Vasselon: "Kein einfacher Kompromiss"
Toyotas Chassis-Verantwortlicher erklärt mit dem Wissen als Ex-Ingenieur bei Michelin die besonderen Herausforderungen für die Reifen in Indianapolis
(Motorsport-Total.com) - Frage: "Indy ist die einzige Strecke im Kalender mit einer überhöhten Kurve. Wie wirkt sich das auf das Setup des Autos aus?"
Pascal Vasselon: "Das hat viele Konsequenzen. Indy ist so speziell, dass das auch zu dieser Reifengeschichte im Vorjahr führte, von der ich überzeugt bin, dass alle sie vergessen wollen. Aber das zeigt auch auf, wie speziell Indy ist. Es ist ein Kurs, auf dem man auf zwei Gebieten fast keinen Kompromiss erreichen kann - Reifen und Aerodynamik. Für den überhöhten Teil würde man gern mit der Abtriebsvariante aus Monza fahren, denn man fährt 22 bis 23 Sekunden Vollgas. Und sobald man im Infield ist, möchte man die Abtriebswerte aus Monaco haben. Man muss da einen Kompromiss eingehen, auch bei anderen Teilen des Pakets."

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Pascal Vasselon erlebte das Indy-Fiasko nicht vor Ort
Frage: "Wie bei den Reifen?"
Vasselon: "Auch bei den Reifen ist es schwierig, denn auf der einen Seite hat man einen hohen Verschleiß an den Hinterrädern. Wenn die Autos im überhöhten Bereich fahren, dann gibt es eine Kompression, der Asphalt ist zudem sehr rau. Die hohe Verschleiß bedeutet, dass wir keine weiche Mischung fahren können. Wenn man aber das Infield befährt, dann ist es sehr langsam, man benötigt viel Grip, speziell, weil man ja mit wenig Abtrieb fährt. Diese beiden Dinge stoßen dann aufeinander."#w1#
Schmaler Arbeitsbereich für die Reifen
Frage: "Kannst du erklären, warum man in Indy mit Trockenreifen bei feuchten Streckenbedingungen fahren kann?"
Vasselon: "Die Situation bei einem Regenrennen ist wegen der Überhöhung auch speziell. Man kann die lange Kurve auf die Gerade weiter mit Vollgas fahren, weil der Grip durch die Überhöhung nicht von den Reifen abhängig ist. In Indianapolis kann man teilweise einen Intermediate-Reifen wählen, wenn es regnet, und einen Trockenreifen, wenn es feucht ist. Das geht, weil man die Mischung in der Überhöhung aufwärmt. Man fährt dort mit Vollgas und wärmt die Reifen auf, ohne an der Belastungsgrenze des Reifens zu sein. Diese Hitze sorgt dann im Infield für Grip. Hier kann man also immer etwas früher auf Trockenreifen wechseln."
Frage: "Kannst du uns den Konflikt bei den Reifen zwischen der überhöhten Kurve und der langen Geraden erklären?"
Vasselon: "Um es den Reifen leichter zu machen, müssen wir den Sturz der Räder präzise einstellen, um im Arbeitsfenster zu bleiben. Mit zu viel Sturz darf man nicht fahren, denn die Gerade ist sehr lang, man könnte sonst die innere Flanke des Reifen überhitzen. Mit zu wenig Sturz darf man aber auch nicht fahren, denn wenn man sich an das Vorjahr erinnert, dann trat das Reifenproblem an der äußeren Schulter auf. Die überhöhte Kurve belastet vor allem die Außenschulter des Reifens. Es gibt also nur einen schmalen Bereich und man muss eine Balance in der Belastung der inneren und der äußeren Flanke finden. Das ist kein einfacher Kompromiss."
Frage: "Werden die Reifenhersteller konservativer an die Aufgaben herangehen?"
