Piastri: Norris und ich sind ganz andere Typen als Webber und Vettel es waren
Rennen eins nach dem McLaren-Kontakt: Papaya-Regeln weiter unverändert - an welches Credo Piastri denkt und warum Norris in dem Fehler auch viel Positives sieht
(Motorsport-Total.com) - Ex-Weltmeister Nico Rosberg bot Lando Norris nach dessen jüngstem Aussetzer in Montreal seine Hilfe an, der McLaren-Star brauche einen Mentor, so der Tenor des Deutschen. Denn Teamkollege und WM-Rivale Oscar Piastri, der hat genau so einen seit vielen Jahren in Form von Manager Mark Webber längst an seiner Seite.

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Viele Gesichter, aber ein Team: McLarens Oscar Piastri und Lando Norris Zoom
Sein Landsmann verfügt dabei selbst über reichlich Erfahrung in Bezug auf ein Stallduell mit harten Bandagen, kämpfte seinerzeit mit Sebastian Vettel bei Red Bull - doch geht es nach Piastri, kann man die beiden Fälle trotzdem nicht miteinander vergleichen: "Nein. Ich finde, die Situation ist ganz anders. Lando und ich sind ganz andere Charaktere als Mark und Seb es waren", sagt Piastri zu Motorsport-Total.com.
Der WM-Spitzenreiter fügt an: "Auch die Teamdynamik und der Punkt, an dem sie in ihrer Karriere standen, war anders." Schließlich war Webber in den goldenen Red-Bull-Jahren schon im Spätherbst seiner Karriere, Vettel noch ziemlich am Anfang. Letzteres gilt auch für beide McLaren-Piloten, die im Alter von 24 respektive 25 noch viele gute Jahre in der Königsklasse vor sich haben dürften.
Piastri stellt klar: WM um jeden Preis keine gute Idee
"Der Vorfall in Kanada war keine große Sache", findet Piastri, "ein Fehler von Lando, den er sofort eingeräumt und sich entschuldigt hat. Es war keine Situation, die ein ernstes Gespräch oder weitreichende Entscheidungen erforderlich machte." Zumal er zu bedenken gibt: "Wir wussten alle zu Saisonbeginn, dass es zwischen Lando und mir eng werden könnte, wenn es um die WM geht. Das überrascht uns nicht."
Sowohl McLaren-CEO Zak Brown als auch Teamchef Andrea Stella hatten immer davor gewarnt, dass es eines Tages auch zum Feindkontakt der beiden Schützlinge kommen werde, die wohl unausweichliche Kollision nahezu heraufbeschworen. Diese sei aber viel weniger das Problem oder gar entscheidend, als die Frage, wie das Team nun mit dem Thema umgehe - und hier wiederholt Piastri am Donnerstag in Spielberg abermals die Floskel der vergangenen Wochen: Er und Norris wollen nicht nur einmal um die WM fahren, McLaren wolle langfristigen Erfolg - und deshalb müssten auch alle gemeinsam langfristig denken.

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Gute Stimmung: Lando Norris und Oscar Piastri am Donnerstag in Spielberg Zoom
"Vor ein paar Wochen gab es diese Überschrift: 'Es ist nicht klug, um eine WM zu kämpfen oder eine WM zu gewinnen, wenn du dabei das ganze Haus niederbrennst.'" Gerade im Fall von McLaren müssen dabei unweigerlich Erinnerungen wach werden an das legendäre Teamduell zwischen Ayrton Senna und Alain Prost - die beiden Streithähne waren nach zwei gemeinsamen Saisons Ende 1989 so verkracht, dass die WM in Suzuka durch Kollision entschieden wurde und Prost mit dem Titel und der Startnummer 1 im Gepäck zu Ferrari flüchtete...
"Genau das ist unser Leitgedanke", sagt Piastri deshalb mit Blick auf das von ihm zitierte Credo: McLarens Haus solle noch lange unverwüstlich stehen - und beiden Piloten damit Siege ermöglichen: "Wir wollen langfristigen Erfolg - und ein geeintes Team ist dafür der Schlüssel", zeigt sich der Australier überzeugt. Entsprechend gibt sich der WM-Leader auch entspannt mit Blick auf die stattgefundene Aufarbeitung von Montreal: "Alles in Ordnung - die Hälfte davon fand schon auf dem Weg zum Büro der Rennkommissare statt, das war ganz unterhaltsam", scherzt er.
Norris: "Natürlich keine angenehmen Gespräche, aber ..."
"Aber im Ernst: Wir haben ganz offen und ehrlich darüber gesprochen, noch bevor wir überhaupt zum Team zurückgekehrt sind. Lando hat die Verantwortung übernommen und sich entschuldigt. Damit war die Sache geklärt", sagt Piastri. Auch Teamkollege Norris teilt diese Bewertung der Konversationen nach dem Malheur: "Es gab viele Gespräche - offene, gute Gespräche. Wir haben vieles reflektiert und ein gemeinsames Verständnis entwickelt", sagt der Brite.
"Ich konnte meine Sicht schildern, das Team verstehen - und sie mich. Ich habe sofort klargestellt, dass ich mich verschätzt habe und den Fehler auf meine Kappe nehme", so Norris, der einräumt: "Natürlich waren das keine angenehmen Gespräche, aber sie waren notwendig. Es geht ja nicht nur um mich persönlich, sondern um unsere Performance als Team. Wir alle kennen die Regel Nummer eins: Die galt damals, sie gilt heute und wird immer gelten."

