Nick Fry im 'F1Total.com'-Interview (Teil 2)

Wie Barrichello Honda nach vorne führen soll, warum es 2006 kein Testlimit geben wird, Neues zum Super-Aguri-Team und vieles mehr

(Motorsport-Total.com) - 2005 war BAR-Honda neben Ferrari die wohl größte Enttäuschung der Saison, auch wenn Jenson Button ab dem Grand Prix von Frankreich immer in den Punkten landete und das Jahr somit noch retten konnte. Für 2006 ist die Zielsetzung aber, endlich den ersten Grand-Prix-Sieg einzufahren - und es nicht bei einem einzigen Triumph zu belassen.

Titel-Bild zur News: Nick Fry und Christian Nimmervoll

'F1Total.com'-Chefredakteur Christian Nimmervoll im Gespräch mit Nick Fry

Unterstützung bei diesem Vorhaben erwartet sich Teamchef Nick Fry vor allem von Neuzugang Rubens Barrichello, wie er am vergangenen Freitag beim 'Global Motorsports Congress' in Frankfurt gegenüber 'F1Total.com' erklärte. Außerdem sprach er im zweiten Teil des ausführlichen Interviews unter anderem über die Testbestimmungen für kommende Saison, die Anlaufschwierigkeiten des neuen Super-Aguri-Teams und das neue Reglement.#w1#

Button/Barrichello die stärkste Fahrerpaarung in der Formel 1?

Frage: "Nick, mit Jenson Button und Rubens Barrichello habt ihr zwei große Namen verpflichtet. Ist das die stärkste Fahrerpaarung, die dieses Team je hatte?"
Nick Fry: "Ich denke sogar, es ist als Team die stärkste Fahrerpaarung in der Formel 1! Punkt. Natürlich könnte man sagen, dass Juan-Pablo Montoya und Kimi Räikkönen auch ein sehr gutes Gespann abgeben, und ich stimme dem auch zu, aber dass sie als Einzelfahrer gut sind, bedeutet nicht automatisch, dass sie auch gemeinsam das beste Team sind. Jedenfalls kann man darüber streiten."

"Unser Ziel ist es, in allen Bereichen das beste Team zu haben. Das geht auf das zurück, was ich über die Superstars unter den Designern gesagt habe: Wir gehen die Dinge nicht auf diese Weise an. Das Ziel ist, die beste Teamarbeit zu erledigen und nicht von einer Einzelperson abhängig zu sein. Wenn Jenson und Rubens so zusammenarbeiten, wie wir uns das vorstellen, sind wir diesbezüglich sehr gut aufgestellt - und Anthony Davidson wird sie hoffentlich als dritter Fahrer unterstützen. Kombiniert wäre das das beste Team, nicht nur in BARs Geschichte, sondern insgesamt in der aktuellen Formel 1."

Frage: "Rubens Barrichello bringt von Ferrari sehr viel Erfahrung mit. Er kann den Ingenieuren beim ersten Test sicher sagen, wie sich zum Beispiel die Vorderachse im Vergleich zu der von Ferrari verhält, aber wie könnt ihr im Design direkt von seinem Input profitieren - wenn überhaupt?"
Fry: "Ich denke, dass es da mehrere Bereiche gibt. Ein Punkt ist, dass Rubens schon Rennen gewonnen hat. BAR und Jenson haben das bisher noch nicht geschafft. Dass wir jetzt jemanden haben, der dieses Selbstvertrauen besitzt, ist ein psychologischer Vorteil für das Team."

Barrichello wird zunächst ein Auto mit V10-Motor testen

"Rubens war außerdem im erfolgreichsten Team der letzten sechs Jahre. Er weiß, wie Ferrari funktioniert - und er kann das mit uns vergleichen. Davon versprechen wir uns, dass er uns in die richtige Richtung führen und vorzeigen wird, wie man dieses und jenes besser machen könnte. Er wird Anfang nächsten Jahres erstmals unser Auto testen, und wir werden ihm einen V10-Motor ins Heck einbauen, denn so können wir herausfinden, wo wir im direkten Vergleich mit Ferrari stehen. Es gibt also abseits der Rennstrecke und im Cockpit mehrere Bereiche, in denen Rubens eine große Hilfe sein wird."

