• 07.10.2015 15:51

  • von Dominik Sharaf

Rennvorschau Sotschi: Déjà-vu-Titelparty bei Mercedes?

Die Silberpfeile können die Konstrukteurs-WM vorzeitig gewinnen - Hamilton mit psychologischem Vorteil - Singapur-Setup als Chance für Vettel und Ferrari?

(Motorsport-Total.com) - Ist es die letzte Chance im WM-Kampf für Nico Rosberg? Wenn am kommenden Wochenende der Russland-Grand-Prix in Sotschi (alle Sessions der Saison 2015 live im Ticker verfolgen!) steigt, braucht der Deutsche dringend einen Erfolg im Teamduell mit Lewis Hamilton. Mit 48 Punkten Rückstand in der Gesamtwertung (zur kompletten WM-Tabelle) kann Rosberg seit seiner Schlappe in Japan nicht mehr aus eigener Kraft Weltmeister werden, selbst wenn er bis Saisonende jedes Rennen gewinnt. Büßt er weitere Zähler ein, wäre Hamilton auf dem Weg zu einer vorzeitigen Entscheidung.

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg, Lewis Hamilton

Nico Rosberg hofft, dass Sotschi für ihn nicht wieder zum Verbremser wird Zoom

Der Kurs am Schwarzen Meer (ausführliches Porträt), gelegen auf dem für die Olympischen Winterspiele 2014 errichteten Areal mit Prunkbau-Sportstätten, der im Fernsehen den Charme einer stillgelegten Chemiefabrik versprüht und viele Fans an die Schlaftablette Valencia Street Circuit erinnert, kommt dem aktuellen Champion gerade recht: Das Premierenrennen im Vorjahr entschied Hamilton für sich, weil Rosberg auf dem anspruchsvollen Parcours patzte. Fraglich ist zudem, ob das Selbstvertrauen des Wiesbadeners gelitten hat.

Suzuka hatte das Potenzial dazu: In dem Moment, in dem er wieder zu seiner alten Qualifying-Stärke zurückgefunden hatte, packte Hamilton mit seinem Manöver in der Startkurve die harten Bandagen aus und erhielt die Rückendeckung des Teams. Außerdem sorgt sich Rosberg um eine mögliche Rückversetzung in der Startaufstellung, weil ihm die Antriebskomponenten ausgehen. Im Gegensatz zu Hamilton greift er bereits auf die vierten und damit letzten straffreien Bauteile zurück. Ein Defekt könnte teuer werden. Ob der mit Wasser kontaminierte Monza-Motor wieder flott ist, ist fraglich.

Entscheidung in der Konstrukteurs-WM möglich

In Sotschi könnte sich Geschichte wiederholen, wenn Mercedes an Ort und Stelle wieder den Titel bei den Konstrukteuren wasserdicht macht. Den aktuellen Vorsprung auf Ferrari, der 169 Punkte beträgt, müssten die Silberpfeile nur um drei Zähler ausbauen, um erneut die Korken knallen zu lassen. Wie klar die Verhältnisse bei den Teams derzeit sind, unterstreicht die Tatsache, dass sich die Scuderia in Russland den zweiten Rang absichern kann - 172 Punkte Vorsprung auf Williams sind möglich.

Dass Mercedes die Szenerie bestimmt, ist keinesfalls selbstverständlich. Die Strecke in Sotschi zählt zwar mit einer Länge von 5,854 Kilometern zu den längsten im Kalender und wird mit rund 215 km/h im Schnitt durchfahren. Trotzdem schrauben die Teams viel Abtrieb auf das Auto, was einigen langsamen 90-Grad-Kurven geschuldet ist, die zu Fehlern einladen. Das heißt unter dem Strich: Das Setup ähnelt trotz der Topspeeds dem in Singapur, wo Hamilton und Rosberg 2015 ihr Waterloo erlebten.


Fotostrecke: GP Russland, Highlights 2014

Hoffen auf einen Sahnetag: Ferrari in Lauerstellung

Bodenhaftung ist mehr als die von Mercedes gepachtete Motorpower ein Schlüsselfaktor, denn die Bahn in Russland wird nur selten befahren und grüßt mit staubiger Oberfläche. Hinzu kommt, dass sie einen Straßenkurs-Charakter besitzt, die Mauern also direkt neben dem Asphalt lauern und die Piloten kaum Spielraum für Fehler haben. Patzer wie die, die den Mercedes-Stars im Qualifying von Österreich unterliefen, könnten in Sotschi teuer werden und die Formel-1-Hackordnung durcheinanderwürfeln.

