Williams: 20 Mal so gut wie 2011?

Mark Gillan begründet, warum er sich viel vom FW34 verspricht, und Williams-Großaktionär Toto Wolff träumt sogar von bis zu 100 WM-Punkten

(Motorsport-Total.com) - Nach der schlechtesten Saison in der Teamgeschichte - trotz des erst seit 2010 gültigen Wertungssystems holte man nur fünf Punkte und den neunten Rang in der Konstrukteurs-WM - visiert Williams 2012 eine deutliche Steigerung an. Wenn es nach Großaktionär Toto Wolff geht, soll das Vorjahresergebnis im Idealfall verzwanzigfacht werden. Das würde einen Sprung vom neunten auf den fünften Platz in der Teamwertung bedeuten.

Titel-Bild zur News: Mark Gillan und Bruno Senna

Chefingenieur Mark Gillan (links) mit Williams-Neuzugang Bruno Senna

"Wenn ich mich am letzten Jahr orientiere, dann sollten es mindestens 80, 90 Punkte werden, vielleicht 100. Das wäre schon das angestrebte Ziel", gibt der Österreicher gegenüber 'ServusTV' eine ehrgeizige Marschroute für die kommende Saison vor. Aber die Wintertests sind auch positiv verlaufen: Mit über 5.300 Kilometern ist der neue FW34 das unangefochtene Dauerlauf-Wunder der Formel-1-Generation 2012, und genau wie Red Bull oder auch Ferrari reichte es immerhin zu einer Tagesbestzeit.

Regelmäßige Punkte als Mindestziel

Pastor Maldonado hofft in der bevorstehenden Saison sogar auf seine ersten Podestplätze in der Formel 1, Chefingenieur Mark Gillan wäre auch schon mit weniger zufrieden: "In den Top 10 qualifizieren und in die Punkte fahren" muss seiner Meinung nach das Ziel sein: "Wenn wir konstant in die Punkte fahren, würde mich das schon sehr freuen, denn das wäre eine Verbesserung. Von da weg schauen wir uns dann an, wie sich alles entwickelt, aber so etwas geht nicht über Nacht. Es muss richtig gemacht werden."

Gillan ist im Jahr eins nach Sam Michael und dem endgültigen Ausstieg von Patrick Head aus dem technischen Tagesgeschäft hinter Mike Coughlan sozusagen die Nummer zwei bei Williams. "Patrick Head", sagt Wolff zu diesem Führungswechsel, "hat in der Formel 1 viele Jahrzehnte hervorragende Arbeit geleistet, mit unzähligen Weltmeister-Titeln und Siegen. Jetzt ist eine neue Generation dran. Mit dem Team ist es die letzten Jahre bergab gegangen. Ich würde sagen, viel schlechter als 2011 kann es nicht mehr laufen."

"Ich glaube, dass wir durch einen guten Restrukturierungs-Prozess gelaufen sind. Wir haben die ganze technische Mannschaft ausgetauscht, haben einen neuen technischen Leiter, einen neuen Aerodynamiker und viele andere mehr, die nicht ganz so sichtbar sind", erklärt Wolff. "Was wir bei den ersten Tests gesehen haben, deutet darauf hin, dass das Auto besser ist. Wie jemand so prägend gesagt hat: Wir lernen zu gehen, bevor wir laufen, aber letztes Jahr sind wir nicht einmal gegangen."

Bruno Senna

Bruno Senna während der Testfahrten in Barcelona im neuen FW34 Zoom

Gutes Gefühl dafür, wo man steht

Auch laut Gillan hat man bei Williams schon "eine sehr gute" Idee davon, wo man zwei Wochen vor dem Saisonbeginn steht: "Von einem Tag zum anderen ist es sehr schwierig, die Situation einzuschätzen, aber wenn man die Tests in ihrer Gesamtheit betrachtet, kann man schon ungefähr sagen, was die einzelnen Teams machen. Wir wissen ungefähr, wo wir stehen, aber natürlich ist nichts hundertprozentig sicher - und es gibt auch keinen Preis dafür, jetzt Bestzeiten zu fahren", ist sich der Brite bewusst.

"Es scheint sehr eng zu sein", sagt er über das aktuelle Kräfteverhältnis, das er im Detail noch nicht einzuordnen wagt: "Es ist wirklich schwierig, weil es immer Toleranzen gibt, aber fest steht, dass es ziemlich eng zugehen wird. Ersichtlich ist auch, dass einige Fahrer - sogar innerhalb ihrer eigenen Teams - besser zurechtkommen als andere, zum Beispiel mit den Reifen besser umgehen. Ich glaube, es wird ein interessantes Jahr, ein harter Kampf. Aber von dem, was wir sehen, sind wir vorsichtig optimistisch."