"Rubens ist ein Fahrer, der konstant gleich schnell sein sollte wie Jenson." Nick Fry

"Er ist ein Fahrer, der konstant gleich schnell sein sollte wie Jenson. Taku (Sato; Anm. d. Red.) ist zwar auch ein sehr schneller Fahrer, aber weil er noch so jung ist, ist seine Konstanz nicht so gut. Von jemandem wie Rubens erwarten wir, dass er genauso fahren wird wie Jenson - also schnell, konstant und ohne zu viele Fehler. Ich bin wie gesagt felsenfest davon überzeugt, dass die beiden zusammen eine hervorragende Paarung abgeben werden."

Fry erwartet Button zumindest in den ersten Rennen etwas stärker

Frage: "Neue Fahrer haben es gegen die schon eingearbeiteten Stallkollegen oft sehr schwer - Juan-Pablo Montoya und Giancarlo Fisichella sind ganz aktuelle Beispiele. Jenson Button fährt ebenfalls schon mehrere Jahre für dein Team und hat damit einen Erfahrungsvorsprung gegenüber Rubens Barrichello. Wird sich das entscheidend auswirken?"
Fry: "Ich denke, dass es da unterschiedliche Faktoren zu berücksichtigen gibt. Logischerweise muss man annehmen, dass Jenson im ersten Teil der Saison einen Vorteil haben sollte. Er kennt das Team und arbeitet schon seit einiger Zeit mit denselben Leuten zusammen. Rubens hat aber sehr viel Erfahrung. Ich denke, dass er seine Lernkurve beschleunigen wird, wenn Jenson wirklich einen Vorteil haben sollte, was wie gesagt zu Beginn der Saison anzunehmen ist. Es wird aber nicht lange dauern, bis Rubens das aufgeholt hat. Ich mache mir deswegen keine Sorgen. Beide werden bald auf demselben Niveau fahren."

"Außerdem ist ein Unterschied zu den von dir genannten Beispielen, dass es bei uns keine Nummer eins gibt. Bei uns sind beide Fahrer gleichberechtigt - und obendrein sind wir auch logistisch dazu in der Lage, unter allen Bedingungen beiden Fahrern identisches Material zur Verfügung zu stellen. Bei anderen Teams hat es immer wieder Unterschiede zwischen den beiden Autos gegeben, aber bei uns sind Logistik und Produktion auf einem sehr hohen Niveau. Wir können immer mit mindestens zwei Autos gleichzeitig testen und haben bei den Rennen immer ausreichend Teile für beide Fahrer dabei. Wir werden unsere Fahrer absolut gleich behandeln."

Testbeschränkung kommt künftig nur noch mit Ferrari zustande

Jenson Button

BAR-Honda absolvierte bisher in diesem Jahr schon mehr als 50.000 Testkilometer Zoom

Frage: "Apropos Testfahrten: Dieses Jahr gab es eine freiwillige Testbeschränkung auf maximal 30 Tage während der Saison, der sich neun von zehn Teams angeschlossen haben. Ist so etwas auch für 2006 geplant?"
Fry: "Es gibt einen Entwurf für ein Agreement, aber im Gegensatz zu diesem Jahr, in dem sich bis auf Ferrari alle daran gehalten haben, wird es nächstes Jahr wahrscheinlich nur dann eine Beschränkung geben, wenn alle zehn Teams zustimmen. Dieses Jahr hatten die neun Teams Glück, weil Ferraris Leistungen nicht berauschend waren - obwohl sie viel getestet haben, machte dies keinen Unterschied für den Ausgang der Weltmeisterschaft. So viel Glück werden wir aber nicht noch einmal haben, denke ich."

"Folglich können wir es uns nicht leisten, einem Konkurrenten wie Ferrari einen Wettbewerbsvorteil zu erlauben. Anzunehmen, dass Ferrari dort bleiben wird, wo sie jetzt sind, wäre leichtsinnig. Sie sind ein sehr starkes Team mit starken Fahrern und einem starken Management. Sie werden bestimmt zurückkommen. Also müssen entweder alle zehn Teams zustimmen, oder es gibt eben gar keine Testbeschränkung."

