• 19.06.2005 16:35

  • von Inga Stracke

Theissen: "Hier kommt alles zusammen"

Der BMW Motorsport Direktor über die Formel-1-Zukunft von BMW, die Reifenprobleme in Indianapolis und die Regeln ab 2008

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Wie zufrieden sind sie mit den Positionen Ihrer Fahrer im Qualifying? Nick Heidfeld sagte, es wäre ein wenig verkorkst gewesen."
Mario Theissen: "Ja, beim Nick war es völlig verkorkst. Platz 15 entspricht sicher nicht dem Leistungsvermögen, da ist sicher einiges zusammengekommen. Bei Mark Webber war es zwar eine gute Runde, aber offensichtlich war das Auto nicht perfekt auf die Strecke abgestimmt. Die Kombination des Gesamtpakets hat einfach nicht perfekt funktioniert. Platz neun für ihn ist nicht das, was wir uns ursprünglich für ihn gewünscht haben. Jetzt muss man einfach sehen, was da nach vorn noch geht. Mark sollte auf jeden Fall die Möglichkeit haben, in die Punkte zu fahren. Nick müsste dazu etwas Glück haben, aber wir haben letzte Woche in Montréal gesehen, was da alles passieren kann. Da ist sogar noch einer vom letzten Platz auf das Podest gefahren. Wir schauen jetzt nach vorn und stellen uns auf das Rennen ein. Es wird sicher ein schwieriges Rennen, die Reifen werden eine Rolle spielen. Man muss sehen, dass man hier über die Distanz die bestmögliche Leistung bringt."#w1#

Titel-Bild zur News: BMW Motorsport Direktor Mario Theissen

Mario Theissen: In der nächsten Woche beginnen viele Diskussionen

Frage: "Hier gibt es auf der langen Gerade durchaus Überholmöglichkeiten. Kann da die BMW Power helfen?"
Theissen: "Wir haben gesehen, dass es Teams gibt, die mehr auf Höchstgeschwindigkeit setzen und dafür Abtrieb aufgeben. Das heißt, sie sind auf der Geraden schneller unterwegs als wir, verlieren dafür bei der Rundenzeit aber im Infield, im winkligen Bereich der Strecke. Ich glaube, dass wir nicht in der Lage sein werden, auf der Gerade viele Autos zu überholen. Es wird eher darum gehen, aus dem Infield mit genügend Vorsprung herauszukommen, um auf der Geraden die Position zu behaupten."

Theissen: "Müssen uns gedulden"

Frage: "Die Reifen sind hier natürlich das große Thema, vielleicht können Sie die Ereignisse aus Ihrer Sicht einmal zusammenfassen."
Theissen: "Wie das gelöst wird, das wird im Moment noch keiner. Was los ist, kann man vielleicht so beschreiben: Es hat am Freitag und Samstag einige Reifenschäden gegeben, die auch zu Unfällen geführt haben. Es ist inzwischen identifiziert, dass die Reifen unter bestimmen Bedingungen auf dieser speziellen Strecke zu Defekten neigen. Der Reifenhersteller ist im Moment mit eigenen Ingenieuren an der Strecke, aber auch zu Hause in der Fabrik und mit den Ingenieuren der Teams dabei, die Situation zu analysieren und über Abhilfemaßnahmen zu entscheiden. Wir erwarten eine Aussage allerdings erst am Sonntagvormittag. Bis dahin müssen wir uns einfach gedulden. Wir können erst auf Grundlage dieser Aussage entscheiden, wie wir mit dieser Situation umgehen."

Frage: "Es ist eine turbulente Zeit für BMW und WilliamsF1. Kann man die Diskussionen ausblenden? Können die Leute einfach so weiterarbeiten?"
Theissen: "Das ist unterschiedlich. Für mich und einige andere im Team bedeutet das schon eine ständige Zusatzbelastung, die man sich nicht unbedingt wünscht. Erfreulich ist allerdings, dass die Ingenieure und Mechaniker hier an der Strecke zusammenarbeiten wie immer. Da spielt das Thema überhaupt keine Rolle. Die konzentrieren sich auf ihre Arbeit und lassen sich davon auch nicht ablenken. Wir haben den Eindruck, dass das hier vor Ort keine Rolle spielt."

