• 27.07.2023 12:27

  • von German Garcia Casanova, Übersetzung: Mario Fritzsche

Arbolino: "Bereit für MotoGP-Aufstieg, aber es liegt nicht in meinen Händen"

Im Interview spricht Moto2-WM-Leader Tony Arbolino über sein WM-Duell mit Pedro Acosta, seine Pläne für 2024, warum er nie Teil der VR46-Akademie war, und mehr

(Motorsport-Total.com) - Man sagt, dass Pedro Acosta von den Göttern berührt wurde und dass das große Drehbuch des Schicksals die Moto2-Titelkrone für ihn bereithält, bevor er in den MotoGP-Olymp aufsteigt. Auf der Erde gibt es jedoch einen Sterblichen, der bereit ist, das Ende der Geschichte zu ändern.

Titel-Bild zur News: Tony Arbolino

Tony Arbolino führt die Moto2-WM an - Klappt es mit MotoGP-Vertrag für 2024? Zoom

Tony Arbolino führt die Moto2-Gesamtwertung derzeit mit acht Punkten Vorsprung auf Acosta an. Zwei Siege in der ersten Saisonhälfte, die in Argentinien und Frankreich errungen wurden, sowie insgesamt sechs Podestplätze haben ihn zum konstantesten Fahrer und zum Hauptkonkurrenten von Acosta im Kampf um den WM-Titel gemacht.

Arbolino, der am 3. August 23 Jahre alt wird, hat sich in dieser Saison als solider Fahrer erwiesen. Und obwohl die Wettquoten im WM-Duell gegen ihn stehen, ist er fest entschlossen, den Titelgewinn für sich und Marc VDS sicherzustellen anstatt ihn Acosta und Ajo Motorsport einfach zu überlassen.

Im Interview für die spanische Ausgabe von 'Motorsport.com' spricht Arbolino über sein WM-Duell mit Pedro Acosta, über seine Pläne für 2024, über die Gründe, warum er nie Teil der VR46-Akademie war, über seine Freundschaft mit Fabio Quartararo und Jorge Lorenzo, und mehr.

Frage: "Tony, wie war der Sommer? Hattest du Zeit zum Ausruhen oder hast du dich stundenlang vorbereitet?"

Tony Arbolino: "Nach dem zurückliegenden Rennen (Assen, wo er mit P7 sein schlechtestes Ergebnis im bisherigen Saisonverlauf eingefahren hat; Anm. d. Red.) habe ich viel trainiert. In meinem Kopf denke ich immer noch, dass mir etwas fehlt, um in dieser Meisterschaft besser zu sein. Ich habe das Gefühl, dass ich noch mehr tun kann. Ich habe zwei Wochen lang sehr hart trainiert, die dritte Woche war der Erholung gewidmet und ich war auf der schönen Insel (Ibiza). Jetzt arbeite ich wieder konzentriert in Vorbereitung auf das nächste Rennen in Silverstone."

Keine Zweifel nach P7 in Assen

Frage: "Hat der Abschluss des ersten Teils der Saison mit dem schlechtesten Ergebnis des Jahres Zweifel aufkommen lassen?"

Arbolino: "Nein, ganz im Gegenteil, das hat mir sehr geholfen. Diese fünf Wochen dienten dazu, mich zu verbessern und die Fehler zu korrigieren, die ich im ersten Teil des Jahres gemacht habe. Es war ein Ansporn, zu analysieren, was nicht funktioniert hat, und nach Wegen zu suchen, es zu verbessern. Ganz ehrlich: Ich glaube, das hat mir geholfen."

Frage: "Du stehst mit sechs Top-3-Ergebnissen, davon zwei Siege, an der Spitze der WM-Wertung. Was war das Beste und das Schlimmste am ersten Teil der Saison?"

Arbolino: "Das Beste war die Konstanz. In allen Rennen waren wir vorne dabei. Das war das Ziel, das wir uns im Team gesetzt haben. Wir waren nie weit vom Sieg entfernt und das ist sehr gut. Das Schlechte waren die schwierigen Momente, die man in jedem Rennen erlebt. Wir müssen daraus lernen, wenn die Situation oder das Motorrad mal nicht optimal ist. Ich sehe keine großen Fehler im Team oder am Motorrad. Was wir tun können, ist zu versuchen, uns zu verbessern und schneller zu werden."

