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1955: Ein Monaco-Grand-Prix für die Ewigkeit

Mythos Alberto Ascari: Wie der zutiefst abergläubische Lancia-Pilot 1955 in Monaco einen Abflug ins Meer überlebte und vier Tage danach auf mysteriöse Weise starb

(Motorsport-Total.com) - Er war neben Juan Manuel Fangio der größte Star der Formel-1-Anfangszeit. Und sein Tod fand unter äußerst mysteriösen Umständen statt: der Italiener Alberto Ascari. Wir erzählen die unglaubliche Geschichte des Weltmeisters der Jahre 1952 und 1953, der 1955 beim Grand Prix von Monaco mit seinem Lancia-Boliden ins Meer stürzte und vier Tage später bei Tests in Monza ums Leben kam:

Als die Stars des Grand-Prix-Sports 1955 zum Grand Prix von Monaco anreisen, ist die Formel 1 erst im fünften Jahr - und damit noch in den Kinderschuhen. Und auch das Rennen in den Häuserschluchten ist nach einer Pause von fünf Jahren noch kein Fixpunkt. Der Startcrash 1950 hatte viele alarmiert: Ist das Rennen zu gefährlich?

Nach Ascaris zwei WM-Titeln mit Ferrari hat die Einführung der 2,5-Liter-Formel Mercedes zu einem Wiedereinstieg verleitet. Und wie! Fangio holte 1954 im Silberpfeil seinen zweiten Titel nach 1951, aber auch 1955 ist der Argentinier nach dem Sieg beim Saisonauftakt in Argentinien der ganz große Favorit. Zumal Rennleiter Alfred Neubauer speziell für die engen Gassen im Fürstentum ein Auto mit kurzem Radstand bauen lässt.

Keiner so abergläubisch wie Ascari

Lancia hat nach einem schwierigen Formel-1-Einstieg endlich aufgeholt: Das haben die Siege bei den nicht zur WM zählenden Rennen in Turin und in Neapel bewiesen. Speerspitze der Lancia-Attacke ist der 36-jährige Turiner Ascari, der bekannt ist für seinen sauberen Fahrstil, aber auch für seinen extremen Aberglauben.

Schwarze Katzen scheut Ascari wie der Teufel das Weihwasser, weil ihm bei seinem ersten großen Crash eine über den Weg gelaufen sein soll. Die Zahl 13 löst bei ihm Angstzustände aus, und die Tasche mit seiner Rennbekleidung und seinem blauen Helm lässt er keine Sekunde aus den Augen: Nur er darf sie anfassen.

"Ich will nicht, dass mich meine Familie zu sehr liebt, damit sie dann weniger leidet, wenn ich verunglücke." Alberto Ascari

Auf die Frage seines früheren Chefs Enzo Ferrari, warum er mit seiner Ehefrau und seinen Kindern manchmal etwas distanziert umgehe, gibt er eine rationale Antwort: "Ich will nicht, dass sie mich zu sehr lieben. Dann leiden sie weniger, wenn ich eines Tages verunglücke."

Trauma nach Unfalltod des Vaters

Ascari weiß, wovon er spricht, denn er war erst sieben Jahre alt, als sein Vater Antonio Ascari, damals ebenfalls Grand-Prix-Pilot, auf der Rennstrecke sein Leben ließ. Vielleicht hat der frühe Tod seines Vaters auch damit zu tun, dass Ascari unter Schlaflosigkeit und Magengeschwüren leidet. All das macht ihn aber nicht zu einem weniger liebenswürdigen Menschen: Der Lancia-Pilot, der von seinen italienischen Fans wegen seiner Statur "Ciccio" (Dickerchen) genannt wird, ist nie überheblich und hat keinerlei Starallüren.

Albert Ascari

Alberto Ascari: Keine Starallüren, aber abergläubisch wie kein zweiter Fahrer Zoom

Als sich die Teams am Mittwoch auf das Wochenende vorbereiten, gibt es bereits den ersten Streit: Grund sind die speziellen Regeln für die Trainingstage. Die Trainingsessions für den Grand Prix im Fürstentum sind von Donnerstag bis Samstag für jeweils 6 Uhr früh angesetzt.

