Hat Ecclestone den Internet-Zug endgültig verpasst?

Bernie Ecclestones ignorierte bei seinem britischen TV-Deal einmal mehr das Internet - Im Fahrerlager wirft man ihm diesbezüglich schon länger Beratungsresistenz vor

(Motorsport-Total.com) - Die Formel 1 ist die wohl technischste Sportart der Welt. Sogar vom Einsatz von Raumfahrt-Technologie wird in den High-Tech-Fabriken der Teams nicht halt gemacht. Geht es aber um die Darstellung des Sports, dann bleibt die Königsklasse des Motorsports steinzeitlich. Jede halbwegs professionelle Rennserie bietet inzwischen Liveübertragungen und Webstreams im Internet an - auf der offiziellen Formel-1-Seite 'Formula1.com' sucht man dies aber nach wie vor vergeblich.

Titel-Bild zur News: Bernie Ecclestone (Formel-1-Chef)

Im Fahrerlager fragen sich viel, warum Bernie Ecclestone das Internet ignoriert

Vor Jahren argumentierte Bernie Ecclestone gegenüber 'Autosport' noch, dass die TV-Verträge mit den unterschiedlichen Fernsehstationen einer Ausdehnung des Angebots ins Internet im Weg stehen würden. "Wir haben Verträge mit TV-Stationen weltweit, die ihnen das Recht geben, die Formel 1 in ihrem Territorium exklusiv auszustrahlen - und das beinhaltet das Internet. Wir müssen das den TV-Stationen überlassen, denn wir brechen unsere Verträge nicht", so der Zampano Anfang 2009.

Britischer TV-Deal lässt Internet weiter links liegen

Kurios ist bloß, dass der 80-Jährige nach wie vor wenig tut, um das Internet zu fördern. Beim Ungarn-Grand-Prix präsentierte Ecclestone voller Stolz seinen neuen Deal mit der 'BBC' und dem Bezahlsender 'Sky'. Der öffentlich-rechtliche Free-TV-Sender 'BBC' konnte sich die aufwändigen und qualitativ hochwertigen Formel-1-Übertragungen nicht mehr leisten und wird ab der kommenden Saison nur noch zehn Rennen live übertragen, die restlichen zehn Grands Prix zeigt man in einer einstündigen Zusammenfassung.

"Wir müssen das den TV-Stationen überlassen, denn wir brechen unsere Verträge nicht." Bernie Ecclestone

Der Fan im Mutterland der Formel 1 wird also zur Kasse gebeten und muss das Angebot von 'Sky' kaufen, will er alle Rennen live und in voller Länge sehen. Kein Wunder, dass der Deal bei den Fans für Unmut sorgt. Doch auch Ecclestone dürfte sich eigentlich nicht die Hände reiben, obwohl der gekoppelte TV-Deal der Formel 1 65 Millionen Pfund (umgerechnet 74 Millionen Euro) einbringt. Denn: Die Gelegenheit, Internet-Übertragung zu verkaufen, ließ man einmal mehr verstreichen.

Sogar die Deutsche Fußball-Bundesliga hat das Internet längst als Geldquelle erschlossen - derzeit wird über Internet-Übertragungen verhandelt. Mit neuartigen Smartphones und Tablets schießen die möglichen Endgeräte seit einiger Zeit nur so aus der Erde. Schön langsam fällt auch den anderen Akteuren im Fahrerlager auf, dass der Formel-1-Boss tatenlos zusieht, wie der Internet-Zug an der Formel 1 vorbeirast.

Ecclestone nicht mehr am Puls der Zeit?

"Früher oder später müssen wir mal über unsere Zukunft sprechen", wird Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali langsam ungeduldig. "Ich habe Sorge, dass wir die Verbindung zur jüngeren Generation verlieren, den Teenagern. Sie kommunizieren ganz anders als wir Älteren", wird er von der 'FAZ' zitiert.

"Ich habe Sorge, dass wir die Verbindung zur jüngeren Generation verlieren, den Teenagern." Stefano Domenicali

FOTA-Geschäftsführer Martin Whitmarsh sieht Ecclestone ebenfalls nicht mehr am Puls der Zeit, wie er gegenüber 'CNN' klarstellt: "Bernies großer Trick war es, die Medienpräsenz der Formel 1 zu Geld zu machen. Wir müssen ihm dafür dankbar sein, wie er den Sport kommerziell entwickelt hat, aber der Medienbereich ist heute viel komplexer. Bald wird man das Fernsehen vollständig auf dem Handy haben - mit dem Handy kann man dann via Bluetooth einen Bildschirm ansteuern. Die Frage ist also, wie man das steuern kann und damit Geld verdient."

