Paranoia in der FOTA: Sparvereinbarung am Scheideweg?

Ross Brawn sieht das RRA "am Scheideweg", Christian Horner wehrt sich gegen "Paranoia": Wie geht es mit der FOTA-Sparvereinbarung nach 2012 weiter?

(Motorsport-Total.com) - Im Zuge der Wirtschaftskrise 2008/09 hat die Teamvereinigung FOTA das sogenannte Ressourcen-Restriktions-Abkommen (RRA) verabschiedet, zu Beginn quasi ein Gentlemen's Agreement, um die Budgets in der Formel 1 zu senken. Denn angesichts der horrenden Kosten hatten sich kurz zuvor mit Honda, BMW und Toyota gleich drei Herstellerteams aus der Königsklasse verabschiedet.

Titel-Bild zur News: Donnerstags-Pressekonferenz der FIA in Südkorea

Die Teamchefs wissen, dass das RRA für die FOTA eine Herausforderung ist

Zwei Jahre später sind sich alle einig, dass das RRA sein wichtigstes Ziel, die Kosten zu senken, erreicht hat: "Es hat Geld gespart", hält Red-Bull-Teamchef Christian Horner fest. "Die Kosten für Tests wurden reduziert, die Kosten für Motoren für die unabhängigen Teams. Restriktionen hinsichtlich des Personals an der Strecke, das Verhältnis zwischen CFD- und Windkanalzeit waren enorm hilfreich, um die Kosten nach unten zu bringen."

Ingenieure denken nun effizienter

Martin Whitmarsh ist aufgefallen, dass "der Geist und die Natur der Konversationen zwischen unseren Ingenieuren jetzt ganz anders" sind als noch vor ein paar Jahren, als das Geld zumindest bei Teams wie McLaren mehr oder weniger nach Belieben zum Fenster rausgeschaufelt werden konnte: "Sie reden über Effizienz und das ist meiner Meinung nach eine sehr gesunde Debatte. Das RRA hat Geld gespart und der Formel 1 geholfen", sagt der FOTA-Vorsitzende.

Doch nun gibt es auch Diskussion über die Einhaltung, denn nach einer Prüfung von sechs Teams durch den Finanzdienstleister Capgemini wurde hinter vorgehaltener Hand gemunkelt, dass zumindest Red Bull 2010 gegen die RRA-Auflagen verstoßen haben könnte. "Mit der Leistung kommt die Paranoia", weist Horner solche Vorwürfe aber zurück - und erhält für dieses Statement Rückendeckung von höchster FOTA-Ebene.

¿pbvin|512|4181||0|1pb¿"Abgesehen vom normalen Paddock-Gerede gibt es keine Beweise, dass jemand gegen das RRA verstoßen hat", verteidigt Whitmarsh Red Bull. Auch Monisha Kaltenborn unterstützt diese Darstellung: "Wir als FOTA-Mitglied haben nie irgendwelche Beweise hinsichtlich solcher Irregularitäten erhalten. Wir alle haben Fragen, was in der Formel 1 ganz normal ist. Aber niemand hat je irgendwelche Beweise gesehen - zumindest wir nicht", so die Sauber-Geschäftsführerin.

Red Bull ist freilich nicht das einzige Team, über das diskutiert wird, sondern auch Mercedes steht im Fokus, weil in Brackley fünf (!) ehemalige oder aktive Technische Direktoren arbeiten und die Belegschaft um mehr als 100 Mitarbeiter aufgestockt wird. "Es gibt Graubereiche innerhalb des RRA", hält Horner fest. "Schwer zu verstehen, wie einige Teams innerhalb der erlaubten Zahlen 150 neue Leute anstellen können. Das müssen wir diskutieren."

Haug bestreitet Vorwürfe

Bei Mercedes lässt man solche Vorwürfe allerdings nicht auf sich sitzen: "Wir bewegen uns innerhalb des Limits, absolut und ohne jeden Zweifel", betont Sportchef Norbert Haug. "Davor waren wir noch nicht am Limit." Und er unterstreicht die Bedeutung des RRA: "Es ist für die Zukunft die Basis für Mercedes-Benz. Wir wünschen uns vernünftige Beschränkungen und dass nicht überflüssig Geld ausgegeben wird."

Die Interpretation des RRA sei nicht bei allen Teams gleich, stimme aber weitgehend überein, ergänzt Haug. Aber: "Ist es perfekt? Wird es jemals ohne Zweifel, Verdächtigungen und Paranoia ablaufen? Fast sicher nicht", räumt Whitmarsh ein. "Technische und sportliche Regeln werden ja auch in Frage gestellt, besonders wenn ein Team besser ist als alle anderen. Da ist es einfach komfortabler, dahinter einen illegalen Flügel zu vermuten. So ist die Formel 1."

¿pbvin|512|4178||0|1pb¿Dem RRA deswegen den Rücken zuzuwenden, kommt für ihn aber nicht in Frage: "Es wäre schade, wenn die Teams sagen würden, dass das alles so schwierig ist, also lassen wir es lieber sein und kehren wieder zu einer Kultur zurück, wo man beliebig viel Geld zum Fenster rausschmeißen kann", meint der McLaren-Teamchef und appelliert an die kritischen Stimmen: "Wir tun das letztendlich für uns selbst und für die Nachhaltigkeit der Formel 1."

