Kolumne zur Berufung Nürburgring vs. VLN: Was auf dem Spiel steht

Am 4. Januar wird das Urteil im Berufungsverfahren gesprochen - Am Nürburgring geht es dabei um weit mehr als NLS vs. NES

(Motorsport-Total.com) - Liebe Freunde der Nordschleife,

Titel-Bild zur News: Vincent Kolb, Frank Stippler

Die Zukunft des Nürburgring-Langstreckensports ist derzeit offen, doch es geht um weit mehr Zoom

am 21. Dezember (Update: 4. Januar) werden mit der Urteilsverkündung endlich die Weichen für die Saison 2024 des Langstreckensports auf der Nordschleife gestellt. Es läuft aktuelles vieles darauf hinaus, dass es im kommenden Jahr zwei Serien gibt, die beide mehr als vier Termine bekommen sollen. Doch erst drei Tage vor Heiligabend werden wir wissen, wie es genau aussieht.

Es steht viel auf dem Spiel. Denn was als Streit um einen Rauswurf der VLN begonnen hat, ist mittlerweile zu einem Kampf für den Nürburgring um sein Businessmodell geworden.

Die VLN pocht auf ein Urteil, denn mittlerweile ist ihr Vertrauen in die NR Holding dermaßen gesunken, dass man im Falle einer Einigung für 2024 fürchtet, im kommenden Winter mit demselben Problem konfrontiert zu sein und sich erneut vor Gericht zu treffen. Daher will sie auf jeden Fall ein Urteil erwirken, um langfristig Sicherheit zu haben.

Dennoch wird sie sich auf Probleme einstellen müssen, die eine Reduktion der Termine mit sich bringen würde. Von den neun Vereinen werden sich bei manchen Rennen mehrere zusammentun müssen, wenn sie weiterhin alle an Bord bleiben wollen.

Wird die NLS dem ADAC in die Arme getrieben?

Natürlich ist noch vieles offen. Im für sie günstigsten Fall bekommt die VLN ausreichend "Double-Header"-Termine zugestanden, dass sie weiterhin neun Läufe fahren kann. Das würde bei fünf Terminen im Jahr vier "Double-Header" bedeuten. Derzeit ist aber bereits bei drei der bisher kommunizierten acht Termine der anschließende Sonntag belegt:

7. April: Motorrad-Gottesdienst "Anlassen"
23. Juni: GRIP - das Motorevent
4. August: RCN
Durch das Gerichtsverfahren sind aber natürlich alle bisherigen Termine mit Vorsicht zu genießen.

Dennoch wird die VLN wahrscheinlich einige unangenehme Kompromisse schmieden müssen. Die Frage, ob der Name NLS nun wieder begraben wird, der einst auf Bestreben des Nürburgrings eingeführt wurde, dürfte noch die am wenigsten problematische Frage sein.


Fotostrecke: Streit um Langstreckensport am Nürburgring: Die Gemengelage erklärt

Immerhin hat die Krise, bei der bis zum ersten Urteil im September sogar die eigene Existenz auf dem Spiel stand, die Gesellschafter eng zusammenrücken lassen. Das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall.

Dennoch wird die VLN Sport GmbH & Co. KG einen arbeitsreichen Winter vor sich haben. Die Anteile der Vermarktungsgesellschaft VLN VV, die die NR Holding zum Jahresende gekündigt hat, gehen komplett auf die VLN Sport über. Wie es mit dem Konstrukt weitergeht, ist aktuell unklar.

Und das mit weniger Personal. Denn der Konkurrenzserie NES ist es gelungen, mehrere Mitarbeiter abzuwerben. Unseren Informationen zufolge sucht die VLN auch aktuell nach einem weiteren Geschäftsführer, Mike Jäger (der die Funktion bei der VLN Sport nicht hauptberuflich macht) und Jacqueline Johann sollen aber an Bord bleiben.

Eine weitere Frage wird sein, ob, und wenn ja, wie viele Teilnehmer die VLN an die NES verlieren wird. Denn die NLS operierte schon in den vergangenen Jahren in wirtschaftlich gefährlichen Zonen. Rennen mit weniger als 100 Teilnehmern sind wirtschaftlich nicht tragfähig.

Das weiß auch der Nürburgring. Es würde reichen, wenn die NES der VLN/NLS zehn bis 20 Prozent Teilnehmer abspenstig macht. In einem Abnutzungskrieg hätte die NES auf jeden Fall die besseren Karten. Denn über irgendwelche Kanäle ließe sich die vom Nürburgring-Besitzer bevorzugte Serie immer subventionieren.