Kuriose Regeln vor Monaco-Grand-Prix

Um auch am Donnerstagmorgen Zuschauer auf die Tribünen zu locken, hat man beschlossen, dass der Kampf um die erste Startreihe bereits am ersten Trainingstag ausgefochten wird. Das heißt: Wer die beste Trainingszeit erst am Freitag oder am Samstag fährt, steht bestenfalls in Reihe 2.

Die Teams leisten Widerstand und argumentieren, dass die Bedingungen um 6 Uhr morgens für ein Rennen, das um 15 Uhr gestartet wird, keineswegs repräsentativ sind. Daher wird beschlossen, dass zumindest das Donnerstag-Training am Nachmittag stattfindet.

Beinahe geköpft: Drama um Silberpfeil-Pilot Hans Herrmann

Das ungute Gefühl vieler, dass sich nach der Rückkehr nach Monaco bald ein schwerer Unfall auf der kaum gesicherten Strecke ereignen könnte, bewahrtet sich schon im ersten Training: Bei Hans Herrmann, der seinen deutschen Landsmann Karl Kling ersetzt und den Silberpfeil mit dem langen Radstand fährt, blockiert oben am Hügel beim Casino ein Rad.

Der 27-jährige fliegt mit Tempo 180 km/h in eine Steinbalustrade. "Ich hatte Glück, dass mir nicht der Kopf abgerissen wurde und der Wagen nicht Feuer fing", sagt der Schwabe, der sich zwei Rückenwirbel, das Kreuzbein und das Steißbein bricht, aber aus Angst vor dem Feuer irgendwie aus dem Auto klettern kann. Nach der falschen Behandlung im Krankenhaus von Monaco wird er ein halbes Jahr pausieren müssen.

48-jähriger Mercedes-Ingenieur testet, Fangio holt Pole

Leid und Freude liegen bei Mercedes eng beisammen: Während die Silberpfeile auf eine unkonventionelle Strategie setzen und sogar der 48-jährige Ingenieur Rudolf Uhlenhaut mit dem W196 mit langem Radstand auf die Strecke geht, um die Aussagen der Fahrer zu überprüfen, rast Argentinien-Sieger Fangio mit einer Bestzeit von 1:41.1 zur Pole-Position. Der 43-jährige Routinier bricht damit den Uralt-Streckenrekord von Rudolf Caracciola aus dem Jahr 1937 (1:46.5).

Juan Manuel Fangio, Alberto Ascari

Pole-Duell: Silberpfeil-Ass Fangio setzt sich gegen Lancia-Hoffnung Ascari durch Zoom

Ascari riskiert und egalisiert die Bestmarke, muss aber mit Platz zwei vorliebnehmen. Der dritte Pilot in der ersten Reihe ist Silberpfeil-Neuzugang Stirling Moss, der ebenfalls im Auto mit dem kurzen Radstand sitzt, sich aber im Nachteil wähnt, weil der Motor anders als bei Fangio weiter hinten angebracht ist.

Moss' erfolgreicher Flirt bei voller Fahrt

Dennoch lässt sich der Brite die Laune nicht ganz verderben: Jedes Mal, wenn er an der Bahnhofs-Haarnadel, die später Loews heißen sollte, vorbeikommt, winkt er einer unbekannten Dame zu. Die Werbungsversuche des 25-Jährigen sind erfolgreich, und tatsächlich kommt es zum Date: Moss führt die Dame in den Ali-Baba-Club aus und bittet sie zum Tanz. Als die beiden zum Tisch zurückkehren, findet Moss dort eine handgeschriebene Notiz.

"Der Moss must in der bed be, mitout meinfrau. Neubauer", steht dort geschrieben. Eine Botschaft des gefürchteten Mercedes-Chefs Alfred Neubauer, der von seinem im Training unzufriedenen Piloten etwas mehr Disziplin einfordert?

Juan Manuel Fangio, Stirling Moss

Mercedes-Speerspitze: Stirling Moss und Teamkollege Juan Manuel Fangio Zoom

Moss hat Zweifel, denn die Handschrift seines Chefs sieht anders aus. Und als das Grinsen von Journalist Denis Jenkinson, der Moss bei der Mille Miglia begleitet hat, immer breiter wird, wird dem Mercedes-Piloten endgültig klar, wer ihm da einen Bären aufbinden wollte.

