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Pascal Wehrlein: Wie der Senkrechtstarter die Formel 1 erobert
Supertalent Pascal Wehrlein vor dem Formel-1-Debüt: Warum der Zeitpunkt bei Manor "der richtige" ist, wo er überraschen will und wieso er auf Ferrari verzichten kann
(Motorsport-Total.com) - Formel-1-Rookie Pascal Wehrlein hat die Qual der Wahl. Der Mercedes-Kronprinz steht beim Mercedes-Kickoff in Fellbach zwischen zahlreichen Silberpfeilen der Formel-1-Geschichte - hier der schnittige, von Adrian Newey designte McLaren-Mercedes von Mika Häkkinen der Jahrtausendwende, dort das aktuelle Weltmeisterauto von Lewis Hamilton - einer der dominantesten Boliden der Historie.
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Pascal Wehrlein hat sein Ziel klar im Fokus: das Silberpfeil-Cockpit Zoom
Wenn sich Wehrlein für einen Boliden entscheiden müsste, welchen würde er dann nehmen? Der Youngster überrascht mit seiner Antwort: "Einen alten Silberpfeil." Grund sei nicht der Wert des Formel-1-Autos aus den 1950er-Jahren, sondern, "weil es die kaum noch gibt."
Ferrari nicht am Karriereplan
Wehrlein fühlt sich bei der Präsentation des Mercedes-Motorsportprogramms 2016 in der Nähe des Mercedes-Hauptquartiers in Stuttgart wie zuhause. "Schon als Kind war ich McLaren-Mercedes-Fan", erzählt er im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com' mit leuchtenden Augen. "Das wäre einfach ein Traum, und es ist das Ziel, im besten Auto um Rennsiege und Weltmeisterschaften zu kämpfen."
Die Silberpfeile haben für Wehrlein laut eigenen Angaben einen höheren Stellenwert als das legendäre Ferrari-Team. "Das liegt daran, dass ich selber Schwabe bin und daher diesen Bezug habe", erklärt er den Grund. "Ich wohne eine Stunde von Stuttgart entfernt, und wir waren immer Fans. Mein Vater fährt nur Mercedes, und das habe ich einfach in mir. Natürlich möchte ich eines Tages für dieses Team fahren."
Noch muss der 21-Jährige aber Geduld haben, denn auf den ersten Blick stehen die Chancen des Sohns eines deutschen Vaters und einer mauritischen Mutter schlecht, nach dem DTM-Titel im Vorjahr auch in der Königsklasse des Motorsports für Furore zu sorgen.
Der richtige Zeitpunkt
Wehrlein steigt mit Manor beim schwächsten Formel-1-Rennstall des Vorjahres ein. Die Truppe, die vor allem durch die Dramen um Maria de Villota und Jules Bianchi in den vergangenen Jahren in die Schlagzeilen kam, holte in seiner sechsjährigen Teamgeschichte nur zwei WM-Punkte. 2015 waren zwei zwölfte Ränge durch Roberto Merhi und Alexander Rossi das bescheidene Saisonhighlight.
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McLaren-Urgestein Dave Ryan zieht bei Wehrleins Manor-Team die Fäden Zoom
Doch bei der Manor-Mannschaft des Jahres 2016 handelt es sich um ein anderes Team. Teamchef John Booth und Sportdirektor Graeme Lowdon mussten McLaren-Urgestein Dave Ryan weichen, der mit Berater Pat Fry und Chefdesigner Nikolas Tombazis zwei ehemalige Ferrari-Hochkaräter an Bord holte. Und während man im Vorjahr mit dem 2014er-Chassis und dem 2014er-Ferrari-Motor die Saison bestritt, kommt Wehrlein dieses Jahr in den Genuss eines neuen Chassis und des aktuellen Weltmeistermotors von Mercedes.
Der Youngster aus Sigmaringen macht keinen Hehl daraus, dass die Veränderungen dafür gesorgt haben, dass er sich nun bei Manor der Formel 1 stellt. "Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um bei Manor einzusteigen, dann dieses Jahr", ist er sicher. "Ich glaube, im Vorjahr hätte man es sich noch überlegen müssen. Macht es Sinn, pro Runde sieben oder acht Sekunden dem Feld hinterherzufahren?"
Wehrlein sorgt für frischen Wind bei Manor
Seit der Deal mit Manor feststeht, spürt Wehrlein die Aufbruchstimmung bei seinem neuen Rennstall. "Es wird alles umgekrempelt, jeder gibt Gas, sie wollen nicht mehr Letzter sein. Es geht nicht mehr darum, einfach nur dabei zu sein. Sie wollen mit anderen kämpfen."
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Bei den Testfahrten beeindruckte Wehrlein sein Team mit gutem Feedback Zoom
Dabei setzt er vor allem auf Sportdirektor Ryan, der bereits den aktuellen Silberpfeil-Superstar Lewis Hamilton bei McLaren als Renningenieur an die Formel 1 herangeführt hat. Der Neuseeländer war 35 Jahre lang bei der Perfektionistentruppe aus Woking. "Es ist beeindruckend, wie viel Erfahrung er hat", fällt Wehrlein auf. "Er ist sehr wichtig für das Team und die Koordination, in welche Richtung es gehen muss."
