Aoyama: "Das Leben in Japan geht weiter"
Hiroshi Aoyama kann den diesjährigen Auftritt der MotoGP im japanischen Motegi kaum noch erwarten und möchte ein Zeichen setzen
(Motorsport-Total.com) - Gresini-Honda-Pilot Hiroshi Aoyama war wie kein anderer Fahrer im MotoGP-Feld von der verheerenden Katastrophe in seinem Heimatland Japan betroffen. Zum Zeitpunkt, als das Erdbeben im März über Japan hereinbrach, befand sich Aoyama bereits an seinem Zweitwohnsitz in Barcelona, um sich auf die Saison vorzubereiten.

© Honda
Hiroshi Aoyama
Zwischen den Rennen in Laguna Seca und Brünn machte er sich bei einem Besuch seiner Heimatstadt Chiba ein persönliches Bild der Lage in Japan. Was das Rennen in Motegi am ersten Oktober-Wochenende betrifft, so kann Aoyama die Ängste diverser Fahrerkollegen nachvollziehen, er selbst vertritt jedoch eine andere Ansicht.
Im Interview spricht Aoyama über die ersten Wochen nach der Katastrophe, die gegenwärtige Situation in seiner Heimatstadt vor den Toren Tokios, seine Meinung bezüglich der Ängste vor dem Grand Prix von Japan, seine Vorfreude auf das Rennen sowie seine derzeitige Situation in der MotoGP-WM und seine Aussichten auf die Zukunft.
Frage: "Hiroshi, wo warst du, als das Erdbeben über Japan hereinbrach?"
Hiroshi Aoyama: "Als das Erdbeben kam, war ich gerade am Flughafen in Barcelona, um zum ersten Rennen der Saison nach Katar zu fliegen. Ich habe die Bilder dort auf dem Fernseher gesehen und dachte zunächst, es wäre ein Film. Ich konnte einfach nicht glauben, was dort passierte. Dann habe ich realisiert, dass es in Japan passierte und habe versucht, meine Familie anzurufen, konnte aber niemanden erreichen. Ich musste dann meinen Flug nach Katar nehmen und habe unmittelbar nach der Landung wieder versucht, meine Familie anzurufen. Glücklicherweise waren alle in Ordnung. Wir wohnen zwar rund 200 Kilometer von Fukushima entfernt in Chiba, aber nur zwei Kilometer von uns entfernt gibt es eine Tankanlage, wo es durch das Erdbeben eine Explosion gegeben hat. Obwohl es dadurch einige Schäden zu vermelden gab, waren meine Familie und meine Freunde wohlauf."
"Dennoch war es ein seltsames Gefühl für mich, da ich mich auf das erste Rennen in Katar konzentrieren musste, was mir zu dieser Zeit nicht leichtfiel. Ich wollte zunächst nicht fahren, da ich mich nicht wohlgefühlt habe. Doch dann habe ich mich entschlossen, das Rennen zu fahren, um meinen Beitrag zu leisten, damit Japan wieder ein paar positive Nachrichten bekommt. Ich bin schließlich kein Profi darin, Menschen zu retten, sondern ich bin Rennfahrer. Deshalb entschied ich mich dazu, zu fahren, wenngleich es mir nicht leichtgefallen ist, da zu dieser Zeit nach wie vor Menschen ihr Zuhause oder ihre Familie verloren haben. Diese Dinge haben mir in meinem Herzen und auch in meinem Kopf sehr weh getan und es wird noch einige Zeit brauchen, bis ich darüber hinweg bin."
Chaos in den ersten Wochen nach der Katastrophe
Frage: "Wie hast du dich in Katar über die Dinge in Japan auf dem Laufenden gehalten?"
