Romain Grosjean, wird dein IndyCar-Jahr 2024 bei Juncos Revanche an Andretti?

Großes Interview mit Romain Grosjean über seine ersten Eindrücke vom Juncos-Team, Hybridtechnologie, Ovalrennen, Rücktritt, Netflix und vieles mehr

(Motorsport-Total.com) - In zwei Wochen beginnt in St. Petersburg im US-Bundesstaat Florida endlich die neue Rennsaison der IndyCar-Serie. Für Romain Grosjean wird die Saison 2024 seine vierte in den USA und seine erste für Juncos Hollinger Racing.

Titel-Bild zur News: Romain Grosjean

Romain Grosjean fährt die IndyCar-Saison 2024 für Juncos Hollinger Racing Zoom

Bei dem vom Argentinier Ricardo Juncos gegründeten Team mit Sitz in Indianapolis ist Brad Hollinger (ehemals Teilhaber des Formel-1-Teams Williams) seit 2021 Mitbesitzer. Der Rennstall zählt nicht zu den absoluten Topteams der IndyCar-Serie, macht aber stetig Fortschritte.

Zur Erinnerung: Juncos ist das Team, dem 2019 im Qualifying zum Indianapolis 500 die große Sensation gelungen ist. Mit Kyle Kaiser als Fahrer des damals nur auf Teilzeitbasis eingesetzten Juncos-Chevrolet hat man es geschafft, das McLaren-Team mit Superstar Fernando Alonso aus dem Starterfeld für das Indy 500 zu kicken.

Seit 2022 betreibt Juncos ein Vollzeitprogramm in der IndyCar-Serie. Und seit 2023 umfasst dieses Programm nicht nur ein Auto, sondern zwei. Zuletzt waren die Fortschritte des Teams so groß, dass Grosjean überzeugt werden konnte, für 2024 anzudocken. Dass Callum Ilott das Juncos-Team nach zwei Jahren verlassen hat, das kam Grosjean gerade recht. Denn für ihn selber gab es im Andretti-Team nach zwei Jahren keine Zukunft.

Nach Dale Coyne Racing und eben Andretti Autosport ist Juncos Hollinger Racing nun bereits der dritte Arbeitgeber in Grosjeans noch junger IndyCar-Karriere. Bekannt geworden ist der in Genf (Schweiz) geborene Franzose aber in der Formel 1. Dort fuhr er im Zeitraum 2009 bis 2020 für die Teams Renault, Lotus und Haas.

Einen Formel-1-Grand-Prix gewonnen hat Grosjean nie. Doch weil er den kolossalen Feuerunfall beim Grand Prix von Bahrain 2020 mit nur leichten Verbrennungen an den Händen überlebt hat, ist er im Grand-Prix-Sport vielleicht sogar nachhaltiger in Erinnerung geblieben als so mancher Rennsieger.

2024 ist die IndyCar-Serie nicht die einzige Rennserie, in der Grosjean antritt. Parallel zu seinem Vollzeitprogramm im Juncos-Chevrolet mit der Startnummer 77 in der US-Formelrennserie bestreitet der 37-Jährige ausgewählte Rennen in der größten US-Langstreckenserie, der IMSA SportsCar Championship.


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In der IMSA-Serie pilotiert Grosjean als offizieller Lamborghini-Werksfahrer den brandneuen LMDh-Boliden Lamborghini SC63. Und mit eben diesem Auto ist er nicht nur für mehrere Rennen im IMSA-Kalender gesetzt, sondern auch für die berühmten 24 Stunden von Le Mans am 15./16. Juni, den Saisonhöhepunkt der Langstrecken-WM (WEC). Zum Glück für Grosjean (und andere IndyCar-Piloten) gibt es im IndyCar-Kalender 2024 keine Überschneidung mit den 24h Le Mans.

Im Exklusiv-Interview mit unseren Kollegen von Motorsport.com Lateinamerika, einer Schwesterplattform von Motorsport-Total.com im Motorsport Network, spricht Grosjean kurz vor dem IndyCar-Saisonauftakt über seine ersten Eindrücke vom Juncos-Team, für das er kürzlich erstmals getestet hat. Er vergleicht den Chevrolet-Motor, den das Team nutzt, mit dem Honda-Motor, den er bei seinen beiden vorherigen Teams Andretti und Coyne im Rücken hatte.

Des weiteren spricht Grosjean über die geplante (und schon mehrfach verschobene) Einführung der Hybridtechnologie in der IndyCar-Serie. Er spricht über die Zusammenarbeit mit seinem neuen Teamkollegen, dem Argentinier Agustin Canapino, der in seiner Heimat ein absoluter Superstar ist.

