• 03.12.2008 09:45

  • von Christian Nimmervoll & Britta Weddige

Theissens "spannendstes Thema": KERS

BMW Motorsport Direktor Mario Theissen erklärt, unter welchen Umständen KERS Sinn macht und warum es jetzt noch nicht rennreif ist

(Motorsport-Total.com) - 2009 steht es den Formel-1-Teams erstmals frei, eine KERS-Einheit in den Boliden zu nutzen, also auf Hybridtechnologie zurückzugreifen. Die KERS-Einheit speichert beim Bremsen entstehende Energie in einer Batterie oder mittels Schwungrad - und diese Energie kann anschließend in Form von 82 zusätzlichen PS über einen Zeitraum von sieben Sekunden abgerufen werden.

Titel-Bild zur News: Mario Theissen

Mario Theissen ist einer der großen Verfechter der Hybridtechnologie

Die Idee dahinter ist, dass der Motorsport Vorreiter für die Serienproduktion spielen soll, auch wenn KERS (Kinetic Energy Recovery System) bei weitem nicht unumstritten ist. Selbst einige Herstellerteams - allen voran Renault und Ferrari - haben derzeit in der Entwicklung Schwierigkeiten, sodass ihnen zumindest eine Verschiebung auf 2010 gelegen käme, während sich andere wünschen, dass alle Teams gemeinsam ein Standard-KERS entwickeln.#w1#

KERS bleibt ein Fragezeichen

BMW Motorsport Direktor Mario Theissen hingegen ist einer der am meisten überzeugten Befürworter der neuen Technologie: "KERS ist für mich das spannendste Thema überhaupt", erklärte er am Rande der Jahresabschlussparty von BMW Motorsport in München. Allerdings gab er zu, dass hier durchaus Pionierarbeit geleistet werden muss und daher wahrscheinlich noch niemand so weit ist, wie er gerne wäre: "Wir wissen selbst noch nicht, wann wir KERS fahren werden."

"Man muss es so sehen, dass hier vor eineinhalb Jahren eine Regel entworfen wurde, die dazu geführt hat, dass überhaupt erstmal Forschung betrieben wurde. Und das war echte Forschung. Heute sind wir in der Entwicklung, aber wir sind noch lange nicht fertig. Und wann wir wirklich soweit sind, dass das KERS-Auto einen Rundenzeitvorteil bringt, das weiß ich selbst noch nicht", so der Deutsche. "Unser Ziel ist es, zum ersten Rennen so weit zu sein. Wir werden sehen, ob wir es schaffen."

"Unser Ziel ist es, zum ersten Rennen so weit zu sein." Mario Theissen

Diesbezüglich gibt es zwei Knackpunkte. Einer davon ist die Zuverlässigkeit. Wie groß ist Stand heute das Risiko, wegen KERS auszufallen? "Heute wäre es noch hoch", gestand Theissen. "Das ist genau Teil der Entwicklung jetzt, KERS rennreif, sprich zuverlässig zu machen." Gleichzeitig schränkte er ein: "Das Risiko, dass KERS ausfällt, ist heute noch hoch, aber deswegen bleibt nicht automatisch das Auto stehen..."

Der zweite Knackpunkt ist das Gewicht, denn die KERS-Einheit ist relativ schwer. Das bedeutet, dass die Designer Spielraum für das Platzieren von Zusatzgewichten verlieren - oder im schlimmsten Fall sogar das vorgeschriebene Mindestgewicht von 605 Kilogramm (mit Fahrer) überschritten wird. Das heißt, dass KERS so weit wie möglich abspecken muss, damit der Gewichtsnachteil nicht den Leistungsvorteil kompensiert.

Gewicht vs. Leistung

"Es ist ein Gewichtsnachteil und ein Leistungsvorteil", sagte Theissen. "In Summe, wenn man es gut macht, kommt eine um zwei Zehntelsekunden bessere Rundenzeit dabei heraus - wobei die Rundenzeit nur die eine Seite der Medaille ist, denn wenn Sie auf der Geraden ein Auto überholen können, dann brauchen Sie nicht unbedingt eine schnellere Rundenzeit, um nach vorne zu kommen. Der Überholeffekt ist alleine schon attraktiv."

