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  • 05.03.2012 17:39

  • von Michael Noir Trawniczek

Wurz-Interview: "Kann nicht erklären, wie das Fahren geht"

Alexander Wurz spricht über seinen neuen Job als Fahrermentor bei Williams und verrät, ob er trotzdem weiterhin Co-Kommentator beim 'ORF' bleibt

(Motorsport-Total.com) - Im Rahmen der Motorsportshow im Wiener Einkaufszentrum Riverside, bei der unter anderem sieben Formel-1-Autos und der Siegerwagen der diesjährigen Rallye Dakar zu sehen waren, trat auch Alexander Wurz auf, nahm an Gesprächsrunden teil und gab den nach Wien-Liesing gepilgerten Fans bereitwillig Autogramme.

Titel-Bild zur News: Alexander Wurz

Alex Wurz bei der Vienna Motorsportshow im Riverside-Einkaufszentrum

Alle wollen ein Autogramm von Alex. Ein Vater hat extra den rosaroten Rennoverall seiner etwa zwei Jahre alten Tochter mitgebracht. Ein schon etwas älterer Fan tritt an den Kaffeehaustisch und sagt zu Wurz: "Sind Sie wirklich der Herr Wurz? Ich habe alle Ihre Formel-1-Rennen gesehen." Wurz bedankt sich. Der Mann sagt: "Ganz toll. Immer ehrlich, immer geradeheraus, solche Fahrer brauchen wir." Wurz antwortet knochentrocken: "Naja, zu langsam war ich halt."

Wurz hat über sich zu lachen gelernt

Über die Jahre hinweg hat Wurz, wie er sagt, sehr viel gelernt - ganz offensichtlich gehört dazu auch, sich selbst nicht immer todernst zu nehmen. Vielleicht auch ein Grund, warum er sich leicht damit tut, anderen etwas beizubringen. Er betrachtet sein Wissen offenbar nicht als Goldkiste und Heiligen Gral, sondern gibt es bereitwillig weiter...

In diesem Jahr ist Wurz ein noch mehr beschäftigter Mann, als er es ohnehin die vergangenen Jahre über war. Sein wichtigster Job ist jener als Einsatzpilot im neuen Toyota-Werksteam, das an der Langstrecken-Weltmeisterschaft teilnehmen wird, darunter natürlich auch der 24-Stunden-Klassiker von Le Mans.

Aber auch der Formel 1 bleibt Wurz erhalten: Williams bat den Initiator der FIA-Akademie (eine umfassende Racing-Fortbildung für junge Piloten aus allen Motorsport-Bereichen), als Fahrermentor für die Williams-Youngsters Pastor Maldonado und Bruno Senna sowie den Ersatzpiloten Valtteri Bottas zu fungieren.

Im Interview spricht Wurz über den neuen Job bei Williams, über Lehrmethodik und auch über seine Einschätzung des Kräfteverhältnisses anhand der Wintertestfahrten. Zudem verrät er, ob er dem 'ORF' und Formel-1-Kommentator Ernst Hausleitner als Co-Kommentator erhalten bleibt.

Nicht der erste Fahrercoach

Frage: "Alex, du bist der neue Mentaltrainer für die Williams-Piloten Pastor Maldonado und Bruno Senna. Kann man sagen, dass du hier in der Formel 1 einen neuen Job einführst?"
Alexander Wurz: "Jein. Die Piloten haben ja bereits ihre Trainer - und ob das jetzt ein Physio- oder ein Mentaltrainer ist oder was auch immer, so etwas gibt es schon in verschiedenen Formen. Was es bislang noch nicht gegeben hat, ist, dass es ein ehemaliger Formel-1-Pilot macht. Das ist neu. Und meine Arbeit geht eher in Richtung technischer Raffinesse und Setup-Arbeit - und wo immer halt eine Beziehung zwischen mir und den Fahrern, die sich erst aufbaut, das Ganze hinbringt."

Frage: "Macht man das, weil man bei Williams denkt: Das sind zwei junge Fahrer, die noch wenig Erfahrung in der Abstimmungsarbeit haben?"
Wurz: "Du, die wollen einfach nur ihr Geld loswerden, glaube ich... (lacht; Anm. d. Red.)"

Frage: "Andersrum gefragt: Wie hättest du als junger Formel-1-Fahrer reagiert, wenn da jetzt auf einmal ein Mentaltrainer gekommen wäre?"
Wurz: "Wenn mir damals einer gekommen wäre und mir einen Mentaltrainer vor die Nase gesetzt hätte und er hätte gesagt, mit dem arbeitest du jetzt, wäre ich zuerst einmal stinksauer gewesen. Aber wenn du dann darüber nachdenkst - es kommt ja immer auf die Gegenpartei an -, weiß ich ganz genau, dass mir das sehr viel gebracht hätte. Aus verschiedenen Gründen."

