Reifensparen in Q3: "Ein Schlupfloch im Reglement"
Eine sinnvolle Investition in die Rennstrategie oder eine Frechheit gegenüber den Zuschauern? Das Reifensparen in Q3 aus Sicht der Beteiligten
(Motorsport-Total.com) - Fahren oder nicht fahren - das ist hier die Frage. Im dritten Abschnitt der Qualifikation sind die Fahrer und ihre Teams in diesem Jahr nämlich einerseits darauf aus, eine gute Rundenzeit zu markieren, wollen andererseits aber ihre Reifen schonen. Die Konsequenz daraus: Einige Top-10-Hinterbänkler verzichten in Q3 vollkommen darauf, schnelle Runden zu drehen, was nicht überall gut ankommt.

© Pirelli
Michael Schumacher absolvierte im Q3 von Japan keine gezeitete Runde...
Paul Hembery, Motorsport-Direktor bei Formel-1-Lieferant Pirelli, kann sich jedenfalls nicht damit anfreunden und macht sich für ein Umdenken stark. "Unterm Strich sind wir ja alle nur dazu da, um den Sport für die Fans noch attraktiver zu machen", meint der Brite. Durch das Reifensparen in Q3 erziele man aber gerade die gegenteilige Wirkung, weshalb dergleichen besser zu vermeiden sei.
Hembery kann den Rennställen aber keinen Vorwurf machen: "Ich übe keine Kritik an den Teams, denn ich weiß, weshalb sie das tun. Sie nutzen die Regeln aus, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen." Allerdings, denn wie Renault-Teamchef Eric Boullier hinzufügt, handelt es sich dabei schlicht und ergreifend um "ein Schlupfloch im Reglement", das sich mal mehr, mal weniger zeige.
Ferrari wettert gegen das Reifensparen
"Hier in Suzuka kommt es besonders zum Tragen, weil der Reifenverschleiß sehr hoch ist", meint der Franzose. "Also sparen wir unsere Reifen lieber für den Sonntag. Ich verstehe den Geist des Sports, aber wir müssen an die Interessen des Teams denken. Wenn es ein Schlupfloch gibt, müssen wir es nutzen. Die Regeln erlauben es, auch wenn es für die Fans nicht schön ist", erläutert Boullier.
Stefano Domenicali ist anderer Meinung. "Es liegt mir fern, diejenigen zu kritisieren, die solche Entscheidungen treffen, die aus technischer Sicht absolut vertretbar sind. Ich denke aber, es zeigt, dass etwas im Ablauf der Qualifikation nicht ganz in Ordnung ist. Wir sollten das für die Zukunft im Detail überdenken. Für die Zuschauer auf den Tribünen ist es so in meinen Augen nicht so toll."
Der Ferrari-Teamchef steht mit dieser Ansicht nicht alleine da. Auch Mercedes-Teamoberhaupt Ross Brawn hält eine Änderung für notwendig. "Ich schätze, wir müssen uns das anschauen, denn im Qualifying vier Autos zu haben, die Reifen für das Rennen schonen, ist nicht das, was wir in der Formel 1 wollen. Über den Winter sollten wir uns ansehen, wie wir die Situation verbessern können."¿pbvin|512|4155||0|1pb¿
Die Verlockung ist groß...
"Es ist halt ein großer Anreiz, frische Reifen für das Rennen zu haben", erklärt der Formel-1-Routinier. "Das hat niemand so gewollt, aber es ist eben so gekommen. Jetzt, wo es immer mehr Autos machen, muss die FIA einschreiten. Ich halte es nämlich für keine gute Sache, wenn Formel-1-Autos nicht fahren." Er selbst wisse aber nicht, wie man diese Situation bestmöglich entschärfen könne.
"Ob man einfach mehr Reifen anbieten sollte? Keine Ahnung, denn ich finde es nicht schlecht, wenn man mit dem Reifensatz starten muss, mit dem man sich qualifiziert hat. Das muss man sich also genau anschauen", sagt Brawn. Für dessen Starfahrer Michael Schumacher besteht indes kein Änderungsbedarf. "So ist es halt", meint der siebenmalige Formel-1-Weltmeister in Suzuka.
Schumacher vermutet, dass ein Plus an Reifen für Abhilfe sorgen könnte. "Dann würden alle fahren", hält der Mercedes-Fahrer fest. Davon ist Sebastian Vettel (Red Bull) allerdings nicht überzeugt. "Hätten wir mehr Reifen und gleichzeitig einen hohen Verschleiß, wären wieder am gleichen Punkt. Es spielt keine Rolle, wie viele Reifensätze uns zur Verfügung stehen", findet der WM-Spitzenreiter.
Sind nur die "Hinterbänkler" der Top 10 betroffen?
"Wir brauchen auf jeden Fall keine weiteren Reifensorten mehr. Wir absolvieren schon jetzt genug Boxenstopps", ergänzt Vettel. Außerdem, so der Red-Bull-Fahrer weiter, bekomme man ja lediglich für den Grand Prix einige Zähler und nicht für die Qualifikation. Es sei daher nur verständlich, wenn sich die Teams auf das Rennen konzentrieren. Jenson Button (McLaren) sieht es indes noch entspannter.
"Aus unserer Sicht ist das ein bisschen anders", sagt der Weltmeister von 2009. "Wir kämpfen ja schließlich um die Pole-Position und das ist ganz schön aufregend." Sein Rennstall müsse sich nicht mit solchen Themen befassen - wer nach vorne will, muss fahren. Trotzdem beharrt Hembery darauf, in dieser Sache aktiv zu werden: "Es gibt viele Ideen, die man diesbezüglich diskutieren könnte."
"Es betrifft eigentlich hauptsächlich die Teams, die gerade so den Sprung in Q3 schaffen. Diese Rennställe nutzen diese Möglichkeit, um die Reifen zugunsten ihrer Strategie zu sparen. Ich denke, unterm Strich erkennt jeder, dass hier Handlungsbedarf besteht. Entweder müssen wir mehr Pneus bereitstellen, eine andere Lösung finden oder Qualifikations-Reifen ausgeben", meint Hembery.

