• 28.11.2011 00:15

  • von Dieter Rencken

Vettel: "Ich kann mich nicht beschweren..."

Red-Bull-Fahrer Sebastian Vettel kann sich mit Platz zwei in Brasilien gut arrangieren und schwärmt regelrecht von seiner klasse Rennsaison 2011

(Motorsport-Total.com) - Für Sebastian Vettel lief das letzte Saisonrennen der Formel 1 nicht nach Plan. Der Weltmeister kam von der Pole-Position zwar sehr gut weg und führte das Feld in Sao Paulo zunächst auch an, musste aufgrund eines technischen Problems aber sukzessive Tempo herausnehmen und wurde daher "nur" Zweiter hinter seinem Red-Bull-Teamkollegen Mark Webber. In seiner Medienrunde zeigt sich Vettel aber trotzdem zufrieden mit seinem Abschneiden und mit seiner herausragenden Rennsaison 2011.

Titel-Bild zur News: Sebastian Vettel

Sebastian Vettel genoss den Schampus, obwohl er dieses Mal "nur" Zweiter war

Frage: "Sebastian, während deiner Fahrt zu Platz zwei hast du dich mit Ayrton Senna verglichen, der 1991 in Sao Paulo über weite Strecken mit einem Getriebeproblem unterwegs war. Beschreibe doch einmal, wie sehr du zu kämpfen hattest..."
Sebastian Vettel: "Der Unterschied ist: er siegte damals. Ja, es war sehr schade, denn ich hatte einen guten Start und ein gutes Gefühl."

"Ich konnte zu Rennbeginn sofort eine Lücke aufbauen, doch dann kam schon früh über Funk herein, dass wir ein Problem mit dem Getriebe hätten. Ich musste den Motor herunterdrehen und ohne Zugkraft-Unterbrechung schalten. Es wurde während des Rennens immer schlimmer. Letztendlich nutzte ich fast überall höhere Gänge und deshalb kam mir dieser Vergleich in den Sinn."

"Nichtsdestotrotz: Mark fuhr ein fantastisches Rennen und verdient den Sieg. Ich möchte das jetzt nicht Pech nennen. Natürlich: Wenn so etwas passiert, liegt es nicht in deinen Händen. Ich versuchte dennoch, mein Bestes zu geben. Ich blieb ihm möglichst nahe auf den Fersen und probierte, den Vorsprung auf Fernando und Jenson nach Möglichkeit bis zum Ende zu halten."


Fotos: Sebastian Vettel, Großer Preis von Brasilien


"Ich denke, wir hatten eine wirklich erstaunliche Saison und es wäre vermessen, jetzt verärgert zu sein. Wir nehmen diesen zweiten Platz und den Doppelsieg für das Team mit. Das ist großartig. Ja, es war ein phänomenales Jahr und dieses Ende ist sehr stark. Jetzt sind wir bereit für den Winter und freuen uns auf eine Pause, in der wir unsere Akkus aufladen können, damit wir 2012 hoffentlich wieder stärker zurückkehren können."

Das Getriebe stottert und Vettel verliert an Tempo

Frage: "Was genau lief denn schief bei dir? Es dürfte in Runde 13 gewesen sein, als du mehr und mehr auf Mark verlorst. War das vor dem Boxenstopp oder danach?"
Vettel: "Ja, es war schon am Ende des ersten Stints so weit. Während des ersten Abschnitts bekam ich zu einem gewissen Zeitpunkt die Nachricht, dass wir ein Problem mit dem Getriebe hätten. Es hörte sich ziemlich übel an, also drehte ich den Motor herunter und schaltete sofort ohne Zugkraft-Unterbrechung."

"Es wurde immer schlimmer." Sebastian Vettel

"Es wurde aber trotzdem immer schlimmer. Ich meisterte den ersten Boxenstopp und holte wieder etwas auf Mark auf, weil ich eine Runde eher hereingekommen war. Irgendwann realisierte ich dann aber, weil es noch früh im Rennen war, dass unsere Priorität sein würde, ins Ziel zu gelangen. Mark würde weiter an Boden gutmachen und für das Team stünde im Vordergrund, das Rennen zu gewinnen."

