Warum BMW schon Weltmeister werden kann

Auf den Spuren von Keke Rosberg: Warum unsere Experten Titelchancen für das BMW Sauber F1 Team sehen und welcher Fahrer die Nase vorne hat

(Motorsport-Total.com) - Wir geben gerne zu: Wir haben uns geirrt! Am 24. Januar lautete eine Headline bei 'Motorsport-Total.com': "Bei BMW schrillen die ersten Alarmglocken!" Und im Nachhinein betrachtet lagen wir damit zu jenem Zeitpunkt nicht einmal so grob daneben, sondern das BMW Sauber F1 Team hat seither einfach enorme Fortschritte gemacht.

Titel-Bild zur News: Nick Heidfeld und Heikki Kovalainen

Rad an Rad mit den Silbernen: Das BMW Sauber F1 Team ist die Nummer zwei

Gleichzeitiges Über- und Untersteuern, zu wenig Stabilität auf der Bremse - Nick Heidfeld und Robert Kubica konnten mit dem F1.08 beim Rollout in Valencia nicht viel anfangen. Aber in Hinwil und München wurde ein Notfallprogramm angeworfen, das es in vergleichbarer Effizienz in der modernen Formel 1 noch selten gegeben hat. Das Resultat: Das BMW Sauber F1 Team führt nach drei von 18 Rennen in der Konstrukteurs-WM einen Punkt vor Ferrari und zwei vor McLaren-Mercedes.#w1#

Einige Highlights, aber der Sieg fehlt noch

Zwar wartet die Mannschaft von BMW Motorsport Direktor Mario Theissen noch auf den erlösenden ersten Grand-Prix-Sieg, aber immerhin stand das Team jedes Mal auf dem Podium. Als besondere Bonbons kommen noch Heidfelds schnellste Rennrunde in Malaysia und Kubicas Pole-Position in Bahrain hinzu. Zwar glaubt kaum ein Experte, dass das BMW Sauber F1 Team schon 2008 Weltmeister werden kann, aber ganz ausschließen will es dann doch keiner.

"Wenn es viele Gegner gibt, dann können sie es schaffen." Marc Surer

"Wenn es viele Gegner gibt, dann können sie es schaffen", analysiert 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer eher zurückhaltend. "Vom Punktesystem her ist es heutzutage möglich. Punktesammeln ist das Wichtigste überhaupt geworden. Wenn du jetzt nur einen Gegner hast, der häufig gewinnt, dann geht diese Rechnung nicht auf, wenn du aber mehrere Gegner hast, die sich vorne abwechseln, dann kann es vielleicht klappen."

Etwas euphorischer bewertet unser zweiter Experte, Hans-Joachim Stuck, die Situation: "Natürlich, auf jeden Fall! Das haben andere auch schon geschafft", antwortete er auf die Frage, ob der WM-Titel 2008 möglich ist. "Am Ende wird zusammengezählt. Ferrari hat in Bahrain Massa vor Räikkönen gewinnen lassen. Das ist einerseits sportlich sehr fair, zeigt aber auch, dass sie sich ihrer Sache sehr sicher sind, denn einfach mal so Punkte verschenken, das macht auch nicht jeder."

Wird der Underdog zum WM-Joker?

Und genau das kann für den heißen Außenseiter im WM-Dreikampf der große Joker sein, denn obwohl Heidfeld/Kubica - in der Fahrerwertung übrigens Zweiter und Vierter - als Team vor Rot und Silber liegen, hat sie kaum jemand auf der Rechnung. Speziell McLaren-Mercedes war zuletzt überheblich genug, die Theissen-Truppe nicht als ernsthaften Gegner zu sehen. So ein Denken hat sich in der Formel-1-Geschichte schon oft gerächt.

"Als sie gemerkt haben, das geht in die richtige Richtung, haben sie das geschickt verschwiegen." Hans-Joachim Stuck

Das BMW Sauber F1 Team habe hingegen "superclever" auf Understatement gesetzt, erklärt Stuck, "indem sie nicht mit Vorschusslorbeeren in die Saison gegangen sind, die man wohl hätte streuen dürfen. Stattdessen haben sie es runtergespielt und einen Riesenschritt nach vorne gemacht. Sie hatten am Anfang schon Probleme, aber die wurden richtig schnell gelöst. Als sie gemerkt haben, das geht in die richtige Richtung, haben sie das geschickt verschwiegen."