Grosjean spricht außerdem darüber, wie er mittlerweile über die Ovalrennen denkt - eine Disziplin des Motorsports, die er für sich selber noch vor wenigen Jahren ausgeschlossen hatte. Und er erklärt, warum er von der ersten Staffel von IndyCars Doku-Serie "100 Days to Indy", die es seit einem Jahr gibt, bislang nur etwas mehr als eine Folge gesehen hat.

Juncos "ein sehr familiäres Team" - Arbeit "macht richtig Spaß"

Frage: "Romain, wie hast du dich bei Juncos Hollinger Racing eingelebt?"

Romain Grosjean: "Es läuft großartig. Ich arbeite wirklich gerne mit Ricardo Juncos zusammen. Ich mag seine Leidenschaft und seinen Einsatz für das Team. Das ist wirklich aufregend. Ich war schon ein paar Mal in Indianapolis. Wir hatten den Test in Homestead [auf dem Infield-Kurs] und wir hatten auch einen Test im Simulator im Technologiezentrum von General Motors."

"Wir haben also mit der Arbeit begonnen. In ein paar Tagen gibt es noch einen Test in Sebring, bevor wir nach St. Pete fahren. Mit allem, was ich bisher gesehen habe, bin ich absolut zufrieden. Es gibt natürlich noch einiges zu tun. Das Team ist ja gerade mal drei Jahre [in der IndyCar-Serie] dabei. Wir wissen, dass wir noch eine Menge Arbeit vor uns haben. Wir wissen, dass nicht alles perfekt sein wird. Aber ich bin aufgeregt und freue mich vor allem für die Leute, mit denen ich zusammenarbeite."

Frage: "Was für eine Art von Team findest du dort vor? Du bist in deiner Karriere schon für viele große Teams gefahren, in jüngster Vergangenheit auch für ein großes IndyCar-Team. Welche Art von Team und welche Leute hast du nun bei Juncos kennengelernt?"

Ricardo Juncos

Grosjeans neuer Boss: Teamgründer Ricardo Juncos aus Argentinien Zoom

Grosjean: "Es ist ein sehr familiäres Team mit vielen Leuten, die schon sehr lange zusammenarbeiten. Viele dieser Leute kennen sich schon sehr lange. Der Sohn und der Bruder von Ricardo arbeiten in der Teamfabrik mit. Das ist schön zu sehen. Es ist ein sehr internationales Team. Wir haben natürlich Argentinier, aber auch Spanier, Engländer, Franzosen und sehr nette Amerikaner. Das macht richtig Spaß."

"Es ist toll, all die Fahnen der unterschiedlichen Nationalitäten der Teammitglieder zu sehen. Ich genieße diese Atmosphäre. Ja sicher, es ist ein kleineres Team. Wir haben zwei Autos, also sind es schon ein paar Leute weniger als in einem Team mit vier Autos. Aber ich habe das Gefühl, dass man im Team genau weiß, wo man steht, wo man hin will, und was wir gemeinsam tun müssen, um dorthin zu kommen."

Wird 2024 für Grosjean zur Revanche an Andretti?

Grosjeans Karriere als Formel-1-Pilot ging mit dem Horrorunfall vom 29. November 2020 in Bahrain zu Ende. In seiner ersten IndyCar-Saison - 2021 im Team von Dale Coyne - war er direkt für Überraschungen gut, obwohl Coyne wie auch Juncos nicht zu den ganz großen Teams der Szene zählt.

Dreimal fuhr Grosjean in seiner Rookie-Saison auf das Podium. Mit etwas mehr Glück hätte er schon an seinem dritten IndyCar-Wochenende nicht nur als Polesetter, sondern auch noch als Rennsieger gejubelt. Am Saisonende 2021 hatte er in der Rookie-Wertung nur knapp das Nachsehen gegen Penske-Pilot Scott McLaughlin - und das obwohl Grosjean zu drei (Oval-)Rennen im Kalender gar nicht angetreten war.

Für 2022 wurde Grosjean von Michael Andretti unter Vertrag genommen. Diese Zusammenarbeit, die letztlich zwei Jahre dauerte, hielt aber nicht das, was sich beide Seiten von ihr versprochen hatten. Neben Podestplätzen und Poles lieferte Grosjean auch einiges an Schrott ab. In die Top 10 der IndyCar-Gesamtwertung kam er weder 2022 noch 2023. Allerdings schnitt sein hoch eingeschätzter Teamkollege Colton Herta auch nicht viel besser ab.