Vasselon: "Beide Reifenfirmen sind dieses Problem sehr ernsthaft angegangen. Was im vergangenen Jahr passierte, kam unerwartet, denn es war ja nicht das erste Rennen dort. Ich denke, dass beide Reifenhersteller in der Lage sein werden, weitere Probleme zu vermeiden."
Einzelbelastungen für die Reifen sind gering
Frage: "Warum ist es für die Reifenhersteller so schwierig, die Bedingungen in Indy zu simulieren?"
Vasselon: "Die Überhöhung ist sehr speziell, denn es ist keine lange Gerade. Es ist relativ einfach, einen Reifen für Monza vorzubereiten, denn die Bedingungen auf langen Geraden kann man auf Prüfständen simulieren. In Indy aber gibt es eine Kombination aus hohen Geschwindigkeiten, hohen Belastungen und hohen Seitenkräften. Das kann man schwer simulieren. Dabei ist die Belastung weder auf den Geraden noch in den Kurven besonders hoch, es ist einfach das Zusammenspiel, was die Herausforderung darstellt."
Frage: "War es 2005 auch ein Problem, dass man das gesamte Rennen mit nur einem Reifensatz bestreiten musste?"
Vasselon: "Ja und nein. Das hatte einen Einfluss auf das Design des Reifens, aber die Reifenprobleme traten in den ersten zehn Runden auf. Wir können daher nicht sagen, dass es an den Regeln lag."
US-Fans vom Formel-1-Spektakel enttäuscht?
Frage: "Was denkst du persönlich von Indianapolis?"
Vasselon: "Es ist schön dort, wenn man in ein Steakhouse gehen möchte - mit großen Steaks. Aber im Ernst, es ist ein so berühmter Ort. Es gibt die Formel 1, Le Mans und Indianapolis. Da steht viel Geschichte dahinter. Ich erinnere mich, als ich 2000 zum ersten Mal dort war, dass die Menge unglaublich war. Und ich erinnere mich, als das erste Auto auf die Bahn ging, ein Jordan (mit Heinz-Harald Frentzen am Steuer; Anm. d. Red.). Die Leute redeten und schrien, plötzlich aber hörte das auf, als die den Klang des V10-Motors hörten. Das war ungewohnt für sie. Sie waren V8-Triebwerke mit geringen Drehzahlen gewohnt, und dieser Sound war einfach anders. Das hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Es ist ein toller Ort und die Stadionatmosphäre ist fantastisch, in Europa haben wir so etwas nicht. Ich habe aber noch immer das Gefühl, dass es für die Leute in den USA nicht genug Unfälle in der Formel 1 gibt. Es ist eben nicht NASCAR!"
Frage: "Hat die Formel 1, wenn man das Vorjahr einmal ausklammert, in den USA schon einmal eine gute Show geboten?"
Vasselon: "Für sie ist das schon anders, technologischer vielleicht. Die Fahrer sind sehr wichtig, aber es liegt auch ein Schwerpunkt auf der Technologie, auch auf der Strategie. In den US-Rennen gibt es mehr Spielraum für das eigentliche Rennspektakel auf der Strecke und weniger für die Technologie im Hintergrund. Wenn ein Auto zu sehr dominiert, dann schickt man das Pace Car auf die Bahn. Es ist also organisiert und man kann keine großen Unterschiede zwischen Fahrern und Autos etablieren. Für die US-Fans legen wir also vielleicht zu viel Augenmerk auf die Technologie, die, wenn man es richtig macht, in einem Abstand zu den Gegnern resultiert. Und der bleibt dann bis zum Ende des Rennens."
Frage: "Was passierte, als du im Vorjahr die Strecke verlassen wolltest?
Vasselon: "Nichts. Ich war in Köln, denn ich war noch beurlaubt, ehe ich Michelin in Richtung Toyota verließ. Es war das letzte Rennen, bei dem ich nicht vor Ort war. Ich kann die Enttäuschung der Fans verstehen und ich hoffe, dass wir dieses Mal ein aufregendes Spektakel bieten können."