Und auch Ryan weiß, wie wichtig Supertalent Wehrlein für seinen Rennstall ist: Er kann dem Team nach den harten Jahren am Ende des Feldes neue Motivation einimpfen. Bei den Testfahrten sorgte der amtierende DTM-Champion bereits für frischen Wind. "Mein Job ist es, den Ingenieuren so viel gutes Feedback wie möglich zu geben", verweist er auf die acht Testtage in Barcelona. "Das habe ich gemacht, weshalb wir einen riesigen Schritt nach vorne gemacht haben und das Auto extrem verbessert haben. Und so muss es einfach weitergehen."
Pascal gegen die Goliaths
Gleichzeitig weiß er aber auch, dass aufgrund der finanziellen Einschränkungen - Manor hat im Vergleich zu Mercedes ein Mini-Budget - keine Wunder zu erwarten sind. "Mercedes hat in Brackley ca. 700 bis 800 Leute, bei Manor sind es 140 bis 150", vergleicht er die Dimensionen und denkt laut: "Das ist das fünffache Personal."
Daher muss sich Wehrlein damit abfinden, dieses Jahr keine Bäume auszureißen - von Podestplätzen darf der Mann, der in den vergangenen Jahren als Mercedes-Ersatzpilot neben seiner DTM-Zeit Hamilton und Rosberg auf die Finger schauen durfte, nur träumen. "Es fällt mir schwer zu akzeptieren, bestenfalls im Mittelfeld zu fahren, gerade weil ich im Vorjahr in der DTM und auch davor in der Formel 3 gewonnen habe", gibt er offen zu, dass ihm die Umstellung zu schaffen macht.
Daher plant er, bei Rennen auf schnellen Strecken, die seinem Manor-Mercedes-Boliden entgegenkommen sowie unter außergewöhnlichen Umständen Highlights zu setzen. Und das, obwohl er noch nie bei Regen ein Formel-1-Auto bewegt hat. Auch nicht im Mercedes-Simulator. "Da testet man nur im Trockenen, denn Regen ist ziemlich schwierig zu simulieren", sorgt Wehrlein für Aufklärung. Sorgen macht er sich aber keine: "Im Endeffekt ist es ziemlich ähnlich wie im Trockenen, nur mit weniger Grip. Ich fahre generell sehr gerne im Regen."
Wehrleins Einschätzung: Sauber besser als erwartet
Unter normalen Bedingungen wird Wehrlein vermutlich eher auf den hinteren Rängen des Feldes zu finden sein. Wehrlein ist davon überzeugt, dass der Abstand auf das vorletzte Team aber "keine zwei Sekunden mehr betragen" wird: "Also nach meiner Test-Einschätzung sind wir irgendwo dort in der Nähe des Vorletzten, auf manchen Strecken werden wir vielleicht auch vor ihnen stehen."
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Pascal Wehrlein kämpft am Ende des Feldes gegen reichere Teams Zoom
Doch wer ist anno 2016 überhaupt am Ende des Feldes zu finden? Sauber wäre ein heißer Tipp, denn die finanzschwache Truppe aus Hinwil hat mit Mark Smith soeben ihren Technikchef verloren, außerdem verpasste man die erste Testwoche mit dem neuen C35. Trotzdem ist Wehrlein der Ansicht, dass die Mannschaft von Marcus Ericsson und Felipe Nasr derzeit unterschätzt wird.
"Sauber hat dafür, dass sie ein neues Auto zum zweiten Test gebracht haben, ziemlich gut ausgesehen", findet der Manor-Pilot. Auch McLaren und das neue Renault-Werksteam könnten eher in den hinteren Bereichen zu finden sein - zwei Rennställe, die im Vergleich zu Manor über ein riesiges Budget verfügen.
Eine faire Einschätzung seiner Leistung ist da schon eher durch den Vergleich mit dem Teamkollegen möglich. Doch Wehrlein befindet sich in einer undankbaren Rolle. Jeder erwartet, dass er den indonesischen Paydriver Rio Haryanto an die Wand fährt. Und wenn der GP2-Vierte des Vorjahres einmal schneller ist, dann muss Wehrlein mit Kritik rechnen. "Ich muss besser sein als er", weiß der Mercedes-Schützling. Trotzdem hält er Haryanto für besser als sein Ruf.
Toto Wolff als Steuermann
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Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff steuert die Karriere Wehrleins Zoom
Freilich ist auch der Druck von Mercedes groß: Motorsportchef Toto Wolff beobachtet und steuert die Karriere Wehrleins seit Jahren. Der "kleine Prinz" (Zitat Toto Wolff) hat bislang alle Hoffnungen erfüllt, doch je näher man dem Ziel kommt, desto dünner wird die Luft. Gespräche mit dem Österreicher finden laut Wehrlein "permanent statt". Wolff will über die Situation seines Hoffnungsträgers genau auf dem Laufenden sein.
"Das war auch bei den Tests so, dass wir telefoniert haben oder ich mal kurz zu Mercedes rüber gegangen bin und wir darüber geredet haben, wie es läuft und wie zufrieden ich bin", erklärt Wehrlein, wie die Kommunikation mit seinem Chef läuft. "Da findet sehr viel Austausch statt, was ich auch gut finde, da ich Mercedes-Junior bin."
Auch am Wochenende in Melbourne wird Wolff stets ein Auge auf seinen ungeduldigen Schützling im Manor-Boliden werfen. Denn während Rosberg und Hamilton um den dritten WM-Titel für die Silberpfeile in Folge kämpfen, werden am kommenden Wochenende vielleicht schon die Weichen für die Zukunft gestellt. Auf die Frage, wann es laut Karriereplan so weit sein wird, dass Wehrlein selbst ins Mercedes-Renncockpit einsteigt, fackelt er nicht lange herum: "So schnell wie möglich."