Wenig zu hören war bisher von Teamchef Frank Williams selbst, der übrigens kürzlich aus dem Vorstand ausgeschieden ist und die Familieninteressen in diesem Gremium nun durch seine Tochter Claire vertreten lässt. Der 69-Jährige hofft, dass sein Rennstall die pechschwarze Saison 2011 dieses Jahr mit einem besseren Auto vergessen machen kann. "Ich bin kein Ingenieur, aber ich habe schon viele gute und viele schlechte Autos gesehen - und unseres war nicht schnell genug", sagt er im Interview mit 'F1 Racing' über den vorjährigen FW33.

"Warum war es nicht schnell genug? Es hatte in den meisten wichtigen Bereichen Defizite, aber vor allem hatten wir ein riesiges Defizit im wichtigsten aller Bereiche, nämlich der Aerodynamik. Und es fehlte vielleicht auch ein bisschen PS-Leistung", übt er auch diplomatische Kritik am inzwischen gegen Renault ausgetauschten Ex-Motorenpartner Cosworth. Aber: "Es war einfach kein schnelles Auto. Und ich glaube nicht, dass es viel Ballast mit sich trug. Einige unserer cleveren Gegner konnten mit enorm viel Ballast spielen, was ein großer Leistungsvorteil ist."

Größte Schwächen angeblich ausgemerzt

Frage an Gillan: Zu wie viel Prozent habt ihr die gesetzten Designziele mit dem neuen FW34 erreicht? "Ich kann das nicht mit einer Prozentzahl ausdrücken, aber die wäre ziemlich hoch", sagt der Chefingenieur selbstbewusst. "Die größten Schwächen haben wir Ende der vergangenen Saison intensiv unter die Lupe genommen. Einige sind noch nicht komplett ausgemerzt - daran arbeiten wir noch. Aber wir haben überall Fortschritte gemacht und einige Schwächen sind wir sogar komplett losgeworden, was sehr ermutigend ist."

"Was mich besonders freut: Im Vorjahr hatten wir manchmal bei der Fertigung vor Rennen Schwierigkeiten, auch was die wiederholte Produktion von Komponenten angeht. Dieses Jahr haben wir da einen großen Fortschritt gemacht", lobt er die Neuorganisation der Technikabteilung seit dem Weggang von Sam Michael. "Das ist der Fabrik, der Produktion und dem Design zu verdanken. Die Designs sind besser, besser gefertigt. Die Qualität des Autos ist insgesamt besser geworden - und das sieht man auch, wenn es fährt."

Nick Heidfeld, Christian Danner, Andreas Gröbl, Adrian Sutil, Toto Wolff und Peter Schöggl am Hangar-7 in Salzburg

Toto Wolff (Zweiter von rechts) im Studio von 'ServusTV' am Hangar-7 Zoom

Michael-Nachfolger Coughlan habe "in der Fabrik wichtige Schritte gesetzt, damit wir an der Strecke das bekommen, was wir uns wünschen", hält Gillan fest. Gelungen sei das alles ohne eine gravierende Aufstockung der 520 Mann starken Belegschaft in Grove: "Das freut mich auch, dass das alles mit Leuten funktioniert, die wir schon haben. Die Dinge laufen nun effizienter. Wir machen viel im Haus, haben gute Ressourcen und Anlagen. Die nutzen wir nun so effizient wie möglich."

Radikales Heck nur im Detail modifiziert

Eine Idee, an der Williams festgehalten hat, ist das radikale Heck, von dem man sich 2011 so viel versprochen hatte. Zumindest von außen sieht das Design rund um das ungewöhnlich eingebaute Getriebe wieder ähnlich aus: "Das stimmt", bestätigt Gillan, "aber würde man unter die Karosserie blicken, würde man große Unterschiede erkennen. Die Integration des Getriebes ist viel besser. Am Konzept an sich war nichts verkehrt, sondern es ging mehr um die Opfer, die in anderen Bereichen dafür gebracht wurden."

Möglicherweise muss Williams bis Melbourne auch noch ein wenig Highspeed-Balance opfern, um in langsamen Kurven, in denen es vor allem auf Traktion ankommt, besser zu werden. Gillan: "Wir müssen darauf schauen, wo man am meisten Rundenzeit holen kann. Opfer bringst du aber nur da, wo es nicht so wichtig ist." In den langsamen Kurven habe man sich schon während der Wintertests gesteigert. Dafür verantwortlich sei "eine bessere und lenkbarere aerodynamische Plattform" des FW34 im Vergleich zum Vorgängermodell.


Fotos: Williams, Testfahrten in Barcelona


"Selbst in den langsamen Kurven ist die Aerodynamik wichtig - und vielleicht sogar wichtiger, was die Auswirkung auf die Rundenzeiten angeht", spekuliert Gillan und lobt explizit den neuen Motorenpartner Renault: "Da hilft uns aber auch die Fahrbarkeit des Motors quer durch das gesamte Drehzahlband. Die beiden Faktoren spielen zusammen. Es gibt in allen Bereichen Spielraum für Verbesserungen, aber es geht auf jeden Fall in die richtige Richtung." Abschließend gibt er zu: "In den langsamen Kurven haben wir bisher am meisten auf die Konkurrenz verloren."