Whiting über Regeländerungen für 2012

Neben dem Diffusor-Anblasverbot hält das Reglement für 2012 zahlreiche weitere Änderungen bereit - Charlie Whiting begründet die Neuerungen

(Motorsport-Total.com) - In der Formel 1 vergeht kein Jahr ohne Regeländerungen. Das Ziel der alljährlichen Änderungen besteht meist darin, die Sicherheit zu erhöhen, die Kosten zu senken oder den Sport zu verbessern. Der Zuschauer soll es möglichst einfach haben, das Geschehen zu verstehen und zu bewerten. Auf der anderen Seite möchte man die Gesundheit der Fahrer auch bei schweren Unfällen sicherstellen.

Titel-Bild zur News: Charlie Whiting (Technischer Delegierte der FIA)

Charlie Whiting kann alle Regeländerungen für 2012 gut begründen

Die vielen asphaltierten Flächen abseits der Strecke erhöhen die Sicherheit in der Formel 1 zweifellos. Die Fahrer missbrauchten diese Bereiche in der Vergangenheit aber oft und kürzten in Trainings einfach ab, wenn sie schnell zu Box mussten oder nur noch wenig Treibstoff übrig hatten. Ohne "vertretbare Gründe" darf ab 2012 nicht mehr abgekürzt werden. Das besagen Artikel 20.2 und 20.3.

"Wir haben Fahrer gesehen, die auf ihrer Ein- oder Ausführungsrunde Abkürzungen genommen haben, um Zeit oder Sprit zu sparen", analysiert FIA-Rennleiter Charlie Whiting. "Wir könnten Begrenzungen aufstellen, um sie davon abzuhalten, abzukürzen. Das sieht aber gewöhnlich dämlich aus. Die Regeln besagen, dass die Fahrer die Strecke nutzen sollen. Wenn sie das nicht tun, müssen sie ihr Handeln rechtfertigen. Dadurch wird auch die Sicherheit erhöht, weil andere Fahrer davon ausgehen können, dass die Strecke aus einem besonderen Grund verlassen wurde."

Nach vier Stunden ist Schluss

Beim Grand Prix in Montreal vor einem Jahr verließen zahlreiche Piloten die Strecke. Der Grund dafür war allerdings das Wetter. Durch die sintflutartigen Regenschauer musste das Rennen lange unterbrochen werden, was die Dauer der Veranstaltung stark in die Länge zog. Der Artikel 5.3 besagt ab 2012, dass kein Rennen länger als vier Stunden gehen darf.

Das Wetter machte den Grand Prix von Kanada 2011 zu einem Chaos-Rennen Zoom

"Vergangenes Jahr dauerte das Rennen in Montreal vier Stunden und vier Minuten", erinnert sich Whiting und begründet die neue Regel: "Ein Rennen sollte wirklich nicht länger gehen. Sollte ein Rennen in der Zukunft länger gehen, werden die Fahrer ein Signal erhalten, das ihnen mitteilt, am Ende der kommenden Runde die Zielflagge zu sehen."

Das Safety-Car spielte in Montreal eine entscheidende Rolle. Für die anstehende Saison müssen sich die Piloten auch hier auf eine Änderung einstellen. Artikel 40.12 besagt, dass sich überrundete Fahrer während einer Safety-Car-Phase zurückrunden dürfen, sollte dies als sicher angesehen werden. Somit wird für den Re-Start die Rennreihenfolge wiederhergestellt und alle Autos können direkt angreifen, ohne dass die Führenden von Überrundeten behindert werden - das steigert die Rennaction.

Beim Singapur Grand Prix 2011 konnte sich Sebastian Vettel nach einer Safety-Car-Phase auf einer einzigen Runde einen Vorsprung von neun Sekunden auf den Zweiten Jenson Button herausfahren, der von überrundeten Autos aufgehalten wurde. "Wir haben die Regel abgeschafft, weil sie schwierig zu managen und grundsätzlich gefährlich war. Nun haben wir sie mit neuen Sicherheitsbeauftragten wieder eingeführt", begründet Whiting.

"Die Fahrer dürfen nur überholen, wenn sie die Boxeneinfahrt zwei Mal passiert haben. Dadurch wird den Fahrern gestattet, in die Box zu fahren. Wir werden zudem die führenden Fahrer instruieren, auf der Rennlinie zu bleiben sobald die Autos überholen dürfen", erklärt der FIA-Rennleiter.