Frage: "Es hat sich ja sicher auch deine Arbeit in der FIA-Akademie herumgesprochen. Unlängst habe ich mit David Doppelreiter, der sich um den Rallyepiloten Andreas Mikkelsen kümmert, gesprochen, und der sagte auch, dass die Arbeit der Akademie sicher dazu beigetragen hat, dass Mikkelsen quasi der Knopf aufging. Er hat zuletzt drei IRC-Rallyes in Folge gewonnen. Inwieweit muss bei Maldonado und Senna noch der Knopf aufgehen? Wie weit ist eure Arbeitsbeziehung schon?"
Wurz: "Noch ganz am Anfang, denn wie gesagt: Ich kann nicht hingehen und einem GP2-Winner und Formel-1-Fahrer erklären, wie das Autofahren geht. Da muss man ganz vorsichtig sein. Der hat es alleine bis dorthin geschafft und warum soll er jetzt in seine Welt jemanden anderen reinlassen? Deshalb muss man da ganz langsam beginnen, das ist logisch."

Beim Vater eine Menge gelernt

"Und je nach Persönlichkeit kann man dann in die Details gehen. Wir haben aber natürlich schon begonnen, miteinander zu sprechen, speziell was Reifenschonen und Rennstrategie anbelangt. Und da waren alle extrem offen, um da einige Dinge von mir zu hören, die ich ihnen gesagt habe. Dinge, die ich mir halt angeeignet habe - aus meiner Testerfahrung, aus diesen hunderttausenden von Kilometern, und aus der Art und Weise, wie man Inhalte lehrt, aus der Lehrmethodik. Und die habe ich, so blöd es auch klingen mag, von den Fahrtechnik-Kursen übernommen, die von meinem Vater und unserer Firma Test & Training erstellt wird. Da geht es nur um diese Frage: Wie lehre ich jemandem diese Inhalte?"

Frage: "TV-Co-Kommentator, FIA-Akademie, Mentaltrainer - da gibt es bei dir doch sicher Zeiten, wo du über Tage hinweg rund um die Uhr jemandem etwas beibringen, etwas erklären willst respektive musst. Und daheim die Kinder werden dich ja sicher auch viel fragen, oder?"
Wurz: "Ja klar, ich war gerade erst gestern mit den Kindern auf der Kartbahn."

Michael Noir Trawniczek und Alexander Wurz

Michael Noir Trawniczek von 'motorline.cc' im Interview mit Alexander Wurz Zoom

Frage: "Droht da nicht irgendwann der Burnout, wenn man andauernd jemandem etwas beibringen muss?"
Wurz: "Der Burnout droht nur, wenn es keinen Spaß macht, aber mir bereitet das Spaß. Und das hat mir immer schon gefallen - da kannst du Leute fragen, die früher mit mir BMX gefahren sind. Da bin ich oft mit den Kollegen an der Strecke gestanden und dann habe ich zu einem gesagt: 'Du, ich glaube, du wärst schneller, wenn du anders fahren würdest!' Meine Genugtuung war dann, den Kollegen dennoch zu schlagen, obwohl man eigentlich gemeinsam versucht, einander schneller zu machen. So hebt sich dann das Gesamtniveau."

Le Mans als beste Schule

Frage: "Also auch ein philosophischer Ansatz..."
Wurz: "Genau. Und viel habe ich in Le Mans gelernt, etwa mit zwei anderen Teamkollegen auszukommen. Das waren ja auch tolle Rennfahrer, Marc Gene und Anthony Davidson. Da haben wir angefangen, uns so gut zu verstehen, dass wir uns gemeinsam gegenseitig gecoacht und unterstützt haben. Nicht nur in Setup-Fragen, sondern auch mental. Weil irgendwann, wenn du gemeinsam um die ganze Welt reist und im gleichen Auto sitzt und so eng beisammen bist, lernst du, wie der andere denkt. Seine Ängste, seine Schwachstellen. Du merkst auf einmal: 'Uh, heute ist er nicht so gut drauf.' Oder er hatte einen schlechten Lauf. Dann musst du den halt wieder aufbauen. Ob du das sanft oder mit Druck machst, kommt auf die Person an. In Le Mans habe ich wirklich viel in diese Richtung gelernt."

Frage: "Jetzt legt das Williams-Team ja seit einigen Jahren eine ziemliche Talfahrt hin. Woran liegt das?"
Wurz: "Das weiß ich nicht."

Frage: "Könnte es an der Vorstands-Struktur liegen? Dass die Entscheidungsgewalt zu sehr verteilt wird auf den Vorstand und ein Formel-1-Team halt doch einen Mann benötigt, der sagt, wo es lang geht?"
Wurz: "Nein, das glaube ich nicht, denn das Gefüge betrifft ja nur die AG, die oben drüber sitzt. Und was das Technische anbelangt, hat Williams ganz klare Strukturen und Organigramme."