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Der Kontakt zwischen Piastri und Norris in Kanada war das Worst-Case-Szenario Zoom
Piastri spricht aus, worauf Norris anspielt: "Natürlich steht über allem: Zwei Teamkollegen dürfen sich nicht ins Auto fahren - ganz gleich, ob das nun schriftlich fixiert ist oder nicht." Trotzdem findet der Australier: "In Kanada haben wir gut reagiert, auch im Nachhinein. Ich habe also nichts hinzuzufügen, ich finde, wir gehen die Sache insgesamt sehr vernünftig an. Es ist keine einfache Balance, aber es ist ein gutes Problem", so Piastri: "Zwei starke Fahrer im Team zu haben, ist ein Luxusproblem - eines, das aber dennoch klug gemanagt werden muss."
Geht es nach Norris, ist das dem Rennstall aus Woking aber gut gelungen: "Trotz allem war es konstruktiv", findet der Brite mit Blick auf die Gespräche: "Auf unglückliche Weise sind daraus sogar positive Dinge entstanden. Manche Themen im Team sind nach dem Wochenende gefestigter als zuvor, was man vielleicht gar nicht erwarten würde. Aber ich sehe das als gutes Ergebnis. Aus einer schwierigen Situation haben wir viel gelernt und sind als Team stärker geworden - das ist für uns alle ein Gewinn."
Verantwortung übernommen: "Gutes Beispiel fürs Team"
Deswegen gibt es vorerst auch keine Änderungen an den internen Regeln: "Alles bleibt beim Alten. Ich glaube, das Wichtigste war, dass ich direkt die Verantwortung übernommen habe. Ich habe sofort selbst gesagt, dass es mein Fehler war - und das auch intern noch mal betont", verrät der Brite: "Das ist, denke ich, ein gutes Beispiel für uns als Team."
Dabei will Norris klarstellen: "Nicht, dass ich unbedingt derjenige sein will, der vormacht, wie man Fehler zugibt - aber in den letzten Jahren sind wir als Team in dieser Hinsicht viel besser geworden. Ich würde sogar sagen: Auf absolutem Topniveau. Das gehört zum Sport dazu, es ist menschlich, Fehler zu machen. Aber entscheidend ist, Verantwortung zu übernehmen, daraus zu lernen und gestärkt weiterzumachen."

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Oscar Piastri oder Lando Norris: Auch die Fangirls können sich nicht entscheiden Zoom
Es sei immens wichtig, "dass das Vertrauen und die Offenheit zwischen Oscar und mir bestehen bleibt. Denn wir wollen nicht das erleben, was andere Teams in der Vergangenheit schon zerstört hat. Wir wollen hart, fair und am Limit gegeneinander fahren - ohne Wiederholung dessen, was zuletzt passiert ist. Dafür braucht es uns beide - auch wenn Kanada auf meine Kappe ging", sagt Norris: "Deshalb war es aus mentaler und konstruktiver Sicht ein positiver Prozess."
Auch Piastri bestätigt, dass sich an den viel zitierten Papaya-Regeln durch den ersten Feindkontakt der beiden Kontrahenten erstmal nichts geändert hat: "Nein, alles bleibt wie gehabt. Das, was in Kanada passiert ist, war natürlich nicht ideal, aber wir dürfen weiterhin frei gegeneinander fahren. Jeder von uns kämpft um seine eigene Chance in der Meisterschaft - das bleibt so. Wir müssen nur darauf achten, dass es keine Berührung mehr gibt."
Piastri lobt McLaren: "Finde, wir machen das sehr gut"
Prinzipiell äußert Piastri aber viel Verständnis, es sei schließlich "eine schwierige Position" einen internen WM-Kampf stets fair für alle Beteiligten zu managen: "Aber die Tatsache, dass wir in der Konstrukteurswertung einen soliden Vorsprung haben, macht es etwas einfacher zu handhaben. Natürlich ist es eine Herausforderung, aber ich finde, wir machen das sehr gut: Vorausschauend, ohne Illusionen."
Illusionen, die möchte sich der Australier auch nicht mit Blick auf seinen aktuellen Platz an der Spitze der Wertung machen, den er keineswegs als Fingerzeig zu seinen Gunsten sehen will - vielmehr unterstreicht er, dass sein Vorsprung von 22 Punkten alles andere als komfortabel sei: "Für mich, und für uns alle, geht es nur darum, faire Chancen zu haben, beide Meisterschaften zu gewinnen. In der Fahrer-WM kann es letztlich nur einen geben, klar."
Jetzt aber schon über eine Stallorder oder Festlegung auf einen Fahrer zu diskutieren, das kommt für Piastri viel zu früh: "Dafür müsste sich die Lage grundlegend ändern - und davon sind wir weit entfernt. Der einzige Wunsch, den ich habe, ist eine faire Möglichkeit, um den Titel zu kämpfen. Mehr will ich auch gar nicht", weswegen er anfügt: "Also nein, ich bin derzeit nicht bereit, solche Gespräche zu führen."
Dabei ist sich der WM-Spitzenreiter bewusst: "Natürlich wird es immer wieder Situationen geben, in denen nicht alles zu 100 Prozent gerecht ist, sei es durch Strategien, die Boxensituation oder andere Faktoren. Aber im Kern geht es darum, dass beide gleich behandelt werden", so Piastri: "Wir fordern beide einfach faire Bedingungen - das ist alles."
Herangehen unverändert: "Hatte es schon vergessen"
Dass sich das Pendel trotzdem in seine Richtung verschoben habe - etwa durch einen möglichen psychologischen Vorteil, weil sich Norris in Zukunft nun noch genauer überlegen müsse, ob er angreift, "nein, das glaube ich nicht", sagt Piastri - und erklärt: "Ich werde mich jedenfalls nicht anders verhalten. Wenn Lando etwas ändern möchte, ist das seine Sache, ich erwarte es aber nicht. Wir haben noch eine lange Saison vor uns, und ich denke, es wird bis zum Ende ein enger Zweikampf bleiben."
Auch Norris bekräftigt auf Nachfrage von Motorsport-Total.com, dass sich aus seiner Sicht durch Kanada nichts an der Herangehensweise geändert habe: "Ehrlich gesagt, ich hatte es fast schon wieder vergessen, bis es heute wieder zur Sprache kam. Ich fühle mich gut, freue mich auf das Wochenende." Natürlich habe er nach Montreal aber etwas reflektieren müssen: "Es hat etwas Zeit gebraucht, denn für mich ist mein Team alles."

