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Rennvorschau Monte Carlo: Was gegen Mercedes spricht

Märchen, Mythen, Monaco: Worauf es beim Grand-Prix-Klassiker ankommt und wer die besten Karten hat - Mercedes' langer Radstand unter der Lupe

(Motorsport-Total.com) - In Monte Carlo Formel 1 zu fahren, hat Nelson Piquet einmal gesagt, ist wie Fahrrad fahren im Wohnzimmer. Es ist der verrückteste Grand Prix des Jahres, wenn sich fast 20.000 PS durch Sainte Devote schlängeln und 20 Fahrer um die Ehre kämpfen, das vielleicht wichtigste Autorennen der Welt zu gewinnen.

Es ist eben alles ein bisschen anders beim Grand Prix von Monaco. Die Siegerehrung findet nicht auf einem beliebig austauschbaren Standard-Podium statt, sondern in der Loge der Fürstenfamilie. Und gewinnen mutet noch erhabener an als sonst, wenn es den Pokal aus den Händen von Fürstin Charlene gibt und abends ein Dinner im Sporting Club.

Ayrton Senna ist Rekordsieger in Monte Carlo (1987 und 1989 bis 1993), und alleine das zeigt schon, dass für gewöhnlich nur die ganz Großen den Klassiker an der Cote d'Azur für sich erobern. Michael Schumacher und Graham Hill haben je fünfmal gewonnen, Alain Prost viermal. Vom aktuellen Starterfeld hat jeder der "Big Three" zwei Monaco-Siege: Fernando Alonso 2006 und 2007, Lewis Hamilton 2008 und 2016, Sebastian Vettel 2011 und 2017.

Für viele ist 2018 aber Daniel Ricciardo einer der großen Favoriten auf den Sieg. Der 28-Jährige mag vom schieren Speed her nicht ganz so schnell sein wie sein Teamkollege Max Verstappen, aber nirgendwo sonst bringt Erfahrung und Coolness so viel wie in Monaco. Verstappen krachte 2015 vor Sainte Devote spektakulär in den Lotus von Romain Grosjean, und 2016 zerlegte er seinen Red Bull am Schwimmbad.

Aber Red Bull ist dennoch optimistisch, im sechsten Saisonrennen zumindest eine realistische Chance auf den zweiten Sieg zu haben, denn: "Wir waren im dritten Sektor in Barcelona immer die Schnellsten. Das ist der Abschnitt, in dem eine Kurve nach der anderen kommt", analysiert Motorsportkonsulent Helmut Marko.

Das ist freilich nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich war im Barcelona-Qualifying im dritten Sektor keiner so schnell wie Ricciardo (26,159 Sekunden). Doch Vettel war dort nur um vier Hundertstelsekunden langsamer. Verstappen (+0,148) war auch nicht wesentlich schneller als die beiden Mercedes und Kimi Räikkönen, der Monaco-Sieger von 2005 und Polesetter des Vorjahres.

Red-Bull-Fahrer wittern ihre Chance

Aber: "In den letzten Jahren war Red Bull in Monaco immer stärker als auf anderen Strecken", erinnert sich Verstappen. Und Ricciardo weiß: "Monaco sollte für uns die beste Strecke sein." Mit einem wesentlichen Haken: Nirgendwo sonst ist die Pole-Position so wichtig wie im Fürstentum - aber ausgerechnet im Qualifying ist der Rückstand von Red Bull meistens am größten.

"Was uns fehlt, ist diese zusätzliche Leistung im Qualifying, die Ferrari und Mercedes haben", seufzt Marko. "Wenn Renault nichts bringt (das Renault-Update ist erst für Kanada geplant; Anm. d. Red.), dann müssen wir uns vielleicht etwas mit dem Set-up einfallen lassen. Denn wir haben gesehen, dass wir die Reifen so sehr schonen, dass wir vielleicht etwas aggressiver sein können."

Die Reifen ins richtige Temperaturfenster zu bekommen, scheint 2018 die Übung zu sein, die über die Weltmeisterschaft entscheidet. Mercedes tat sich damit bisher schwer - in Barcelona hatte Hamilton seine "Diva" aber im Griff. Trotzdem: "Wir gehen nicht als Favoriten in das Wochenende", befürchtet Sportchef Toto Wolff. "Das sind Red Bull und Ferrari."

"Red Bull ist in langsamen Kurven stark und wenn die Höchstgeschwindigkeit auf der Geraden weniger entscheidend ist. Ferrari hat unterdessen im vergangenen Jahr dort dominiert", sagt er. Für Mercedes sei es 2017 "um Schadensbegrenzung" gegangen, "da wir nicht das richtige Set-up gefunden haben. Das war eine schmerzhafte Lektion für uns, und wir sind fest entschlossen, zu zeigen, dass wir daraus unsere Lehren gezogen haben."

