• 17.06.2004 09:31

Renaults Analyse des Kanada-Grand-Prix

Ein Blick auf die Daten birgt einige Überraschungen: Lesen Sie, wie gut Renault, Ferrari, BAR und Williams wirklich waren

(Motorsport-Total.com) - Ein scheinbar eindeutiges Ergebnis: Am vergangenen Sonntag holte sich Ferrari-Ass Michael Schumacher seinen siebten Saisonsieg im achten Rennen des Jahres. Als Zweitschnellster entpuppte sich Ralf Schumacher, der allerdings im Anschluss aufgrund einer nicht regelkonformen Bremsenkühlung seines Williams aus der Wertung ausgeschlossen wurde. Dahinter folgte Rubens Barrichello im zweiten Ferrari. Durch den ersten Doppelausfall blieb das Renault-Team zum ersten Mal in dieser Saison ohne WM-Zähler. Doch spiegelt das Resultat auf dem 'Circuit Gilles Villeneuve' die Kräfteverhältnisse korrekt wider?

Titel-Bild zur News: Fernando Alonso

Fernando Alonso hätte nach Renaults Meinung um den Sieg fahren können

Die Behauptung, Renault hätte den Kanada-Grand Prix gewinnen können, erscheint auf den ersten Blick vielleicht ein wenig verwegen. Wer sich allerdings ein wenig intensiver mit dieser Theorie auseinandersetzt, wird bald feststellen: Es stimmt. Fernando Alonso kam in der 17. Runde das erste Mal zum Nachtanken. Aufgrund eines Problems mit der Tankanlage verbrachte der junge Spanier insgesamt 34,123 Sekunden zwischen den beiden Messpunkten zu Beginn und am Ende der Boxengasse.#w1#

Alle anderen Piloten, die mit einer Zwei-Stopp-Strategie unterwegs waren, brauchten rund 27 Sekunden. Somit verlor Fernando - der als Führender in die Boxengasse einbog - rund sieben Sekunden. Nachdem Michael Schumacher von seinem ersten Tankstopp auf die Strecke zurückkehrte, betrug sein Vorsprung auf den Renault-Pilot 7,7 Sekunden. Dieser Wert blieb in den folgenden Umläufen mehr oder minder stabil, wobei Fernando die Lücke zu dem Führenden eher noch schließen konnte. Zum Zeitpunkt seines Ausfalls in der 45. Runde betrug der Rückstand auf den Deutschen 7,190 Sekunden.

Diese Zahlen verdeutlichen: Beide waren nicht nur mit einer ähnlichen Taktik, sondern auch mit vergleichbarem Speed unterwegs. Und es gibt weitere Zahlen, die dies unterstreichen. Fernandos durchschnittliche Rundenzeit während der 27 Runden seines zweiten Turns betrug 1:15.121 Minuten. Zum selben Zeitpunkt umrundete Michael Schumacher - sein zweiter Turn umfasste 28 Runden - den 'Circuit Gilles Villeneuve' durchschnittlich in 1:15.095 Minuten. Die beiden lagen also lediglich 0,026 Sekunden pro Runde auseinander. Lediglich Ralf Schumacher erzielte auf die Distanz gesehen bessere Rundenzeiten.

Bei seiner Durchschnittszeit von 1:14.918 Minuten ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Williams-Pilot auf einer Drei-Stopp-Strategie fuhr, und entsprechend leichter unterwegs war. Sein letzter Turn - die Phase, aus der dieser Wert stammt - dauerte beispielsweise nur 22 Runden. Während Ralf Schumacher also aufgrund seines Gewichtsvorteils schneller unterwegs war, verbrachte der Kerpener im Vergleich mit den "Zwei-Stoppern" 22 Sekunden mehr in der Boxengasse. Um diese Zeit wieder aufzuholen, hätte er pro Runde drei Zehntelsekunden schneller sein müssen, als seine Konkurrenten. Tatsächlich aber erarbeitete er sich über die Distanz gesehen pro Runde einen Vorteil von lediglich einer Zehntelsekunde.

