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  • 18.02.2004 13:02

  • von Florian Haasper

Theissen: "Wer Ferrari abschreibt, macht einen Fehler"

Der BMW-Motorsportdirektor im Exklusiv-Interview unter anderem über die Partnerschaft mit Williams und die Fahrerfrage

(Motorsport-Total.com) - Ferrari auf den falschen Reifen, McLaren-Mercedes schon vor Saisonbeginn in einem Tief: BMW-Williams gilt für viele Experten als Kandidat Nummer eins auf den Gewinn der Weltmeisterschaft. Im Interview mit 'F1Total.com' stellt BMW-Motorsportdirektor Dr. Mario Theissen jedoch klar, dass er von einem Spaziergang der Weiß-Blauen 2004 nichts wissen will und die Rivalen weiterhin auf der Rechnung hat. Außerdem spricht der Diplom-Ingenieur über den Abschied von Juan Pablo Montoya, mögliche Nachfolger und die Zusammenarbeit zwischen BMW und Williams.

Titel-Bild zur News: Dr. Mario Theissen

Theissen will die Zusammenarbeit mit Williams weiter vernetzen

Frage: "Hammerhai, Doppelkiel und Design-Revolution: Das neue Chassis FW26 ist in aller Munde, vom BMW P84 Motor wird selten gesprochen. Sind sie eifersüchtig?"
Mario Theissen: "Ganz und gar nicht. Es geht nicht darum, ob nun WilliamsF1 oder BMW den Erfolg zugeschrieben bekommt. Wir müssen als Einheit unsere Leistung bringen. Die Konkurrenz an der Spitze der Formel 1 ist viel zu hart. Eine Komponente allein kann den Erfolg nicht sicherstellen. Motor, Chassis und Reifen sowie die beiden Fahrer müssen ein perfektes Gesamtpaket ergeben. Das wissen alle im Team genau. Die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut."#w1#

Frage: "Wie weit wird die Verzahnung zwischen BMW und WilliamsF1 in der Zukunft voranschreiten?"
Theissen: "Wir sind auf dem Weg, die Ressourcen, die BMW liefern kann, optimal in unserem Projekt zu nutzen. Das kann man nicht von einem Tag auf den anderen umsetzen. Da muss das Vertrauen wachsen, aber auch die praktische Erfahrung mit den Werkzeugen."

Theissen: "Da geht noch mehr"

Frage: "Wie genau kann sich BMW zusätzlich einbringen?"
Theissen: "Es geht zum einen um Computer-Simulationen, die extrem leistungsfähige Rechner erfordern. In diesem Bereich hat BMW eine große Kapazität. Zum anderen geht es um Versuchseinrichtungen und Prüfstände. Auch hier haben wir Möglichkeiten, die ein normales Formel-1-Team gar nicht haben kann. Die gilt es, in den Entwicklungsablauf einzubringen. Wir haben schon einiges erreicht, aber da geht noch mehr. Wir werden das sicher weiterführen."

Frage: "Welchen Grad der Verbindung beider Unternehmen streben sie an?"
Theissen: "Das Ziel ist nicht über einen bestimmten Anteil von BMW am Auto definiert, sondern es geht vielmehr um die Performance, die wir erreichen wollen. Ein Team wie Ferrari hat den Vorteil, als Einheit an einem Ort zu operieren. Unser Ziel ist es, uns in den einzelnen Projekten so zu vernetzen, als wären wir an einem Ort. Die zwei unterschiedlichen Standorte in Grove und München dürfen kein Nachteil mehr sein. Das klappt in der Industrie schon sehr gut, und ich bin überzeugt, dass wir das auch in der Formel 1 realisieren können. Das ist das eigentliche Ziel."

"Alle Ressourcen und Aktivitäten müssen nahtlos ineinander greifen"

Frage: "Haben Teams wie Toyota, die alle Komponenten des Autos unter einem Dach produzieren, langfristig einen Vorteil?"
Theissen: "Es geht nicht so sehr darum, alles unter einem Dach zu bauen, sondern um die durchgängige Struktur der Arbeit. Das Projekt muss so organisiert sein, dass alle Ressourcen und Aktivitäten nahtlos ineinander greifen. Gelingt dies, dann spielen zwei Standorte keine Rolle mehr. Natürlich ist es schwieriger, es auf unsere Weise hinzubekommen. Aber es gibt genug Beispiele, wo das sehr gut funktioniert."

"Für Fahrerfragen ist WilliamsF1 zuständig"

Frage: "Juan-Pablo Montoya wechselt nächstes Jahr zum Erzrivalen Mercedes, und auch Ralf Schumachers Zukunft im Team ist alles andere als sicher. Gefällt BMW diese Entwicklung?"