"Unser erster Doppelsieg in dieser Saison in Barcelona war ein großartiges Gefühl. Das Auto war schnell, ging gut mit den Reifen um und beide Fahrer waren mit der Balance sowie dem Fahrverhalten zufrieden", sagt Wolff. "Dennoch sehen wir es nicht als einen Wendepunkt an. Der Streckenverlauf, die Streckenoberfläche und die Bedingungen passten alle zu unserem Auto und spielten uns damit in die Karten."

Ist der Ferrari wirklich legal?

Vorjahressieger Ferrari sieht sich vor Monaco diversen Anschuldigungen ausgesetzt. Mit der Ölverbrennung im Motor soll getrickst werden, heißt es, und das Team um Mattia Binotto habe angeblich einen Weg gefunden, um die per Reglement vorgegebene Grenze des KERS-Hybrid von 120 kW auszuhebeln. Das hilft am meisten auf eine schnelle Runde im Qualifying.

In Monaco, wo die Pole die halbe Miete ist, wäre so ein Vorteil von entscheidender Bedeutung. Aber bislang konnte die FIA Ferrari keine betrügerischen Systeme im SF71H nachweisen. Ein Protest der Konkurrenz, um Klarheit zu schaffen, ist nicht ausgeschlossen. Die neuen Halo-Rückspiegel, die Ferrari in Barcelona eingeführt hatte, wurden ohnehin schon wieder verboten.

"Das Qualifying", sagt Haas-Pilot Grosjean, "ist in Monaco alles. Fast. Im Rennen musst du nur zwischen den Mauern bleiben und abwarten. Manchmal passiert nichts, manchmal passiert eine ganze Menge. Dann kannst du Positionen gewinnen. Aber es ist sicher richtig, sich aufs Qualifying zu konzentrieren."

"Drei Viertel des Rennens werden im Qualifying entschieden", stimmt Teamchef Günther Steiner zu. "Normalerweise ist Überholen fast unmöglich. Positionen gewinnst du dadurch, zur richtigen Zeit zum Boxenstopp zu kommen." Und durch den richtigen Umgang mit dem neuen Hypersoft, den Pirelli zwei Jahre nach der Premiere des Ultrasoft an gleicher Stelle in die Formel 1 einführt.

Beim Hypersoft-Test in Abu Dhabi Ende 2017 war der neue Reifen um eine Sekunde schneller als alles, was zuvor getestet wurde. "Ich rechne mit neuen Rekordrunden", sagt daher Pirelli-Sportchef Mario Isola. "Trotzdem ist der Hypersoft eher ein Renn- als ein Qualifying-Reifen." Von den Topteams haben Ricciardo/Verstappen die meisten Hypersoft-Sätze nominiert, nämlich elf; Hamilton/Bottas mit neun die wenigsten.

Strecke mit keiner anderen vergleichbar

Aber Monaco ist nicht nur in Sachen Reifenwahl einmalig. "Das Rennen kannst du mit nichts anderem vergleichen", schwärmt Nico Hülkenberg, der im Fürstentum eine ganz besondere Statistik vorzuweisen hat: Mit der Ausnahme von 2016 (Fünfter) war er beim Grand Prix von Monaco immer entweder Zehnter oder Elfter der Startaufstellung.

"Körperlich", sagt er, "ist es nicht die anspruchsvollste Strecke. Aber entscheidend sind Konzentration, Präzision und Disziplin." Denn wer in Monaco nur zwei Meter zu spät bremst, kann sich damit das gesamte Wochenende ruinieren. Wer Glück hat, landet im Notausgang. Wer Pech hat, verschrottet vor dem Qualifying sein Auto.

Umso wichtiger ist aus Fahrersicht, sich von unten ans Limit heranzutasten und volles Vertrauen ins Auto zu haben. Bei anderen Rennen bringt das Team vielleicht neue Teile mit, die am Freitag getestet werden sollen. Aber in Monaco wird in der Regel jede einzelne Trainingsminute dafür aufgewendet, das perfekte Set-up zu finden.

So ist die vordere Bodenhöhe beim ersten Run für gewöhnlich höher als bei anderen Rennen. Dadurch kann der Fahrer seine Bremspunkte einfacher wählen, da die Gefahr geringer ist, dass das Auto stark aufsetzt. In der Folge wird die Bodenhöhe im Verlauf der Trainings immer weiter abgesenkt, da der Fahrer mehr Vertrauen gewinnt. Weil er weiß, wo sich die Bodenwellen auf der Strecke befinden.

Oder der Lenkeinschlag: Im Vergleich zur zweitengsten Kurve der Formel 1, der Haarnadel in Montreal, erfordert die Fairmont-Haarnadel (besser bekannt als Loews-Kurve) nochmal um 40 Prozent (!) mehr Lenkeinschlag. Mercedes bringt deshalb eine spezielle Vorderradaufhängung mit, die einen größeren Lenkradwinkel erlaubt. Dadurch muss der Fahrer das Lenkrad nicht mehrmals bewegen.

