Surer über Vettel: "Sympathischer Junge von nebenan!"
Unser Experte Marc Surer analysiert das Wunder von Monza und spricht über die Zukunftsaussichten des angehenden Superstars Sebastian Vettel
(Motorsport-Total.com) - Drei Tage nach dem Wunder von Monza legt sich die erste Welle der Euphorie um Sebastian Vettel langsam, doch je länger man seine Leistung analysiert, desto mehr kommt man zu dem Schluss, dass am Sonntag etwas Großes passiert ist. Wir baten unseren Experten Marc Surer zu einer ausführlichen Analyse des 21-jährigen Grand-Prix-Siegers aus Heppenheim.

© Red Bull
Unser Experte Marc Surer weiß, dass Sebastian Vettel noch viel vor sich hat
Frage: "Marc, Sebastian Vettel mag es nicht, wenn man ihn mit Michael Schumacher vergleicht, aber wir tun das jetzt trotzdem. Er hat ähnlich viele Rennen gebraucht, um zum ersten Mal zu gewinnen. Er hat erstmal eine halbe und dann eine volle Saison hingelegt, in der er dann gewonnen hat. Beide Male waren es Regenrennen, bei Michael in Spa-Francorchamps, jetzt in Monza. Beide hatten kein gutes Auto und haben in den jeweiligen Rennen die Topfahrer geschlagen. Der Entdecker Gerhard Noack hatte bei beiden die Hände im Spiel. War Monza für dich die Geburtsstunde eines Champions? Hattest du das Gefühl, dass am Sonntag etwas Außergewöhnliches passiert ist?"
Marc Surer: "Ja. Ich glaube, dass ein neues Talent jetzt den Durchbruch geschafft hat."#w1#
Monza war der Beweis für angedeutetes Talent
"Die Anzeichen gab es ja schon länger. Er hat immer mal wieder eine Bestzeit gesetzt, ist immer wieder im Regen aufgefallen - letztes Jahr in Fuji bis zum Crash und so weiter. Wenn einer zum ersten Mal bei BMW am Freitag fährt wie er in Istanbul 2006 und gleich mit links Bestzeit hinlegt, dann hat derjenige ein außergewöhnliches Talent. Aber den Beweis dafür, dass er es auch umsetzen kann, den hat er am Sonntag in Monza geliefert."
Frage: "Du warst in Monza vor Ort. Die meisten Leute vor Ort hatten das Gefühl, dass da etwas Besonderes passiert ist - da war Gänsehautfeeling..."
Surer: "Absolut. Noch vor dem Rennen - auch als es feucht war - hatten eigentlich alle damit gerechnet, dass Kovalainen gewinnen wird. Das wäre nichts anderes als normal gewesen und auch nicht gegen Sebastian gerichtet, aber man hat ihm einfach noch nicht zugetraut, dass er diesen Speed über die gesamte Distanz durchsteht. Aber er hat uns alle eines Besseren belehrt."
Frage: "Glaubst du, dass ihn Lewis Hamilton schlagen hätte können, wenn McLaren-Mercedes beim Boxenstopp gleich Intermediates statt Full-Wets aufgezogen hätte?"
Surer: "Natürlich wäre es wohl eng geworden an der Spitze, wenn er so weitergefahren wäre. Es hat nicht sollen sein - und somit muss man sich freuen, dass Sebastian gewonnen hat. Aber er hat ja gegen direkte Gegner gewonnen! Massa war nicht weit weg von ihm, Kovalainen ist neben ihm gestartet."
"So gesehen ist es nicht so, dass er gewonnen hat, weil andere Probleme hatten - im Gegensatz zu Kubica, der in Montréal gewonnen hat, weil in der Box Hamilton und Räikkönen kollidiert sind, oder zu Kovalainen, der in Ungarn gewonnen hat, weil Hamilton einen Reifen- und Massa einen Motorschaden hatte. Sebastian hat von A bis Z geführt und er hat aus eigener Kraft gewonnen. Ob da einer hätte kommen können, finde ich überflüssig zu diskutieren."