Man hört, dass KERS derzeit bei den meisten Teams in etwa 40 Kilogramm wiegt. Dann würde es aber laut Theissen keinen Sinn machen: "Wir müssen da drunter kommen. Mit 40 Kilo wird es keine Chance haben. Wir müssen in die Gegend von 30 Kilo kommen", erläuterte der 56-Jährige. "Nicht nur über das Material, auch die Komponenten insgesamt: Wie konstruiert man einen Motor, eine Batterieeinheit und eine Elektronik?"

"Mit 40 Kilo wird es keine Chance haben." Mario Theissen

Nächster potenzieller KERS-Nachteil ist das Fahrverhalten - mehr Leistung bedeutet eine höhere Geschwindigkeit beim Bremspunkt, allerdings nur dann, wenn KERS aktiviert wird. Daraus könnten Verbremser und in weiterer Folge kaputte Reifen resultieren. Theissen: "Das hängt davon ab, wie gut es uns gelingt, das Einsetzen der Bremswirkung zu koordinieren, damit keine Räder blockieren, und natürlich auch davon, wie wir den Zusatzschub einsetzen lassen, wenn der Knopf gedrückt wird."

Und dann wäre da noch das Thema Sicherheit, das seit dem Stromschlag bei einem Mechaniker des BMW Sauber F1 Teams in Jerez in aller Munde ist. Bei Red Bull hat es in Milton Keynes sogar schon ein Fabriksfeuer gegeben. Aber die Teams haben darauf reagiert: "Da ist eine ganze Menge passiert", entgegnete Theissen. "Die unmittelbare Reaktion auf diesen Stromschlag haben wir ja schon mehrfach veröffentlicht."

Sicherheit immer noch ein Thema

"Wir haben sechs Wochen lang analysiert, bis wir das komplett durchschaut haben, haben so eine Art Designkatalog für KER-Systeme aufgestellt, haben den mit den anderen Teams und mit der FIA diskutiert und seitdem haben wir natürlich enorme Fortschritte gemacht. Wir sind heute so weit, dass wir das KERS ins Auto setzen und damit fahren - aber noch lange nicht so weit, um damit Rennen zu fahren", fügte Theissen an.

"Auf jeden Fall" sei KERS ein für die Automobilindustrie lohnendes Gebiet, mit dem man sich im Motorsport befassen müsse, denn "wenn Leute anfangen, sich Hybridautos zu kaufen, dann muss das Thema auch über die Formel 1 transportierbar sein - gerade über die Formel 1", so der BMW Motorsport Direktor. Unabhängig vom Marketing könne die Formel 1 als Technologiekatalysator funktionieren und die Weiterentwicklung vorantreiben.

"Wenn Leute anfangen, sich Hybridautos zu kaufen, dann muss das Thema auch über die Formel 1 transportierbar sein." Mario Theissen

Das freilich schließt ein standardisiertes KERS für alle Teams aus, wie es Flavio Briatore vorgeschlagen hat, denn damit würde die Entwicklung erst recht wieder einschlafen. Für Theissen ist daher die bereits beschlossene und 2009 in Kraft tretende Marschroute "genau der richtige Weg". Außerdem rechnet er durch KERS mit "mehr Spannung im Rennen", auch wenn die Systeme natürlich sehr teuer sind.

"Das ist aber in meinen Augen gut investiertes Geld - und ich erwarte auch, dass das Image der Formel 1 sich darüber wandeln wird. Es wird ja nicht beim dem KER-System bleiben, das wir im nächsten Jahr fahren, sondern in den Folgejahren werden die Regeln die Technologie weitertreiben und das wird auch wieder für die Serienentwicklung Technologien abwerfen, die wir nutzen können", schilderte er abschließend den konkreten Nutzen für die breite Masse.