Wurz drückt Williams die Daumen

Frage: "Kann das Team wieder an die erfolgreichen Tage anknüpfen?"
Wurz: "Ich kann es nicht sagen, da ich keine Kristallkugel habe. Als Fan hoffe ich, dass Williams wieder zu den Erfolgen zurückfindet."

Frage: "Ganz allgemein gab es im Vorjahr so viele Überholmanöver wie noch nie. Die Geister scheiden sich jedoch in der Frage, was der Auslöser war, DRS oder die Reifen..."
Wurz: "Ich habe es selbst nicht analysiert, aber ich habe gehört, dass es zu 60 Prozent natürliche Überholmanöver waren und 40 Prozent waren DRS-Manöver. Die Anzahl der Überholmanöver ist zudem insgesamt dramatisch gestiegen. Wenn dann also 60 Prozent natürliche Überholmanöver waren, dann ist der Großteil davon auf die Reifen zurückzuführen."

"Und es ist ganz einfach: In der Formel 1 wird alles optimiert. Wenn alles optimal läuft und die Unterschiede nur noch ein oder zwei Zehntelsekunden betragen, kannst du rein theoretisch nicht mehr überholen. Wenn du irgendetwas machst, was die Ingenieure daran hindert, auf Optimum zu arbeiten - wie eben ein Reifen, der ganz schnell abbaut -, dann sind sie auf einmal im Niemandsland, dann musst du ins Ungewisse hinein reagieren und dann kommt das Menschliche wieder zurück. Dann machen Menschen Fehler - Strategiefehler an der Brücke, die Piloten machen Fahrfehler. Man muss hier eigentlich Pirelli gratulieren und danken, dass sie den Reifen so konstruiert haben, wie sie ihn konstruiert haben."

Vettel wieder WM-Favorit

Frage: "Werden Vettel und Red Bull wieder dominieren oder könnte McLaren die Spitze übernehmen?"
Wurz: "McLaren ist sicher näher dran und wird auch Druck ausüben, das hat man jetzt schon bei den Tests gesehen. Trotzdem: Vettel und Red Bull ist im Augenblick immer noch die schnellste Mischung."

Frage: "Jetzt haben fast alle diese hässlichen Nasen. Ich nehme an, du findest sie auch hässlich?"
Wurz: "Ja, sicher."

Frage: "Nur McLaren geht einen anderen Weg. Wie kann das sein?"
Wurz: "Mit den hässlichen Nasen umgeht man das Reglement, weil man vorne die Nase sehr hoch haben will, um mehr Luft unter das Auto zu bringen. McLaren bringt ein bisschen weniger Luft unter das Auto, aber das ist eine Philosophie, die, so glaube ich, nicht so dramatisch anders ist, wie es dargestellt wird."

Frage: "Ist Mercedes näher dran?"
Wurz: "Sie starten von einer besseren Basis, als es das letzte Jahr der Fall war, aber Red Bull wird den Ton angeben. Dahinter McLaren und dann Mercedes, mit Ferrari auf einer Höhe."

Frage: "Ferrari kämpft um Platz drei bei den Teams. Das ist enttäuschend, oder?"
Wurz: "Wenn du Ferrari bist und den Anspruch hast, das erfolgreichste Team in der Formel-1-Geschichte zu sein, dann ist es enttäuschend, ja."

Wurz erwartet keine Lotus-Überraschung

Frage: "Siehst du bei den Teams noch Überraschungen? Zum Beispiel Lotus?"
Wurz: "Nein, eher nicht. Es wird keine dramatischen Überraschungen geben, wo auf einmal einer da stehen wird, der noch nie etwas gezeigt hat."

Frage: "Wie schätzt du das Comeback von Kimi Räikkönen ein?"
Wurz: "Kimi ist eine Bereicherung für die Formel 1."

"Kimi ist eine Bereicherung für die Formel 1." Alexander Wurz

Frage: "Manche glauben, dass er sich nach zwei Jahren Pause schwer tun wird in der Formel 1. Glaubst du das auch?"
Wurz: "Nein, das glaube ich nicht."

Frage: "Wirst du deine Tätigkeit als Co-Kommentator im 'ORF' trotz Fahrermentor-Job weiter wahrnehmen können?"
Wurz: "Mein Hauptjob ist Rennfahrer bei Toyota. Dann bin ich nebenbei Formel-1-Co-Kommentator und alles andere steht dahinter (schaut zu seinem Geschäftspartner und Vater Franz, der auch am Tisch sitzt, und lacht; Anm. d. Red.). Außer natürlich unsere Firma Test & Training, die ist natürlich auch wichtig, sonst krieg ich eine 'Knackwatschn' von meinem Dad, wenn ich das nicht sage..."