Zwar gelangen Grosjean in seinen zwei Andretti-Jahren drei Podestplätze und zwei Poles, aber menschlich knirschte es. Als er Ende 2023 vor die Tür gesetzt wurde, leitete er sogar rechtliche Schritte ein. Der geschasste Franzose verklagte den Rennstall, der jetzt Andretti Global heißt.

Michael Andretti, Romain Grosjean

Andretti Autosport und Grosjean zeigten beidseitig nicht die erhoffte Performance Zoom

Die Gründe wurden nicht öffentlich gemacht. Aber dass man ursprünglich gemeinsam weitermachen wollte, Andretti dann aber einen Rückzieher gemacht hat, das gilt inzwischen als offenes Geheimnis. Anstelle von Grosjean wird der Andretti-Honda mit der Startnummer 28 in der IndyCar-Saison 2024 von Marcus Ericsson pilotiert.

Frage: "Romain, deine Zeit bei Andretti ist nicht so zu Ende gegangen, wie du es dir erhofft hattest. Bist du in der Saison 2024 auf eine Art Revanche aus? Willst du mit Juncos etwas beweisen?"

Grosjean: "Nein, keine Revanche. Es gibt nichts zu beweisen. Es gibt nur mich, der es liebt, Rennen zu fahren und der es liebt, einen IndyCar-Boliden zu fahren. Ich bin sehr stolz auf meine Karriere. Ich habe noch viel Energie, die ich nutzen kann."

"Es macht mir immer noch Spaß, für Lamborghini den SC63 und für Juncos den IndyCar-Boliden zu fahren. Ich mache es einfach, weil ich es liebe und weil ich glaube, dass ich gut darin bin. Hoffentlich kann ich Juncos helfen, das nächste Level zu erreichen. Das wäre eine ziemlich coole Geschichte."

"Kurios, wie unterschiedlich gleiche Autos sein können"

Frage: "Verglichen damit, was du bei Andretti zur Verfügung hattest, wie hast du dich bei deinem ersten Test für Juncos gefühlt? Es ist ja das gleiche Chassis von Dallara, aber ein anderer Motor, ein anderes Team und andere Ressourcen, nicht wahr?"

Grosjean: "Es ist schon witzig. In der IndyCar-Serie sind eigentlich alles Autos gleich, aber sie fahren sich so unterschiedlich. Es ist wirklich kurios, wie unterschiedlich gleiche Autos sein können. Ich war zufrieden mit dem, was wir am ersten Tag in Homestead hatten. Am zweiten Tag haben wir ein paar Änderungen vorgenommen und waren damit etwas weniger glücklich. Ich glaube allerdings auch, dass Homestead eine sehr spezielle Rennstrecke ist. Ich glaube nicht, dass sie repräsentativ für die Saison ist."

"Es ging also mehr darum, die Leute im Team kennenzulernen, ins Auto zu springen, und alle Dinge im Auto zu verstehen. Damit meine ich die Funktionen am Lenkrad, den Speedlimiter für die Boxengasse und natürlich auch den Chevy-Motor, der richtig gut zu laufen scheint. Das war sehr interessant für mich."


Romain Grosjeans erster Test für Juncos Hollinger Racing

"Ich habe begonnen, mit meinen Ingenieuren zu arbeiten, sodass sie verstehen, was meine Worte in Bezug auf die Abstimmung des Autos bedeuten. Und wie ich schon gesagt habe, sind wir danach in den Simulator gegangen und hatten richtig gute Daten. Das war gut."

Frage: "Was hast du beim Fahren mit dem Chevrolet-Motor im Vergleich zum Honda-Motor festgestellt?"

Grosjean: "Ehrlich gesagt war es ein sehr sanfter, sehr einfacher Wechsel. Ich finde, beide Motoren haben ihre Stärken und ihre Schwächen. Beide Hersteller arbeiten wirklich hart an der Leistungsentfaltung, an der Fahrbarkeit und an den Tools, die es gibt."

"Es gab keinen Schock. Es gab nichts, was ich geändert haben wollen würde oder womit ich unzufrieden gewesen wäre. Wenn wir zu den Rennen gehen, haben wir natürlich immer ein bisschen mehr Motorleistung. Wir werden sehen, wo wir stehen, wenn wir die volle Leistung abrufen. Aber ja, bislang bin ich sehr zufrieden mit Chevy. Der Motor fühlt sich gut an und von ihrem Simulator war ich ebenfalls sehr beeindruckt."

