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  • 07.06.2012 15:07

Von der langsamsten auf eine der schnellsten Strecken

Für Motorenhersteller Renault ist Kanada ein erfolgreiches Pflaster: In Montreal holte man u.a. 1989 mit Williams den ersten Sieg mit einem V10-Saugmotor

(Motorsport-Total.com) - Der Große Preis von Monaco vor zwei Wochen wurde noch auf der langsamsten Rennstrecke der gesamten Saison ausgetragen. Nun folgt der Kontrast. Denn am kommenden Wochenende startet die Formel 1 beim Grand Prix von Kanada auf einer schnellen Power-Strecke. Der Circuit Gilles Villeneuve von Montreal ist übrigens weder der kürzeste noch der schnellste aktuelle Grand Prix-Kurs, aber der mit der niedrigsten Rundenzeit: Die Formel-1-Piloten brauchen durchschnittlich nur 75 Sekunden, um die Strecke einmal zu umrunden.

Titel-Bild zur News: Vitaly Petrov

Der Kurs von Montreal stellt hohe Anforderungen an die Motoren

Für Renault ist der Asphalt des Circuit Gilles Villeneuve ein geschichtsträchtiges Pflaster: Hier gelang der Kombination Williams-Renault 1989 der erste gemeinsame Sieg mit dem legendären V10-Saugmotor. 1993 und 1996 gewannen Alain Prost und Damon Hill für den britisch-französischen Rennstall, 2006 bescherte Fernando Alonso dem Renault F1 Team in Montreal den ersten V8-Erfolg. Prost, Hill und Alonso wurden im Jahr ihres Kanada-Sieges mit Renault jeweils Weltmeister.

Mit seinen langen Geraden erfordert der Circuit Gilles Villeneuve eine Abstimmung mit geringem aerodynamischem Abtrieb. In der engen Haarnadelkurve sowie der letzten Rechts-Links-Schikane vor Start-und-Ziel benötigen die Piloten jedoch ein Fahrzeug, das beim Anbremsen aus hohen Geschwindigkeiten sehr stabil liegt. Die Ingenieure von Renault müssen den RS27-V8 also so abstimmen, dass er die maximale Höchstleistung mit einer effizienten Motorbremse kombiniert, gleichzeitig aber auch am Kurvenein- und -ausgang sensibel auf Gasbefehle anspricht.

Die jeweilige Windrichtung kann auf dieser Strecke die Getriebeabstufung für den siebten Gang beeinflussen. Aufgrund der geographischen Lage inmitten des Sankt-Lorenz-Stroms können sich die Wetterbedingungen rasch verändern. Die Wahl der richtigen Getriebeabstufung ist daher immer auch ein Vabanquespiel. Eine falsche Abstufung kann hier zu großen Geschwindigkeitsnachteilen auf den Geraden führen.

Nach der Start-und-Ziel-Geraden folgt eine leichte Linkskurve, die direkt in eine L-förmige Rechtskurve führt. In diesem Streckenabschnitt muss der Motor sehr sanft auf Gaspedalbefehle ansprechen. Denn hier läuft der RS27 für rund fünf Sekunden bei etwa 11.000 Umdrehungen. In keinem anderen Sektor des Circuit Gilles Villeneuve arbeiten die Triebwerke über einen derart langen Zeitraum in einem so niedrigen Drehzahl-Fenster.

Der zweite Streckenabschnitt zeichnet sich dagegen eher durch einen Stop-and-Go-Charakter aus. Hier müssen die Piloten ihre Boliden vor den Kurven sechs und sieben und vor der schnellen Kurvenkombination mit den Turns acht und neun immer wieder hart zusammenbremsen. Dabei gilt es, zum Abkürzen die Kerbs in die Linienwahl mit einzubeziehen. Daher muss der Motor sowohl beim Anbremsen als auch beim Herausbeschleunigen ab dem Scheitelpunkt sehr direkt reagieren. Rein zeitlich betrachtet ist dieser Sektor der längste der gesamten Strecke.

Vor der Haarnadelkurve bremsen die Fahrer ihre Autos auf weniger als 60 km/h zusammen. Danach heißt es dann Vollgas für die 1.046 Meter lange Gerade, die zu Turn 13 und der berühmt-berüchtigen "Wall of Champions" führt - an der bereits mehrere Formel-1-Weltmeister ihre Boliden zerstört haben. Auf der Geraden werden im Qualifying dank des verstellbaren Heckflügels DRS Topspeeds von rund 320 km/h erreicht, im Rennen sind es ohne DRS-Unterstützung noch über 300 km/h. Die Ingenieure programmieren daher das Motorenmanagement so, dass der RS27-V8 beim Herausbeschleunigen ein sehr direktes Ansprechverhalten an den Tag legt und die Höchstgeschwindigkeit erst gegen Ende der Geraden erreicht wird.