Tony Arbolino

Mit der Kalex von Marc VDS führt Arbolino die Moto2-WM mit acht Punkten Vorsprung an Zoom

Frage: "Es sind noch zwölf Rennen zu fahren, maximal noch 300 WM-Punkte zu gewinnen und du führst mit acht Punkten Vorsprung auf Pedro Acosta. Wie sieht dein Plan aus, die WM-Führung zu verteidigen?"

Arbolino: "Ich habe keinen Verteidigungsplan. Ich habe in meiner Karriere noch nie verteidigt, nicht einmal, als ich mehr Punkte Vorsprung hatte (nach dem GP Frankreich führte er mit 25 Punkten; Anm. d. Red.). Meine Strategie war immer, anzugreifen, zu versuchen zu gewinnen oder, wenn das nicht möglich ist, so viele Punkte wie möglich einzufahren. Verteidigen ist nicht meine Art."

Frage: "Jake Dixon hat als Drittplatzierter schon 44 Punkte Rückstand. Wird die zweite Saisonhälfte zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Arbolino und Acosta?"

Arbolino: "Ich denke, bisher wurde ziemlich deutlich, was wir können. Wir haben ein hohes Niveau gezeigt und er und ich waren in jedem Rennen die einzigen, die vorne lagen. Ich schließe niemanden aus und erwarte auch kein Kopf-an-Kopf-Rennen. Ich werde einfach mein Ding machen. Ich werde versuchen, schnell zu sein und keine weiteren Fehler mit dem Motorrad zu machen wie es mir in Assen passiert."

"Ich konzentriere mich auf mich selbst, aber ich bin mir sicher, dass sich unser Duell bis zum Ende der Saison fortsetzen wird. Ich möchte mir selbst beweisen, dass ich einen Fahrer schlagen kann, der sehr schnell ist und der sich besser schlägt als der Rest, seit er in der Weltmeisterschaft fährt. Das ist eine Motivation."

Arbolino vs. Acosta: Stärken und Schwächen im Vergleich

Frage: "Ich weiß nicht, wie die Wahrnehmung in Italien ist, aber du lebst in Spanien und weißt, dass es in diesem Land als selbstverständlich angesehen wird, dass Acosta Weltmeister wird. Stört dich das oder motiviert dich das noch mehr?"

Arbolino: "Die Leute können viel reden und ich kann das nicht kontrollieren. Ich weiß, was ich im Kopf habe und dass ich eine Chance auf den Titel habe. Die werde ich nutzen. Er ist ganz klar ein schneller Fahrer, er hat in seinem ersten Jahr den (Moto3-)Titel gewonnen und das gibt den Leuten das Vertrauen, dass er es wieder tun wird. Aber er hat Schwächen, wie jeder andere auch, und genau da werden wir ansetzen."

Pedro Acosta, Tony Arbolino

Pedroa Acosta oder Tony Arbolino: Wer setzt sich im WM-Duell durch? Zoom

Frage: "Was sind deine Stärken im Vergleich zu Acosta und seine im Vergleich zu dir?"

Arbolino: "Das ist schwer zu sagen. Ich denke, dass ich im Rennen einen etwas kühleren Kopf habe. Ich kann auf dem Motorrad etwas mehr nachdenken, wenn es nicht so gut läuft. Ich bin nicht so heißblütig. Das ist ein Punkt zu meinen Gunsten. Er ist sehr schnell, aber das bin ich auch. Es passieren Fehler, die sich im Laufe der Saison rächen werden, aber es ist schwierig, einen hervorzuheben. Wir sind zwei sehr komplette Fahrer und es ist schwierig, bestimmte Punkte hervorzuheben. Die Art und Weise, wie wir die Saison angehen, finde ich auf jeden Fall erstaunlich."

Frage: "Zwischen 24. September und 26. November finden acht Rennen statt, davon zwei Triple-Header. Wird letztlich die körperliche oder die mentale Komponente entscheiden?"

Arbolino: "Die mentale, denn körperlich sind wir beide sehr stark. Ich weiß nicht, wie es bei ihm ist, aber ich bin sehr stark und ich denke, er ist es auch. Es wird darauf ankommen, mental stark zu sein und als Team ganz fest zusammenzuhalten. Das wird zu guten Ergebnissen und mehr Motivation für alle führen. Bei den Rennen der Asien-Tournee wird sich zeigen, wer den WM-Titel verdient."