Frage: "Weißt du schon, worauf du dich jetzt konzentrieren musst, um das Beste aus diesem Auto herauszuholen? Auf deinen Fahrstil oder auf etwas anderes?"

Romain Grosjean

Auf seine neue Herausforderung bei Juncos freut sich Grosjean Zoom

Grosjean: "Nun, ich denke, wir haben eine erste Vorstellung davon, wo wir ansetzen müssen und woran wir arbeiten wollen. Wir müssen auch bedenken, dass wir jetzt zu Beginn der neuen Saison ein leichteres Getriebe haben als im vergangenen Jahr. Die Autos sind also am Anfang der Saison leichter. Aber wenn dann der Hybridantrieb kommt, werden sie schwerer sein und die Gewichtsverteilung wird sich wieder verschieben."

"Daher glaube ich, dass es eine zweigeteilte Saison wird. Anhand dessen, was ich im vergangenen Jahr gesehen habe, glaube ich, dass wir ein schnelles Auto haben, mit dem wir überall Rundenrekorde aufstellen können. Das wird spannend. Ich kenne ein paar Bereiche, an denen wir arbeiten können, aber ich würde gerne den Sebring-Test [am 26./27. Februar] abwarten, um eine bessere Vorstellung und ein besseres Verständnis davon zu haben, wo wir uns am meisten verbessern können."

Warum Grosjean vom Hybridantrieb noch nicht überzeugt ist

Eigentlich sollte das Renndebüt der IndyCar-Hybridmotoren beim Saisonauftakt 2024, der in zwei Wochen in St. Petersburg stattfindet, erfolgen. Schon das wäre gegenüber dem ursprünglich verkündeten Fahrplan eine deutliche Verspätung gewesen.

Doch weil das Zusammenspiel der Turbomotoren von Chevrolet und Honda mit der ERS-Einheit noch immer nicht ausgereift genug ist - und auch noch längst nicht von allen Teams auch nur einmal auf der Strecke getestet wurde - hat man das Hybrid-Debüt abermals verschoben.

Der aktuelle Stand der Dinge ist der: Ab einem noch nicht näher spezifizierten Zeitpunkt nach dem Indy 500 soll mit der Hybridtechnik Rennen gefahren werden. Wann genau das sein wird, das ist Stand heute aber ebenso offen wie, ob es überhaupt noch in der Saison 2024 soweit sein wird, oder aber ob man womöglich sogar noch bis zum Saisonauftakt 2025 wartet.

Abgesehen von den Topteams Ganassi, Penske, McLaren und Andretti, die mittlerweile mehrmals mitsamt der ERS-Einheit auf der Strecke testen waren, kennen alle übrigen IndyCar-Vollzeitteams - Carpenter, Coyne, Foyt, Rahal, Shank und eben auch Juncos - die Hybridtechnologie bislang nur aus dem Simulator.

Hybrid: IndyCar mit Honda-Motor und ERS

Wann wird ERS auch für die Rennen an die Motoren von Honda und Chevy gekoppelt? Zoom

Für Grosjean ist die Hybridtechnologie - sobald sie denn ausgereift ist - ein weiterer Baustein, um Relevanz und Nachhaltigkeit der IndyCar-Serie zu erhöhen. Zwei andere Schritte auf diesem Weg sieht er schon getan.

So kommen seit der zweiten Saisonhälfte 2022 auf allen Stadtkursen die grün markierten Reifen von Firestone zum Einsatz. Deren Flanke ist aus einem speziellen Kautschuk gefertigt, der aus gezüchteten Guayule-Pflanzen gewonnen wird.

Und seit Saisonbeginn 2023 fahren die IndyCar-Boliden ausschließlich mit hundertprozentig nachhaltigem Kraftstoff. Laut Shell, dem alleinigen Kraftstofflieferanten für alle Teams, ist damit der CO2-Ausstoß im Vergleich zu fossilem Kraftstoff um mehr als 60 Prozent gesenkt worden.

Frage: "Romain, mit der Hybridtechnologie bist du im Simulator gefahren. Was hältst du davon?"

Grosjean: "Ich habe sie ausprobiert und denke, ich bin ganz gut damit zurechtgekommen. Natürlich sind wir damit langsamer, weil das Auto insgesamt schwerer ist. Den Anteil an Rundenzeit, den wir durch das höhere Gewicht verlieren, machen wir auf den Geraden noch nicht wieder wett. Vielleicht wird die Technologie in Zukunft besser und wir werden in der Lage sein, das zu schaffen."