Frage: "Wird eine Entscheidung über die Zukunft von BMW in der Formel 1 schon in der kommenden Woche fallen?"
Theissen: "Ich erwarte die Entscheidung vor Ende des Monats, aber nicht zwingenderweise in der nächsten Woche."

Frage: "Die Situation sorgt ja für einige Spannungen. Wie kam es dazu?"
Theissen: "Die Berichte in den Medien kann man ja verfolgen. Das war sicher nicht hilfreich. Aber wir werden das überstehen und konzentrieren uns auf unsere Arbeit."

Frage: "Ist der angerichtete Schaden denn reparabel? Ist es denn für diese Partnerschaft mit WilliamsF1 jetzt nicht schwierig, einfach weiterzumachen?"
Theissen: "Wir haben gesagt, dass wir das nicht bei den beiden Überseerennen angehen. Wir konzentrieren uns einfach auf die Arbeit, die hier erledigt werden muss. In der nächsten Woche werden wir das sicher diskutieren. Solche Dinge müssen aus dem Weg geschafft werden, sie sollten die Arbeit der Ingenieure nicht stören, daher haben wir es vorerst zur Seite geschoben."

"Mehrere Optionen" für BMW in der Formel 1 möglich

Frage: "BMW und auch deine Person wurde in dieser Situation ein wenig wie das Böse dargestellt."
Theissen: "Ich habe das schon in der vergangenen Woche kommentiert. Ich sehe das nicht als wirklich wichtig an. Wichtig ist nur, dass so etwas nicht die Entscheidungen beeinflusst. Wir sollten uns nicht auf die Aussagen einer Person in einem Interview stürzen, wenn wir über unsere künftige Strategie reden. Vor dem Ende des Monats haben wir hoffentlich eine Entscheidung. Das sollte nicht von emotionalen oder persönlichen Dingen beeinflusst werden, auch nicht von den Ergebnissen dieser Woche."

Frage: "Aber eine behagliche Situation ist das sicher nicht."
Theissen: "Nein, das ist es wirklich nicht."

Frage: "Derzeit liegt dem Vorstand in München also ein Vorschlag vor, über den beraten wird. Ist das so richtig?"
Theissen: "Ja."

Frage: "Und bis zum Ende des Monats soll in dieser Frage eine Entscheidung fallen?"
Theissen: "Ja."

Frage: "Gibt es in Bezug auf das Sauber-Team mehrere Optionen, wie eine Zusammenarbeit aussehen könnte?"
Theissen: "Ja, es gibt mehrere Optionen, die nicht von mir persönlich zusammengestellt wurden, sondern auch die Fachkenntnis von BMW mit einbezog. Ich würde diesbezüglich nie sagen: 'Das ist es, was ich möchte.' Aber wenn ich eine klare Meinung habe, dann sage ich: 'Ich denke, das ist für BMW am besten.'"

Frage: "Ich kann mir vorstellen, dass der Vorstand in München einen Blick auf die Formel 1 wirft und eine sehr graue Zukunft erblickt. Damit steht auch die Karriere von Mario Theissen vor einer Entscheidung."
Theissen: "Ja, aber ich muss eine Position vertreten. Wenn die Zeit gekommen ist, eine Entscheidung zu treffen, dann muss man seine Position darlegen. Und man kann sein Umfeld nur bis zu einem gewissen Grad beeinflussen."

Frage: "Wie viele Möglichkeiten liegen denn auf dem Tisch?"
Theissen: "Das schließt alle Möglichkeiten ein, aber der Vorstand hat bereits klar gemacht, dass BMW und die Formel 1 zusammengehören."