Katzenjammer bei Ferrari

Ganz und gar nicht ausgelassen ist die Stimmung hingegen im Lager von Ferrari: Da der drehfreudige, für Monaco vorgesehene 2,5-Liter-Zweizylinder-Motor bei den Tests den Prüfstand zerstört hatte, setzt man nun den alten Tipo 625 ein. Maurice Trintignant kommt damit als bester Ferrari-Pilot am ersten Trainingstag nicht über Platz sechs hinaus. Der Scuderia fehlen mehrere Sekunden auf die Spitze.

Als der Franzose im Laufe der weiteren Trainings als bester Ferrari-Pilot sogar noch auf Platz neun zurückfällt, glaubt bei der Truppe von Enzo Ferrari längst niemand mehr an den Sieg. Zu Unrecht, wie sich noch herausstellen sollte.

Ascaris böse Vorahnungen vor dem Rennen

Am Vortag des 13. Grand Prix von Monaco der Geschichte hadert Ascari wieder einmal mit den Zahlen. Es ist aber nicht nur die klassische Unglückszahl, die ihn unruhig werden lässt, sondern auch die Ziffer 8: Sein Bolide trägt die Startnummer 26, was in Summe 8 ergibt. Links und rechts von ihm in der Startaufstellung: die Silberpfeile von Fangio (Startnummer 2) und Moss (Startnummer 6). Und auch zur Zahl 26 hat Ascari einen Bezug: Sein Vater verunglückte am 26. Juli 1925.

Als er mit seinen Rivalen Fangio und Moss am Abend einen Streckenspaziergang unternimmt, bleiben die drei ausgerechnet ausgangs des Tunnels in der Bremszone der Hafenschikane stehen und blicken auf die aus Holzbrettern und Sandsäcken bestehende Begrenzung zum Hafenbecken. "Wer das hier berührt, der fliegt ins Wasser", murmelt einer der drei Piloten. Und Ascari bewegt sich rasch zu einem der Bretter, um dort auf Holz zu klopfen.

Als am Sonntag um 14:45 der Grand Prix bei Sonnenschein gestartet wird, gibt es ein Novum in der Geschichte des Rennens: Erstmals findet die aus Sicherheitsgründen nur 20 Autos umfassende Startaufstellung nicht vor der Sainte-Devote-Kurve statt, sondern am Hafen vor der Gasometer-Haarnadel (die später durch die Rascasse ersetzt werden sollte).

Klare Sache für die Silberpfeile - bis zur Rennhälfte ...

Zunächst läuft alles perfekt für die Silberpfeile: Fangio, der das erste Formel-1-Rennen 1950 in Monaco gewonnen hatte, setzt sich durch, während Moss und Ascari vom italienischen Lancia-Piloten Eugenio Castellotti überrumpelt werden. Der Topfavorit kann sich um einige Sekunden absetzen, ehe Silberpfeil-Teamkollege Moss endlich in Runde fünf am Lancia vorbeikommt.

Für Ascari scheint alles schiefzulaufen, als er auch noch hinter Maserati-Pilot Jean Behra auf Platz vier zurückfällt. Dann lösen sich plötzlich zwei Probleme vor ihm in Luft auf: Zuerst überfährt Castellotti in Runde 35 einen Randstein, beschädigt dabei ein Rad und muss an die Box, dann muss auch Behra wegen eines technischen Problems die Box ansteuern.

Ascari ist nun Dritter, ihm fehlen aber über 40 Sekunden auf die überlegenen Silberpfeil-Piloten. Obwohl es zunächst nach einer klaren Mercedes-Soloshow aussieht, schnellt der Puls bei Rennchef Neubauer wenig später nach oben: In Runde 50 - also genau bei Halbzeit des Rennens - bleibt der W196 des führenden Fangio plötzlich in der Bahnhofskurve stehen. Ein Defekt an der Kraftübertragung reißt den WM-Leader aus dem Rennen.

Ascari: Erst die Führung, dann der Abflug ins Meer

Mercedes hat mit Moss aber noch ein zweites heißes Eisen im Feuer: Der junge Brite führt fast eine Runde vor Ascari, der per Boxentafel von seiner Lancia-Crew aufgefordert wird, schneller zu fahren. Auch wenn der Turiner nicht nachlegen kann, sollte sich auch dieses Problem bald lösen: Bei Moss' Mercedes steigt bei der Tunnelausfahrt in Runde 81 weißer Rauch auf.