Mit Trockenabstimmung im Regen
Frage: "Gibt es an der Performance von Toro Rosso und Sebastian am Wochenende überhaupt etwas zu kritisieren?"
Surer: "Nein, überhaupt nicht! Die haben zwar gesagt, sie sind mit einer Trockenabstimmung gefahren, aber offensichtlich ist die Trockenabstimmung im Regen besser als im Trockenen, das muss man schon dazusagen."
Frage: "Willi Weber hat sich diese Woche in der 'Bild'-Zeitung als Manager für Sebastian angeboten. Sebastian macht alles selbst, was ganz selten ist auf diesem Level im Motorsport. Findest du diesen Weg richtig oder glaubst du, dass er früher oder später einen Manager braucht, um sich auf das Rennfahrer konzentrieren zu können?"
Surer: "Er wird jetzt einen unglaublichen Ansturm von außerhalb der Formel 1 bekommen - für irgendwelche Auftritte, Termine beim Fernsehen und so weiter. Ich glaube, das wird er nicht mehr selbst managen können. Er wird dafür jemand brauchen. Nur: Dafür braucht er nicht unbedingt einen Willi Weber, sondern er braucht einfach jemanden, der das für ihn koordiniert und der für ihn die Termine macht. Ich denke, er wird sich noch wundern, was für ein Ansturm jetzt auf ihn zukommt."
Frage: "Man darf auch nicht vergessen: Der Junge ist erst 21 Jahre alt..."
Surer: "Richtig. Das kommt jetzt mit einem Schlag. Früher hat man immer gesagt: Er ist noch jung, er hat Talent und so weiter. Jetzt hat er gewonnen, jetzt steht er im Rampenlicht - und er wird es wohl auch bleiben. Somit muss er jetzt sicher eine Organisation finden, die ihm das alles vom Leib hält, damit er sich auf das Fahren konzentrieren kann."
Frage: "Du kennst Sebastian persönlich. Was ist er für ein Typ? Wie tritt er auf, wenn er ins Fahrerlager kommt?"
Surer: "Absolut sympathisch - der Junge von nebenan! Er gibt jedem die Hand, sagt zu jedem Hallo, bleibt immer stehen, wenn jemand ein Autogramm will. Natürlich ist er bisher auch noch nicht so bestürmt worden wie ein Lewis Hamilton, der das übrigens auch immer noch macht. Das muss man auch mal sagen, dass Lewis im Gegensatz zu anderen Altstars immer noch freundlich lächelt, stehen bleibt, wenn jemand ein Foto will und so weiter. Da schlägt Sebastian voll Hamilton nach. Natürlich wird er jetzt mehr bestürmt werden und es wird jetzt nicht mehr so einfach sein, aber sein Auftritt ist jugendlich, charmant - einfach sympathisch!"
Red Bull Racing kein Rückschritt
Frage: "Er wird nächstes Jahr für Red Bull Racing fahren, für das zweite oder eigentlich erste Team von Dietrich Mateschitz. Wie lange siehst du ihn dort, wenn er so weitermacht wie jetzt?"
Surer: "Man muss mal abwarten, wie gut das Team wird. Die setzen alles daran, es an die Spitze zu schaffen. Ich bin auch einer der wenigen, der nicht glaubt, dass das jetzt schlecht ist, weil Toro Rosso im Moment besser ist - das ist sehr kurzfristiges Denken. Das größere und besser finanzierte Team ist auf jeden Fall Red Bull selbst. Ich glaube auch, dass er da irgendwann doch die besseren Möglichkeiten hat, sich zu entfalten, als wenn er beim kleinen Team bleibt."

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1996: Der kleine Knirps neben Michael Schumacher ist Sebastian Vettel... Zoom
Frage: "Es gibt zwischen ihm und Michael Schumacher eine spezielle Verbindung. Die beiden kennen sich schon seit vielen Jahren und es gibt Fotos, wo Michael dem kleinen Knirps einen Pokal überreicht und so weiter. Kannst du dir vorstellen, dass Michael Schumacher Sebastian eines Tages zu Ferrari holen wird?"