Tatsächlich hat Theissen vor dem ersten Rennen in Australien zugegeben, dass von der Presseabteilung bei den Exklusivtests zum Teil falsche Rundenzeiten angegeben wurden - um repräsentative Werte zu verbreiten, wie es offiziell heißt, aber in Wahrheit natürlich, um die Konkurrenz in Sicherheit zu wiegen. Es ist ja noch nicht lange her, da wurde die flache Unterlippe des Frontflügels des F1.08 nur milde belächelt...

Instabilität scheint kein Problem mehr zu sein

Jener Frontflügel - in Barcelona wurde erstmals auch eine geschwungene Variante getestet - generiert nämlich mehr Anpressdruck, ist gleichzeitig aber auch anfälliger auf Instabilität, sobald die Bodenhöhe auch nur minimal abweicht. Das kann schon bei der Gewichtsverlagerung während eines Bremsvorgangs passieren. Aber offenbar hat Technikchef Willy Rampf es geschafft, dieses Problem in den Griff zu bekommen, denn der F1.08 war als bisher einziges Auto überall konstant schnell.

Frontflügel des BMW Sauber F1.08

Der kantige Frontflügel des F1.08 war anfangs sehr schwierig zu handhaben Zoom

Insofern weicht Experte Surer von seiner ursprünglichen Theorie ab, wonach das BMW Sauber F1 Team in seinen Leistungen stärker schwanken könnte als Ferrari und McLaren-Mercedes: "Das haben sie jetzt im Griff. Man kann sich darüber nur wundern, wie es nach einem so schlechten Start möglich ist, zu einem so konstanten Setup zu finden, das auf jeder Strecke geht. Da habe ich mich getäuscht und andere auch - und ich glaube, BMW ist darüber selbst ein bisschen überrascht."

Apropos Frontflügel, apropos Rampf: Hinter dem medienscheuen Deutschen sehen unsere beiden Experten ein Erfolgsgeheimnis des BMW Sauber F1 Teams. Denn der 54-Jährige ist kein Stardesigner vom Schlage eines Adrian Newey, was sein Gehalt oder seine Bekanntheit angeht, aber seit er dank BMW die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung hat, beweist er mit seinem kompetenten Team, was wirklich in ihm steckt.

Expertenlob für Technikchef Rampf

Stuck: "Er hatte bisher nie die Möglichkeiten, was das Finanzielle angeht, aber jetzt hat er die schon. Das gibt ihm Aufwind. Ich habe Willy Rampf immer schon für einen fähigen Mann gehalten. Man muss ja immer die Umstände sehen, unter denen die Leute arbeiten. Aber es geht nicht nur um die Aerodynamik, sondern auch um Fahrwerk, Getriebe, Motor. Da hat man offensichtlich in den letzten Jahren die richtigen Leute um sich geschart, die als gemeinsames Team diesen Erfolg bringen."

"Ich habe Willy Rampf immer schon für einen fähigen Mann gehalten." Hans-Joachim Stuck

Surer empfindet Rampf als angenehme Erscheinung im ansonsten von Egomanen und exzentrischen Selbstbeweihräucherern besetzten Formel-1-Fahrerlager: "Willy Rampf ist froh, wenn er nicht vor die Kamera muss! Die arbeiten lieber und möchten nicht vor die Kamera. Es gibt weniger erfolgreiche Leute als ihn, die laufend vor der Kamera stehen. Da haben sie in Hinwil offenbar die richtige Einstellung", lobt er die dortige, 430 Mann starke Belegschaft.

Noch nicht die Nummer eins im Feld

Dennoch darf das Team nach drei Rennen natürlich nicht abheben: "Sie sind nahe dran, aber es braucht immer noch das Pech von Ferrari beziehungsweise in Melbourne von McLaren. Eines der beiden Teams scheint ihnen immer vor der Nase zu sitzen", so Surer. "Sie brauchen also schon noch Glück, um ein Rennen zu gewinnen, aber wenn man so dicht dran ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass man profitiert, wenn vorne mal jemand patzt."

"Sie sind nahe dran, aber es braucht immer noch das Pech von Ferrari." Marc Surer

Stuck nickt zustimmend: "Sie haben bisher auch von Fehlern anderer profitiert, aber sie sind nicht umsonst in der Teamwertung vorne. Insgesamt, als Team, haben sie die beste Leistung abgeliefert. Vom Speed her fehlt noch etwas auf Ferrari, logisch, aber sie sind einen deutlichen Schritt näher gekommen und haben vor allen Dingen gezeigt, dass sie im Moment die zweite Kraft sind. Das ist eine Supergeschichte", stuft er das BMW Sauber F1 Team vor McLaren-Mercedes ein.