Vereinfachte Prozesse

Sollte einem Steward etwas merkwürdig vorkommen, so musste er in der Vergangenheit mit dem Rennleiter Kontakt aufnehmen, bevor der Vorfall untersucht wurde. Diese Meldepflicht wurde nun abgeschafft. "In der Vergangenheit mussten die Stewards den Renndirektor informieren, wenn sie etwas Verdächtiges gesehen haben", blickt Whiting zurück.

"Er hat sich den Vorfall dann angesehen und auf die Untersuchung des Stewards reagiert. Das war ein Ablauf, der sehr viel Zeit benötigt hat. Wenn sie etwas sehen, das zu untersuchen ist, dann ist es nicht falsch, wenn sie das untersuchen und dem Renndirektor ihren Vorschlag unterbreiten. Der Vorfall wird dadurch weniger bürokratisch", analysiert er.

Gefahr beim Seitenaufprall reduziert

Viel Kritik wurde laut, als die ersten Teams ihre Autos für 2012 präsentierten und sich ein klarer Trend zeigte: Die Stufennase war geboren. Diese wenig ästhetische Lösung war die Antwort auf Artikel 3.7.9, der besagt, dass "kein Bodywork-Teil, das mehr als 1.950 Millimeter vor dem Cockpit-Anfang liegt, höher als 550 Millimeter über der Bezugsebene sein darf".

Ferrari F2012

Die Nase des neuen Ferrari sorgt bei Ästheten für Aufregung Zoom

Whiting begründet die Regeländerung: "Die Höhe der Sicherheitszelle vor dem Fahrer betrug 625 Millimeter - das wollten wir auf 550 Millimeter reduzieren. Unser Ziel war, dass die Nase tiefer ist als die Cockpitseiten, um den Kopf des Fahrers bei einem seitlichen Zusammenstoß zu schützen. Einige Teams beschwerten sich, dass eine Absenkung des gesamten Autos eine radikale Neukonstruktion zur Folge gehabt hätte."

"Wir haben uns auf einen Kompromiss geeinigt, der vorsieht, dass die 550 Millimeter 1950 Millimeter vor dem Cockpit einzuhalten sind. Dadurch erreichen wir unser Ziel ohne den Teams eine Überarbeitung ihrer Aufhängungen zuzumuten", schildert er und erkennt zweifellos: "Dadurch sehen sie aber alle wie Enten aus", so Whiting.

Ebenfalls zur Erhöhung der Sicherheit bei einem seitlichen Aufprall soll eine Vergrößerung des Aufprallschutzes sorgen. "Der Aufprallschutz wurden 100 - 500 Millimeter über der Referenzebene angebracht. Nun decken sie 100 - 550 Millimeter ab", berichtet Whiting. "Der vordere Aufprallschutz war 400 Millimeter hoch und ist nun 450 Millimeter hoch. Diese Änderung sollte die Sicherheit des Fahrers bei einem seitlichen Zusammenstoß verbessern."

Streitthema Crashtests

Eine Welle der Empörung verursachte der Beschluss, dass die Crashtests vor den ersten Testfahrten erfolgreich absolviert sein müssen. Bisher mussten die Teams die Sicherheitstests erst vor dem ersten Rennen bestehen. Zudem besagt Artikel 18.9.2, dass ein zusätzlicher vertikaler Belastungstest für die seitlichen Crash-Strukturen am Chassis durchgeführt werden muss. Insgesamt gibt es damit 18 Belastungs- und Crash-Tests, die das Chassis erfolgreich bestehen muss, um von der FIA homologiert zu werden.

Narain Karthikeyan und Pedro de la Rosa mit dem HRT-Cosworth F112

Die HRT-Piloten konnten bei den Vorsaison-Tests noch nicht fahren Zoom

"Die Sicherheit darf nicht gefährdet werden", stellt Whiting klar. "Es ist unvertretbar, die Fahrer bei den Wintertests mit Autos fahren zu lassen, die den Sicherheitsstandards für ein Rennen standhalten. Die Teams haben sich eine ganze Weile dagegen gewehrt und haben mir mitgeteilt, dass es unmöglich wäre, die Crashtests vor dem ersten Test zu absolvieren. Wenig überraschend haben es aber fast alle geschafft."