Die ohnehin schon gefährlich niedrigen Starterzahlen könnten durch eine Konkurrenzserie weiter sinken

Die ohnehin schon gefährlich niedrigen Starterzahlen könnten durch eine Konkurrenzserie weiter sinken Zoom

Und die juristische Partie hat gerade erst begonnen. Das jetzige Urteil war ein Eilverfahren. Das Hauptverfahren mit Instanzen bis hin zum Bundesgerichtshof steht noch aus und wird sich über Jahre hinwegziehen. Das wird für die VLN eine nicht zu unterschätzende finanzielle Bürde.

Das kann dazu führen, dass sie sich neue Freunde suchen muss. Bekanntermaßen ist der Feind deines Feindes dein Freund. Es wäre in Anbetracht der Gesamtsituation nur noch eine mittelgroße und keine große Überraschung mehr, sollte das 24-Stunden-Rennen künftig wieder zur VLN zählen, wie in den Jahren 1986 bis 1988.

Es könnte passieren, dass der Nürburgring, der ursprünglich seine Verhandlungsposition gegenüber dem ADAC stärken wollte, indem er die Kontrolle über den Langstreckensport am Nürburgring übernimmt, diesen und die VLN näher zusammenrücken lässt. Allein wird es für die VLN finanziell jedenfalls alles andere als einfach, die juristische Partie durchzustehen. Der ADAC muss nur mit offenen Armen warten.

NES: Noch immer viele Unklarheiten

Die NES wiederum muss erst noch ganz andere Hürden überwinden, bevor sie nur darüber nachdenken kann, der VLN Teilnehmer abspenstig zu machen. Noch immer ist es dem AvD nicht gelungen, überhaupt erst einmal ein Konzept vorzuzeigen, das über die im Juli veröffentlichte vage Ankündigung einer besser vermarkteten Langstreckenserie hinausgeht.

Bislang gibt es absolut nichts Handfestes, was ein interessiertes Team an Informationen hätte, außer immer wiederkehrender Beteuerungen, dass ja alles bereit in der Schublade liege. Der AvD macht es sich zu leicht, zu sagen, man wolle sich nicht in die Karten schauen lassen. In einer solchen Lage ist das nicht genug.

Das zeigt nicht zuletzt der ILN-Beschluss, sich auf die NLS zu konzentrieren. Die Teamvereinigung hat mit dem AvD sehr viel Geduld gehabt, doch auch dieser Geduldsfaden ist gerissen.

Lutz-Leif Linden

Was hat der AvD vor? Lutz Leif Linden ist bis heute ein tragfähiges Konzept schuldig geblieben Zoom

Will man überhaupt irgendwelche Teilnehmer anlocken, brauchen diese etwas Handfestes. Dass das Urteil kurz vor der Ferienzeit gesprochen wird, wird für weitere Verzögerungen sorgen. Das wird heißen, dass es erst Mitte Januar weitergehen wird.

Wie schon früher betont, ist der AvD in der Bringschuld. Eine VLN muss nicht beweisen, dass sie Langstreckenrennen am Nürburgring ausrichten kann. Hier weiß jeder, was er bekommt. Der AvD ist sämtliche handfesten Indizien bisher schuldig geblieben.

Die NES ist noch immer die gleiche Blackbox wie vor einem halben Jahr. Sie soll irgendwie kommen und man hat ganz viele Vereine, die mitmachen wollen. Sollte die NES den März-Termin erhalten, wären es bei der Urteilsverkündung keine drei Monate mehr bis zum ersten Rennen. Dass zu einem solchen Zeitpunkt nicht einmal der Ansatz eines Konzepts bekannt ist, dürfte im Motorsport einmalig sein.

Vertrauen schafft das nicht. Denn noch immer gibt es Zweifel, ob die NES überhaupt stattfinden wird. Dabei geht es nicht mehr nur um die fehlende Infrastruktur beim AvD - wobei dieser immer wieder betont, dass es sich um "bewusst gestreute Gerüchte" handele - sondern auch um die Frage, ob die Serie Akzeptanz beim äußerst konservativen Nürburgring-Publikum findet.

Die Bewegung von unten ist nicht zu unterschätzen. Allein Online haben sich mittlerweile mehr als 2.000 Mitglieder in einer Gruppe "Pro NLS" zusammengeschlossen. Und das ist nicht bloß ein Zusammenschluss einiger verärgerter Fans, sondern darunter befinden sich wichtige Stakeholder wie Sportwarte.

Und es ist unklar, wie weit das Netzwerk über die Online-Grenzen hinaus reicht. Gerade die Sportwarte haben viel in der Hand. Es werden für ein Langstreckenrennen auf der Nürburgring-Nordschleife 400 bis 500 von ihnen benötigt.