Aoyama: "Ich habe natürlich versucht, die Nachrichten im Fernsehen zu verfolgen, aber es war sehr chaotisch, da es viele Meldungen gab und man nicht genau wusste, welche davon die neuesten waren. Über das Internet habe ich verlässlichere Informationen bekommen. Erstaunlicherweise konnte ich via Internet auch mit meiner Familie und mit meinen Freunden Kontakt aufnehmen, obwohl die Telefonverbindung tagelang nicht funktioniert hat. Dadurch habe ich erfahren, wie es um meine Heimatstadt stand, denn ich den Nachrichten haben sie fast nur das Atomkraftwerk gezeigt."
Frage: "Wie ist es heute um deine Heimatstadt bestellt?"
Aoyama: "Nicht so gut. Obwohl in der Stadt nicht viel zerstört wurde, hatte meine Familie in den ersten Wochen weder Wasser noch Lebensmittel. Die gesamte Versorgungskette war unterbrochen. Für meine Familie war das eine sehr schwierige Zeit. Als ich selbst vor einem Monat erstmals wieder dort war, konnte ich sehen, dass sich die Lage schon wesentlich gebessert hat. Inzwischen gibt es wieder Strom, Wasser, Essen und Kraftstoff."
"Andererseits gleicht die Situation im Norden Japans nach wie vor einem Desaster. Ich habe zahlreiche Bilder gesehen. Dort gibt es immer noch Autos, die auf dem Dach liegen und Häuser, die komplett zerstört sind. An einigen Stellen sieht man gar nichts mehr von dem, was dort einmal war. Der Tsunami hat alles ausgelöscht. In den ersten Wochen nach der Katastrophe war es nicht nur für mich, sondern für alle japanischen Fahrer schwierig, sich auf das Rennfahren zu konzentrieren. Selbst jetzt fällt es mir nach wie vor schwer, wenn ich daran denke."
Frage: "Was glaubst du wie lange es dauern wird, bis sich Japan vollständig erholt hat?"
Aoyama: "Das wird Jahre brauchen, vielleicht zehn, ich weiß es nicht. Fest steht nur, dass es eine lange Zeit brauchen wird. Selbst wenn man die materiellen Dinge wie Häuser und Straßen wieder aufbauen kann, so werden die Menschen noch lange darunter leiden. Das ist der schwierigste Teil der ganzen Geschichte."
"Gleichzeitig hatten wir das Glück, dass uns viele Länder unterstützt haben. Ich möchte mich im Namen von Japan bei allen bedanken, die den Menschen in Japan geholfen haben. Was mich betrifft, so kann ich mit guten Leistungen auf der Strecke nach wie vor am besten dazu beitragen, dass wieder einige positive Nachrichten ins Land kommen. Aus diesem Grund stehe ich auch voll hinter der Entscheidung, den Japan-Grand-Prix in diesem Jahr auszutragen. Die unabhängige Untersuchungsbehörde (ARPA) hat die Situation vor Ort genau bewertet und mitgeteilt, dass es keine Gefahr gibt. Ich freue mich sehr, dass das Rennen stattfinden kann. Dennoch gibt es immer noch einige Leute, die Zweifel daran haben, was ich verstehen kann. Ich würde mich aber sehr freuen, wenn auch diese Leute nach Japan reisen und ein Zeichen setzen."
Verständnis für die Ängste der Kollegen
Frage: "In Mugello gab es ein Treffen, bei dem alle MotoGP-Fahrer mit Ausnahme von dir ein Dokument unterschrieben haben, das nach mehr Informationen verlangt. Stimmt das?"
Aoyama: "Ja, das stimmt. Ich habe das Dokument nicht unterschrieben, weil ich wusste, dass alles in Ordnung ist und wir in Japan fahren können. Die japanische Regierung hat ihr Okay gegeben und kurz darauf haben auch die Behörden aus Italien, Spanien und den USA klargemacht, dass man bedenkenlos nach Japan einreisen kann. Darauf habe ich vertraut und das Dokument daher nicht unterschrieben. Für die Menschen aus Europa ist es sicher eine schwierige Situation, aber ich bin Japaner und habe ein Haus dort. Ich würde auch zu Zeiten des größten Desasters dorthin reisen. Meine Situation ist daher eine komplett andere. Ich bin mir sicher, dass ich im umgekehrten Fall auch darüber nachdenken würde. Das Wichtigste für mich ist, dass der Motorsport den Menschen in Japan ein Lächeln zurück ins Gesicht bringen kann."
