Todt: "Der größte Unterschied ist die Reifenregel"
Im Interview nach dem Rennen in Istanbul spricht Jean Todt über die Situation bei Ferrari, die Perspektive für 2006 und den Fahrertausch
(Motorsport-Total.com) - Frage: "Jean, habt ihr die Saison 2005 bereits abgehakt? Lasst ihr den F2005 jetzt F2005 sein, damit ihr euch auf nächstes Jahr konzentrieren könnt?"
Jean Todt: "Nein. Wir machen immer noch gewisse Anpassungen für die verschiedenen Strecken. Wir werden weiterhin unser Bestes geben. Die Arbeit von 2005 kann uns schließlich auch 2006 weiterhelfen. Vor allem hinsichtlich der Reifen müssen wir noch einiges dazulernen, daher hoffe ich, dass uns jeder Fortschritt, den wir jetzt noch machen, auch nächstes Jahr weiterbringen kann."

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Jean Todt möchte am liebsten noch 2005 den Anschluss zur Spitze finden
Frage: "In Ungarn schien es für euch noch Licht am Ende des Tunnels zu geben, aber das ist jetzt wohl wieder weg, oder?"
Todt: "Da war definitiv kein Licht. Es war sehr dunkel. Okay, wir haben vielleicht ein bisschen Licht gesehen, aber uns war klar, dass wir hierher eine ganz andere Reifenspezifikation bringen würden. Bei einer neuen Strecke kann man immer überrascht werden, aber am Freitagmorgen war uns schon klar, dass wir uns mit den Reifen nicht auf die richtige Überraschung eingestellt hatten."#w1#
Todt: "Kennen das Problem, müssen es hinnehmen!"
Frage: "Nach Ungarn habt ihr speziell für diesen Grand Prix Reifen getestet. Warum hat es dann schlussendlich trotzdem nicht gepasst?"
Todt: "Wir erledigen im Moment so viel Arbeit, aber wir haben ein Problem. Wir kennen das Problem, wir müssen es hinnehmen und wir müssen weiterhin so hart wie möglich daran arbeiten, es zu lösen."
Frage: "Was genau ist denn euer Problem?"
Todt: "Hast du das Rennen heute nicht gesehen? Es fehlt uns an Grip."
Frage: "Aber fehlt euch der wegen der Aerodynamik oder wegen der Reifen?"
Todt: "Ich würde sagen, es ist eine Kombination. Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Wir sind das einzige Topteam auf Bridgestone-Reifen, daher tun wir uns bei der Problemlösung schwer. Das wäre einfacher, wenn wir ein weiteres Topteam auf denselben Reifen hätten. Manchmal stellen wir Vergleichswerte zu Jordan und Minardi her, aber die verwenden nicht dieselben Reifen wie wir. Letztes Jahr war der Unterschied noch drei Sekunden, jetzt sind es nur noch zwei. Aber wir verwenden wie gesagt andere Reifen als diese Teams."
Frage: "Wo muss man den F2005 im Vergleich mit euren Autos der vergangenen Jahre einordnen?"
Todt: "Ich weiß es nicht. Das Auto wurde für ein verändertes Aerodynamikreglement gebaut und mit einem Motor, der zwei Rennwochenenden halten muss. Allerdings liefern wir ja Motoren an Sauber, wodurch wir zumindest ein paar Referenzpunkte haben. Man kann nicht sagen, dass es am Motor, an den Reifen oder an der Aerodynamik liegt, aber wir bekommen aus dem Gesamtpaket einfach nicht das heraus, was wir uns vorstellen."
War Budapest nur eine schnell vorbeiziehende Sternschnuppe?
"Andererseits waren wir in Budapest mit demselben Auto auf anderen Reifen unterwegs - und wir konnten Pole Position fahren und im ersten Renndrittel sehr gut mithalten. Erst danach hat die Leistung nachgelassen. Daraus können wir gemeinsam mit unseren Partnern unsere Rückschlüsse ziehen. Daran müssen wir arbeiten. Das ist alles sehr kompliziert. Wenn es einfach wäre, würden wir uns nicht in dieser Situation befinden."
