• 05.09.2005 17:46

Todt: "Wir wollen nur die Besten"

Ferrari-Teamchef Jean Todt über die Krise seines Rennstalls, die Spannungen mit Bridgestone sowie die zukünftige Fahrerbesetzung

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Jean, ist das Rennen hier in Monza wie erwartet gelaufen?"
Jean Todt: "Ob wir das so erwartet haben? Das soll wohl ein schlechter Witz sein! Natürlich haben wir viel mehr erwartet, natürlich sind wir sehr enttäuscht. Das Maximum wären für uns die Plätze sieben und acht gewesen, aber Michael, der Achter hätte werden können, wurde nur Zehnter."

Titel-Bild zur News: Jean Todt und Luca di Montezemolo

Ferrari-Teamchef Jean Todt (links) im Gespräch mit Luca di Montezemolo

Frage: "Der Fahrertitel ist mathematisch endgültig weg, der Konstrukteurstitel wahrscheinlich auch. Wie fühlst du dich jetzt?"
Todt: "Wir hören nie auf zu fighten, denn sonst könnten wir uns auch gleich alle neue Jobs suchen. Aber das ist nicht der Fall. Wir lernen jedes Mal etwas dazu, auch wenn man es nicht immer in den Rundenzeiten oder im Resultat erkennen kann. Das alles dauert länger als wir uns wünschen und als wir gedacht hatten, aber wir geben nicht auf."#w1#

Schumacher für Todt noch immer einer der besten Fahrer

Frage: "Nach fünf Jahren hat Michael Schumacher seinen Titel verloren. War das ein Wendepunkt?"
Schumacher: "Ja. Mathematisch ist seine Herrschaft beendet, aber das bedeutet nicht, dass er nicht noch immer zu den besten Rennfahrern der Welt gehört. Die Konstrukteurs-WM ist noch nicht ganz verloren, aber beim nächsten oder übernächsten Rennen wird das auch passieren. Wir wissen, dass das passieren wird, aber wir hatten in der Vergangenheit so viel Erfolg, dass wir das akzeptieren können. Niemand hätte vor ein paar Jahren geglaubt, dass ein Team jemals so erfolgreich sein kann wie wir. Jetzt ist die Herausforderung, dass wir wieder dorthin kommen, wo wir schon einmal waren."

Frage: "Ihr hattet diese Saison Hochs und Tiefs - ein Hoch in Imola, ein Tief zum Beispiel in Istanbul. Warum kam es jetzt in Monza gar so knüppeldick für euch?"
Todt: "Vielleicht haben die anderen Teams ihr Paket einfach stärker verbessert. Das ist möglich. Andererseits gelingen uns trotz neuer Lösungen nicht die Fortschritte, die uns eigentlich gelingen sollten. Man kann an Minardi und Jordan sehen, dass der Abstand manchmal nicht mehr so groß ist, aber sie fahren meist viel konservativere Reifenmischungen, weil sie noch die Reifen aus dem Vorjahr verwenden. Vielleicht zeigt das nur, dass wir uns in einer Übergangsphase befinden, in der wir etwas über neue Prozesse lernen müssen."

Frage: "Luca di Montezemolo erwartet sich vor Saisonende zumindest noch einen Sieg..."
Todt: "Aber wie um Himmels willen soll ich das versprechen?"

Wechsel zu Michelin ist vorerst kein Thema

Frage: "Auf Michelin wechseln?"
Todt: "Das wäre Bridgestone gegenüber sehr unfair. Außerdem ist es unsinnig, das zu erwarten und vorherzusagen, und wir sind vertraglich an Bridgestone gebunden. Diesen Vertrag werden wir bis zum Ende einhalten."

Frage: "Wie lange läuft der Vertrag?"
Todt: "Es ist ein fortlaufender Vertrag."

Frage: "Es ist möglich, dass Toyota und WilliamsF1 zu Bridgestone wechseln werden. Wärt ihr bereit, mit diesen Teams zusammenzuarbeiten, um Fortschritte zu erreichen, oder würdet ihr lieber euren eigenen Weg gehen?"
Todt: "Ich möchte nicht darüber spekulieren, welche Teams zu Bridgestone wechseln werden oder nicht, aber je mehr Teams wir gewinnen können, um gemeinsame Synergien zu schaffen, desto besser."

Frage: "Luca di Montezemolo hat am Samstag gesagt, dass es euch eindeutig an Grip von den Reifen mangelt. Früher habt ihr Bridgestone immer in Schutz genommen. Signalisiert das jetzt einen Wandel?"
Todt: "Das höre ich nicht zum ersten Mal. Wir wissen, dass uns Grip fehlt, und wir wissen, dass das vor allem mit den Reifen zu tun hat. Es würde aber nichts bringen, einfach einem Partner eine Pistole an die Schläfe zu drücken. Die Leute, die ich jedes Mal erwähne, waren in der Vergangenheit unglaublich hilfreich und unterstützend. Okay, damals hat Ferrari noch gewonnen, aber das war auch ein Verdienst von Bridgestone. Einer der Gründe - zu sagen, es wäre der einzige Grund, wäre aber grundlegend falsch -, weshalb wir momentan nicht gewinnen, ist der, dass uns Bridgestone nicht mit den besten Reifen beliefert. Abhängig von der Persönlichkeit, die man hat, gibt es unterschiedliche Wege, das öffentlich auszudrücken. Die Rückschlüsse sind am Ende des Tages aber dieselben."