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Der ganz große Erfolg geht nur gemeinsam, das wissen Piastri und Norris Zoom
Norris erklärt: "Ich bin mit diesen Leuten gewachsen, sie haben mir in der Formel 1 Chancen eröffnet. Ich will mit McLaren gewinnen. Und deshalb war es für mich besonders schmerzhaft, dass das, was in Montreal passiert ist, mit meinem Teamkollegen passiert ist. Wäre es ein anderer Fahrer gewesen, wäre es schlimm genug - aber so war es das Letzte, was ich mir jemals hätte vorstellen wollen."
Der Brite ehrlich: "Dass der Fehler auch noch von mir kam, das hat mich wirklich hart getroffen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen dem gesamten Team gegenüber, allen, die bei McLaren so hart arbeiten." Deshalb habe er "ein paar harte Tage" gehabt: "Aber ich habe gelernt, mit solchen Momenten besser umzugehen. Ich habe mit Andrea gesprochen, mit meinem engsten Team, mit Zak - und versucht, das Ganze so schnell wie möglich hinter mir zu lassen. Jetzt gehe ich mit klarem Kopf ins nächste Rennen."
Norris räumt ein: "Oscar war etwas konstanter als ich"
Klar sei aber in jedem Fall, dass er die Fehler, die sich schon das ganze Jahr über auf seiner Seite häufen, schleunigst abstellen muss: "Ja, absolut. Ich habe dieses Jahr ein paar mehr Fehler gemacht und war öfter im Hintertreffen, das ist offensichtlich", gibt Norris unumwunden zu: "Oscar war insgesamt etwas konstanter als ich, er ist dieses Jahr besser zurechtgekommen. Ich musste mich mehr anstrengen, mehr dazulernen als in früheren Saisons - einfach, weil ich mit dem Auto dieses Jahr manchmal zu kämpfen hatte."
Aufgeben will der Brite deshalb aber noch lange nicht: "Am Ende ist es mein Job, mit dem Auto umzugehen, das ich bekomme. Ich habe das schon oft gesagt, und ich stehe weiterhin dazu: Ob das Auto leicht oder schwer zu fahren ist, ob ich viel spüre oder wenig - ich muss es fahren können. Natürlich liegt es am Team, mir ein gutes Auto zu geben, aber es ist genauso meine Aufgabe, mit dem umzugehen, was ich bekomme."
Wenngleich das "definitiv nicht einfach" sei: "Oscar macht einen sehr guten Job. Aber das Duell zwischen uns ist spannend, auch für die Zuschauer. Und fürs Team ist es sogar sehr gut, weil wir uns gegenseitig pushen", glaubt Norris: "Das bringt eine zusätzliche Performance-Ebene, die viele andere Teams eben nicht haben - das habe ich schon öfter gesagt. So sehe ich den aktuellen Stand der Dinge." Fortsetzung folgt - schon an diesem Wochenende in Österreich.


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