Frage: "Werdet ihr diese Probleme auch in die neue Saison hineinschleppen? Schließlich wird ein neues Team auf Bridgestone-Reifen auch erst im Dezember oder Januar erstmals die neuen Reifen testen können, wenn die Designs längst feststehen..."
Todt: "Reden wir zunächst über dieses Jahr. Wir haben fünf Grands Prix. Ich habe noch immer Hoffnung. Vielleicht bin ich ja ein Träumer. Ich bin aber immer noch zuversichtlich, dass wir die Situation vor Saisonende verbessern können."
Frage: "Angenommen, Red Bull und Toyota wechseln zu Bridgestone, würde es dann zwei oder drei Monate dauern, bis ihr daraus etwas lernen könnt? Wie muss man sich das vorstellen?"
Todt: "Wir werden kombiniert testen und die neuen Teams werden auch ein paar Kilometer zurücklegen. Natürlich würden wir davon profitieren."
Frage: "Bisher wart ihr immer sehr loyal zu Bridgestone, aber wenn eine Krise so lange dauert, platzt einem da nicht auch mal der Kragen?"
Todt: "Im Leben gibt es eben Plus- und Minuspunkte - und im Moment überwiegen die Pluspunkte noch bei weitem. Es ist ganz normal, dass immer auf das reagiert wird, was gerade passiert, aber wenn wir uns über unsere strategischen Pläne unterhalten, dann darf man die letzten fünf Jahre nicht vergessen."
"Der größte Unterschied ist die Reifenregel!"
"Der größte Unterschied von letztem auf dieses Jahr ist die Reifenregel. Letztes Jahr konnte man noch die Reifen wechseln. Wenn wir in Budapest die Reifen hätten wechseln dürfen, hätten wir das Rennen gewonnen. Ich will mich darüber gar nicht beschweren, aber es ist eine Tatsache, dass sich diese Reifenregel für uns und Bridgestone sehr negativ ausgewirkt hat. Man muss sich ja nur anschauen, wer von unseren Gegnern heute in der letzten Runde am schnellsten war. So etwas können wir im Moment einfach nicht."
Frage: "Ihr habt gerade eine fünfwöchige Periode hinter euch, in der nur ihr getestet habt, aber sonst kein anderes Team. Dennoch ist der Rückstand größer geworden. Ist es da realistisch, noch an eine Wende zu glauben?"
Todt: "Wir werden es versuchen."
Frage: "2004 war für euch eine recht einfache Saison. Kann es sein, dass ihr dadurch überheblich geworden seid, dass jetzt die schwierige Saison 2005 aber einen positiven Effekt für 2006 hat?"
Todt: "Das Team ist das gleiche."
Frage: "Ist es euch egal, was jetzt noch in dieser Weltmeisterschaft passiert und wo ihr am Ende landet, weil ihr sowieso den Titel nicht mehr holen könnt?"
Todt: "Ich möchte ehrlich gesagt die bestmögliche Position erreichen. Ich träume nicht mehr davon, beide Weltmeisterschaften zu gewinnen, aber wir sollten zumindest die dritten Plätze absichern."
Ferrari wird 2006 mit einem V8-Motor fahren
Frage: "Besteht die Möglichkeit, dass ihr nächstes Jahr V10-Motoren einsetzen werdet?"
Todt: "Nein, überhaupt nicht. Alle Hersteller haben am Freitag einen Brief unterschrieben, in dem sie sich dazu verpflichten, nächste Saison V8-Motoren zu verwenden."
Frage: "Freut sich Felipe Massa schon darauf, Michael Schumacher dabei zu helfen, 2006 Weltmeister zu werden?"
Todt: "Was meinst du mit helfen? So, wie es einige Teams heute gemacht haben (lacht)? Warum sollte er Michael helfen? Michael ist nicht der Eigentümer des Teams. Er ist ein fantastischer Fahrer - der Beste oder zumindest einer der Besten in der Geschichte der Formel 1. Er hat für Ferrari fünf Weltmeisterschaften hintereinander gewonnen, aber warum sollte ihm Felipe helfen? Felipe hat für Ferrari einen Job zu erledigen, den er hoffentlich gut machen wird."
