Folge uns jetzt auf Instagram und erlebe die schönsten und emotionalsten Momente im Motorsport zusammen mit anderen Fans aus der ganzen Welt
Nick Fry im 'F1Total.com'-Interview (Teil 1)
Der Honda-Teamchef über die nahenden Wintertests, den Nachteil von Individualisten, die Verwendung von drei Windkanälen und vieles mehr
(Motorsport-Total.com) - Als David Richards im Dezember 2001 mit seiner Firma Prodrive die Leitung des maroden BAR-Honda-Rennstalls übernahm, bekam Nick Fry als Geschäftsführer einen verantwortungsvollen Posten übertragen. Ende 2004 zog sich Richards dann auf Wunsch von Honda früher als geplant zurück - und Fry wurde kurzerhand zum Teamchef befördert.

© Honda
Fry nahm vergangene Woche am 'Global Motorsports Congress' in Frankfurt teil
Die Premierensaison des Briten in dieser Funktion verlief turbulent: erst drei wenig berauschende Auftaktrennen in Übersee, dann der Tankskandal von Imola mit der anschließenden Sperre - und schlussendlich immerhin noch Platz sechs in der Konstrukteurs-WM als Trostpreis. Zuletzt konnte Fry seine Mannschaft aber wieder auf den richtigen Weg bringen, weshalb er schon vor den ersten Wintertests angekündigt hat, dass er 2006 nur mit mehreren Siegen zufrieden wäre.#w1#
Fry hielt am Freitag bei einem Kongress in Frankfurt einen Vortrag
'F1Total.com' traf den 49-Jährigen vergangenen Freitag am Rande des 'Global Motorsports Congress' in Frankfurt und zeichnete dabei ein ausführliches Interview auf, welches heute und morgen in zwei Teilen veröffentlicht wird. Unter anderem äußerte er sich zum bevorstehenden Wintertestprogramm, er erklärte die Ursachen für die mangelnde Performance in der zurückliegenden Saison und sprach über die Problematik von Individualisten, von denen man nicht abhängig sein sollte.
Frage: "Nick, wie weit seid ihr mit der Entwicklung des neuen Autos? Und plant ihr für die Wintertests wieder den Einsatz eines Interimsautos?"
Nick Fry: "Ja, es gibt ein Hybridauto, welches schon sehr bald bei den ersten Testfahrten zum Einsatz kommen wird. Genau wie in den vergangenen Jahren handelt es sich dabei um ein Chassis dieses Jahres mit einer neuen Heckpartie, dem neuen Motor, einem neuen Getriebe und einer modifizierten Hinterradaufhängung. Mit diesem Auto werden wir bis Ende Januar testen, und dann kommt später im Januar noch das komplett neue Auto."
Frage: "Der V8-Motor ist naturgemäß um einiges kleiner als der V10. Bedeutet das, dass ihr auch die Aerodynamik im Heck des Interimsautos umgestalten werdet?"
Fry: "Ja. Die Heckpartie werden wir wie gesagt neu gestalten. Hauptaufgabe des Hybridautos ist aber in erster Linie, die Zuverlässigkeit zu testen und Erfahrung mit den komplexen Teilen zu sammeln. Eine aerodynamische Übung ist es nicht, auch wenn es natürlich Änderungen gibt. Das Wichtigste ist, dass wir sicherstellen, dass alles gut funktioniert - und wenn wir dann die neue Frontpartie hinzufügen, sollte sich die Heckpartie bereits bewährt haben."
Streckendebüt des 008 Ende Januar in Barcelona
Frage: "Wann und wo werdet ihr das neue Auto erstmals testen?"
Fry: "Gegen Ende Januar in Barcelona."
Frage: "Ich habe gehört, dass eines eurer Hauptprobleme in der zurückliegenden Saison war, dass ihr euch die aerodynamischen Ziele im Design zu niedrig gesteckt habt. Stimmt das? Und nehmt ihr euch für 2006 aerodynamisch gesehen mehr vor?"
Fry: "Es gibt wohl zwei Faktoren, die dazu beigetragen haben. Der erste ist, dass wir unser Ziel nicht hoch genug gesteckt haben. Diejenigen, die erfolgreich waren, hatten schon am Saisonbeginn ähnliche Abtriebsniveaus wie im vorangegangenen Jahr. Uns ist das nicht gelungen. Allerdings konnten wir unser Auto während der Saison ziemlich schnell weiterentwickeln."
"Die Sache, die wir nie ganz in den Griff bekommen haben, war es, die Reifen für die gesamte Renndistanz haltbar zu machen. Der Grund dafür war die Aerodynamik. Wir waren das einzige der besseren Teams ohne einen 1:1-Windkanal. Ein neuer Windkanal befindet sich gerade im Bau und sollte nächstes Jahr verfügbar werden. In unserem bisherigen Windkanal konnten wir nur mit verkleinerten Modellen arbeiten, durch die sich hinsichtlich des neuen Reglements keine optimalen Testergebnisse erarbeiten ließen."