"Ich habe den Hybrid aber noch nicht im echten Leben ausprobiert. Soweit ich weiß bekommen wir Ende März in Indianapolis die Chance, zum ersten Mal damit zu fahren. Und dann wird es irgendwo einen weiteren Test geben, bei dem wir den Hybrid ausprobieren können. Dann werden wir sehen, ob er funktioniert und wie er für ein Team funktioniert, das noch keine Daten und noch keine Erfahrung damit hat."

Frage: "Auch wenn die Autos dadurch schwerer sind und vielleicht nicht so schnell wie es die Fahrer gerne hätten, gefällt dir persönlich diese Art von Technologie, die es mittlerweile in so vielen Rennserien gibt?"

"Ich mache mir Sorgen, dass sie vor allem für die kleinen Teams zu einem Problem werden könnte." Romain Grosjean über Hybridtechnologie

Grosjean: "Ich glaube, es ist wichtig, dass wir versuchen Technologien weiterzuentwickeln und besser zu werden in dem, was wir tun. Meiner Meinung nach hat Firestone gute Arbeit geleistet, indem man mehr pflanzliche Anteile in die Reifen eingebracht hat, um sie etwas weniger umweltschädlich zu machen."

"Ich finde, auch der Kraftstoff war im vergangenen Jahr ein großer Schritt in der IndyCar-Serie. Und die Hybridtechnologie ist mit Sicherheit eine sehr, sehr leistungsfähige Technologie. Die Formel 1 hat da ein Niveau erreicht, das sehr beeindruckend ist."

"Aber diese Technologie ist eben auch sehr, sehr teuer und sehr kompliziert zu betreiben. Deshalb mache ich mir Sorgen, dass sie für die Teams, vor allem für die kleinen Teams, zu einem Problem werden könnte."

"Ich will nicht, dass unsere Rennen, die absolut fantastisch anzusehen sind, wegen einer Technologie, die eine große Rolle spielen kann, ein bisschen weniger gut werden. Wir werden sehen. Sicherlich ist es wichtig, dass wir die Technologie einsetzen, aber ich will erst sehen, wie sie sich in der Praxis bewährt."

Nach erstem Test: Grosjean schätzt Teamkollege Canapino hoch ein

Romain Grosjeans Teamkollege bei Juncos Hollinger Racing ist Agustin Canapino. Der Argentinier geht in in seine zweite IndyCar-Saison, nachdem er in seiner Rookie-Saison 2023 mehrfach für hochgezogene Augenbrauen sorgte - und das beileibe nicht nur bei Teambesitzer Ricardo Juncos.

Canapino kommt nicht aus dem Formelsport, sondern aus dem Tourenwagensport. In seiner Heimat Argentinien hat er die nationale Tourenwagen-Meisterschaft in der Topklasse (Super TC2000) zweimal als Champion beendet. Über alle Klassen gerechnet hat es Canapino in der Tourenwagen-Szene Argentiniens sogar auf mehr als ein Dutzend Titel gebracht.

In der IndyCar-Saison 2023, seiner ersten Saison überhaupt im Formelsport, verpasste Canapino direkt bei seinem Debüt (St. Petersburg) nur knapp die Top 10. In die Top 15 hat er es im Verlauf der Saison fünfmal geschafft - und das in einem Feld mit 27 Vollzeitautos, deren Piloten durch die Bank über mehr Formelsporterfahrung verfügten als er selber.

Ganz abgesehen von seinen erstaunlichen Leistungen im Cockpit hat sich Canapino in seiner ersten Saison in den USA auch mit seiner charmanten Art und seinem Willen, Fuß zu fassen, schnell viele Freunde gemacht. Noch vor einem Jahr sprach er kaum ein Wort Englisch. Mittlerweile geht er mit der für ihn fremden Sprache ebenso souverän um wie mit einem IndyCar-Boliden.

Frage: "Romain, mit deinem neuen Teamkollegen Agustin hast du schon ein bisschen gearbeitet. Was kannst du über ihn sagen?"

Agustin Canapino

Grosjeans Teamkollege bei Juncos: Agustin Canapino aus Argentinien Zoom

Grosjean: "Ja. Der Test in Homestead war eine gute Gelegenheit, Daten zu vergleichen und seine Herangehensweise zu sehen. Er arbeitet sehr intensiv, ist sehr engagiert. Er ist ein sehr netter Mensch und meiner Meinung nach ein sehr guter Fahrer. Ich freue mich darauf, mit ihm zu arbeiten."

