Dennis' letzter Traum: Champion aus dem Reagenzglas

Ex-McLaren-Teammanager Jo Ramírez spricht über Ron Dennis' großen Traum, mit einem "selbst gemachten" Formel-1-Fahrer Weltmeister zu werden

(Motorsport-Total.com) - Als sich Lewis Hamilton am 2. November 2008 in einem dramatischen Finalrennen in São Paulo erstmals zum Formel-1-Weltmeister krönte, stand für Ron Dennis fest: Jetzt kann ich zurücktreten! Denn mit dem ersten WM-Titel für einen dunkelhäutigen Grand-Prix-Piloten ging der letzte große Traum des McLaren-Teamchefs in Erfüllung.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton und Ron Dennis

2008 erfüllten sich Lewis Hamilton und Ron Dennis einen Lebenstraum

Als kleiner Brabham-Mechaniker begann er seine Formel-1-Karriere in den 1960er-Jahren, schon 1980 übernahm er aber das McLaren-Team - und formte daraus den zwischenzeitlich (Ende 1993) erfolgreichsten Rennstall der Motorsportgeschichte. 1988 hätten Ayrton Senna und Alain Prost wahrscheinlich sämtliche Grands Prix des Jahres gewonnen, wenn Senna beim Überrunden in Monza nicht von Jean-Louis Schlesser abgeschossen worden wäre.#w1#

Fast alle Lebensträume erfüllt

Zehn Fahrer- und sieben Konstrukteurs-WM-Titel, 138 Grand-Prix-Siege, mit Legenden wie Niki Lauda, Alain Prost oder Ayrton Senna Formel-1-Champion geworden, in Woking die modernste Motorsportfabrik der Welt aufgebaut - es gibt kaum etwas, das Dennis nicht erreicht hat. "Ron gehört zu den wenigen Menschen, die sich fast alle Lebensträume erfüllt haben", weiß Jo Ramírez, zwischen 1984 und 2001 Teammanager bei McLaren.

"Er wollte ein außergewöhnliches Formel-1-Team aufbauen. Gelungen. Er wollte den besten Straßensportwagen der Welt bauen. Mit dem McLaren F1 gelungen. Er wollte mit diesem Auto Le Mans gewinnen. Gelungen. Er wollte die unglaublichste Formel-1-Fabrik bauen. Gelungen", erklärt der Mexikaner im Interview mit 'Motorsport-Total.com'. Doch Dennis wäre nicht Dennis, wenn er nicht all das noch einmal toppen wollen würde.

Denn Grand-Prix-Siege und WM-Titel haben auch viele andere Teamchefs gewonnen, aber quasi selbst einen Fahrer zu "produzieren", der eines Tages Weltmeister wird, das wäre einzigartig. Das Schicksal half dieser Idee ein wenig auf die Sprünge, als bei einer Preisverleihung im Jahr 1995 der damals erst zehnjährige Kartfahrer Lewis Hamilton auf ihn zukam und sagte: "Hallo! Ich bin Lewis Hamilton. Ich bin gerade Britischer Meister geworden und möchte eines Tages für Sie fahren."

"Ron wollte McLaren nicht verlassen, bevor er bei McLaren mit einem Fahrer Weltmeister geworden ist, den er selbst gemacht hat", lächelt Ramírez. "Eines Tages hat er zu mir gesagt: 'Du weißt, wie viel Geld wir in die Chassisentwicklung stecken, in die Windkanalarbeit. Wir haben Millionen für Ayrton Senna und Alain Prost bezahlt. Jetzt machen wir es einmal andersrum: Wir machen uns einen eigenen Rennfahrer!"

Jo Ramírez

Jo Ramírez war von Lewis Hamilton von Anfang an schwer beeindruckt Zoom

"Ich glaube, das hat maximal vier Millionen Pfund gekostet. Lewis hat Peanuts gekostet, aber sie setzten ihn mit einem langfristigen Vertrag ins Auto und er wurde Weltmeister - ein Traum", so Ramírez, der mit seinem langjährigen Weggefährten Dennis heute nicht mehr befreundet ist und sich daher offen wundert: "Ich frage mich, was er getan hat, um all das zu verdienen. Er ist dadurch jedenfalls kein besserer Mensch geworden..."

Hamilton: Einschlag wie eine Rakete

Hamilton kam 2007 in die Formel 1. Fernando Alonso hatte seinen McLaren-Vertrag in der Tasche, als Nummer zwei war eigentlich Testfahrer Pedro de la Rosa vorgesehen. Doch der hauseigene Junior überzeugte mit einem souverän gewonnenen GP2-Titel und starken Wintertestzeiten und bekam daher die große Chance, die er sich nicht entgehen ließ. Am Saisonende lag er sogar hauchdünn vor seinem weit höher eingeschätzten Teamkollegen!

Laut Ramírez war schon früh absehbar, dass sich Hamilton so rasant entwickeln würde: "Der Junge war damals schon so fokussiert, das war unglaublich! Schon im Kart oder wenn er nur mit der Fernbedienung herumgespielt hat, war ihm diese Intensität anzusehen. Er wollte nur gewinnen. Wir haben ihn ins Kart gesetzt und er hat sofort gewonnen. Dann ging es in die nächste Kategorie und er hat wieder sofort gewonnen", erinnert sich der (seit heute) 69-Jährige.

"Das Gleiche in der Formel 3. Als er auch in der GP2 gewonnen hat, standen wir vor der wichtigen Frage: Geben wir ihm einen Testvertrag oder mehr? Die Testfahrer hatten zu der Zeit immer weniger zu tun, also sagten wir uns: Wenn er es in der GP2 schafft, dann setzen wir ihn ins Formel-1-Auto", so Ramírez. Hamilton bedankte sich mit neun Podestplätzen in den ersten neun Rennen und dem Vize-WM-Titel, nur einen Punkt hinter Kimi Räikkönen.

Lewis Hamilton

Schon in jungen Jahren wurde Lewis Hamilton von McLaren gefördert Zoom

"Wir waren uns zuerst nicht ganz sicher, ob er dafür schon reif genug ist, aber er wurde zu einem Phänomen", schwärmt Ramírez, der darin übrigens die Ursache für den "Krieg der Sterne" sieht: "Da begannen die Probleme, denn Alonso hätte in einer Million Jahren nicht erwartet, dass er jemals einen Teamkollegen haben würde, der gleich schnell oder sogar schneller ist. Von einem Rookie geschlagen zu werden, hat ihn gewaltig überrascht..."

Dennis zog sich im März 2009 - nach der Spionageaffäre auch unter Druck von außen - vom Posten des Teamchefs zurück und übergab diesen an den von ihm selbst aufgebauten Nachfolger Martin Whitmarsh. Nach wie vor besitzt er 25 Prozent der Anteile an der McLaren-Gruppe (vor dem Mercedes-Ausstieg: 15 Prozent). Mit dem Formel-1-Team hat er operativ nichts mehr zu tun, stattdessen konzentriert er sich auf den Aufbau einer McLaren-Sportwagenfirma.