Über Stucks "Supergeschichte" schlagen wir eine besonders fantasievolle Brücke hin zum "Supermario" - und damit kann natürlich nur Theissen gemeint sein. Der in der Öffentlichkeit sympathisch auftretende Deutsche, der hinter verschlossenen Türen auch mal andere Töne anschlagen kann, ging bis 2003 an der Seite seines Kollegen Gerhard Berger medial ein wenig unter, hat seither aber alles richtig gemacht und ist damit zum Liebling des Vorstands avanciert.

Stuck lobt "Technokrat" Theissen

"Theissen", findet Stuck, "ist der richtige Mann am richtigen Platz. Er weiß als Technokrat - positiv gesehen - mit seiner Weitsicht ganz genau, um was es geht. Er führt ein hartes Regime, aber der Erfolg gibt ihm Recht. Dieser Erfolg ist das Resultat einer konsequenten und stringenten Gangart, die von ihm durchgezogen wird. Und er hat um sich herum die richtigen Leute. Einer muss dirigieren, aber es darf keiner im Orchester Fehler machen. Das hinzubekommen, ist die Kunst der Nummer."

Willy Rampf, Robert Kubica und Mario Theissen

Die Helden der Stunde: Willy Rampf, Robert Kubica und Mario Theissen Zoom

Und noch etwas wird Theissen in der Branche hoch angerechnet: Er hat nach der Übernahme des Sauber-Teams nicht wahllos teure Superstars eingekauft, obwohl der Druck groß war, sondern er nahm mit Heidfeld einen Fahrer von Williams mit, der noch nie einen Grand Prix gewonnen hatte, aber von dem er überzeugt war. Auch die technische Struktur wurde nur mit Ergänzungsspielern aufgestockt, aber Rampf blieb unumstrittener Kapitän.

"BMW hat Sauber da verstärkt, wo es nötig war. Sie haben nicht einfach Leute eingekauft, sondern das Sauber-System verbessert und da verstärkt, wo es Vorteile bringt - zum Beispiel sind im Windkanal viel mehr Leute im Einsatz. Aber die Grundstrukturen wurden nicht verändert. Ich glaube, dass man eine gewachsene Struktur verstärkt hat und dass das eine bessere Taktik ist, als Leute einzukaufen und die aufeinander loszulassen", erklärt Surer den Aufwärtstrend des Teams.

Welcher Fahrer gewinnt zuerst?

Dass das BMW Sauber F1 Team früher oder später einen Grand Prix gewinnen wird, steht außer Frage. Aber wer wird es sein? Routinier Heidfeld oder doch eher der momentan vor Selbstvertrauen strotzende Kubica? "Wer von den beiden den ersten Grand Prix gewinnt, ist für mich völlig offen", sieht Stuck in dieser Frage ein klassisches Unentschieden. "Beide sind auf dem gleichen Niveau. Das wird von der Rennsituation abhängen."

"Wer von den beiden den ersten Grand Prix gewinnt, ist für mich völlig offen." Hans-Joachim Stuck

Surer widerspricht nicht: "Es kommt auf die Tagesform an, wer von den beiden gewinnt", so der Schweizer, der keine Heidfeld-Krise erkennen kann: "Wenn man davon ausgeht, dass Nick in Bahrain ein schlechtes Wochenende hatte, dann war er verflixt schnell unterwegs. In Malaysia hatte er Pech am Start, da wurde er von Trulli abgedrängt. Auch da hätte es sonst vielleicht anders ausgesehen. Jetzt nur auf Kubica zu setzen, finde ich falsch. Sie fahren auf einem ähnlichen Niveau."

Also kehren wir zurück zur Ursprungsfrage, nämlich der, warum das BMW Sauber F1 Team schon 2008 Weltmeister werden kann. Und anstatt noch lange zu analysieren, bedienen wir uns doch lieber eines Präzedenzfalls aus der Formel-1-Geschichte: Keke Rosberg wurde 1982 mit nur einem Sieg und fünf weiteren Podestplätzen Weltmeister. Wenn sich die Konkurrenz gegenseitig genug Punkte wegnimmt, kann man also mit Konstanz auch ohne Seriensiege den Titel holen...