• 31.10.2011 07:49

Tilke: "Die Fahrer zu überlisten, ist unsere Aufgabe"

Streckenarchitekt Hermann Tilke zieht nach dem Indien-Debüt ein positives Fazit: "Strecke war in hervorragendem Zustand"

(Motorsport-Total.com/SID) - Man nennt ihn "Herr der Ringe": Nahezu alle in den vergangenen Jahren entstandenen Motorsport-Strecken hat der Aachener Hermann Tilke entworfen, nahezu alle Renovierungen hat er vorgenommen. Seine neue Strecke in Indien, die mit dem Formel-1-Rennen am Wochenende ihre erste Bewährungsprobe bestand, wird allerorts überschwänglich gefeiert. Warum ihn zeitliche Engpässe beim Bau nicht mehr beunruhigen, wie sehr ihn der tödliche Unfall von Marco Simoncelli auf "seiner" Strecke in Malaysia bewegt hat, wie er seine eigene Rennerfahrung und die von Michael Schumacher nutzt, verrät Tilke im Interview.

Titel-Bild zur News: Hermann Tilke

Hermann Tilke geht beim Streckenentwurf auch auf Fahrerwünsche ein

Frage: "Hermann Tilke, wie gelungen verlief Ihrer Meinung nach die Formel-1-Premiere in Indien?"
Hermann Tilke: "Trotz kleinerer Probleme zu Beginn, zum Beispiel durch Stromausfälle, war es ein voller Erfolg. Die Strecke selbst war in einem hervorragenden Zustand, das Layout ist bei den Fahrern sehr gut angekommen. Ich habe keine negative Stimme vernommen. Was ebenfalls ein Kompliment ist: Es gab über das gesamte Wochenende viele kleine Fahrfehler. Das passiert bei der Klasse der Formel-1-Fahrer auf neuen Strecken normalerweise nur am ersten Tag. Sie in dieser Hinsicht ein bisschen zu überlisten, ist auch ein Stück weit unsere Aufgabe."

Frage: "Ist es für Sie ein Vorteil oder ein Nachteil, wenn Sie Strecken wie in Indien irgendwo ins Nichts bauen müssen?"
Tilke: "Wir haben flaches Land vorgefunden, hatten aber in diesem Fall die Chance, viel Erde zu bewegen. Rund vier Millionen Kubikmeter statt wie sonst nur etwa eine Million. Dadurch konnten wir die Strecke sehr hügelig konzipieren, was sie letztlich ausmacht."

Frage: "Sie werden auch für die bald in den Kalender rückenden Strecken in Austin, Sotschi und New York verantwortlich sein. Wird letztere dadurch, dass es sich um einen Stadtkurs handelt, besonders schwierig?"
Tilke: "Wir finden überall besondere Rahmenbedingungen vor, nach denen wir uns richten müssen. Die eine Herausforderung schlechthin gibt es nicht. In New York wird sehr viel vorgegeben sein, da wird es auf Details ankommen. Die Strecke muss anschließend wieder für den normalen Verkehr nutzbar sein, außerdem wird die Unterbringung der Zuschauer ein großes Thema sein. Aber ich bin sicher, es wird ein außergewöhnliches Erlebnis."

Unfälle bewegen Tilke

Frage: "In der Türkei und Südkorea haben Sie erst kürzlich hochmoderne Strecken gebaut, die von den Fahrern in den höchsten Tönen gelobt werden. Istanbul wird 2012 gestrichen, Yeongam steht schon wieder auf der Kippe. Mit welchen Emotionen verfolgen Sie es, wenn Ihre Meisterwerke aufgrund äußerer Umstände vor Ort aus dem Kalender fallen?"
Tilke: "Das ist sehr schade. Aber das sind politische Entscheidungen, das kann ich nicht beeinflussen."

Frage: "In der vergangenen Woche ist in Marco Simoncelli in Malaysia zum ersten Mal ein Motorsportler auf einem von Ihnen entworfenen Kurs tödlich verunglückt. Was hat dies, obwohl es augenscheinlich kein streckenbedingter Unfall war, in Ihnen ausgelöst?"
Tilke: "Ich habe den Unfall im Fernsehen verfolgt, und er hat mich sehr mitgenommen und ziemlich fertig gemacht. Natürlich ist man mit einer Strecke irgendwie verbunden. Vielleicht ist es deshalb noch schlimmer. Aber ich denke, solch ein Unglück fühlt sich immer gleich schlimm an."


Fotos: Großer Preis von Indien


Frage: "Eine Woche zuvor ist der frühere Indy-500-Champion Dan Wheldon tödlich verunglückt. Sind Ovalkurse aus Sicherheitsgründen überhaupt vertretbar?"
Tilke: "Ich habe dazu eine klare Meinung, aber ich kann sie in diesem konkreten Fall nur als Privatmann äußern. Motorsport und alles andere, was mit Geschwindigkeit zu tun hat, wird immer ein Stück weit gefährlich bleiben. Das Restrisiko kriegt man nicht raus. Das Problem bei den Ovalkursen liegt meiner Meinung nach aber nicht in der Streckenkonzeption an sich, sondern darin, dass auf einer irre vollen Strecke permanent mit hoher Geschwindigkeit gefahren wird."

Schumacher als Berater

Frage: "Sie sind selbst bis kurzem 30 Jahre lang Tourenwagen- und GT-Rennen gefahren. Inwiefern hilft Ihnen diese Erfahrung bei der Entwicklung der Strecken - vor allem in Bezug auf die Sicherheit?"
Tilke: "Mein Niveau als Rennfahrer ist sicher in keinster Weise mit dem der Formel-1-Piloten zu vergleichen. Aber vielleicht bin ich durch meine Erfahrung in der Lage, mich schon bei der Planung ein wenig hineinzuversetzen, was später im Auto passieren wird."

"Strecken werden immer auf den letzten Drücker fertig, egal wie viel Zeit man hat." Hermann Tilke

Frage: "Beziehen Sie in der Entwicklungsphase auch die Meinung erfahrener Piloten wie Michael Schumacher ein?"
Tilke: "Natürlich. Mit Michael Schumacher habe ich vor allem vor einigen Jahren in seiner damaligen Funktion als Chef der Fahrervereinigung häufiger diskutiert. Auf die Rückmeldung der Fahrer sind wir immer angewiesen. Während des Baus und auch nach der Fertigstellung, um eventuelle Korrekturen vornehmen zu können."

Frage: "Sie konzipieren im Schnitt eine Rennstrecke pro Jahr. Der Zeitraum zwischen der Vergabe und dem ersten Rennen wird gefühlt immer geringer, die Strecken wie im Vorjahr Südkorea oder nun Indien erst auf den letzten Drücker fertig. Muss heute alles viel zu schnell gehen?"
Tilke: "Strecken werden immer auf den letzten Drücker fertig, egal wie viel Zeit man hat. Mit den Autos, die die Formel-1-Teams entwerfen, ist es ja auch nicht anders. Manchmal ist die Zeit aber wirklich sehr knapp. Bahrain musste beispielsweise in 14 Monaten entstehen. Normalerweise benötigt man zweieinhalb Jahre. Doch diese Zeit bekommen wir eigentlich nie."