"Zwei Teams haben ihre Crashtests nicht bestanden und waren deshalb bei den Vorsaisontests in Jerez und Barcelona nicht dabei", bilanziert er. HRT und Marussia werden erst zum Saisonauftakt in Melbourne ihre neuen Autos testen. Entgegenkommen dürfte ihnen dabei die Änderung, die es gestattet, am Freitag mehr als drei Sätze Reifen zu verwenden.

Mehr Reifen am Freitag

"Jeder Fahrer erhält nach wie vor elf Sätze für das Wochenende. Freitagabend müssen drei Sätze abgegeben werden, zwei weitere nach dem dritten Freien Training am Samstag. Das hat sich nicht geändert. Wir erlauben den Teams jetzt, am Freitag mehr als drei ihrer elf Sätze zu nutzen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, am ersten Trainingstag mehr zu fahren, sollten sie das wollen", erläutert Whiting.

Reifen, Pirelli

Die Reifen sind an den Freitagen nun weniger stark limitiert Zoom

"Zum Beispiel könnten sie nun am Freitag auf trockener Strecke mehr fahren, sollte Samstag Regen bevorstehen", begründet der FIA-Rennleiter und sieht in der Regeländerung nur Vorteile: "Es kommt allen zu Gute, dass sie am Freitag soviel fahren können, wie sie möchten."

Beim Wechsel der Räder müssen die Teams zukünftig auf mit Helium betriebene Schlagschrauber verzichten, was Whiting für überflüssige Geldverschwendung hält: "Die Schlagschrauber mit komprimiertem Helium anstatt verdichteter Luft zu betreiben, war etwas, das während eines Boxenstopps Bruchteile einer Sekunde einsparte. Davon hat sich nun jeder verabschiedet. Es wäre eine sehr teure Methode gewesen, die keinen Vorteil gebracht hätte."

Aktive Schlagschrauber, die das Drehmoment gemessen haben, sind ebenfalls verboten. "Wir möchten, dass der Mechaniker am Schlagschrauber für die Arbeit verantwortlich ist", stellt Whiting klar. "Sobald das Drehmoment erreicht ist, sollte er die Entscheidung treffen. Die aktuellsten Schlagschrauber zeigen ein Licht, wenn das korrekte Drehmoment erreicht ist. Das ist unsere Schmerzgrenze. Wir möchten keine weitere Automation."

Whiting fordert steife Flügel

Klare Ansagen macht Whiting auch, wenn es um das Thema flexible Flügel geht. Die FIA möchte verhindern, dass es wie 2011 zu einer Diskussion kommt, wessen Flügel sich am meisten verbiegen. Dazu hat man im Reglement festgehalten, dass es grundsätzlich gegen die Regeln ist, diese Technologie anzuwenden.

Felipe Massa

Besonders die Frontflügel bei Ferrari haben sich 2011 stark verwunden Zoom

Whiting erklärt: "Die Regeln besagen, dass die Flügel steif sein müssen. Wir haben die erlaubte Verbiegung halbiert. Vorher wurde der Flügel mit einem Kilonewton belastet und durfte sich 20 Millimeter durchbiegen. Daraus resultierte, dass die Teams testeten, bis sie ein Design gefunden hatten, bei dem sich der Flügel bei einem Kilonewton 19,9 Millimeter durchbog."

"Unsere Bewilligung stellt lediglich eine Richtlinie dar. Wir waren der Meinung, dass die Teams nicht dem Geist der Regel folgten und ihre Flügel mit einer einberechneten Flexibilität konstruierten", beanstandet er. "Unser neuer Artikel 3.15 genießt Vorrang über Artikel 3.17, der die Durchbiegung quantifiziert. Artikel 3.17.8 erlaubt uns, neue Tests einzuführen, wenn wir den Eindruck haben, dass unsere Richtlinien nicht angemessen beachtet werden."

"Beim neuen Test wandert die Belastung zehn Millimeter nach hinten und fünf Millimeter nach innen. Die Durchbiegung darf nur noch zehn Millimeter betragen. Zudem haben wir den Teams mitgeteilt, dass wir die den Frontflügel lediglich auf einer Seite belasten. Es ist also ein asymmetrischer Test", so Whiting. Ob damit die flexiblen Flügel aus der Formel 1 verschwinden, wird sich im Saisonverlauf zeigen.