• 03.04.2008 09:05

Wer kontrolliert eigentlich die Traktion?

Tetsuro Kobayashi erklärt, warum ein Fahrer die Traktionskontrolle ersetzen kann und welche Rolle die Reifen dabei spielen

(Motorsport-Total.com) - Ein großes Thema im Vorfeld der Saison 2008 war die Abschaffung der Traktionskontrolle. Blankes Chaos fürchteten die einen, ein lautes "Hurra!" schrien die anderen - was das Verbot der Fahrhilfe aber für die technischen Seiten der Formel 1 zu bedeuten hat, erklärt Tetsuro Kobayashi von Bridgestone genau. In seinem Traktions-Einmaleins auf 'formula1.com' wirft er einen Blick auf Fahreigenschaften und Rennreifen.

Titel-Bild zur News: Reifen Tyre Tyres

Ohne Reifen keine Traktion: die Gummis bringen die Kraft auf die Straße

"Der Unterschied zwischen einer guten Traktionskontrolle und einem guten Rennfahrer ist nicht so groß, wie manche Menschen denken", erklärte Tetsuro Kobayashi, technischer Manager der Bridgestone Motorsportabteilung. "Die Traktionskontrolle arbeitet, um die Schlupfrate der Reifen optimal zu halten, und das ist im Endeffekt genau das, was auch ein Topfahrer zu tun versucht. Genauso wie es bessere und schlechtere Fahrer gibt, so kann auch die Qualität bei Schlupfregelungen variieren.#w1#

Regenreifen arbeiten auf andere Weise

"Auf einigen Kursen muss man zusätzlich beachten, dass die Traktionskontrolle nur ganz wenig in Gebrauch ist, denn die ausgeklügelte Aerodynamik verschafft einem Auto eine Menge Abtrieb, was letztendlich das Gripniveau erhöht. Aufgrund dieser Faktoren, ist das Verbot der Traktionskontrolle kein großes Thema in Bezug auf Reifendesign. Das wird von den Daten unterstützt, die wir in den Wintertests erhalten haben."

"Wenn eine Strecke nass ist, so ist auch das Griplevel niedriger und die Traktionskontrolle wird öfter gebraucht", so Kobayashi weiter. "Fährt man im Nassen aber ohne Traktionskontrolle, dann hat man als Pilot selbstverständlich mehr zu tun. Die Art und Weise, wie Regenreifen Grip bekommen unterscheidet sich allerdings von der Arbeitsweise der Trockenreifen."

"Unser Konzept für Regenreifen ändert sich nicht." Tetsuro Kobayashi

"Ein Beispiel dafür ist, dass Regenreifen nicht durch ihre Reibung Grip erzeugen, wenn sie auf nassem Asphalt gefahren werden. Im Gegensatz dazu erlangt ein Trockenreifen dadurch Grip, indem er mit der Streckenoberfläche interagiert. Unser Konzept für Regenreifen ändert sich also nicht, nur weil es keine Traktionskontrolle mehr gibt, so wie auch die Art und Weise, wie die Reifen Grip aufbauen, sich nicht verändert."

Motorbremse hat nur geringen Einfluss

"Die Motorbremse sorgte nur für einen Bruchteil der Verzögerung eines Autos", weiß Kobayashi zu berichten. "Der aerodynamische Luftwiderstand und die Bremsen sind dabei maßgeblich. Das Fehlen der Motorbremse wird sich darin bemerkbar machen, dass sich der Bremsvorgang für die Fahrer anders anfühlen wird. Das wiederum könnte bedeuten, dass wir mehr Verbremser und Bremsplatten sehen werden."

"Wie auch immer sich die Piloten daran gewöhnen, Formel-1-Fahrer sollten sich eigentlich schneller mit damit anfreunden können als ein normaler Durchschnittspilot. In einer Situation, wo nur ein Hersteller alle Reifen stellt, steht jedem Auto das gleiche Reifengriplevel zur Verfügung. Das ist so, wenn jeder eine Traktionskontrolle hat und das bleibt auch so, wenn die Traktionskontrolle abgeschafft ist."

"Im Wettbewerb mit anderen Reifenherstellern streben wir immer nach Leistungsverbesserungen und dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob nun eine Traktionskontrolle an Bord ist oder eben nicht. Diese Antischlupfregelung soll die Kraft lediglich so limitieren, dass die Reifen nicht das Griplevel übersteigen. Ein guter Fahrer macht das ohnehin genau so", meinte Kobayashi.

"Wir streben immer nach Leistungsverbesserungen." Tetsuro Kobayashi

Ein guter Fahrer ersetzt die Traktionskontrolle

"Ein Pilot, der seine Reifen über das vorhandene Gripniveau beansprucht, wird seine Pneus schneller abgefahren haben und langsamere Rundenzeiten produzieren als sein Kollege, der Vorsicht walten lässt. Das soll jetzt aber nicht heißen, dass wir Reifen mit mehr Grip brauchen. Vielmehr sollten die Fahrer einfach lernen, wie sie den Reifen am besten ausnutzen können."

"Normalerweise ist die Beschleunigung am Kurvenausgang ein ganz heißes Thema, denn das ist ein Bereich, wo ein Fahrer ohne Traktionskontrolle Fehler begehen kann. Ein Pilot sollte also beim Herausbeschleunigen aus Kurven sein Gas vorsichtig dosieren." Dieses Phänomen war beim Saisonauftakt in Melbourne des Öfteren zu beobachten, als einige Fahrer plötzlich von ihrem eigenen Heck überholt wurden.

"Wenn die Reifencharakteristik einen größeren Spielraum für eine härtere Gangart offen lässt", fuhr Kobayashi fort, "dann kann der Fahrer seine Beschleunigung auch leichter unter Kontrolle kriegen. Wenn ihnen aber nur ein kleines Fenster geboten wird, dann braucht der Fahrer eine ganze Weile, um sich an die Charakteristik zu gewöhnen und sich beim Ausloten des Limits eventuell drehen."

"Nur weil die Traktionskontrolle fehlt, wird die Formel 1 noch lange nicht zur Drift-Challenge. Und sicherlich werden die Fahrer auch nicht von jetzt auf gleich vergessen, wie man mit der größtmöglichen Effizienz eine schnelle Runde herausfährt."

"Nur weil die Traktionskontrolle fehlt, wird die Formel 1 noch lange nicht zur Drift-Challenge" Tetsuro Kobayashi

"Ich glaube, dass unsere Reifen den Piloten viel Raum lassen und das wiederum meint, dass man unsere Reifen sehr leicht handhaben kann. Mit ihnen sind tolle Positionskämpfe mit anderen Fahrern möglich", so Tetsuro Kobayashi abschließend. "Das zeigt die Erfahrung, die wir in der Formel 1 bislang sammeln konnten."