Schlechter Start lässt sich in der Formel 1 kaum wettmachen
"Wir haben das Auto dennoch das ganze Jahr hindurch weiterentwickelt, aber die Ausgangsbasis war schlecht. In der Formel 1 schreitet die Weiterentwicklung so rasant voran, dass es mit einer schlechten Ausgangsbasis selbst dann schwierig ist, die Konkurrenz einzuholen, wenn man sehr schnell entwickelt - sagen wir etwa um fünf Prozent schneller. Dennoch schafften wir es, uns in der zweiten Saisonhälfte meistens weit vorne zu qualifizieren. Die meisten Leute dachten, wir hätten wenig Benzin an Bord, aber dann wurde rasch allen klar, dass wir genauso lang draußen bleiben können."
Frage: "In einfachen Worten: Eure Reifen nahmen rasch Temperatur auf, aber darunter litt die Konstanz, richtig?"
Fry: "Ja. Gegen Ende der Saison traf uns das in den jeweils letzten Stints ziemlich übel. Da kann man schnell mal zwei Sekunden pro Runde verlieren. Dieses Problem bekamen wir nie ganz in den Griff. Nächstes Jahr werden wir damit nicht mehr zu kämpfen haben, denn die Reifen müssen bekanntlich nur noch 18 bis 20 Runden halten. Ich bin jedoch überzeugt, dass wir dieses Problem sowieso nicht mehr gehabt hätten."
Frage: "Wie du schon sagst, müsste sich das durch die Reifenwechsel ohnehin von selbst erledigen. Wird euch das helfen?"
Fry: "Ja, bestimmt - aber wir haben aus dem vergangenen Jahr so oder so gelernt, dass wir uns die Latte in allen Bereichen höher legen müssen."
Ehemaliger BAR-Honda-Ingenieur arbeitet nun für Williams
Frage: "Ihr habt dieses Jahr Jörg Zander aus eurem Designerstab verloren, also jenen Mann, der den nächstjährigen Williams-Cosworth FW28 bauen wird. Ist das ein Verlust für euch oder siehst du das mehr als einen Transfer, wie er in der Formel 1 ständig vorkommt?"
Fry: "Es war ganz klar ein Verlust, denn Jörg ist ein talentierter Kerl. Es hängt mit der Philosophie zusammen: Früher wurde das Design eines Auto praktisch von einer Person entwickelt. Heutzutage ist es in zunehmendem Ausmaß die Arbeit eines Teams. Natürlich braucht jedes Team einen Leiter. Leute wie Ross Brawn, Adrian Newey oder unser Geoff Willis leisten hervorragende Arbeit darin, diese Dinge zu koordinieren, aber wer glaubt, dass die Formel-1-Autos die Arbeit einer Einzelperson sind, liegt völlig daneben."
"Ja, es wäre nett gewesen, wenn Jörg geblieben wäre, aber das Team verlässt sich nicht auf eine einzelne Person - nicht auf mich, nicht auf Geoff, nicht auf irgendjemand anderen. Alles ist eine Teamarbeit mit hunderten Beteiligten. Man muss erkennen, dass es ein sehr großes Risiko wäre, alles von nur einer Person abhängig zu machen."
Frage: "Glaubst du, dass Jörg Zander schon bereit ist, ein Technikteam zu leiten? Er hat ja keine Erfahrung auf diesem Gebiet..."
Fry: "Das würde ich nicht unbedingt so sehen. Die Leute wachsen in ihre Aufgaben hinein. Nur weil jemand einen Job zuvor noch nie gemacht hat, bedeutet das nicht, dass er ihn nicht machen kann. Jörg ist wie gesagt sehr talentiert, hat sehr schnell dazugelernt. Wer weiß? Er könnte Schwierigkeiten haben, so viele Angestellte zu koordinieren, aber er könnte sich auch auf Anhieb wohl fühlen wie ein Fisch im Wasser. Ich denke, er wird sich sehr gut schlagen."
Honda arbeitet ab 2006 gleich mit drei Windkanälen

© BAT
Die Honda-Fabrik in Brackley gilt als eine der modernsten in der Formel 1 Zoom
Frage: "Du hast vorhin schon den im Bau befindlichen Windkanal angesprochen. Wann genau wird er fertig und wie wird die Windkanalarbeit danach ablaufen? Werdet ihr beispielsweise auch den alten Windkanal noch im Vollschichtbetrieb nutzen?"
Fry: "Ja, wir werden beide Windkanäle verwenden - und dazu auch weiterhin die DOME-Anlage in Japan, in der wir momentan viel arbeiten, weil sie sehr gute Resultate abliefert. 1:1-Windkanäle sind eine tolle Sache, aber 1:1 bedeutet, dass man Autos im Originalmaßstab hineinstellt - und somit auch Teile im Originalmaßstab anfertigen muss. Die aerodynamischen Belastungen im Windkanal sind dieselben wie in der Praxis, daher kann man auch keine kleineren oder leichtgewichtigeren Teile dafür verwenden."