Mercedes: Nachteil durch langen Radstand?

Gerade für die Mercedes-"Diva" ist es eine Herausforderung, sich durch die engen Straßen von Monte Carlo zu schlängeln. Zwar haben die Silberpfeile vier der letzten fünf Monaco-Grands-Prix gewonnen; doch auf Stadtkursen galt Mercedes seit der Einführung der Hybrid-Formel im Jahr 2014 am ehesten als verwundbar. Daran hat sich seither nichts geändert.

Ein wesentlicher Grund für diese Eigenschaft ist der längste Radstand aller aktuellen Formel-1-Autos. Das bringt mehr Anpressdruck bei geringerem Luftwiderstand, aber in engen Kurven wie in Monaco ist ein langer Radstand kontraproduktiv, wenn es darum geht, das Auto flink durch die Ecken zu schleudern. McLaren hat vor Jahren sogar ein eigenes Monaco-Chassis mit verkürztem Radstand eingeführt.

Mercedes macht sich aber keine Sorgen: "Wenn man in der Theorie zwei Autos miteinander vergleicht, die abgesehen von ihrem Radstand identisch sind, dann ist das Auto mit dem kürzeren Radstand in Monaco um weniger als eine Zehntelsekunde schneller. Dieser Vergleich hinkt jedoch, da man in der Praxis Abtrieb verlieren würde, wenn man vom langen Radstand zum Durchschnitt des Feldes geht. Das Ergebnis wäre in Monaco ein langsameres Auto."

In Monaco führt der Fahrer rund 80 wesentliche Lenkbewegungen und 50 Gangwechsel pro Runde aus. Wenn man dann noch das ständige Betätigen des Gas- und Bremspedals hinzurechnet, erkennt man, wie hart die Fahrer auf jeder der 78 Rennrunden arbeiten müssen.

Wenn man die Zeit unter Volllast (WOT = "wide open throttle") als Momente ansieht, in denen der Fahrer die Chance auf "eine kleine Pause" hat, dann bietet Monaco nicht viel Zeit zum Entspannen. Die WOT-Zeit macht in Monaco ungefähr 24 Prozent der gesamten Rundenzeit aus. Zum Vergleich: in Barcelona sind es mehr als 50 Prozent.

Nach Distanz: Kürzestes Rennen der Saison

Dabei lassen diese 24 Prozent jedoch nicht wirklich viel "Zeit zum Entspannen", da die meisten WOT-Abschnitte in Monte Carlo keine Geraden sind. Während Monaco also die kürzeste Rundenlänge (3,337 Kilometer) und die kürzeste Renndistanz (260,286 Kilometer) im Formel 1-Kalender aufweist, müssen die Fahrer dennoch die gesamte Zeit hochkonzentriert sein.

"Monaco", erklärt Hülkenberg, "ist keine Strecke mit hohen Fliehkräften. Die Geschwindigkeiten sind niedrig, aber die Runde lässt keine Luft zum Verschnaufen. Da musst du permanent voll da sein. Jeder Fehler endet in der Mauer, und dann ist es vorbei. Du musst als Fahrer selbstbewusst sein und Vertrauen ins Auto haben. Ich liebe die Herausforderung, in Monaco zu fahren!"

Jenson Button

2017 fuhr Jenson Button in Monaco den letzten Grand Prix seiner Karriere Zoom

Hülkenberg zählt erneut zu jenen Fahrern, die um den siebten Platz hinter den Topteams kämpfen werden. Traditionelle Highspeed-Wunder wie Williams (ganz extrem) oder Force India (weniger) werden in Monaco zu kämpfen haben. Teams mit Motoren-Nachteil hingegen (zum Beispiel Toro-Rosso-Honda oder McLaren-Renault) könnten Chancen haben.

"Monaco", sagt Fernando Alonso, "ist eine dieser Strecken, auf der das Feld ein bisschen nivelliert wird. Da werden die Karten fast neu gemischt." McLaren-Teamchef Eric Boullier nickt: "Diese Strecke trennt die Spreu vom Weizen. Mehr als jede andere Strecke, auf der wir fahren. Ich freue mich schon darauf, Fernando wieder in Monaco zu sehen."

Denn 2017 ließ der Spanier den Klassiker aufgrund seines Starts bei den 500 Meilen von Indianapolis aus. Die finden auch 2018 parallel statt. Zuerst startet der Grand Prix von Monaco um 15:10 Uhr deutscher Zeit (Formel 1 2018 live im Ticker), dann um 18:12 Uhr heißt es beim Indy 500: "Drivers, start your engines!"

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