Stirling Moss

Bitteres Aus: Bei Stirling Moss' führendem Mercedes steigt weißer Rauch auf Zoom

Das Triebwerk gibt den Geist auf, und dem bitter enttäuschten Briten bleibt nichts anderes übrig, als an die Box zu rollen und auszusteigen. Doch auch die Freude Ascaris währt nur wenige Augenblicke: Der Lancia-Pilot, der den um eine Runde zurückliegenden Maserati-Piloten Cesare Perdisa im Genick hat, schießt mit Geschwindigkeitsüberschuss und blockierenden Reifen aus dem Tunnel, durschlägt Holzbretter, Strohballen und Sandsäcke, ehe er mit seinem Lancia ins Hafenbecken stürzt.

Der Motor sorgt dafür, dass Blasen und Rauch aufsteigen, aber hat Ascari das Unglück überstanden? Die Zuschauer befürchten das Schlimmste, Taucher und Matrosen des Reeders Aristoteles Onassis suchen nach dem Piloten. Doch dann taucht der blaue Helm auf. Ascari lebt tatsächlich! Der Formel-1-Pilot macht mit seinen Armen ein paar kräftige Stöße und wird von den Matrosen an Bord geholt.

Der Grund für Ascaris Horrorunfall

Wie durch ein Wunder fehlt ihm abgesehen von einer gebrochenen Nase nichts. Wie es zum Unfall gekommen ist? Hatte auch Ascaris Auto wie die anderen Lancia-Boliden Bremsprobleme? Oder hat er sich vom hinter ihm fahrenden Perdisa nervös machen lassen?

Alberto Ascari

Alberto Ascaris Crash ins Meer von der anderen Seite des Hafens Zoom

Ascari offenbart eine andere Unfallursache: die Warnung der Ferrari-Box vor dem immer näher kommenden Ferrari-Piloten Trintignant. "Ich musste riskieren, und bin auf dem Öl ausgerutscht", erklärt er den Hintergrund seines Crashs. "Und dann sah ich nur mehr, dass ich ins Meer fliege. Als ich mit dem Auto eintauchte und unterging, gelang es mir, mich zu befreien. Das war die Hölle, ich habe sogar den Meeresgrund berührt."

Die Benommenheit hält nicht lange an: "Durch die Kälte des Wassers war ich sofort wach, und als ich aufgetaucht bin, hat mich sofort ein Froschmann geborgen." Ascari hat doppelt Glück im Unglück: Nur um 30 Zentimeter verfehlte der Lancia-Pilot bei seinem Abflug einen Eisenpoller.

"Das war die Hölle, ich habe sogar den Meeresgrund berührt." Alberto Ascari

Ferrari-Pilot Trintignant erbt den Sieg

Während Ascari ins Krankenhaus gebracht wird, geht das Rennen weiter. Inzwischen völlig unbemerkt in Führung: Ferrari-Pilot Trintignant, der im Zivilberuf Winzer und Bürgermeister des ebenfalls in Südfrankreich liegenden Stadt Verzege ist. Der fährt zwar keine berauschenden Rundenzeiten, rettet sich aber nach 100 Runden zum Premierensieg, weil Verfolger Castellotti mit Bremsproblemen kämpft und den Rückstand von 20 Sekunden nicht reduzieren kann.

Auf Platz drei: Maserati-Pilot Behra, der nach seinem Boxenstopp in der Anfangsphase das Auto von Perdisa übernommen hatte, um doch noch vorne mitzufahren, aber durch einen Dreher seine Siegchancen einbüßte. Und auch einen Rekord gibt es 1955 in Monaco zu vermelden: Legende Louis Chiron wird bei seinem Lancia-Gaststart Sechster und ist mit 55 Jahren und 292 Tagen der älteste Pilot, der je an einem Grand Prix teilnehmen sollte.

Louis Chiron

Ältester Punktesammler der Historie: Die 55-jährige Legende Louis Giron im Lancia Zoom

Trotz des packenden Rennens mit dem Überraschungsergebnis spricht in Monaco jeder vom Wunder um Ascari. In der Nacht wird das Lancia-Wrack aus fast acht Metern Tiefe mit einem Kran aus dem Meer gehoben und zum Lancia-Hauptquartier nach Turin transportiert.