"Ich glaube, ich kann ihm ein wenig von meinem Wissen über Formelrennen weitergeben. Und ich bin mir sicher, dass ich auch viel von ihm lernen kann, einfach aufgrund seines Hintergrunds und all seiner Titel. Ich glaube, er ist sehr intelligent. Er ist sehr freundlich und sehr ehrlich. Das gefällt mir. Und er ist auch sehr talentiert."

Frage: "Habt ihr denselben Fahrstil, sodass ihr in dieselbe Richtung arbeiten könnt?"

Grosjean: "Als ich in Homestead in sein Auto gesprungen bin, war ich glücklich damit. Und im Simulator fühlte er dasselbe wie ich. Wir haben also zumindest ein ähnliches Feedback zum Auto. Daher wäre es sehr hilfreich, zu Beginn der Rennwochenenden zwei unterschiedliche Abstimmungen auszuprobieren, um dann die beste für uns beide zu finden."

Frage: "Was hast du schon über die argentinische Kultur gelernt?"

Grosjean: "Ich habe gelernt, dass das argentinische Spanisch sehr schwer zu verstehen ist und sich sehr vom Spanischen unterscheidet. Ich habe gelernt, dass das argentinische Fleisch wahrscheinlich eines der besten der Welt ist. Und mir gefällt, wie gerade heraus die Argentinier sind. Ich liebe die lateinamerikanische Art. Ich liebe es, dass wir lachen und Spaß haben können. Und wer weiß, vielleicht machen wir ja am Ende der Saison mal ein Interview auf Spanisch!"

Frage: "Sportlich wird es für 2024 wohl das Ziel sein, konstant in die Top 10 zu fahren, oder?"

Grosjean: "Ja, ich denke schon. Ich glaube, die Top 10 sind ein realistisches Ziel, das wir anstreben können. Je länger die Saison dauert und je mehr Fortschritte wir machen, desto mehr werden wir versuchen, in die Top 5 oder noch weiter nach vorne zu kommen. Vergangenes Jahr war Juncos in Portland und Laguna Seca sehr stark. Es ist gut, dass wir diese Rennen diesmal im Sommer haben."

"Das Team hat sich in St. Pete gut geschlagen, weil sie durchgekommen sind. Ich glaube aber nicht, dass sie von der Performance her genau da waren, wo sie sein wollten. Ich selber bin im vergangenen Jahr [für Andretti] in St. Pete auf die Pole gefahren. Ich weiß also, was ein sehr gutes Auto ist."

Callum Ilott, Agustin Canapino

2023 (Foto) fuhr Callum Ilott den #77 Juncos-Chevrolet, den jetzt Grosjean fährt Zoom

"Wir werden natürlich versuchen, das umzusetzen und uns zu verbessern. Anhand dessen, was ich in der Vergangenheit gesehen habe, glaube ich, dass das Qualifying ein Bereich ist, in dem sich das Team noch steigern kann. Das ist definitiv etwas, woran wir arbeiten werden."

Frage: "Ist das nur eine Frage der Abstimmung und der Abläufe im Team?"

Grosjean: "Ich glaube, es ist noch ein bisschen früh, um das sagen zu können. Ich muss das Auto erst noch besser kennenlernen. Sicherlich geht es im Qualifying darum, das Beste aus seinen Leuten, seinem Fahrer, dem Motor, dem Auto und den Reifen herauszuholen. Wenn man die Reifen nicht so zum Arbeiten kriegt, wie man es sich für das Qualifying wünscht, dann wird man nicht das Maximum herausholen können."

"Es ist immer ein Kompromiss. Aber ich glaube, wir können auf jeden Fall daran arbeiten, dass wir im Qualifying das Maximum herausholen. Wir fahren in der IndyCar-Serie auf Rundstrecken, auf Stadtkursen und auf Ovalen. All diese Streckentypen sind unterschiedlich. Hoffentlich können wir einen Weg finden, überall gut auszusehen."

Nach Ablehnung noch vor drei Jahren: Wie Grosjean heute über Ovale denkt

Romain Grosjean spricht die Ovale an. Dazu ein Rückblick: Als er noch Formel 1 fuhr, hatte er Ovalrennen für seine Zukunft noch ausgeschlossen. "Mich zieht es eigentlich nicht aufs Oval. Das schreckt mich sogar ab. Das will ich nicht machen", sagte er im September 2020, als er noch bei Haas unter Vertrag stand.

Zwei Monate später passierte der Horrorunfall in Bahrain, der Grosjeans Formel-1-Karriere beendet hat. Als der Franzose für 2021 in die IndyCar-Serie wechselte, ließ er in seiner Rookie-Saison die Ovale zunächst aus. Im August aber ging er dann aber doch erstmals auf einem solchen an den Start, und zwar auf dem kurzen Oval im Gateway Motorsports Park in St. Louis.