Die durchschnittlichen Rundenzeiten:
Michael Schumacher: 1:15.09 Minuten
Rubens Barrichello: 1:15.18 Minuten
Ralf Schumacher: 1:14.95 Minuten
Juan Pablo Montoya: 1:15.16 Minuten
Fernando Alonso: 1:15.14 Minuten
Jenson Button: 1:15.21 Minuten

Diese Zahlen legen nahe, dass Fernando trotz der Verzögerung beim ersten Tankstopp zumindest hätte Zweiter werden können. Zum Zeitpunkt seines vorzeitigen Rennendes lag der Renault-Fahrer auf der dritten Position hinter den Schumacher-Brüdern. Er war sogar gerade dabei, auf das führende Duo aufzuschließen. In der 41. Runde betrug sein Rückstand noch 3,471 Sekunden, in der 42. 3,18 Sekunden, 2,739 Sekunden in der 43. und nur noch 2,005 in der 44.. Fernando war auf dem besten Weg, Ralf zu passieren - spätestens bei dessen nächstem Boxenstopp wäre ihm das auch gelungen.

Generell erstaunlich, wie eng die Zeiten beieinander lagen: In der Wertung der schnellsten Rundenzeiten liegen die besten Sechs gerade einmal sechs Zehntelsekunden auseinander. Beim Vergleich der "idealen Runden" - also der Summe der jeweils besten Zeiten in den drei Sektoren liegen sie sogar noch enger zusammen: Die Top-Sechs trennt lediglich eine halbe Sekunde.

Der Vergleich der tatsächlich schnellsten Runde eines Fahrers mit der theoretisch schnellsten sagt viel darüber aus, wie optimal der Pilot das Potenzial seines Monoposto ausnutzt. Daraus lässt sich wiederum erkennen, wie einfach gut der Fahrer mit dem Wagen zurechtkam - in anderen Worten: wie gut das Setup des Autos funktionierte. Im Vergleich zu den Trainingssitzungen am Samstag - als Renault-Pilot Franck Montagny den Williams bei seiner Analyse attestierte, sie sähen nervös aus - hatten die Weiß-Blauen bis zum Sonntag offensichtlich die Abstimmung noch etwas geändert.

Immerhin gelang es Ralf Schumacher fast, seine ideale Rundenzeit zu erzielen. Die Ferrari belegen in dieser Disziplin beinahe schon traditionell die Spitzenpositionen. Rubens Barrichello gelingt es gar, seine "ideale Runde" sogar bis auf die Hundertstelsekunde genau zu treffen. Die größere Differenz bei Fernando lässt sich leicht erklären: Während seines ersten Turns klagte der Renault-Pilot über Untersteuern. Während seines zweiten Turns waren seine Reifen nicht konstant genug. Erst gegen Ende konnte er mehrere schnelle Zeiten hintereinander setzen.

Auf dem 'Circuit Gilles Villeneuve' kommt es aufgrund der langen Geraden nicht zuletzt auf Höchstgeschwindigkeit an: Sie ist nicht nur für die Rundenzeit enorm wichtig, sondern auch um gegen Überholmanöver gefeit zu sein. Im bisherigen Saisonverlauf konzentrierte sich das Renault-Team hauptsächlich darauf, eine für hohes Kurventempi optimale Abstimmung zu erarbeiten. Das vergangene Wochenende bewies jedoch, dass sich die "Equipe Jaune" auf auch die Charakteristik bestens einstellen konnte. Fernando erzielte bei der Geschwindigkeitsmessung kurz vor der letzten Schikane mit 335,7 km/h den achtbesten Wert. Dabei lag er nicht weit von der absoluten Höchstgeschwindigkeit entfernt: Die Ferrari wurden mit 338 km/h gemessen. Auch in Indianapolis am kommenden Wochenende wird es übrigens sehr auf die Vmax-Werte ankommen.

Mit Sicherheit wird niemand der Behauptung widersprechen, dass der Kanada-Grand-Prix eines der aufregendsten Rennen der bisherigen Saison war. Seine Spannung bezog der achte von 18 Läufen nicht zuletzt an den beiden unterschiedlichen Taktiken, die die Top-Teams anwendeten. Sowohl die Zwei- wie auch die Drei-Stopp-Strategie funktionierte offensichtlich sehr gut - Ralf Schumacher überquerte die Ziellinie schließlich nur eine Sekunde hinter seinem Bruder. Alles in allem erwiesen sich die beiden Ferrari wieder einmal als die schnellsten Autos auf der Strecke. Schumacher und ein Teamkollege Rubens Barrichello setzten die beiden schnellsten Rennrunden. Für das Renault-Team bleibt leider nur der Trost, dass ein herausragendes Ergebnis möglich gewesen ist - wäre da nicht der erste Doppelausfall der Saison. Es gilt, die derzeitige sehr gute Form beim Großen Preis der USA am kommenden Wochenende in ein zählbares Resultat umzumünzen.