Frage: "Ihr rüstet also im nächsten Jahr ein zweites Team aus? Müsst ihr das vielleicht auch?"
Theissen: "Wir sind darauf vorbereitet, aber wir müssen es nicht zwingenderweise. Alle Hersteller haben sich bereit erklärt, das zu tun, wenn es notwendig ist. Aber es gibt weniger Teams ohne Motoren als Hersteller. Und zwei Hersteller können kaum das gleiche Team beliefern."

Regelvorschläge der Hersteller in Kürze

Frage: "Ist es momentan die stressigste Zeit des Formel-1-Projekts von BMW?"
Theissen: "Es ist sicher eine stressige Zeit, ja. Es gibt Diskussionen über die Zukunft der Formel 1 und wir arbeiten an unserer eigenen Strategie. Hinzu kommen nun einige aufeinander folgende Rennen und die Reifenprobleme an diesem Wochenende. Es kommt hier alles zusammen."

Frage: "Es wurden neue Regeln für die Zeit ab 2008 vorgeschlagen, darunter ein manuelles Getriebe. Und die Teams, die sich keinen 2,4-Liter-V8-Motor leisten können, sollen weiter mit einem 3-Liter-Triebwerk fahren dürfen. Hinzu kommen zahlreiche andere Dinge. Wie stehen Sie dem gegenüber?"
Theissen: "Ich habe diesen Vorschlag für neue Regeln selbst erst hier in Indianapolis vorgefunden und sie mir natürlich diagonal durchgelesen. Es ist nun aber so, dass zwei Aktionen parallel laufen. Das eine ist der Vorschlag der FIA, das andere ist der Vorschlag der Hersteller und der unabhängigen Teams, der auch gerade in Arbeit ist. Dieser geht über das Technische Reglement hinaus und beschreibt auch die sportliche Struktur. Wir kommen da recht gut voran und werden in Kürze auch in der Lage sein, diesen Vorschlag zu präsentieren. Im März begannen die verschiedenen Arbeitsgruppen mit der Ausarbeitung. Der Plan sah vor, im August damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Doch die Arbeit schreitet gut voran, sodass es schon zuvor dazu kommen kann. Wir werden in der kommenden Woche darüber reden, den Prozess zu beschleunigen. Dann hat man genug Material auf dem Tisch und sollte sehen, ob sich da eine gemeinsame Basis finden lässt."

Frage: "Es wird gemunkelt, dass die FIA mit Absicht die Vorschläge veröffentlichte. Denn in einer Phase mit so vielen Rennen haben die Teams nicht die Zeit, eigene Vorschläge zu präsentieren. Könnte das der Fall sein?"
Theissen: "Ich würde das nie annehmen."

Frage: "Die Vereinigungen der Hersteller ist noch voll funktionsfähig?"
Theissen: "Ja, das ist sie. Wir arbeiten daran, den Namen 'GPWC' zu ersetzen, um auch die beiden japanischen Hersteller mit einzubeziehen. Damit sind es fünf Hersteller und die zugehörigen und unabhängigen Teams. Alle arbeiten zusammen, um Vorschläge für das Technische und Sportliche Reglement auszuarbeiten. Das ist sehr konstruktiver Prozess, die Teams und Hersteller sitzen zusammen und versuchen, etwas auf die Beine zu stellen, was funktioniert und auch interessante Ideen beinhaltet. Es war nicht so, dass die Teams und Hersteller mit ihren Vorstellungen an den Verhandlungstisch kamen und um ihre Position kämpften. Es ist eine offene Diskussion und es gab auch schon einige sehr gute Ideen."

Frage: "Lassen sich schon Gemeinsamkeiten zwischen euren Vorschlägen und denen der FIA erkennen?"
Theissen: "Es gibt einige Gebiete, auf denen es starke Ähnlichkeiten gibt. Aber auch einige Bereiche mit großen Unterschieden existieren. Ich möchte aber nicht genau darauf eingehen, bevor unser Vorschlag nicht veröffentlicht wurde."

Frage: "Wem trauen Sie am Sonntag den Sieg zu?"
Theissen: "Ich habe in den letzten Rennen McLaren-Mercedes am stärksten gesehen. Sie sind damit für mich auch hier in der Favoritenrolle."