"Ich versuchte, im Funk recht deutlich zu sein, dass ich die erste Position mit diesem Tempo nicht würde halten können - oder was auch immer ich gebeten wurde zu tun, um mit dem Getriebe klarzukommen. Ich sagte dann: 'Okay, aber sagt es Mark. Sagt ihm, dass ich ihn durchlassen werde.' Ich wollte ihm die Chance geben, weiterhin Druck zu machen und keine Zeit damit zu verlieren, mich zu überholen."

"In dieser Phase des Rennens wusste ich ja nicht, ob ich überhaupt die Zielflagge sehen würde. Ich freue mich daher sehr darüber, dass ich hier bin, doch es ist auch ein bisschen schade. Ich verlor gegen Ende nämlich mehr und mehr an Boden und musste immer konservativer zu Werke gehen."

"Irgendwann sagte ich dann: 'Ich fühle mich wie Senna 1991, als er hier mit einem Getriebeproblem auskommen musste.' Natürlich war es für ihn etwas komplett Anderes, doch er als Brasilianer siegte in diesem Rennen trotzdem. Ich musste in den Bereichen Druck machen, in denen es mir gestattet war. Das war in den Kurven. Sobald ich aber auf den Geraden war, musste ich eher schalten."

"Ich weiß nicht, ob ihr auf der Strecke war, doch ausgangs der letzten Kurve geht es ziemlich steil nach oben. Es gab eigentlich keine Chance... Ich versuchte, so nahe wie möglich an Mark dranzubleiben, falls sich das Problem von selbst lösen sollte und wir wieder hätten draufdrücken können. Unterm Strich ging es aber nur darum, den Abstand zu halten."

"Alles in Allem, wie ich schon sagte, bin ich sehr zufrieden." Sebastian Vettel

"Als ich hörte, dass Jenson es auf Platz zwei abgesehen hatte, war ich nicht sehr glücklich, denn ich hatte schon ein paar Mal gehört, wie er am Ende eines Rennens noch einmal einen Vormarsch geschafft hatte. Dieses Mal hatten wir aber genug Tempo zur Verfügung, um ihn hinter uns zu halten. Das war also okay. Alles in Allem, wie ich schon sagte, bin ich sehr zufrieden. Es wäre nicht richtig, sich heute zu beschweren."

"Es ist ein klasse Ergebnis für das Team, einen Doppelsieg einzufahren. Mark fuhr ein sehr gutes Rennen und hatte eine tolle Geschwindigkeit. Ich sitze nicht hier und sage, 'Was wäre, wenn...' oder 'ich hätte vielleicht gewonnen'. Tatsache ist: Er siegte und er verdiente es auch. Wie ich schon sagte: Wir, das Team, ich - wir hatten ein unglaubliches Jahr. Ich möchte mich also wirklich nicht beschweren."

Frage: "Anhand der Rundenzeiten wurde nicht unbedingt deutlich, dass du ein Problem mit dem Getriebe hattest. Du verlorst nicht allzu viel Zeit und kamst recht dicht hinter Mark ins Ziel. Man konnte den Eindruck kriegen, es stimmte gar nicht..."
Vettel: "Ich kann dir versichern, dass wir ein Getriebeproblem hatten und das ich gezwungen war... Ich mochte diese Nachricht nicht, aber ich hatte keine andere Wahl. Entweder du siehst die Zielflagge oder du siehst sie nicht."

"Ich konnte das Tempo ziemlich gut halten." Sebastian Vettel

"Wie ich schon sagte: Ich drehte den Motor herunter. Ich fühlte mich wohl im Auto und war nach dem ersten Stint auch besser dazu in der Lage, ein Verständnis für die Reifen aufzubauen. Ich konnte das Tempo ziemlich gut halten. Ich versuchte einfach, so gut wie möglich an Mark dranzubleiben und dort Druck zu machen, wo ich es tun konnte - in den Kurven."

"Das konnte ich nicht so gut machen, wenn ich das Gas fühlte, denn ich musste ja höhere Gänge wählen und eher schalten. Zu Beginn dachte ich, ich könnte recht nahe an ihm dranbleiben - vor allem im zweiten Sektor. Traktion büßte ich nicht ein, wohl aber Beschleunigung. Im zweiten Abschnitt des Kurses sind die Geraden aber auch sehr kurz."

"Der letzte Sektor hat wiederum nur eine Kurve und danach geht es übel bergauf, wo ich natürlich auch wieder früh schalten musste. Irgendwann wurde mir gesagt: 'Wir müssen das Getriebe schonen, also fahr' langsamer.' Ich antwortete, dass ich mir dessen bewusst sei und dass ich schon jetzt nicht sehr viel Druck machte."