Surer: "Er wird dann sicherlich ein gutes Wort für ihn einlegen. Michaels Aufgabe muss es sein, Ferrari zu beraten und ihnen den besten Fahrer zu empfehlen. Man muss aber ganz klar sagen: Sebastian ist noch nicht reif dafür. Wer zu Ferrari geht, ist am Ende seiner Karriere, denn es gibt eigentlich niemanden, der nach Ferrari noch Erfolg gehabt hat - zumindest habe ich das jetzt nicht mehr im Hinterkopf."
"Man geht zu Ferrari, wenn man auf dem Höhepunkt seiner Karriere ist - und das ist es dann. Dann bleibt man da ein paar Jahre und dann tritt man zurück. Das ist der normale Weg. Und wenn man es nicht macht, dann wird man ein Barrichello, der noch ein paar Jahre hinterherfährt. Von dem her wäre es viel zu früh für Sebastian. Er muss erst reif sein, denn in Maranello ist der Druck so hoch wie sonst nirgendwo. Da muss der Erfolg kommen, da wird man nicht belohnt, wenn man Rennen gewinnt - sondern das ist der Normalzustand. So gesehen wäre es zu früh, aber ich bin sicher, wenn er genügend Erfahrung hat, wird Michael Schumacher ihn empfehlen."
Frage: "Siehst du in Sebastian denjenigen, der die größten Chancen hat, den ersten deutschen WM-Titel seit Michael Schumacher zu holen?"
Surer: "Im Moment läuft es halt für ihn. Jetzt hat er schon die erste Stufe erreicht, den ersten Sieg eingefahren. Die anderen haben nicht die Möglichkeit gehabt - vor allem nicht Nico Rosberg, den ich sicher auf ein ähnliches Level stelle, weil er im Moment einfach im falschen Auto sitzt."
Alle Voraussetzungen vorhanden
"Man muss sehen, was die Zukunft bringt. Wenn es mit Red Bull nicht weitergeht und er nicht mehr besonders auffällt, vielleicht auf dem Level von Webber fährt, dann wird man sagen: Das war eine Eintagsfliege! Wir wissen nicht, wie die Karriere weiterlaufen wird, aber die Voraussetzungen dafür, ein ganz Großer zu werden, die hat er auf jeden Fall."
Frage: "Dieses Jahr stehen noch vier Rennen aus. Bei zwei davon - Fuji und Shanghai - hat er im Vorjahr im Regen schon geglänzt. Was darf man dieses Jahr noch von Sebastian und Toro Rosso erwarten?"
Surer: "Wenn es regnet immer sehr viel. Letztes Jahr haben sie schon dort geglänzt. Wenn es wieder regnet, wird das wieder genauso sein, denn er hat immer geglänzt, wenn es geregnet hat - bis auf einmal, als er kollidiert ist."
"Auf der anderen Seite glaube ich auch, dass er ohne viel Zutun auf einer Strecke wie Singapur absolut gut aussehen kann. In Valencia war er auch sauschnell in der Qualifikation, hat dann aber in der dritten Qualifikation offensichtlich einen Fehler drin gehabt, sonst wäre er da auch ganz vorne gestartet. In der zweiten Qualifikation in Valencia hat er Bestzeit gesetzt. Auf ihn müssen wir in Singapur ein Auge werfen. Das sind Strecken, auf denen geht das Auto gut - und er mag sie offensichtlich."
Frage: "Was würdest du ihm raten, wie er mit diesem Erfolg jetzt umgehen muss?"
Surer: "Das Wichtigste ist wohl, dass er sich sofort jemanden sucht, der als Pufferzone funktioniert, damit die Leute nicht ihn anrufen, sondern jemanden, der für ihn den Terminkalender macht, damit er nicht überfüllt wird und irgendwann müde an der Rennstrecke ankommt."

