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Fluch und Segen der stufigen Formel-1-Nasen

Enzo Ferrari würde sich im Grab umdrehen, aber Experten glauben, dass die Höcker nicht lange überleben werden - Red Bull soll Regeländerung verhindert haben

(Motorsport-Total.com) - Insgesamt 76,29 Prozent der deutschsprachigen Formel-1-Fans finden laut von 'Motorsport-Total.com' durchgeführter Umfrage, dass die aktuellen "Stufennasen" von Red Bull, Ferrari und Co. "nicht schön" oder sogar "untragbar hässlich" sind. Nur 3,51 Prozent bewerten die 2012er-Höcker als schön, weitere 10,97 Prozent immerhin als okay.

Titel-Bild zur News: Felipe Massa

Hässlicher geht's kaum: Ferrari mit Stufennase am neuen F2012

Christian Danner zählt sich ganz klar zur Mehrheit der Fans, wenn er sagt: "Die schauen schon grauslich aus." Der ehemalige Formel-1-Pilot geht allerdings davon aus, dass die FIA diesen Schönheitsfehler für 2013 korrigieren wird: "Ich glaube, das reparieren die für nächstes Jahr", so Danner im Rahmen der Diskussionsrunde 'Sport und Talk am Hangar-7' des österreichischen Red-Bull-TV-Senders 'ServusTV'.

Sicherheit wichtiger als Schönheit

Nick Heidfeld sieht das ähnlich: "Ich denke auch, dass die FIA da nächstes Jahr ein paar Einschränkungen machen wird, damit da nicht so ein riesiger Höcker drin ist", outet sich der Le-Mans-Pilot in der gleichen Talkrunde als Höcker-Gegner. "Aber wie auch vor einigen Jahren, als wir die Heck- und Frontflügel verändert haben: Man gewöhnt sich dran. Ich find's jetzt schon nicht mehr ganz so schlimm wie am Anfang, aber es ginge natürlich schöner."

"Sinn der Sache ist eine Sicherheits-Überlegung", erläutert Danner. "Wenn ich einen seitlichen Aufprall habe und die Nase ist so hoch, kann es passieren, dass ich den Fahrer im anderen Auto treffe. Um das zu vermeiden, hat die FIA beschlossen, die Nasen niedriger zu machen. Die Teams haben gesagt: 'Schön und gut, aber wir hätten gerne die Monocoques nach wie vor so, wie sie bis jetzt waren.' Deswegen ist der Höcker entstanden, denn alle versuchen, alles nach oben zu kriegen."

Sebastian Vettel

Noch rätseln alle, was für einen Zweck der Schlitz am RB8 erfüllt Zoom

Hintergrund ist, dass die meisten Designer versuchen, die Unterseite der Nase möglichst hoch zu halten, um möglichst viel Fahrtwind unter das Auto zu bekommen. Auf diese Weise entsteht ein Luftstrom unter der Bodenplatte, der sich positiv auf die Aerodynamik auswirkt. Schwerwiegendster Nachteil einer hohen Nase sind der höhere Schwerpunkt und der höhere Luftwiderstand, der durch die 2012 vom Reglement begünstigten Stufen entsteht.

Schönheitspreis für McLaren

"McLaren hat hinten auf Höhe verzichtet", erklärt Simulationsexperte Peter Schöggl bei 'ServusTV'. "Es bringt Nachteile, wenn man nicht so hoch ist. Die Schubstange geht sehr hoch ins Chassis rein, und das erfordert da drinnen eine ziemlich intelligente Lösung, um die Umlenkung hinzubringen. Das heißt, die haben vorne auch die 550 Millimeter, sind hinten aber niedriger. Sie müssen Kompromisse in der Fahrwerksgeometrie eingehen und einen sehr großen konstruktiven Aufwand betreiben."

McLaren gewinnt als bisher einziges Team mit einer flachen Nase definitiv den Schönheitspreis 2012, auch wenn man hört, dass Marussia ebenfalls eine flache Nase designt hat. Das Team von Timo Glock hat aber noch nicht alle Crashtests bestanden und den neuen MR01 bei den Testfahrten daher noch nicht gezeigt. Auch Toro Rosso setzt auf eine einigermaßen elegante Variante, die könnte aber bis zum ersten Rennen noch umgemodelt werden.