Frage: "Der Erfahrungsunterschied zwischen Felipe Massa und Michael Schumacher ist enorm. Bedeutet das, dass Michael Schumacher im Winter 2005/06 mehr testen muss als früher?"
Todt: "Wir haben Badoer, der ein sehr erfahrener Testpilot ist. Wir haben auch Marc Gené, der einen großartigen Job macht. Michael muss sich nach dieser frustrierenden Saison erst einmal erholen. Darum hoffe ich so sehr, dass wir diese Saison noch besser werden, denn nur so kann man Moral für nächstes Jahr tanken."
Valentino Rossi vorerst kein Thema als Testfahrer
Frage: "Könnte unter Umständen auch Valentino Rossi bei den Testfahrten aushelfen?"
Todt: "Wenn Valentino Rossi wieder testen möchte, dann würden wir ihm im Moment wahrscheinlich mehr helfen als er uns. Man weiß nie. Vielleicht kann er uns in Zukunft helfen."
Frage: "Habt ihr abgesehen von Felipe Massa auch noch andere Kandidaten in Betracht gezogen?"
Todt: "Wenn man bedenkt, dass wir mit Felipe seit 2001 einen Vertrag haben, war er die offensichtliche Wahl. Ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen, aber wir mussten ihn uns sichern, denn sonst hätte er zu einem anderen Team wechseln können. Wir hatten eine Option auf ihn. Hätten wir ihn nicht genommen, wäre er vorübergehend bei seinem derzeitigen Team geblieben, denn unser Angebot an ihn für die Zukunft war sehr konkret. Wir haben ihm jetzt nicht die Chance gegeben, sich anders zu entscheiden, aber er ist ohnehin sehr happy, dass er für uns fahren wird."
Frage: "Das beantwortet die Frage aber nicht. Hat es auch andere Kandidaten gegeben?"
Todt: "Ja."
Frage: "Kannst du uns sagen, wen du damit meinst?"
Todt: "Nein."
Ferrari gab Barrichello ohne Gegenleistung frei
Frage: "Ist Rubens Barrichello jetzt glücklicher, wo er weiß, dass er künftig nicht mehr für Ferrari fahren wird?"
Todt: "Ich habe gesagt, dass ich mich seinem Wechsel nicht widersetzen werde, wenn ihn das glücklicher macht. Das hat man ja dann gesehen. Niemand kann bestreiten, dass das, was ich gesagt habe, eingehalten wurde. Nicht viele Teams hätten Rubens ohne eine finanzielle Entschädigung freigegeben. Wir haben das getan, weil Rubens ein Angebot für einen mehrjährigen Vertrag hatte, welches wir ihm nicht versprechen konnten. Er hat um Freigabe gebeten, was ich gewährt habe."
Frage: "Werdet ihr ihn vor dem Ablauf seines Vertrags, also vor dem 1. Januar 2006, für BAR-Honda testen lassen?"
Todt: "Nein. Man kann im Leben zwar manchmal jemandem einen Gefallen tun, aber das muss auch Grenzen haben. Er hat ja jetzt schon Informationen über unser Auto für kommende Saison. Rubens wird am 1. Januar wechseln."
Frage: "Besteht die Möglichkeit, dass ihr Rubens Barrichello schon diese Saison durch Felipe Massa ersetzen werdet?"
Todt: "Ich habe gesagt, dass Rubens bis 31. Dezember unter Vertrag steht. Glaubst du, dass ich ihn nach Istanbul mitnehme, damit er hier Urlaub machen kann? Sicher nicht! Er wird fahren - und er macht ehrlich gesagt auch einen sehr guten Job, ist motiviert, hingebungsvoll. Wir waren sehr fair zu ihm, aber jetzt erwarten wir auch, dass er fair zu Ferrari ist."

