• 19.07.2004 11:54

Reifenverschleiß: Was dahinter steckt

Welche Arten der Reifenabnutzung gibt es und wie wirken sich diese aus? Renault-Chefingenieur Pat Symonds erklärt es Ihnen

(Motorsport-Total.com) - Pat Symonds, Chefingenieur von Renault, erklärt was Reifenverschleiß bedeutet und warum diesem in der Formel 1 eine solch große Bedeutung zukommt: "Einfach gesprochen gibt es in Bezug auf die Rennstrategie zwei hauptsächliche Faktoren: den Betrag, um den das Auto durch das Mitführen einer schweren Benzinmenge eingebremst wird, den so genannten 'Benzineffekt' (der normalerweise durch den Zeitverlust von x Sekunden für 10 Kilogramm Benzin ausgedrückt wird), und den Betrag, um den das Auto langsamer wird, wenn sich der Reifen abnutzt. Die Abnutzung der Reifen ist eine komplexe Angelegenheit, denn sie variiert nicht nur von Strecke zu Strecke sondern auch von Jahr zu Jahr auf einer Strecke und sogar von Tag zu Tag... Der Grund dafür ist darin zu suchen, dass es drei fundamentale Typen von Reifenverschleiß gibt."

Titel-Bild zur News: Reifenspur

Formel-1-Reifen müssen unvorstellbare Belastungen aushalten

Die lineare Abnutzung

"Der erste Grund hierfür ist die lineare Abnutzung: Diese ist sowohl für die Vorder- als auch für die Hinter-Reifen ähnlich und hängt von ihrer Abnutzung ab. In anderen Worten, wenn die Reifenleistung so ist, dass das Auto zwischen der zweiten und dritten Runde 0,1 Sekunden an Rundenzeit verliert, dann wird er auch zwischen Runde 22 und 23 0,1 Sekunden verlieren. Während eines Rennens kann die lineare Abnutzung zwischen nichts bis zu 0,15 Sekunden je nach Strecke und Bedingungen schwanken. Lineare Abnutzung sorgt nicht für eine Veränderung der Balance des Autos, sie führt weder zu Unter- noch zu Übersteuern."#w1#

Das Graining

"Der zweite Typ ist das so genannte Graining. Dies ist ein Phänomen, das seit der Einführung der Rillen-Reifen mehr und mehr verbreitet worden ist, auch wenn Slicks ebenfalls darunter leiden können. Graining tritt auf, wenn die Oberfläche des Reifens zur Seite drängt und sich durch die schiere Kraft auf den Gummi aufrollt. Dies kann man sehr leicht erkennen, da der aufgerollte Gummi auf der Oberfläche haften bleibt. In den meisten Fällen sieht man das Graining seitlich auf den Vorderreifen, auch wenn es auf manchen Kursen auf den Hinterreifen auftreten kann. Dies geschieht, wenn es viele Stellen gibt, an der die Traktion wichtig ist, wie in Kanada."

"Es tritt jedoch für gewöhnlich auf Strecken wie Imola, wo der Vorderreifen stärker belastet wird als Hinterreifen, vorne auf. Die Reifen sind anfällig für Graining, wenn die Temperaturen niedrig sind und der Gummi vielleicht steifer ist als unter idealen Bedingungen. Das Ergebnis ist eine Zunahme an Untersteuern, aber wenn sich der Reifen abnutzt, verschwindet das Graining (der 'lose' Gummi wird von der Oberfläche entfernt) und der Reifen verhält sich normal."

Die Blasenbildung

"Der letzte Typ der Abnutzung der auftreten kann, ist der Typ, um den wir uns in Hockenheim mehr Sorgen machen werden. Blasenbildung wird so genannt, denn der Reifen bildet eine Form von Hitzeblasen, die auf der Oberfläche auftreten. Dies wird für gewöhnlich auf den Hinterreifen gesehen und entsteht generell durch eine Kombination von starker Beschleunigung und großen Kurvenkräften durch lange, langsame und mittelschnelle Kurven."

"Mit diesem Typ an Abnutzung verhält sich der Reifen für gewöhnlich zu Beginn normal, leidet dann nur unter linearer Abnutzung, bis er an den Punkt kommt, an dem der Hinterreifen Blasen bildet, was ziemlich schnell passieren kann. Das Auto beginnt dann durch Übersteuern und einen Verlust an Traktion Rundenzeit zu verlieren."

Warum sich Blasen bilden

"Die Eigenart der Reifen, Blasen zu bilden, hängt mit der Kerntemperatur eines Reifens zusammen, mit anderen Worten mit der Temperatur des Gummis unter der Oberfläche. Während sich die Oberflächentemperatur eines Reifens ziemlich schnell aufbauen kann, besonders wenn der Reifen rutscht, sorgt die Tatsache dafür, dass Gummi ein guter Isolator ist, dass sich die hohe Oberflächentemperatur nicht schnell zum Kern des Reifens durchsetzt."

"Die Kerntemperatur erhöht sich mehr durch die Arbeit, die ein Reifen verrichtet, und diese Temperaturen können sogar bei einer hohen Belastung der Reifen im Rennen acht bis zehn Runden brauchen, bis sie sich stabilisiert haben. Ein Reifen, der Blasen bildet, wird sich aus diesem Grund gut verhalten, bis die Kerntemperatur den kritischen Punkt erreicht und dann verliert der Reifen an Haftung, wenn die Blasen auftreten. Die Blasen sind generell von ähnlicher Größe und je schlimmer die Blasenbildung ist, desto mehr Blasen sind auf dem Reifen zu finden."

Der neue Hockenheimring ist "blasenanfälliger"

"Seitdem die Strecke in Hockenheim überarbeitet wurde, haben sich die Anforderungen des Kurses an die Reifen bedeutend verändert. Der neue Asphalt verfügt über bedeutend mehr Haftung als der alte und die Natur der Strecke ist radikal anders: Zuvor bestand sie fast ausschließlich aus harten Bremsmanövern und Beschleunigungphasen, nun gibt es viel mehr mittelschnelle Kurven. Aus diesem Grund muss das Setup stark angepasst werden und der Kurs benötigt nun viel mehr Abtrieb. Das Ergebnis sind viel höhere Geschwindigkeiten durch die Stadion-Sektion (durchschnittlich um 16 Prozent), und die zahlreichen Beschleunigungsphasen aus den Kurven heraus machen Hockenheim zu einem Kurs, der insbesondere die Hinterreifen belastet."

"Wenn man diese Faktoren erst einmal in Betracht gezogen hat, die Daten analysiert und die Wahl der Reifen in Bezug auf die Reifen-Mischung und -Konstruktion getroffen wurde, dann hoffen wir, dass die einzige Unbekannte nur noch in den Umgebungsbedingungen zu suchen ist. Das Wetter kann sich jedoch so auswirken, dass eine zunächst wohl durchdachte Wahl begeisternd genial oder übermotiviert falsch ist."