Der öffentliche Aufschrei ist also angesichts der "hässlichsten Formel 1 seit Jahren", wie zahlreiche Fans schimpfen, riesengroß, aber: "Entscheidend ist, was auf der Uhr steht", winkt Ex-Grand-Prix-Star Heidfeld ab. Gleichzeitig gibt er zu: "Man schaut sich natürlich lieber ein schönes Auto an als ein hässliches." Andererseits waren es in der Formel-1-Geschichte oftmals gerade die vermeintlich hässlichen Autos, die in Erinnerung geblieben sind...

Beinahe wäre es übrigens gar nicht zu den Stufennasen gekommen: Williams-Großaktionär Toto Wolff glaubte zunächst an ein nicht ernst gemeintes Experiment seiner Aerodynamiker in Grove, als ihm der erste Entwurf gezeigt wurde. Am 27. Januar 2011 fand ein Treffen der Technischen Arbeitsgruppe statt, bei der Lotus-Technikchef James Allison auf die ungewöhnliche Optik, die sich durch das neue Reglement ergeben würde, hinwies.

Red-Bull-Teams gegen schöne Nasen

Der Gegenvorschlag des Briten wurde aber laut Informationen von 'F1 Racing' von Red Bull und Toro Rosso zu Fall gebracht, sodass die Formel-1-Generation jetzt so aussieht, wie sie eben aussieht. Das ruft freilich Verschwörungstheoretiker auf den Plan, die sich fragen, ob der Schlitz in der Red-Bull-Stufe wirklich nur der Belüftung der Fahrerzelle dient. Diese Darstellung nimmt Adrian Newey ohnehin kaum jemand ab.

Toro-Rosso-Technikchef Giorgio Ascanelli erinnert sich an jenes Meeting vor gut einem Jahr: "James Allison forderte eine Regel, damit die Autos nicht so hässlich aussehen. Charlie Whiting (Technischer Delegierter der FIA; Anm. d. Red.) meinte daraufhin, dass das wohl das erste Mal überhaupt wäre, dass er aus ästhetischen Gründen eine Regel einführt." Ob Red Bull inzwischen wirklich etwas gefunden hat, um sich die Stufe zunutze zu machen, entzieht sich unserer Kenntnis.

Hohe Nase am Tyrrell 019 von 1990

Die erste hohe Nase der Formel 1: Tyrrell 019 aus der Saison 1990 Zoom

Aber es gibt nicht nur Gründe ästhetischer Natur, die gegen die neuen Nasen sprechen. "Ich habe sogar Argumente dafür gehört, nämlich vom Gottobersten, von Bernie", plaudert Williams-Teilhaber Wolff aus dem Nähkästchen. "Bernie sagt nämlich: 'Jetzt haben wir mehr Platz für Sponsorenaufkleber.' Die kann man frontseitig schön drauf machen." Eine Idee, die bisher aber noch kein Team in die Praxis umgesetzt hat.

Man gewöhnt sich an vieles...

"Ob das realistisch ist oder nicht, weiß ich nicht", kommentiert der Österreicher die Ecclestone-Idee und schließt sich im Wesentlichen der weitläufigen Meinung an, wenn er sagt: "Aber man wird sich daran gewöhnen, dann wird es verschwinden und im nächsten und übernächsten Jahr werden wir über andere Dinge lachen. Auch an die wird man sich gewöhnen. Das Auto muss schnell sein, darauf kommt es an, und nicht darauf, ob es hässlich oder schön ist."

Und wer weiß, vielleicht hat die skurril anmutende Formel-1-Generation 2012 langfristig sogar positive Auswirkungen auf das Erscheinungsbild zukünftiger Autos, denn Experte Danner kann sich gut vorstellen, dass die FIA aus sicherheitstechnischen und ästhetischen Überlegungen darüber nachdenken wird, die Nasen wieder komplett nach unten zu holen, wie das zuletzt in den 1990er-Jahren der Fall war. Erstmals eingeführt wurden die hohen Nasen 1990 von Tyrrell.

Christian Danner

Christian Danner ist absolut kein Fan der aktuellen hohen Stufennasen Zoom

"Ich kann mir sogar vorstellen, dass diese hohen Nasen als solches sukzessive wieder nach unten gedrückt werden von den Regeln her", vermutet Danner, "denn dadurch kann man den Abtrieb minimieren. Wenn das Ding unten ist, wie in den 80er-Jahren, ohne diese hochgesetzten Nasen und Monocoques, hast du am Unterboden weniger Abtrieb. Das ist ja auch das, was die FIA unter Umständen haben will, wenn die Autos zu schnell werden. Da ist viel Spielraum."