"Dickerchen" Ascari: Spitzname laut Trintignant zu unrecht

Sieger Trintignant, der nur noch ein weiteres Mal gewinnen sollte, besucht am Morgen nach seinem Triumph Ascari im Krankenhaus. "Alberto saß aufrecht im Bett, aß eine Orange und war in Bestform", erinnert sich der überraschte Franzose. "Ohne seine verbundene Nase wäre man nie auf die Idee gekommen, dass er so knapp mit dem Leben davongekommen ist."

Maurice Trintignant

Winzer Maurice Trintignant holte in Monaco mit viel Glück seinen einzigen Sieg Zoom

Trintignant erlebt im Krankenhaus noch eine weitere Überraschung: und zwar, dass Ascari den Spitznamen "Dickerchen" zu Unrecht trägt. "Es war heiß, und Alberto trug daher kein Pyjama-Oberteil", erzählt Trintignant. "Er hatte einen Körper wie ein Ringer, sehr muskulöse Schultern und einen Stiernacken, einen kräftigen Bizeps und kräftige Unterarme. Er hätte mit diesem Körper auch einen perfekten Rugbyspieler abgegeben."

Trotz kaputtem Glückshelm: Ascari will wieder fahren

Ascari ist in einem so guten Zustand, dass er schon wieder an die nächsten Renneinsätze denkt, anstatt die Ereignisse von Monaco als Warnung zu sehen. Er bittet Lancia um Freigabe für den eine Woche nach Monaco stattfindenden Supercortemaggiore-Grand-Prix in Monza - ein 1.000-Kilometer-Sportwagenrennen, das er gemeinsam mit Castellotti in einem Ferrari 750 Monza bestreiten will.

Als Ascari davon Wind bekommt, dass Castellotti den noch nicht einmal lackierten Boliden in Monza testet, entscheidet er spontan, auf einen Sprung an der Rennstrecke vorbeizuschauen. Offenbar aber ohne Ambitionen, selbst einzusteigen: Er reist in Anzug, Hemd und Krawatte an, seinen Rennanzug hat er nicht einmal dabei. Und seiner Ehefrau verspricht Ascari, bis zum Mittagessen wieder zurück zu sein.

Doch dann passiert etwas, das gar nicht zum so abergläubischen Italiener passt: Nach einem Gespräch mit seinem Kumpel Gianni Lurani entscheidet er spontan, mit dem Boliden doch ein paar Runden zu drehen. Und das, obwohl er seinen blauen Glücksbringer-Helm wegen des in Monaco gerissenen Kinnriemens nicht benutzen kann. Stattdessen borgt er sich den weißen Helm von Castellotti aus und schiebt sich die Krawatte unters Hemd. Es sei wichtig, nach einem Crash rasch wieder einzusteigen, argumentiert er seinen plötzlichen Meinungsumschwung.

Vier Tage nach Monaco: Der tödliche Unfall in Monza

In den ersten zwei Runden schießt sich Ascari auf den Kurs ein, dann gibt er Vollgas. Der Motorenlärm dröhnt im königlichen Park. Aber urplötzlich wird es still. Nach einer Weile läuft ein geschockter Mann mit erhobenen Armen die Strecke entlang. Er ruft um Hilfe.

Die Piloten fahren rasch raus auf die Strecke, um nach Ascari zu sehen. In der Vialone - einer Vollgas-Linkskurve - erwartet sie ein Bild des Schreckens. Der Ferrari hat sich offensichtlich überschlagen, ist verkehrt von der Strecke geschlittert und hat beim Anprall den Piloten erdrückt.

Als Castellotti und Villoresi Ascari finden, liegt dieser mit zerbrochenem Helm im Sterben. Jegliche Hilfe kommt zu spät. Sofort wird spekuliert, wie es zur Katastrophe kommen konnte. Hatte Ascari so kurz nach dem Monaco-Crash ein Blackout? Versuchte er, einem Streckenarbeiter auszuweichen - oder war da gar eine schwarze Katze?


Videomaterial vom Unfallwrack Ascaris

Hawthornes Theorie: Felge zu schmal für Reifen?