Frage: "In Indianapolis gab es immer noch Fahrer, die sich noch nicht entschieden hatten, ob sie am Grand Prix von Japan teilnehmen werden oder nicht. Wie denkst du darüber?"
Aoyama: "Das ist eine schwierige Situation, in der niemand jemand anderen zu etwas zwingen kann. Alles hängt von deiner persönlichen Sicht der Dinge ab. Wenn du den Informationen glaubst, kannst du ohne Angst zum Grand Prix reisen. Glaubst du den Informationen nicht, bist du natürlich verunsichert. Das Leben in Japan geht weiter, das sollten wir nicht vergessen. Auch wenn es vielerorts derzeit noch auf einem Minimum passiert, so können wir dennoch bedenkenlos ins Land einreisen. Ich appelliere daher, an die Informationen zu glauben und unser Rennen wie geplant durchzuführen."
Fortschritte im zweiten Jahr als MotoGP-Pilot
Frage: "Was war rein auf den Rennsport bezogen für dich die größte Umstellung von der vergangenen Saison zu dieser?"
Aoyama: "Zunächst einmal habe ich das Team gewechselt. Inzwischen verfügt mein Team über viel Erfahrung und auch das Motorrad wird stetig etwas besser, was zur Folge hat, dass das Fahren für mich etwas einfacher wird. In Assen hatte ich zudem die Gelegenheit, für das Honda-Werksteam an den Start zu gehen. Das war eine tolle Erfahrung. Leider bin ich dann gestürzt und habe mir erneut einen Rückenwirbel gebrochen. Während der folgenden Wochen fiel es mir sehr schwer, auf dem Motorrad meine Leistung zu bringen. Inzwischen fühlt sich mein Rücken wesentlich besser an und ich kann wieder angreifen, was mich sehr freut. Bei den verbleibenden Rennen will ich zeigen, dass ich wieder ganz der Alte bin. Ich glaube fest daran, dass ich mit diesem Bike in diesem Team näher an die Spitze heranrücken kann."
Frage: "Wie lange hat es gedauert, bis dein Rücken wieder zu 100 Prozent hergestellt war?"
Aoyama: "Ich bin nach wie vor nicht bei 100 Prozent. Ich würde eher sagen, dass ich bei 80 Prozent bin. Eine solche Verletzung braucht Zeit zum Auskurieren."
Frage: "Inwiefern beeinträchtigt dich die Verletzung auf dem Motorrad?"
Aoyama: "Ich kann mich nicht so bewegen, wie ich mir das vorstelle. Seit Brünn läuft es allerdings schon deutlich besser. Ich kann jetzt anders als noch vor ein paar Wochen wieder attackieren. Generell fühle ich mich in meinem zweiten MotoGP-Jahr sehr viel wohler als noch vor einem Jahr, da mir das neue Team und das neue Motorrad einige Dinge erleichtern. Unterm Strich bin ich schneller als in der vergangenen Saison."
Frage: "Freust du dich auf eine 1.000er-Honda in der kommenden Saison?"
Aoyama: "Im Moment weiß ich noch nicht, was in Bezug auf das kommende Jahr mit mir passieren wird. Sollte ich die Gelegenheit bekommen, eine 1.000er-Maschine zu fahren, würde ich mit Sicherheit zuschlagen. Bis dahin will ich meine Position im Fahrerlager aber noch ein wenig verbessern."
Frage: "Auf welches der verbleibenden Rennen freust du dich am meisten?"
Aoyama: "Ganz klar auf Motegi (lacht). Zuvor steht uns noch ein weiteres Rennen ins Haus, bei dem ich mein Gefühl für das Motorrad weiter verbessern möchte. Ich möchte mit einem guten Rhythmus und voller Motivation und positiver Energie nach Japan reisen."