Frage: "Das zweite Honda-Team - und ich weiß, dass das nicht die korrekte Ausdrucksweise ist - hat bei der FIA für die Formel-1-Weltmeisterschaft 2006 genannt. Es ist zwar nicht unbedingt dein Zuständigkeitsbereich, aber kannst du schon sagen, ob das bedeutet, dass wir dieses Team nächstes Jahr in Bahrain am Grid sehen werden?"
Fry: "Wie du richtig sagst, bin ich dafür eigentlich nicht verantwortlich. Sie sind unabhängig, werden aber von Honda unterstützt. Honda hat sich in Übereinstimmung mit den anderen Motorenherstellern immer dazu bereiterklärt, ein zweites Team auszustatten, weil wir glauben, dass das gut für die Formel 1 ist."

Einstieg des Super-Aguri-Teams noch immer nicht definitiv

"Meinen Informationen nach ist die Nennung bei der FIA erfolgt, aber die Frage, ob sie auf dem Grid sein werden, kann ich nicht beantworten. Das Problem ist, dass enorm viel Arbeit zu erledigen ist, um es auf den Grid zu schaffen. Wenn sie das hinbekommen, gebührt ihnen wirklich Anerkennung. Im Oktober oder November aus dem Nichts heraus ein Projekt anzupacken und dann im März den ersten Grand Prix zu bestreiten, wird ihnen sicher ziemlich schwer fallen."

Frage: "Das Problem ist das Auto, denn in den paar Monaten kann niemand aus dem Nichts ein neues Formel-1-Chassis entwickeln. Daher gibt es die Spekulation, dass die Urheberrechte am BAR-Honda-Chassis von 2005 noch gekauft werden könnten, bevor das neue Team das Concorde Agreement unterschreibt, denn das Concorde Agreement verbietet den Ankauf eines kompletten Autos. Kannst du vielleicht etwas mehr Licht in diese Situation bringen?"
Fry: "Wir müssen uns genau wie sie ans Concorde Agreement halten, welches ganz klar besagt, dass man das Auto selbst produzieren und auch designen muss. Es muss also innerhalb bestimmter Zwänge ein eigenständiges Auto sein."

Honda skeptisch, was den Verkauf des Chassis' angeht

"Wenn jemand die Urheberrechte verkauft, ist das Problem, dass man das Design selbst nicht mehr verwenden darf." Nick Fry

"Wenn nun jemand die Urheberrechte an seinem Auto an ein anderes Team verkauft, ist das Problem, dass man das Design selbst nicht mehr verwenden darf. Wenn also ein Team mit unserem Vorjahresauto fahren würde, könnte das Probleme verursachen, denn das Design von 2005 enthält vermutlich Urheberrechte für Elemente, die wir 2006 auf das neue Auto übertragen werden. Insofern kann ich nicht sagen, was sie diesbezüglich unternehmen wollen, aber es ist ganz klar, dass sie und auch wir uns an das Concorde Agreement halten müssen."

Frage: "Schließt du dezidiert aus, dass ihr euer Vorjahreschassis an das Team von Aguri Suzuki verkaufen werdet?"
Fry: "Ich will gar nichts ausschließen, denn ich bin schon lange in der Formel 1 und weiß daher, dass alles passieren kann. Es ist aber eine Tatsache, dass man sich an die Regeln halten muss."

Frage: "Wird das neue Team auch auf Honda-Anlagen wie beispielsweise euren alten Windkanal in Brackley zurückgreifen können?"
Fry: "Nein."

Frage: "Noch eine Frage zu diesem Thema: Bekommt das Team von Honda einen limitierten V10- oder einen V8-Motor?"
Fry: "Einen V8, genau denselben wie wir."

Super-Aguri- und Werksteam bekommen ähnliche Motoren

Frage: "Wird auch die Weiterentwicklung während der Saison dieselbe sein wie beim Werksteam?"
Fry: "Ich denke, dass Honda das sehr fair angehen wird. Meine Antwort ist: Sie werden dieselben Entwicklungen bekommen wie wir, solange es praktisch machbar ist. Manchmal ist es ganz einfach unmöglich, identische Spezifikationen auszuliefern, wenn ein Motor sehr schnell entwickelt werden muss. Natürlich gehen wir davon aus, dass wir immer die neuesten Entwicklungen bekommen, aber als zu 100 Prozent von Honda kontrolliertes Team ist das sowieso klar. Ich denke, dass Honda die Fähigkeiten und die Ressourcen hat, um dem zweiten Team denselben Motor zu liefern oder einen, der nicht wesentlich schlechter ist. Ich denke nicht, dass sich die Motorenspezifikationen maßgeblich voneinander unterscheiden werden. Meistens werden wir wahrscheinlich denselben Motor haben."