Arbolinos Zukunft liegt nicht in seinen Händen

Frage: "Marc VDS hat im Laufe der Zeit bewiesen, dass es ein sehr gutes Team ist, aber in den vergangenen Jahren hat Ajo die Moto2-WM dominiert. Hast du das Gefühl, die gleichen Waffen zu haben wie dein Rivale?"

Arbolino: "Ja, absolut. Ich vertraue meinen Leuten und meinem Team so sehr, dass man sich das gar nicht vorstellen kann. Es ist ein großartiges Team. Wir haben viele Daten vorliegen und sind extrem motiviert. Jeder ist fokussiert und weiß über alles Bescheid. Das und die Ruhe macht uns zu einem starken Team. Die Atmosphäre ist toll, immer fröhlich. Wir kommen wirklich sehr gut miteinander aus."

Tony Arbolino

Für 2024 hofft Arbolino auf einen Vertrag in der Königsklasse MotoGP Zoom

Frage: "Im Moment werden Entscheidungen im Hinblick auf 2024 getroffen. Wo wird Tony Arbolino im kommenden Jahr fahren?"

Arbolino: "Darüber denke ich nicht nach, denn das liegt nicht in meinen Händen. Ich habe im Sommer ein wenig abgeschaltet, aber jetzt bin ich wieder am Arbeiten. Meine Absicht ist es, den MotoGP-Aufstieg zu schaffen und ich denke, ich bin besser vorbereitet als je zuvor. Aber es hängt nicht von mir ab, es liegt nicht in meinen Händen und es ist schwierig zu managen und zu wissen, wie es enden wird. Ich kann nur sagen, dass ich bereit bin."

Frage: "Würdest du den MotoGP-Aufstieg gerne direkt 2024 schaffen, unabhängig davon, ob du dieses Jahr den Moto2-Titel erringst oder nicht?"

Arbolino: "Natürlich würde ich das wollen, aber das Wichtigste ist, dieses Jahr zu gewinnen. Wir wissen, dass die (vertraglichen) Dinge erledigt sein werden, bevor die Meisterschaft entschieden ist. Alles wird in kürzester Zeit entschieden sein. Meine Absicht ist es, in die MotoGP-Klasse zu wechseln. Ich bin bereit, aber es hängt nicht von mir ab. Ich kann nur abwarten und dort, wo ich bin, weiterhin mein Bestes geben."

Warum Arbolino nie Teil der VR46-Akademie war

Frage: "Du bist 2015 und 2016 in der CEV gefahren, 2017 hast du den Sprung in die Weltmeisterschaft geschafft. Warum warst du als junger und talentierter Italiener nie Teil der VR46-Akademie?"

Arbolino: "Ich war sehr nah dran. 2013, als die Akademie gegründet wurde, war ich einer der Namen, die auf dem Tisch lagen, um mit der Akademie zu starten. Die Wahrheit ist, dass ich nicht dorthin gegangen bin, weil ich beim Team von Paolo Simoncelli unterschrieben hatte und er für mich bereits ein Name und ein wichtiger Mann war. Es war wie eine kleine Akademie, mit einem wichtigen langfristigen Projekt."

"Er hatte es im Kopf, er glaubte sehr an dieses Projekt und ich habe alles mit ihm gemacht. Aber es hat nicht geklappt, es war mein erstes Jahr in der Weltmeisterschaft und als ich dazukam, hatte sich das Team im Vergleich zu den Vorjahren verändert. Ich hatte ein bisschen Angst, aber ich habe auf sie gesetzt. Es hat nicht geklappt. In der VR46-Akademie war ich nur deshalb nicht, weil die Dinge nicht zum richtigen Zeitpunkt zusammengekommen sind, sonst nichts."

Tony Arbolino

Arbolino geht seinen eigenen Weg: Der Italiener lebt in Spanien, für VR46 fuhr er nie Zoom

Frage: "Von außen hat man den Eindruck, dass die VR46-Akademie so etwas wie der offizielle italienische Fahrerpool war, um sie in die Weltmeisterschaft zu bringen. Mittlerweile hat sich dieser Eindruck geändert. Es gibt keine jungen Talente mehr, sie sind alle etablierte MotoGP-Piloten. Kann das ein Handicap sein, um italienische Talente in die WM zu bringen?"

Arbolino: "Ja, natürlich. Je mehr Jahre vergehen und vor allem seit Valentino weg ist, gibt es keine Schule mehr in Italien. In Spanien ist es eine andere Welt, eine andere Mentalität. Die Kinder wachsen viel schneller heran, mit sieben oder acht Jahren fahren sie bereits auf Motorrädern, zu denen man in Italien keinen Zugang hat. Die Spanier haben mit 14 oder 15 Jahren doppelt so viel Erfahrung und das macht den Unterschied."