"Die Topteams würden darunter nicht leiden, aber es wäre schlecht für den Sport", entgegnet Whitmarsh auf Forderungen, das RRA Ende 2012 auslaufen zu lassen. Horner stellt sich hinter ihn: "Damit es Red Bull mit Teams wie Ferrari, McLaren und Mercedes aufnehmen kann, ist das RRA enorm wichtig. Red Bull begrüßt das RRA." Es müsse allerdings eine "transparente, umsetzbare und überwachbare" Vereinbarung sein.

Brawn äußert sich RRA-kritisch

Das ist auch der Wunsch von Ross Brawn, der das RRA "am Scheideweg" sieht, denn: "Es gibt sieben oder acht Teams, für die das RRA überhaupt nichts bedeutet, weil sie sowieso immer deutlich unter dem Limit sein werden. Aber wir erreichen jetzt eine Phase, in der die Ziele des RRA die drei oder vier größten Teams zu treffen beginnen." Dafür sei das RRA nicht klar genug formuliert, daher erlebe man die derzeit stattfindenden Anschuldigungen.

"Wir unterstützen das RRA voll und ganz, aber es muss robuster kontrolliert werden, weil es ein Leistungsmerkmal ist", argumentiert der Mercedes-Teamchef. "Du kannst nicht abstreiten, dass ein Team, das pro Jahr fünf Millionen mehr ausgibt als ein anderes, davon profitieren kann. Daher ist es sehr wichtig, ein gut kontrolliertes und unabhängig geprüftes RRA zu haben, das für alle Teams gleich ist. Für uns befindet sich das RRA daher am Scheideweg."


Fotos: Großer Preis von Südkorea, Freitag


Denn die aktuelle Vereinbarung greift Ende 2011 erstmals zur Gänze und läuft Ende 2012 aus. Das Gerüst für ein Nachfolge-RRA bis Ende 2017 steht aber bereits: "Wir haben uns auf bestimmte Bedingungen geeinigt, unter denen wir diese Sache für fünf weitere Jahre verlängern würden", bestätigt Kaltenborn. "Es ist noch nicht ganz wirksam. Wir haben uns auf die Grundlagen geeinigt, die wir jetzt formalisieren müssen."

Gerade für die kleinen Teams ist das RRA nämlich "sehr, sehr wichtig", untermauert Marussia-Virgin-Teamchef John Booth: "Als wir in den Sport eingestiegen sind, haben wir viel aufgegeben. Wir haben die Budgetobergrenze fallen gelassen und stattdessen das RRA akzeptiert. Daher ist für uns enorm wichtig, dass es weitergeht. Ein Formel-1-Wettrüsten, das von drei oder vier Teams dominiert wird, ist sicher nicht das, was die Leute wollen."

Neue Vereinbarung von 2013 bis 2017?

Horner nickt zustimmend: "Die erste Vereinbarung läuft nächstes Jahr aus, also konzentrieren wir uns darauf, ein einfacher zu bearbeitendes, transparenteres Agreement für einen längeren Zeitraum zu erschaffen." Wichtig sei vor allem, das Thema nicht zum Nährboden für politische Spielchen werden zu lassen, aber das ist laut Kaltenborn ohnehin nicht der Fall: "Wir glauben, dass die FOTA und der FOTA-Generalsekretär, der sich um all das kümmert, gute Arbeit geleistet haben."

"Allerdings sollten wir das, was wir mit dem Ressourcen-Restriktions-Abkommen begonnen haben, aufgreifen und auf die nächste Stufe heben", fordert auch die Österreicherin. "Wir alle wussten, dass das ein erster Schritt ist, im Zuge dessen wir uns zum ersten Mal auf bestimmte Zahlen geeinigt haben, um die Kosten zu begrenzen. Wir wussten damals auch, dass wir das fortführen müssen. Da wollen wir jetzt wieder Schwung reinbringen und weitermachen."

¿pbvin|512|4183||0|1pb¿Das RRA dürfe aber nicht zu stark in die Businesspläne der Teams eingreifen, fordert sie: "Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass es immer noch ein Wettkampf bleibt. Wir sollten diese Obergrenzen haben, aber jedem Team sollte es freigestellt sein, innerhalb dieser Parameter seine eigenen Geschäftsentscheidungen zu treffen. Vielleicht sind dann einige Teams cleverer als andere und effizienter."

Von einer nachträglichen Untersuchung, um die Zweifel der Saison 2010 zu beseitigen, hält sie nichts: "Ich finde, die Organisation sollte nach vorne schauen. Was auch immer gesagt wurde, sollten wir zur Seite legen und mit dem Prozess fortfahren, um sicherzustellen, dass solche Vorwürfe und Zweifel in der Zukunft nicht wieder auftauchen", sagt Kaltenborn und gibt abschließend zu Protokoll: "Wir haben ja ein System, das funktioniert."