Genau in diesem Bereich sieht er schlummerndes Potenzial: "Wir können diese digitale Umgebung mit viel mehr Daten und Informationen bedienen als Tennis, Fußball oder jede andere Sportart." Verpasst man diese Entwicklung, könnte dies zur Folge haben, dass man die junge Generation verliert: "Die jüngere Generation will interagieren, sie verlangt nach Communities - das ist die Herausforderung: Wege zu finden, um damit Geld zu verdienen, wie es Bernie früher mit dem Fernsehen gemacht hat." Er glaubt, dass nur ein externer Experte die Formel 1 diesbezüglich wieder auf Kurs bringen kann.

Parrs unangenehme Fragen

Williams-Geschäftsführer Adam Parr zählt in diesem Punkt zu Ecclestones größten Kritikern. Auch er verliert die Geduld mit dem einstigen Gebrauchtwagen-Händler und warf ihm vor, sich davor zu fürchten, "im Falle einer Rechtevergabe an die 'BBC' im vereinten Königreich, zu viele Rechte abzugeben. Sie können durch ihren iPlayer Wiederholungen anbieten, das Internet nützen." Ecclestone glaube laut Parr, dass er durch die Einschränkungen "die Gewinne maximiert."

"Sogar der türkische Fußball liegt bei den TV-Einnahmen knapp vor uns." Adam Parr

Dabei sind die aktuellen TV-Einnahmen erschütternd gering, glaubt man dem Williams-Geschäftsführer: "Das Problem ist, dass unsere TV-Einnahmen als Sport bei weniger als 500 Millionen US-Dollar (umgerechnet 351 Millionen Euro) liegen. Zum Vergleich - in der NFL liegen sie bei 4,2 Milliarden US-Dollar (3 Milliarden Euro) und der türkische Fußball liegt knapp vor uns. Ich denke, dass es Zeit ist, ihn herauszufordern."

Das größte Problem ist aber Ecclestones Beratungsresistenz, ärgert sich Parr: "Wir können nicht hier sitzen und uns auf unseren Lorbeeren ausruhen. Wenn wir uns unterhalten, ist das sehr freundlich. Und er weist mich sanft zurecht. Er erinnert mich daran, wie wenig ich verstehe. Und ich akzeptiere das. Aber das wird mich nicht daran hindern, weiter Fragen zu stellen."

Warum sich Ecclestone gegen das Internet wehrt

Doch warum wehrt sich Ecclestone so vehement gegen die Nutzung des Internets? Die 'FAZ' zitiert einen nicht namentlich genannten britischen Journalisten: "Bernie versteht das Internet nicht. Und was Bernie nicht versteht, das existiert nicht." Auch Ex-FIA-Boss Max Mosley bestätigte Anfang 2009 bei einem Mediendinner in London: "Bernie steht dem Internet skeptisch gegenüber, gar keine Frage. Wenn wir das einmal überwinden, dann können wir großartige Sachen machen, denn das Potenzial ist riesig. Ich jedenfalls würde die Art und Weise, wie wir mit dem Internet umgehen, revolutionieren. Das Internet ist der große vernachlässigte Bereich der Formel 1."

"Bernie steht dem Internet skeptisch gegenüber, gar keine Frage." Max Mosley

Passiert ist seitdem nicht viel. Mosleys damalige Visionen landeten wohl in einer Schublade - auch wenn sie vielversprechend klangen: "Stellt euch nur mal vor: Man könnte all die Archive online stellen, alle Trainingszeiten, alle vier Zeitenmonitore, die auch den Teams an den Kommandoständen zur Verfügung stehen. Eine Kamera in jeder Garage, in jedem öffentlichen Bereich in den Motorhomes und im Fahrerlager - dann wäre der Zuschauer wirklich mittendrin im Geschehen."

In der Formel 1 hat man aber inzwischen erkannt, dass es nicht mehr fünf vor zwölf, sondern längst zwölf ist. "Wenn wir die Verbindung zur jungen Generation nicht hergestellt bekommen, stehen wir vor einer schwierigen Zukunft", so Ferrari-Teamchef Domenicali. Bei der Qualität der TV-Übertragungen ist es Formula One Management übrigens in letzter Sekunde gelungen, die Kurve zu kratzen. Seit dieser Saison werden die Rennen in HD-Qualität übertragen - fünf Jahre nach der ersten Fußball-WM in HD. Die Deutsche Fußball-Bundesliga gibt es übrigens bereits in 3D.