Fotos: Red Bull, Großer Preis von Brasilien


"Ja, wir hatten ein gutes Tempo im Auto und gegen Ende waren wir auch auf den weichen Reifen schnell. Für uns ging es aber natürlich vorrangig darum, das Auto ins Ziel zu tragen. Du kannst mir glauben: Wenn ich eine Wahl gehabt hätte, hätte ich auch zur Optionen 'Rennen fahren' tendiert."

Vettel begnügt sich mit dem zweiten Platz - notgedrungen

Frage: "Dachtest du je darüber nach, alles zu riskieren, um Mark wieder einzufangen, oder zogst du es stattdessen vor, den zweiten Platz einzufahren?"
Vettel: "Es ist niemals toll, Zweiter zu werden, wenn du ein Auto oder ein Paket hast, das gut genug ist, um den Sieg zu holen. Aber ja, ich bekam die Nachricht ja schon früh im Rennen."

"Ich wollte ihn nicht aufhalten, also machte ich Platz." Sebastian Vettel

"Danach war die Priorität, dass zumindest Mark hingehen und versuchen sollte, das Rennen zu gewinnen, auch wenn ich ausscheiden sollte. Ich wollte ihn nicht aufhalten, also machte ich Platz. Danach musste ich immer mehr Tempo herausnehmen. Ich fuhr ohne den zweiten Gang, was angesichts der vielen langsamen Kurven auf dieser Strecke sicher keine Hilfe ist."

"Natürlich verlor ich Zeit, doch unterm Strich will ich nicht hier sitzen und mich beschweren. Das Team sagte mir - und so verstand ich es auch -, dass die Zielankunft das Wichtigste sein würde. Es ist also klasse, hier auf dem Podest zu stehen. Die Leute hier in Interlagos sind meiner Meinung nach sehr leidenschaftlich, was den Motorsport anbelangt. Die Fahrerparade ist eine nette Geschichte."

"Wenn wir auf dem Truck stehen und unsere Runde drehen, jubeln uns so viele Menschen dafür zu, dass wir tun, was wir tun. Sie freuen sich über das, was wir wenig später für sie tun. Es ist klasse, ein Teil davon zu sein. Wenn du danach auf die Strecke gehst, weißt du nie, was passieren wird. Wenn du dann also die Zielflagge siehst und auf dem Treppchen stehst, ist das kein schlechter Tag."

Frage: "Du warst auch einmal kurz neben der Strecke. Das sieht man bei dir nicht allzu oft..."
Vettel: "Ja. Beim Wechsel auf die härtere Mischung war ich etwas überrascht davon, dass das Aufwärmen nicht so gut ging. Ich denke, ich wurde einfach vom Straßenverkehr aufgehalten und verlor die Vorderachse etwas zu sehr, als ich meine Reifen auf Temperatur bringen wollte."

"Es zieht dich regelrecht von der Strecke." Sebastian Vettel

"Der Randstein am Ausgang von Kurve vier ist ziemlich knifflig, denn er ist nach außen geneigt. Es zieht dich regelrecht von der Strecke. Ich sagte mir da einfach: 'Okay, es ergibt keinen Sinn' und versuchte, die Lenkung aufzumachen, um dem Auto genug Raum zu lassen und einfach auf den Kurs zurückzukehren. Ich wollte nichts Dummes anstellen. Das war es auch schon."

Frage: "In diesem Rennen gab es einige Getriebeprobleme. Lag das an Materialermüdung, wo wirr nun doch das Saisonende erreicht haben, oder ist das einfach nur eine besondere Herausforderung in Interlagos?"
Vettel: "Ich bin mir nicht sicher. Mein Getriebe war brandneu. Es war das erste Rennen damit. Vielleicht hätten wir weiterhin ein älteres Modell verwenden sollen."

¿pbvin|512|4258||0|1pb¿"Ich weiß es nicht. Ich denke, ja, der Kurs ist ziemlich hat. Andererseits gibt es da Orte, wo es noch viel schlimmer ist. Auf Stadtkursen bist du ja quasi ständig in niedrigen Gängen unterwegs und hast sehr kurze Übersetzungen, weil du viel schalten musst. Ermüdung wäre nach nur einem Rennen - oder nicht einmal nach einem Rennen - schon sehr seltsam."