Findet Bridgestone auch 2006 nicht aus der Krise?

Frage: "Bridgestone braucht jetzt schon fast ein Jahr, um den Problemen auf den Grund zu gehen. Macht dir das Sorgen, dass sie es vielleicht auch über den Winter nicht schaffen könnten?"
Todt: "Ja, wir sind besorgt. Mir wäre es lieber, wenn man mir diese Frage erst am Ende der Saison stellen würde. Es passiert hinter den Kulissen so viel, dass ich fest daran glaube, dass wir noch vor Saisonende wieder stark sein werden."

Frage: "In der Türkei und jetzt in Italien ist es nicht gut für euch gelaufen. Was kann man nun für Belgien erwarten, falls es dort trocken bleiben sollte?"
Todt: "Hier haben wir zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren keine Punkte gesammelt. Positiv ist die Zuverlässigkeit, denn in der Türkei waren wir auch schon zuverlässig. Hier haben wir leider nicht gepunktet, was sehr schmerzhaft ist. Sagen wir so: Wir erwarten kein Wunder, aber wir sollten in Spa doch in einer besseren Position sein. Vielleicht regnet es dort ja, aber andererseits hat es auch schon viele Rennen gegeben, in denen es nicht geregnet hat."

Frage: "Ihr habt vor Monza gemeinsam mit allen anderen Teams getestet und nicht alleine, wie das sonst der Fall ist. Ist das eher ein Vor- oder ein Nachteil?"
Todt: "Es sollte schon ein Vorteil sein, denn hier haben wir uns meistens goldrichtig entschieden, was die Auswahl der Reifenmischungen vor dem Rennen angeht. Bei anderen Strecken ist es oft so, dass man zwei Wochen vorher dort testet, aber während des Rennwochenendes ist auf einmal alles anders. Entscheidend ist so etwas aber nicht, denke ich."

Zuschauerrückgang in Monza auch wegen der Ferrari-Krise

Frage: "Heute waren erstaunlich wenige Zuschauer anwesend. Hat das auch mit der Krise bei Ferrari zu tun?"
Todt: "Das spielt vielleicht mit. Ich weiß es nicht. Ich habe keine Beweise, dass das der einzige Grund ist, aber wahrscheinlich spielt es schon eine Rolle."

"Ich wünsche mir nur, dass Ferrari weiterhin mit den besten Leuten arbeiten kann." Jean Todt

Frage: "Es wurde in letzter Zeit viel spekuliert, dass Michael Schumacher nach Ende seines derzeitigen Vertrages zu einem anderen Team wechseln könnte. Bist du bereit, danach noch einmal mit neuen Fahrern einen Neuanfang zu wagen?"
Todt: "Mein Vertrag mit Ferrari läuft bis 2006, aber ich habe immer gesagt, dass wir uns früher oder später über die Zukunft unterhalten werden. Als ich im Juli 1993 zu Ferrari gekommen bin, hatte ich zuerst auch nur Vertrag bis 1995, dann bis 1998, 2001, 2004 und jetzt eben 2006. Ohne Details über meinen Vertrag preisgeben zu wollen, sehe ich mich als Teil von Ferraris Kontinuität. Ich wünsche mir nur, dass Ferrari weiterhin mit den besten Leuten arbeiten kann."

Frage: "Trotz des Tabakwerbeverbots habt ihr den Sponsoringvertrag mit 'Philip Morris' bis 2011 verlängert. Wie sieht das im Detail aus?"
Todt: "Ja, wir haben den Vertrag mit 'Philip Morris' bis 2011 verlängert. Uns ist bewusst, wie sich die Tabakwerbegesetze in der Europäischen Union und weltweit entwickeln, und wir werden die Gesetze immer respektieren. Davon abgesehen werden sie bis 2011 unsere Partner bleiben."

'Marlboro' wird weiter auf den Ferraris präsent sein

Frage: "Können sie auf den Werbeflächen, für die sie bezahlen, Werbung weiterverkaufen?"
Todt: "Wo möglich, werden wir ihre Logos auf unseren Autos haben - und wo nicht, dort eben nicht."

Frage: "Vergangene Woche fand in Mailand ein Zukunftstreffen statt, bei dem erstmals auch Ferrari dabei war. Warum?"
Todt: "Es waren die anderen Teams, die zu einem Meeting mit der FIA und Ferrari gekommen sind. Da muss man genau sein. Es war ein konstruktives, viel versprechendes Meeting. Wohin das alles führen wird, weiß ich aber nicht genau. Ich hoffe, dass im Interesse des Sports einige gute Entscheidungen für die Zeit nach 2007 ausgearbeitet werden."

Frage: "Dieser Tage wird viel über Kimi Räikkönen und Valentino Rossi bei Ferrari geredet..."
Todt: "Ach, ich bin mit meinen Gedanken doch schon in Spa! Das interessiert mich viel mehr, auch wenn es nicht einfach wird dort. Jetzt haben wir noch drei Rennen - und dann fahren wir nächstes Jahr mit Michael und Massa. Solange Michael in der Formel 1 bleiben will, wird ihm ein Ferrari zur Verfügung stehen. Ferrari wird sich aber weiterentwickeln. Ich habe gerade in Imola einen neuen Fünfjahresvertrag mit 'Shell' unterschrieben und kümmere mich um starke Partner für die Zukunft. Das zieht sich durch alle Ebenen: Fahrer, Ingenieure, Teamchef - wir wollen nur die Besten."