Valtteri Bottas, Kimi Räikkönen

Ferrari wird sich darauf gefasst machen müssen, es mit Williams aufzunehmen Zoom

Sollten die Silberpfeile ins Schlingern geraten, böte sich eine Gelegenheit für Ferrari. Die Scuderia scheint sich in den vergangenen Monaten tempomäßig an den Platzhirsch herangetastet und die Lücke im Qualifying verkürzt zu haben. Klar ist aber, dass Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen einen perfekten Tag verzeichnen müssen, um sich die Mercedes zu schnappen. "Es hat noch nicht gereicht, um eine Bedrohung - vor allem für Lewis - zu sein", weiß Vettel mit Blick auf ein Rennen unter Normalbedingungen.

Eben diese Normalbedingungen kündigen die Meteorologen für Sotschi an: Ersten Wetterprognosen zufolge soll Regen nur am Freitag eine zusätzliche Hürde präsentieren. Leichte Niederschläge, die das Freie Training möglicherweise nicht betreffen, weichen am Samstag und Sonntag mildem Herbstwetter. Etwas Sonnenschein und Tageshöchstwerte von 16 bis 18 Grad Celsius werden erwartet, was für Mercedes im Duell mit Ferrari sicher nicht von Nachteil ist. Die Hitze Singapurs war eher ein Problem.


Lewis Hamiltons Sotschi-Vorschau

Der Mercedes-Pilot vor dem Grand Prix von Russland Weitere Formel-1-Videos

Williams oder Red Bull im Kampf um das Podium?

Entwarnung auch dank der Reifenauswahl Pirellis: Die Italiener rücken mit ihren weichsten Mischungen Supersoft und Soft an, was eine Stufe offensiver ist als bei der Rennpremiere vor einem Jahr. Damals hatte sich der Zulieferer vor dem Hintergrund mangelnden Datenmaterials zur Bahn in Sotschi für eine konservative Herangehensweise entschieden und Kritik geerntet: Nicht abbauende Dauerlutscher-Pneus wurden damals für einen Langeweile-Grand-Prix verantwortlich gemacht.

Daniel Ricciardo

Daniel Ricciardo wird für zusätzliche PS durch das Renault-Update pokern müssen Zoom

Aufgrund des zu erwartenden Singapur-Setups könnte Williams im Vergleich zu Suzuka wieder Rückschritte verzeichnen. Der FW37 bereitet seinen Piloten Felipe Massa und Valtteri Bottas in langsamen Kurven Probleme - und das nicht erst seit dieser Saison. Trotzdem schrappte der Finne 2014 in Russland haarscharf an der Pole-Position vorbei. Hinzu kommt, dass laut Chefingenieur Rob Smedley an der Schwachstelle gearbeitet wurde. Stimmt das, ist Williams ein Tipp für das Podium.

Red Bull wird hingegen ein schweres Los ziehen. Daniel Ricciardo und Daniil Kwjat werden unter dem PS-Defizit Renaults leiden - auch mit einer neuen Ausbaustufe des Aggregats im Heck, von der sich der Australier "keine Wunder" verspricht. Um von den Fortschritten zu profitieren müsste das Team zudem Strafversetzungen in der Startaufstellung in Kauf nehmen, schließlich sind die Komponentenkontingente beider Piloten aufgebraucht - fraglich, ob sich dieses Opfer für kleine Verbesserungen lohnt.

Enges Mittelfeld: Nico Hülkenberg wieder Punktekandidat

Wer sich sonst unter die Top 10 schiebt, scheint völlig offen. Die Mercedes-Kunden, die bislang allesamt auf den Experimentalantrieb des Werksteams verzichten müssen - präsentierten sich in Japan formverbessert, wobei Lotus gegenüber Force India im Rennen das Nachsehen hatte. Nico Hülkenberg und Sergio Perez erhalten für die B-Version des VJM08 zu einem späten Zeitpunkt der Saison noch neue Teile, die schon mit Blick auf das Jahr 2016 das Zeichenbrett verlassen haben dürften.

Nico Hülkenberg

Nico Hülkenberg und Force India erlebten zueltzt einen Formaufschwung Zoom

Die in finanzieller Schieflage befindliche und nicht durch eine Renault-Übernahme gerettete Lotus-Truppe wird sich eher über ein warmes Mittagessen freuen als über WM-Punkte. Nachdem die Hospitality und das Catering beim Japan-Grand-Prix nicht bezahlt wurden, darf sich Romain Grosjean einmal mehr einen Tisch zum Mittagessen bei seinen französischen Freunden von Renault sichern - oder er geht gleich zu Ferrari, schließlich wird er 2016 im US-Kundenteam Haas Formula andocken.

Bei McLaren dürften die Teller voll, die Gesichter aber lang sein. Die Truppe aus Woking hat die übrigen Saisonrennen zum Probelauf für die versprochenen besseren Zeiten erklärt. Nachdem Jenson Button seinen Platz an der Seite Fernando Alonsos gebucht hat, gibt es auch für den Briten keinen Grund mehr, sich durch mittelmäßige Leistungen hervorzutun. In Sotschi erwartet den Honda-Partner zudem das Problem, dass sie das PS-Defizit der Japaner besonders teuer zu stehen kommen wird.