Die Gedanken gelten dem Team und dem Erfolg

Frage: "Bitte fasse doch einmal deine Gedanken zu einer aus deiner Sicht historischen und dominanten Saison zusammen..."
Vettel: "Habt ihr Zeit dafür?"

Frage: "Mach' es einfach kurz..."
Vettel: "Es ist schwierig, all dies zusammenzufassen. Ich denke, es war ein großartiges Ende für diese Saison, mit beiden Autos auf dem Podest zu sein und einen Doppelsieg zu haben. Natürlich wäre es mir lieber gewesen, das Rennen auf normale Art und Weise zu beenden. Wir hatten aber trotzdem eine wirklich großartige Saison. Sie war eigentlich ziemlich unglaublich."

"Das Team arbeitete meistens absolut fehlerfrei." Sebastian Vettel

"Vor dem Auftakt in dieses Rennjahr dachten wir, ein konkurrenzfähiges Auto und die Möglichkeit zu haben, ein paar Rennen zu gewinnen. Es war aber einfach fantastisch. Das Team arbeitete meistens absolut fehlerfrei und verbesserte sich im Vergleich zu von vor zwei Jahren noch einmal dramatisch. Wir scheinen zu mögen, was wir tun. Es ist an jedem Wochenende einfach schön, in die Garage zu kommen und ein Lächeln auf den Gesichtern der Jungs zu sehen."

"Sie sind glücklich bei dem, was sie tun. Unterm Strich spielt es in meinen Augen keine Rolle, ob man jetzt mit Formel-1-Autos, Tourenwagen, im Sport oder in der Geschäftswelt zugange ist, solange man nur seinen Spaß daran hat. Eines steht in Bezug auf uns fest, denke ich. Das ist: Wenn du zu uns in die Garage gehst, und sei es nur als Gast, dann bekommst du einfach das Gefühl, das wir lieben, was wir tun."

"Wir sind leidenschaftlich bei der Sache und da spielt es keine Rolle, ob wir länger oder härter arbeiten als die anderen. Wir sind bereit dazu, das in Kauf zu nehmen, denn wir wissen ja, wie süß es am Ende eines Rennens oder einer Saison schmecken kann. Ich bin den Jungs an der Strecke und noch viel mehr den Jungs in der Fabrik sehr dankbar."

"Sie machen über das gesamte Jahr so viel Druck, um das Auto auf das Niveau zu bringen, auf dem es nun ist. McLaren drückte kräftig und zum Saisonende waren wir ungefähr gleichauf. Ich denke nicht, dass ein Auto die Oberhand über das andere hatte. Manchmal, hier und da, war es enger, als es vielleicht aussah."

"Wir dürfen sicherlich immer auf dieses Jahr zurückblicken und stolz darauf sein." Sebastian Vettel

"Im Hinblick auf die Gesamtwertung war das wahrscheinlich gar nicht der Fall, doch das unterstreicht nur, wie gut wir operationell aufgestellt sind. Wir holten mehr oder weniger jedes Mal einhundert Prozent aus unserem Paket. Darauf dürfen wir stolz sein. Ich bin sehr stolz darauf, ein Teil davon zu sein. Wir dürfen sicherlich immer auf dieses Jahr zurückblicken und stolz darauf sein."

Frage: "Du brauchst jetzt sicher eine Weile, um runterzukommen..."
Vettel: "Ja, ich glaube schon. Andererseits: Tage wie dieser helfen dabei, zu verstehen, dass es nicht selbstverständlich ist, Rennen anzuführen und zu gewinnen. Meiner Meinung nach ging es uns in dieser Hinsicht sehr, sehr gut. Es machte extrem viel Spaß. So etwas kannst du dir nicht vornehmen, so etwas passiert einfach."

Frage: "Wenn deine gesamte Saison ein Tagebuch wäre, was würdest du dann auf deine letzte Seite schreiben?"
Vettel: "Das Wichtigste war, dass wir ins Ziel kamen. Es tat uns das letzte Mal allen sehr weh, dass uns das nicht möglich war. Die Zielflagge zu sehen war daher eine riesige Belohnung für alle. Ich darf einen Pokal mit nach Hause nehmen. Allzu unzufrieden bin ich also nicht. Das Fazit fällt sehr positiv aus. Mit mir muss man nach einem solchen Jahr kein Mitleid haben."