schnelle Entscheidung gefordert. Wie sehen sie das?"
Brawn: "Ich verstehe das aus seiner Sicht. Aber in zehn Tagen wird dei Entscheidung fallen und dann haben wir Klarheit."

Frage: "Sorgt dieser Streit für Missstimmungen innerhalb der Teamvereinigung FOTA?"
Brawn: "Nein, die FOTA funktioniert nach wie vor einwandfrei. Wir müssen lernen, mit solchen Situationen umzugehen. Auf der Strecke sind wir immer noch Konkurrenten, aber wir wollen trotzdem gemeinsam an der Verbesserung unseres Sports arbeiten. Es ist doch wie im Fußball. Da bekämpfen sich auch immer wieder die Teams auf dem Platz bis aufs Blut und danach gehen sie zusammen ein Bier trinken. Auch wenn es um strittige technische Teile geht, so ist das ein Teil eines Events, wo wir als Konkurrenten antreten."

"Da bekämpfen sich auch immer wieder die Teams auf dem Platz bis aufs Blut und danach gehen sie zusammen ein Bier trinken." Ross Brawn

Frage: "Werden sie bei der Entwicklung des nächstjährigen Autos wieder so viel Zeit investieren?"
Brawn: "Ganz so viel Zeit haben wir ja nicht. Aber wir müssen uns frühzeitig Gedanken machen, denn bei den Regeln ändert sich wieder einiges. Die Reifen werden nochmal anders und wir werden nicht mehr nachtanken dürfen. 2010 werden wir also eine erhebliche Benzinlast mit uns herumschleppen. Es werden auch seitens der FOTA noch Vorschläge kommen. Zum Beispiel bezüglich der Radabdeckungen oder auch vereinfachte Bremsanlagen. Wir haben wegen der Sparmaßnahmen auch weniger Zeit im Windkanal. Wir müssen schon jetzt eine gute Balance für die Entwicklung des diesjährigen und des nächstjährigen Autos finden, denn wir haben mit der Entwicklung für 2010 schon begonnen."

Frage: "Welche Veränderungen kommen da genau?"
Brawn: "Wir müssen das im Rahmen der FOTA noch festzurren. Es geht, wie gesagt, zum Beispiel um die Radkappen und die Bremsen. Aber es steht ja auch etwas ganz anderes auf dem Plan. Im kommenden Jahr soll die Zahl der Updates am Auto beschränkt werden. Man kann dann wohl nicht mehr zu jedem Rennen neue Teile ans Auto bringen, wie manche Teams das zurzeit machen. 2010 müsste man dann gleich immer etwas größere Pakete entwickeln und die als Update bringen."