"Der Prozess, mit einem 1:1-Auto in einem 1:1-Windkanal zu arbeiten, ist teuer und zeitaufwändig. Die meisten Teams werden auch weiterhin mit kleineren Modellen arbeiten, aber eher im anfänglichen Stadium des Entwicklungsprozesses. Man erkennt so, ob ein Konzept funktioniert oder nicht - und dann kann man immer noch 1:1 testen. Und zur Frage, wann der neue Windkanal in Betrieb genommen wird: Anfang nächsten Jahres."
Frage: "Werdet ihr beide Windkanäle im Vollschichtbetrieb einsetzen?"
Fry: "Ja. Wir werden beide Windkanäle hundertprozentig nutzen."
Arbeit im Windkanal für die Aerodynamik unverzichtbar
Frage: "Ist es heutzutage in der Formel 1 notwendig, zwei Windkanäle zu haben?"
Fry: "Ich denke schon, ja. Die meisten Teams haben herausgefunden, dass die Rate der aerodynamischen Weiterentwicklung und die Stunden, die man im Windkanal verbringt, zueinander direkt proportional sind. Vorausgesetzt, dass man gutes Equipment hat, wird man immer schneller werden, je mehr man arbeitet. Das ist ganz einfach."
Frage: "Ist ein zweiter Windkanal auch eine Hilfe bei Schwierigkeiten, wie sie Williams dieses Jahr hatte, als der Windkanal keine genauen Resultate geliefert hat? So hat man ja einen Windkanal, auf dessen Resultate man sich verlassen kann, während der zweite kalibriert wird."
Fry: "Die Kalibrierung einer jeden Komponente in einem modernen Windkanal ist schwierig, gar keine Frage. Ein Vorteil, den wir möglicherweise haben, ist, dass wir das letzte der Topteams sind, welches einen 1:1-Windkanal bauen lässt. Die Zulieferer, die unseren Windkanal bauen, sind dieselben wie bei den meisten anderen Teams. Dadurch können unsere Zulieferer auf Erfahrungswerte zurückgreifen, die sie mit den Prototypen bei den anderen Teams gesammelt haben. Ich bin zuversichtlich, dass die Kalibrierungsphase zwar nicht einfach, aber vielleicht doch einfacher als bei einigen der anderen Teams wird."
Frage: "Honda hat dieses Jahr auch die restlichen Teamanteile übernommen und hat damit jetzt in Brackley das alleinige Sagen. Hat sich dadurch etwas verändert?"
Fry: "In den vergangenen drei Jahren gab es eigentlich keine signifikanten Veränderungen. Wir sind stärker mit Honda vernetzt und haben auch immer mehr Honda-Ingenieure bei uns in England. Es war aber für Honda von Anfang an ein kombiniertes Motoren- und Chassisprogramm."
Japanischer Einfluss in Brackley wird schrittweise ausgebaut
"Honda war nie nur ein Motorenhersteller. Die Vernetzung in allen anderen Bereichen des Autos wurde im Laufe der Zeit aber immer enger. Jetzt kann man erkennen, dass diese Vernetzung zusätzlich beschleunigt wird, aber es ist eine Beschleunigung eines ohnehin schon bestehenden Prozesses. Für uns macht es also ehrlich gesagt keinen großen Unterschied. Das, was wir schon bisher getan haben, wird nun halt intensiver vorangetrieben."
Frage: "Honda nutzt das Formel-1-Team auch als Ausbildungsstätte für junge Ingenieure, die für drei Jahre nach Europa kommen, dort ihr Handwerk lernen - und genau dann wieder nach Japan in die Serienproduktion zurückkehren, wenn sie durch die Erfahrung ihr Potenzial voll ausschöpfen könnten. Ist das nicht ein Nachteil für euch?"
Fry: "Nein. Die Dinge schreiten in der Formel 1 so schnell voran, dass auch jemand, der nur für ein paar Jahre an Bord ist, seinen Beitrag leisten kann. Außerdem haben wir in allen Bereichen festgestellt, dass die jungen Honda-Ingenieure sehr gut ausgebildet, sehr gut trainiert, sehr leidenschaftlich und enthusiastisch sind. Sie können sich ziemlich rasch einbringen."
"Natürlich würden wir uns in manchen Fällen wünschen, dass jemand noch etwas länger bleiben darf, aber wir müssen das Ziel der ganzen Sache im Auge behalten - und das Ziel ist ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm. Wenn das dabei erworbene Wissen nicht vollständig zurück zu Honda transferiert wird, haben wir unser Ziel nicht erreicht. Manchmal muss man einfach akzeptieren, dass all das Teil eines größeren Ganzen ist."