Formel-1-Pilot Mike Hawthorne, der nur eine Stunde nach dem Unfall in Monza ankommt, hat eine andere Theorie und glaubt, dass die aufgezogenen Reifen nicht zu den Felgen des Ferrari gepasst haben. "Die Reifen, die wir eigentlich verwenden wollten, waren nicht verfügbar, also bin ich das Auto mit den anderen Reifen gefahren", schildert er. "Es hat sich in der Vialone sehr giftig verhalten. Dort waren viele kleine Bodenwellen im Asphalt. Ich bin also zu dem Schluss gekommen, dass die Felgen zu schmal für diese Reifen sind."

Variante Ascari

Die umgebaute Unfallkurve trägt seit vielen Jahren den Namen Variante Ascari Zoom

Auch die Spuren an der Unfallstelle sieht er als Indiz: "Da waren lange, breite, schwarze Reifenspuren und dahinter Spuren von der Felge. Es sah also so aus, als hätte Ascari dort, wo die Bodenwellen anfangen, gerade in den fünften Gang geschaltet. Es könnte sein, dass das Auto dann zu rutschen begann, wodurch sich der Reifen verwindet. Und wenn dann die Felge den Asphalt berührt hat, könnte es zum Überschlag gekommen sein."

Mysteriöse Parallelen zu Tod des Vaters

Wirklich aufgeklärt wird das Unglück nie, dafür sind die Umstände umso mysteriöser - und vor allem die Parallelen zum Tod von Ascaris Vater. Alberto Ascaris Todestag ist der 26. Mai 1955, in Vater Antonio Ascaris Sterbeurkunde wird der 26. Juli 1925 als Todestag angegeben. Alberto ist wie sein Vater 36 Jahre alt, als er ums Leben kommt, allerdings um genau vier Tage jünger. Bei beiden schlägt das Schicksal in einer schnellen Linkskurve zu, vier Tage nach schweren Unfällen - mit 13 Grand-Prix-Siegen auf dem Konto. Und beide hinterlassen eine Frau und zwei Kinder.

Alberto Ascari wird zwei Tage nach dem Unfall in der San-Carlo-al-Corso-Kirche in Mailand vor rund einer Million betroffener Fans neben seinem Vater begraben. Auf seinem Sarg liegt der blaue Helm. "Alberto war verdammt schnell und ein unglaublich guter Fahrer", sagt Fangio über seinen Ex-Rivalen. "Seine einzige Schwäche war sein Aberglaube."

Ascari-Tragödie als Auftakt zu schwarzer Serie

Der Tod des Formel-1-Stars sorgt für dunkle Gewitterwolken über dem Motorsport, die sich nicht so rasch vertreiben lassen. Lancias Plan, sich durch Ascaris Erfolge aus der finanziellen Krise zu retten, scheitert nach dem Tod des Hoffnungsträgers. Der italienische Traditionshersteller zieht sich rasch aus dem Rennsport zurück und wird von Ferrari übernommen. Die am Anfang noch so wenig ausgereiften Lancia-Boliden sorgen im Namen des springenden Pferdes für große Triumphe.

Le Mans 1955

Motorsport-Super-GAU: Die Tragödie in Le Mans forderte 84 Todesopfer Zoom

Zwei Wochen nach der Monza-Tragödie kommt es bei den 24 Stunden von Le Mans zum größten Unglück der Motorsport-Historie, als der Mercedes von Pierre Levegh bei Start-Ziel in den Zuschauerbereich fliegt und 80 Zuschauer tötet. Dadurch werden die Grands Prix in der Schweiz, in Frankreich und in Deutschland abgesagt, und Mercedes steigt mit Jahresende wieder aus dem Motorsport aus. Erst 2010 sollte man als Werksteam wieder in die Formel 1 zurückkehren.

Und selbst zehn Jahre nach der Katastrophe ist das Ascari-Drama plötzlich wieder allgegenwertig: Da stürzt Paul Hawkins ähnlich wie Ascari beim Grand Prix von Monaco ins Hafenbecken. Er wird gerettet, kommt aber vier Jahre später bei einem Langstrecken-Rennen im Oulton Park ums Leben. Sein Todestag: der 26. Mai - wie bei Alberto Ascari.

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