Bei seinem Ovaldebüt kam Grosjean auf den Geschmack. Und als er für 2022 zu Andretti wechselte, beinhaltete dieser Vertrag nicht nur die kurzen Ovale im Kalender, sondern auch die großen, richtig schnellen Ovale. Das war damals neben dem berühmten Indianapolis Motor Speedway noch der Texas Motor Speedway, der 2024 nicht mehr im IndyCar-Kalender auftaucht.

Romain Grosjean

St. Louis, August 2021: Für Dale Coyne Racing fährt Grosjean sein erstes Ovalrennen überhaupt Zoom

Frage: "Romain, was die Ovalrennen angeht, gefallen sie dir jetzt nach ein paar Jahren? Hast du diese Art von Rennen lieben gelernt? Schließlich sind sie ganz anders als das, was du in deiner Karriere in Europa erlebt hast, nicht wahr?"

Grosjean: "Die kurzen Ovale gefallen mir richtig gut. Dort kann man als Fahrer viel machen, weil es mehrere Linien gibt. Das macht Spaß. Die großen Ovale aber, und da will ich ehrlich sein, sind etwas anderes."

"Auf dem Texas Motor Speedway hatte ich im vergangenen Jahr ein sehr gutes Auto. Das hat Spaß gemacht. Ich fuhr an der Spitze mit, wir hatten einen guten Speed. Beim Indy 500 hingegen habe ich mich nie richtig wohlgefühlt. Dort hatte ich nie das Gefühl, dass ich ein schnelles Auto habe. Deshalb hat mir das nie wirklich Spaß gemacht. Hoffentlich wird das in diesem Jahr anders sein."

Rücktritt mit 40: Steht Grosjeans Versprechen an seine Frau noch?

Übrigens: Sein brutaler Formel-1-Crash vom November 2020 in Bahrain, beim er sich gerade noch rechtzeitig aus dem Feuer befreien konnte, verfolgt Grosjean in gewisser Weise bis heute.

Seit der Ex-Formel-1-Pilot in der IndyCar-Serie fährt, hat er sich den Spitznamen "The Phoenix" zur Marke gemacht. Bestandteil davon ist unter anderem ein eigenes Logo, das Grosjean auf seinem Cap und auf seinem Helm trägt. Auch in seiner E-Mail-Kommunikation taucht der Spitzname "The Phoenix" auf.

Geht es nach Romain Grosjean selbst, dann wird er als "The Phoenix" - sozusagen als Phönix aus der Asche - der IndyCar-Serie und dem Motorsport generell noch einige Jahre als Fahrer erhalten bleiben.

Romain Grosjean

Seit seinem IndyCar-Debüt 2021 (Foto) tritt Grosjean als "The Phoenix" auf Zoom

Wenn es seine Zeit erlaubt, schaut Grosjean auch heute noch immer mal wieder im Formel-1-Paddock vorbei, um seine ehemaligen Kollegen zu treffen. Seinen Lebensmittelpunkt aber hat er längst in die USA verlegt. Im Süden von Miami, in Coral Gables, hat er sich mit seiner Ehefrau - TV-Moderatorin Marion Jolles - und den drei Kindern niedergelassen.

Zu den IndyCar-Rennen im Land fliegt Grosjean gerne mal mit dem Privatjet. Im Gegensatz zu vielen anderen Rennfahrern heißt das für ihn aber nicht, dass er geflogen wird, sondern dass er selber fliegt. Im Winter 2022/23 hat der Ex-Formel-1-Pilot seine Fluglizenz gemacht.

Frage: "Romain, kannst du dir vorstellen, noch lange Zeit auf diesem Niveau in den USA zu fahren? Denkst du über dieses Thema überhaupt schon nach oder noch nicht?"


Romain Grosjean als Pilot - im Flugzeug

Grosjean: "Ja, natürlich. Ich denke darüber nach, weil ich dem Ende meiner Karriere näher bin als dem Anfang. Ich glaube nicht, dass ich noch 25 Jahre vor mir habe. Zu meiner Frau habe ich immer gesagt, wenn ich 40 bin, werde ich nicht mehr fahren. Ich kann nur sagen, im April werde ich 38 Jahre alt und ich fühle mich noch nicht bereit, mich zur Ruhe zu setzen."

