Warum Williams und Head einen "Hilfschef" brauchen

Chris Chapple ist bei Williams der unscheinbare Mann im Hintergrund, der Frank Williams und Patrick Head viel von ihrer Arbeit abnimmt

(Motorsport-Total.com) - Keine Frage: Bei Williams haben nach wie vor die Teilhaber Frank Williams (70 Prozent) und Patrick Head (30 Prozent) das Sagen, doch seit vergangenem Jahr machen sich die beiden Herren ernsthaft Gedanken über eine Nachfolgeregelung. Der Mann, der dabei im Hintergrund die wichtigste Rolle spielt, ist Golfkriegsveteran Chris Chapple.

Titel-Bild zur News: Williams-Fabrik

Beim Williams-Rennstall in Grove arbeiten schon mehr als 500 Angestellte

Der Brite ist gerade mal 41 Jahre alt - und eine weitere Entdeckung der jungen Williams-Garde. Der heutige Geschäftsführer des 500 Mann starken Formel-1-Teams studierte in Oxford Jura, ging dann aber zur britischen Marine und landete dadurch nach dem ersten Golfkrieg als Friedenssicherer im Irak. Mit 100 Helfern und denkbar schlecht ausgestattet musste er dort 150.000 Menschen umsiedeln, was eine logistische Meisterleistung darstellte.#w1#

Von der Marine direkt ins Bankengeschäft

1992 suchte er einen Tapetenwechsel und landete bei der US-Investmentbank 'Goldman Sachs', wo er zehn Jahre lang arbeitete: "Das war eine tolle Erfahrung", so der Brite im Nachhinein, "denn vieles war ähnlich wie bei der Marine. Man musste immer total auf die gerade aktuelle Aufgabe fokussiert sein. Es war eine sehr intensive, aber auch eine befriedigende Zeit, in der ich gelernt habe, kommerzielle und strategische Angelegenheiten richtig einzuschätzen."

Über die Stationen 'Marconi' und 'SUAL International', die ihn teilweise zwangen, jede Woche nach Moskau zu fliegen, fand er im Januar 2005 schließlich zu Williams, wo gerade die neue 'Senior Management Group' aufgebaut wurde. Die Herren Williams und Head bestellten Chapple zum Geschäftsführer und übertrugen ihm damit große Bereiche des Tagesgeschäfts, auch wenn sie sich die Entscheidungsgewalt natürlich bis heute nicht wegnehmen lassen.

"Frank und Patrick haben erkannt, dass sie Hilfe von außen brauchen, um die Geschäfte zu führen." Chris Chapple

"Frank und Patrick", so Chapple gegenüber der Fachzeitschrift 'Motorsport aktuell', "leiten die Firma seit 30 Jahren. Sie stehen immer noch als Synonym für Williams und sind so engagiert wie eh und je. Aber sie haben erkannt, dass sie Hilfe von außen brauchen, um die Geschäfte zu führen. Inzwischen arbeiten mehr als 500 Leute bei Williams. Da kann man das Team nicht mehr so managen, wie das früher mal der Fall war, als die Teams noch keine mittelständischen Unternehmen waren, sondern ihre Einsätze aus einer einfachen Werkstatt heraus vornahmen."

'SMG' diskutiert bei Williams über alle Entscheidungen

Der Brite gehört der 'Senior Management Group' an, die Williams' Gegenstück zum Vorstand der großen Automobilhersteller darstellt. Diesem Gremium gehören neben Williams und Head persönlich auch Chapple an, darüber hinaus außerdem Sam Michael (Technischer Direktor), Alex Burns (Chief Operating Officer), John Healey (Leiter der Rechtabteilung) und Scott Garrett (Jim Wrights Nachfolger als Leiter der Marketingabteilung).

Aufgabe der 'Senior Management Group' ist es, sämtliche strategischen Entscheidungen des Teams zu diskutieren, auch wenn "Frank und Patrick immer noch mehr Stimmrechte" als die anderen Mitglieder haben, wie Chapple verriet. Aber: "Die Entscheidungen werden heute gemeinschaftlich diskutiert und erst nach ausführlichen Erörterungen getroffen", fügte er an.

Chapple führte eine neue Buchhaltung bei Williams ein

"Wir erstellen jetzt regelmäßig Monatsabschlüsse; die Finanzanalyse erfolgt viel schneller und genauer." Chris Chapple

Er selbst habe seine Methoden in Form einer optimierten Buchhaltung schon massiv einbringen können: "Wir erstellen jetzt regelmäßig Monatsabschlüsse; die Finanzanalyse erfolgt viel schneller und genauer", gab Chapple zu Protokoll. "Anstatt sechs Monate auf eine Zwischenbilanz zu warten und dann zu merken, was man mit dem Geld hätte tun können, gucken wir uns schon jetzt im Vorfeld an, was wir wann und wofür sinnvoll ausgeben. Wir haben viel mehr Transparenz in unserer Finanzplanung als früher. Das macht das Kalkulieren einfacher."

Ambitionen, auch sportlich in die Leitung des Teams einzugreifen, hegt der 41-Jährige übrigens nicht, schließlich hatte er mit der Formel 1 noch vor einigen Jahren überhaupt nichts am Hut, so dass es vermessen wäre, sich für qualifizierter zu halten als all die bewährten Experten. Aus genau diesem Grund sieht er sich auch nicht als Gegenstück zu Martin Whitmarsh, der bei McLaren Geschäftsführer ist, aber auch in anderen Bereichen als rechte Hand von Teamchef Ron Dennis gilt.

"Die Führung des Rennteams", stellte Chapple klar, "überlasse ich Sam Michael. Ich würde mir niemals anmaßen zu sagen, welche Reifen man aufziehen oder mit welcher Strategie man losfahren soll. Ich frage zwar, warum man diese oder jene Entscheidung getroffen hat, und ich sage auch meine eigene Meinung zu diesen Dingen, aber das Alltagsgeschäft im Team liegt klar bei Sam."