Theissen: "Für Fahrerfragen ist WilliamsF1 zuständig. Ich sehe die Situation im Augenblick aber als äußerst entspannt an. Beide Fahrer sind für diese Saison an Bord. Beide werden alles geben. Die Tatsache, dass uns Juan-Pablo am Saisonende verlässt, wird keinen Einfluss auf die Ergebnisse haben. Für ihn ist es genauso wichtig wie für uns, in dieser Saison so erfolgreich wie möglich abzuschneiden. Das Ziel ist der Titel, ganz klar."

Frage: "Und 2005?"
Theissen: "Mit Blick auf 2005 geht es darum, die besten Fahrer zu bekommen, die man haben kann. Ganz so wie in diesem Jahr auch. Kontinuität ist in meinen Augen gut. Ab und zu tut auch mal ein Wechsel gut. Immerhin geht Juan-Pablo schon in sein viertes Jahr bei uns. Solch ein Wechsel birgt Risiken, aber auch Chancen. Wir müssen beweisen, dass unser Auto richtig schnell ist. Dann werden sich schon die richtigen Fahrer dafür interessieren."

Der Fahrer ist ein Entwicklungspartner

Frage: "Welche Eigenschaften sollte der Nachfolger von Juan-Pablo Montoya haben?"
Theissen: "Er sollte zunächst einmal schneller fahren als seine Kollegen. Das hilft ungemein, nicht nur im Team, sondern auch außerhalb. Das BMW WilliamsF1 Team ist ein Ingenieur-getriebenes Team, in dem es sehr auf technisches Verständnis ankommt. Der Fahrer sollte ein Auto gut analysieren und mit den Ingenieuren die Entwicklung vorantreiben können. Bei uns ist der Fahrer sehr stark in der Rolle des Entwicklungspartners. Es ist deshalb sehr wichtig, dass er ein gewisses Technikwissen mitbringt."

Frage: "Mit Marc Gené, Antonio Pizzonia, aber auch Nico Rosberg und Nelson Piquet jun. bieten sich auch einige team-interne Nachfolger für Montoya an. Wird über eine solche Möglichkeit nachgedacht?"
Theissen: "Es gibt vielfältige Überlegungen. Wir werden gerne in diese Überlegungen von WilliamsF1 einbezogen, aber darüber kann ich an dieser Stelle natürlich nicht sprechen."

"Der Druck ist ganz sicher da"

Frage: "Bei der Rückkehr von BMW in die Formel 1 2000 gab es einen Fünf-Jahres-Plan, an dessen Endpunkt der WM-Titel stehen sollte. Spüren Sie den Druck innerhalb des Konzerns, dass es 2004 klappen muss?"
Theissen: "Der Druck ist ganz sicher da, im Unternehmen wie in der Öffentlichkeit. Den Fünf-Jahres-Plan gab es in der Tat. Inzwischen haben wir aber einen weiteren Fünf-Jahres-Plan drangehängt. Unser Vertrag mit WilliamsF1 läuft bis 2009, somit sind wir gerade in der Mitte eines Zehn-Jahres-Plans, wenn man so will. Unser Vorstand versteht aber nicht nur etwas vom Autogeschäft, sondern hat auch Sportsgeist. Es ist unser Anspruch, Erster zu sein. Aber zum Sport gehört eben auch, dass man nicht alles vorherbestimmen kann. Das ganze Team gibt alles, um 2004 den Titel zu holen. Wir werden sehen, ob uns die Umstände dies erlauben."

Frage: "Wichtiger ist es also, bis zum Ende vorne dabei zu sein?"
Theissen: "Natürlich ist Rang zwei nicht so schön wie Rang eins. Entscheidend ist aber, dass wir mit dem schnellsten Auto um den Titel fahren und die Konkurrenz fordern können. Wenn dann aufgrund von äußeren Umständen der Titel nicht gewonnen wird, dann können wir das verkraften."

Theissen hat McLaren-Mercedes auf der Rechnung

Frage: "McLaren-Mercedes hängt im Augenblick ein wenig durch. Haben Sie die Silbernen noch auf der Titelrechnung?"
Theissen: "Auf jeden Fall. Man kann bei den Testfahrten nie unterscheiden, ob es sich um eine wirkliche Krise eines Teams handelt oder ob einfach nur eine Menge probiert wird. Erst in Melbourne kommt es zur ersten wirklichen Standortbestimmung."

Frage: "Dann wird auch Ferrari sein ganzes Potenzial beweisen müssen..."
Theissen: "Und das werden sie auch tun. Wer Michael Schumacher abschreibt, der macht einen Fehler. Er ist noch immer motiviert, das gilt für das gesamte Team. Ferrari bleibt für uns ganz sicher der Maßstab. Darin liegt aber auch die Würze für die kommende Saison."