"In diesem Alter muss man die Entscheidung treffen, ob man Motorradrennfahrer werden und sich diesem Beruf widmen will. Hier in Spanien gibt es bessere Möglichkeiten, entweder wegen des Klimas, weil es viel mehr Rennstrecken gibt oder wegen der Mentalität. Die Leute in der Welt des Rennsports sind hier viel entspannter. In Italien schaut jeder mehr auf seine eigenen Interessen. Was das Nachwuchstraining angeht, ist Spanien konkurrenzlos."

Arbolinos Freundschaft mit Quartararo und Lorenzo

Frage: "Im Sommer hast du mit Fabio Quartararo trainiert, in der Vergangenheit auch mit Jorge Lorenzo. Inwieweit helfen dir diese Freundschaften dabei, dich als Fahrer weiterzuentwickeln? Oder ist das nur eine rein persönliche Angelegenheit?"

Arbolino: "Wenn ich ehrlich bin, hat sich das alles ganz natürlich entwickelt. Es hat immer sehr gut geklappt. Als ich Jorge traf, war ich an einem Punkt in meiner Karriere, an dem ich eine Veränderung brauchte. Ich brauchte etwas mehr, um mich besser vorbereitet zu fühlen. Jorge suchte nach einer Abwechslung, um schnell mit jemandem zu trainieren. Ich war in Mailand und ging nach Lugano, wo er lebt. Es ging alles sehr schnell und es wurden Beziehungen geknüpft. Ich habe dann mit seinem Trainer weitergemacht und bin auch heute noch bei ihm."

Fabio Quartararo, Jorge Lorenzo

Fabio Quartararo und Jorge Lorenzo: Zwei von Arbolinos guten Freunden Zoom

"Mit Fabio bin ich schon lange befreundet. Ich kenne ihn seit 2011. Ich habe in der Schule Französisch gelernt und er hat mir bei den Hausaufgaben geholfen. Stellen Sie sich das mal vor. Wir hatten immer ein gutes Verhältnis. Er hat mir viel geholfen. Gleiches gilt für Jorge. Ich brauchte eine Veränderung und er hat mit Ducati MotoGP-Rennen gewonnen und um den WM-Titel gekämpft. Es hat mir sehr geholfen, zu versuchen, ihn im Alltag zu imitieren. Ich habe durch ihn nicht nur auf der Strecke, sondern auch neben der Strecke viele Dinge verstanden."

Frage: "Wie denkst du über das neue MotoGP-Format? Was würdest du ändern, um es zu verbessern?"

Arbolino: "Ich glaube nicht, dass meine Meinung dazu viel wert ist. Ich mag das Format. Es ist jetzt ein bisschen schwieriger, man fährt mehr Rennen und es ist stressiger. Aber man muss sich daran gewöhnen, und das Wichtigste ist, dass es für die Fans besser ist. Alles in allem ist es positiv."

Frage: "Wer ist den Favorit auf den MotoGP-Titel in diesem Jahr? Glaubst du, dass es einen Kampf geben wird oder wird 'Pecco' Bagnaia klar dominieren?"

Arbolino: "Ich glaube, Bagnaia wird weiter gewinnen."

Frage: "Glaubst du, dass die MotoGP-WM mit acht Ducatis, die dominieren können, langweiliger geworden ist?"

Arbolino: "Wenn ich ein Ducati-Fahrer wäre, der Rennen gewinnt, würde ich sagen, es ist großartig und der Fahrer macht den Unterschied. Aber man sieht, wie die anderen leiden und es kann nicht sein, dass [Ducati] so einfach gewinnt. Aber so ist es nun mal. Dieser Sport war schon immer so. In der Formel 1 ist es dasselbe. Vor ein paar Jahren dominierte Mercedes und jetzt gewinnt jemand anderes."

"Natürlich ist Ducati einen Schritt voraus, aber die anderen Marken dürfen nicht aufhören zu arbeiten. Es gibt immer Raum für Verbesserungen und wir werden sehen, was passiert, wenn das Reglement geändert wird (2026; Anm. d. Red.). Dann werden wir sehen, ob sich die Dinge ausgleichen. Ich bin überzeugt, dass alle Motorräder gut sind und der Fahrer einen großen Unterschied macht, aber immer innerhalb der Grenzen."

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