Frage: "Was die geplanten Regeln für die Zukunft betrifft, sticht vor allem das neue Heckflügelkonzept mit zwei Elementen, die in der Mitte unterbrochen sind, heraus. Es sieht nicht gerade schön aus..."
Fry: "Wir sind nicht dafür oder dagegen, aber jeder erkennt die Bedeutung dessen, dass wir wieder mehr Überholmanöver brauchen. Die diesjährigen Autos sind diesbezüglich sogar noch schlechter als die von 2004. Man braucht einen signifikanten Leistungsvorteil - zwischen anderthalb und zwei Sekunden pro Runde -, um den Vordermann überholen zu können, weil es so schwierig ist, jemandem zu folgen. Man hat dieses Jahr gesehen, dass das Überholen nicht unmöglich ist, aber auf manchen Strecken ist es wirklich sehr schwierig oder sogar fast unmöglich. Wir applaudieren der FIA daher zu diesem Vorschlag."

Fry kann sich geteilte Heckflügel in der Formel 1 vorstellen

"Auf jeden Fall muss im Windkanal und im echten Leben noch viel getestet werden, um sicherzustellen, dass es auch funktioniert, denn diese Dinge sind sehr kompliziert. Sollte es tatsächlich funktionieren, werden sich die Leute auch an das Erscheinungsbild gewöhnen. Natürlich war es am Anfang aber erst einmal ein Schock."

Frage: "Wer wird die Streckentests mit diesem Flügel durchführen? Wird ein Team dafür ein Chassis zur Verfügung stellen, welches Team würde das sein, wird die FIA dafür ein Chassis ankaufen - oder ist man noch gar nicht so weit, an diese Dinge zu denken?"
Fry: "Darüber wurde noch nicht im Detail gesprochen. Sollte bewiesen werden, dass es funktioniert, dann werden sich die Teams bestimmt voll der Sache annehmen. Ich glaube nicht, dass sich die Leute dagegen wehren werden, weil es nicht ihre eigene Idee war oder weil es scheußlich aussieht, sondern die Teams werden eng mit der FIA zusammenarbeiten, um die richtige Lösung zu bekommen."

Spannungen zwischen FIA/FOM und GPMA nehmen ab

Nick Fry und Bernie Ecclestone

Die Teams und Bernie Ecclestone nähern sich einander wieder langsam an Zoom

Frage: "Gibt es Neuigkeiten zur Situation mit der Herstellervereinigung GPMA auf der einen und der FIA beziehungsweise Bernie Ecclestone auf der anderen Seite?"
Fry: "Die gute Nachricht ist, dass ein Dialog stattfindet. Es gibt Diskussionen mit Bernie und der FOM, sogar diese Woche noch auch mit der FIA. Alles, was ich gehört habe oder woran ich persönlich beteiligt bin, war extrem positiv. Wir haben jetzt eine ähnliche Anschauung wie die FIA. Es gibt noch einiges zu tun, aber meiner Meinung nach verläuft alles in eine gute Richtung. Eine Sache ist nie erledigt, bis sie erledigt ist, aber verglichen damit, wo wir am Saisonbeginn gestanden sind, haben wir jetzt eine komplett andere Atmosphäre. Die Ziele der beiden Seiten liegen recht nahe beisammen."

Frage: "Die GPMA hält aber dennoch für den Fall der Fälle an den Plänen einer eigenen Rennserie fest, nicht wahr?"
Fry: "Ja, absolut. Das ist ganz natürlich. In jedem Geschäft ist es sinnvoll, einen Plan B zu haben. Das ist eine logische Sache. Bis zu dem Punkt, an dem es eine Einigung gibt, ist es eine gute Sache, einen zweiten Plan zu haben. An dem wird gearbeitet - und das wird weitergehen, bis er nicht mehr gebraucht wird. Danach könnten einige Elemente des zweiten Plans unter Umständen in den Hauptplan integriert werden. Es ist notwendig, über die Alternative nachzudenken - für den Fall, dass sich die derzeitige Situation nicht behaupten kann."