Sportwarte, Marschalls, Streckenposten, Nürburgring-Nordschleife

Machen die Marschalls nicht mit, dreht sich kein Rad Zoom

Sportwarte pflegen einen kollegialen Umgang untereinander. Wenn der gemeinsame Tenor der Sportwarte lautet, die NES zu boykottieren, kann es für den AvD sehr schwierig werden, genügend Personal für die Streckenposten zu finden. Gleichsam will sich aktuell wohl kein potenzieller Rennleiter zum Buhmann machen, indem er mit einer Serie paktiert, die als Totengräber des Langstreckensports am Nürburgring wahrgenommen wird.

Was passiert, wenn eine Rennveranstaltung mit nicht vollständig besetzten Streckenposten durchgeführt wird, hat Ende 2019 die Rundstrecken-Challenge-Nürburgring (RCN) erfahren, als der Rennleiter und der Leiter der Streckensicherung vom Deutschen Motor Sport Bund (DMSB) für fast ein Jahr suspendiert wurden. Ein Exempel als Präzedenzfall.

Der AvD, vom Nürburgring zur Durchführung einer eigenen Langstreckenserie beauftragt, geht volles Risiko. Den Exit-Termin nach dem ersten Urteil hat man verstreichen lassen. Es wäre ein leichtes gewesen, an dieser Stelle den Stecker zu ziehen, zu sagen, dass man ja etwas veranstaltet hätte, aber nun schlicht und einfach die Zeit fehlt.

Derzeit hat der AvD die Optionen, eine Rennserie zu veranstalten, zu der außer für die NR Holding keine Notwendigkeit besteht und die beim Publikum wenig bis keinerlei Akzeptanz findet, oder eine Blamage in Kauf zu nehmen, sollte die NES noch vor dem ersten Rennen scheitern.

Nürburgring: Es geht um (fast) alles

Am meisten steht jedoch für den Nürburgring auf dem Spiel. Denn in dem jetzigen Verfahren ist das Thema NLS und NES eigentlich nur ein Nebenkriegsschauplatz. Das Verfahren war ein Kartellrechtsverfahren. Es geht um nicht weniger als die Frage, wer einen Anspruch auf ein Zugangsrecht zum Nürburgring hat.

Die NR Holding war sich ihrer Sache sehr sicher, als sie öffentlich verkündet hat, der VLN keine Termine mehr zu geben. Das September-Urteil hat jedoch alles auf den Kopf gestellt: Was als Überlebenskampf der VLN begann, ist nun ein Kampf um Schadensbegrenzung für den Nürburgring-Besitzer.

Schließlich wurde diesem im ersten Urteil quasi das Hausrecht abgesprochen, die Nürburgring-Nordschleife wurde als "essential facility" der Schieneninfrastruktur und dem Stromnetz gleichgesetzt. Der VLN mussten Termine eingeräumt werden. Wie es zu einer solch eklatanten Fehleinschätzung der Lage durch die Anwälte der NR Holding kommen konnte, wissen diese wohl nur selbst.

Nordschleife

Der Nürburgring hat sich mit dem VLN-Rauswurf womöglich ein böses Eigentor geschossen Zoom

Als Gewinner wird der Nürburgring aus dem Verfahren nicht herauskommen können. Wahrscheinlich werden weitere der ertragreichen Touristenfahrten gestrichen werden müssen, damit beide Langstreckenserien ausreichend Termine erhalten - gesetzt, die NES kommt zustande.

Das viel größere Problem wird jedoch sein, dass bei der jetzigen Tendenz der Nürburgring ein belastetes Objekt sein wird. Egal, welche Serie wie viele Termine bekommt: Das erste Urteil hat dem Nürburgring quasi das Hausrecht abgesprochen. Egal, wie viel davon jetzt noch gekittet wird, der Nürburgring hat aus Investorensicht durch die Verfahren an Attraktivität verloren.

Die NR Holding, deren Ziel es ursprünglich in dieser ganzen Geschichte war, die eigene Verhandlungsposition gegenüber dem ADAC zu verbessern, der mehr als 80 Prozent der Rennveranstaltungen auf dem Nürburgring durchführt, kämpft seit dem September-Urteil um ihren Business Case. Der Schritt, die VLN aus der "Grünen Hölle" zu werfen, hat sich als Bumerang erwiesen.

Beim Urteil am 21. Dezember steht also viel auf dem Spiel, und das nicht nur für den Motorsport.

Euer


Gerald Dirnbeck

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