Die harten Anbremszonen vor der Haarnadel und der letzten Schikane vor der Start-Ziel-Linie erfordern eine wirksame Motorbremse. Gleichzeitig kann hier das KERS (Kinetic Energy Recovery System) durch die Rückgewinnung von Bremsenergie wieder aufgeladen werden. Auf der anschließenden Geraden dürfen die Piloten den Zusatzschub dann theoretisch sogar zwei Mal nacheinander nutzen. Denn ab der Start-Ziel-Linie verfügen sie wieder über das maximal erlaubte Zeitfenster von 6,7 Sekunden, in denen das KERS pro Runde aktiviert werden darf. Aufgrund des relativ hohen Anteils an Vollgaspassagen auf dieser Strecke verfügen Fahrer mit dem KERS über einen besonders großen Vorteil.

Der Circuit Gilles Villeneuve aus der Sicht des Fahrers

"Natürlich ist eine optimale Höchstleistung insbesondere auf der langen Geraden von enormer Bedeutung", so Williams-Pilot Bruno Senna. "Gleichzeitig spielt jedoch ein gutes Ansprechverhalten für die kurzen Zwischensprints aus den Kurven eine wichtige Rolle. Vor allem zwischen den Turns drei und neun ist es ein ständiger Wechsel zwischen Bremsen und Beschleunigen. Der Motor muss sich hier durch ein sehr gutes Ansprechverhalten auszeichnen - denn wenn die Power nicht exakt dann zur Verfügung steht, wenn du sie brauchst, kannst du eine Menge Zeit verlieren. Beim Anbremsen der Schikanen und der Haarnadel spielt die Motorbremse eine wichtige Rolle, insbesondere, da wir hier aus sehr hohen Geschwindigkeiten herunterbremsen. Das Fahren auf diesem Kurs macht wirklich Spaß. Aber hier musst du in jeder Kurve äußerst präzise fahren, denn die Mauern verzeihen keinen Fehler. Erschwerend kommt hinzu, dass neben der Ideallinie sehr viel Schmutz und Reifenabrieb liegt."

Der Circuit Gilles Villeneuve aus der Sicht des Motoren-Ingenieurs

Rémi Taffin, Leiter des Renault-Einsatzteams, sagt über Montreal: "Nach Monaco kommt nun Kanada - unterschiedlicher können zwei Rennstrecken kaum sein. Montreal gehört zu den Strecken, auf denen Motorleistung ganz besonders viel zählt. Dabei geht es allerdings nicht um die Länge der Vollgaspassagen wie in Monza oder um die Zeit, in der die Drosselklappen über eine Runde betrachtet voll geöffnet sind wie in Spa. Hier in Montreal kommt es wegen der vielen Geraden auf Beschleunigung und hohe Spitzenleistung an. Und das praktisch pausenlos über die gesamte Runde."

"Besonders in den Bremszonen vor der Zielschikane und vor der Haarnadel muss unser RS27-V8 außerdem eine sehr effiziente Motorbremse mitbringen. Kurz: In Montreal wird entweder brutal beschleunigt, brutal gebremst oder brutal Topspeed gefahren. Dazwischen gibt es nichts. Dank dieser Charakteristik nennen wir Motorenleute die Strecke einen 'engine breaker', einen Motorenkiller. Die Herausforderung besteht darin, die optimale Balance zwischen maximaler Leistung und 100-prozentiger Zuverlässigkeit zu finden. Ähnlich wie auf den anderen Power-Strecken Spa und Monza gilt es, technische Risiken gegen mögliche Zeitgewinne abzuwägen."

"Die Fahrer gehen hier mit der - neben Australien - schwersten Kraftstoffladung ins Rennen. Wobei die Spritmenge am Start immer auch von der jeweiligen Rennstrategie und der Witterung abhängt. Und dass das Wetter hier extrem umschlagen kann, haben wir im vorigen Jahr gespürt. Montreal ist in puncto Motoren-Abstimmung zwar nicht ganz so ein Einzelfall wie Monaco, aber die richtigen Setups können im Qualifying durchaus darüber entscheiden, ob du von ganz vorn oder im Mittelfeld startest - umso mehr, weil dieses Jahr so viele Teams so eng beieinander liegen."

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