"Ich habe das Gefühl, dass ich noch immer mein Bestes gebe und immer noch mehr tue als ich sollte, was das körperliche Training und die Vorbereitung angeht. Ja, ich liebe es einfach. Solange ich konkurrenzfähig sein kann, solange ich ein gutes Cockpit in der IndyCar-Serie und im Langstreckensport finden kann, solange werde ich weitermachen."

"Natürlich wird eines Tages der Punkt kommen, an dem ich an mir selber zweifeln werde oder das Gefühl haben werde, dass ich vielleicht ein bisschen von meinem Speed verloren habe. An diesem Tag würde ich dann aufhören, aber dieser Tag ist noch nicht gekommen."

Frage: "Macht es dir heute mehr Spaß, Rennen zu fahren als es vielleicht vor fünf Jahren oder zu einem anderen Zeitpunkt in deiner Karriere der Fall war? Oder konntest du deine Rennen sowieso immer genießen?"

Grosjean: "Die meiste Zeit habe ich es genossen. Es gab ein paar Saisons, in denen es mir etwas weniger Spaß gemacht hat. Wenn ich noch einmal anfangen müsste, würde ich die Dinge ein wenig anders angehen. Aber ich würde schon sagen, dass es mir die meiste Zeit über Spaß gemacht hat. Und ehrlich gesagt fühle ich mich richtig frisch und bereit für die Saison mit Juncos und auch mit dem SC63 von Lamborghini."

Was Grosjean an "100 Days to Indy" kritisiert

Zum Schluss noch ein ganz anderes Thema: Mehr und mehr Rennserien bringen ihre eigene Doku-Serie an den Start. Die Formel 1 hat mit "Drive to Survive" auf der Streaming-Plattform Netflix den Anfang gemacht. Auf Amazon Prime gibt es "MotoGP Unlimited" über die Königsklasse der Motorrad-WM. Das neueste Beispiel ist "NASCAR: Full Speed" auf Netflix, wo es um die Playoffs der NASCAR-Saison 2023 geht.

Auch die IndyCar-Serie hat im vergangenen Jahr ihre eigene Doku-Serie an den Start gebracht, nämlich "100 Days to Indy", wo es um den Countdown zum Indy 500 des Jahres 2023 geht. Diese Doku-Serie allerdings wurde nicht von Beginn an auf einer Streaming-Plattform angeboten. Stattdessen lief die erste Staffel im Frühjahr 2023 zunächst exklusiv auf dem US-amerikanischen TV-Sender CW.

Erst seit wenigen Tagen ist die erste Staffel von "100 Days to Indy" auf der Streaming-Plattform Paramount+ verfügbar und ist damit erstmals auch international zu sehen. Derweil geht Ende April auf dem TV-Sender CW die zweite Staffel an den Start, in der es sich um den Countdown zum Indy 500 des Jahres 2024 drehen wird.

Frage: "Romain, was hältst du von '100 Days to Indy'? Und wie siehst du den Vergleich zu 'Drive to Survive' in der Formel 1?"

100 Days to Indy: IndyCar-Doku auf Paramount+

100 Days to Indy: Zunächst exklusiv im US-TV, seit kurzem auf Paramount+ Zoom

Grosjean: "Ich habe nicht viel von der ersten Staffel [von '100 Days to Indy'] gesehen, weil da zu viel Werbung gesendet wurde. Das war einfach zu viel für mich. Ich komme aus Europa, wo wir werbefreies Fernsehen haben. Sobald die erste Staffel auf einer Plattform ausgestrahlt wird, wo es keine Werbung gibt, schaue ich mir sie auf jeden Fall an."

"Die erste Folge habe ich mir angeschaut und da ging es nur um Penske, was ja auch irgendwie Sinn ergibt, weil Penske meines Wissens der Promoter war. Dann habe ich noch ein bisschen was über Pato [O'Ward] gesehen und es hat mir gefallen, aber weiter habe ich nicht geschaut. Ich hoffe also, dass ich es mir anschauen werde, wenn es auf einer anderen Plattform läuft. Ich hoffe, sie machen weiter und ich hoffe, sie können eine weitere Staffel produzieren."

"Netflix macht da einen sehr, sehr guten Job. 'Drive to Survive' habe ich natürlich gesehen. Ich habe auch 'Breakpoint' gesehen und ich habe 'Full Swing' gesehen. Im Moment schaue ich mir 'NASCAR' an und muss wirklich sagen, sie machen einen richtig guten Job bei Netflix. Ich glaube, das einzige, was ich über '100 Days to Indy' sagen kann, das ist das, dass es schwierig zu sehen war, weil es schwer zu finden war."

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