• 31.01.2005 15:15

Neuer Motor basiert auf dem Konzept des BMW P84

BMW hat sich bei der Motorenentwicklung alle Mühe gegeben, dank modernster Technologien dem neuen Reglement gerecht zu werden

(Motorsport-Total.com) - Nomen est omen: Der BMW Formel-1-Motor für die Saison 2005 heißt nicht etwa P85, er trägt die Typenbezeichnung P84/5. "Dieser Name verrät", sagt BMW Motorsport Direktor Mario Theissen, "dass der Motor das Konzept des Vorjahrestriebwerks P84 aufgreift, aber in einer Konfiguration, die den geänderten Anforderungen entspricht."

Titel-Bild zur News: BMW Williams FW27 Heck

Im Heck des BMW Williams FW27 arbeitet der BMW P84/5

Diese Anforderungen sind eine erneute Verdoppelung der Laufleistung - das neue Kraftpaket muss nun 1500 Kilometer durchstehen. Damit hat sich die Laufleistung gegenüber 2002 vervierfacht. 2003 mussten die Rennen erstmals mit demselben Motor bestritten werden, der zuvor im Qualifying eingesetzt worden war. 2004 galt die Ein-Wochenend-Motorenregel. 2005 dürfen die Triebwerke erst nach einer Laufleistung gewechselt werden, die zwei GP-Wochenenden entspricht.#w1#

Extrem unterschiedliche Disziplinen für den Motor

Die Motoren müssen von Freitag bis Sonntag in extrem unterschiedlichen Disziplinen antreten: In den freien Trainings, die zur Abstimmungsarbeit und Reifenauswahl genutzt werden, werden sich die Teams nun noch stärker um die Schonung der Motoren bemühen. Theissen: "Dies lässt sich auf zweierlei Arten erreichen: weniger Runden fahren oder Drehzahl drosseln. Weniger fahren wollen wir nicht, weil dies wertvolle Abstimmungszeit kostet. Die maximale Drehzahl zu beschränken, ist die bessere Möglichkeit. Für die Setup-Arbeit und die Vergleiche der Reifen sind Höchstdrehzahlen entbehrlich." Zukünftig müssen Qualifying und Rennen mit demselben Reifensatz bestritten werden.

Das erste Qualifying, ausgetragen als Einzelzeitfahren am Samstag zwischen 13:00 und 14:00 Uhr, stellt dagegen völlig andere Anforderungen: Die in dieser einzigen Runde erzielte Zeit bestimmt über die Startzeit zum zweiten Einzelzeitfahren (Sonntag 10:00 bis 11:00 Uhr). Wer am Samstag Schnellster ist, darf am Sonntagvormittag als Letzter auf die Strecke fahren.

Eine gute Rundenzeit am Samstag ist aber auch schon die halbe Miete für einen guten Startplatz, denn fortan werden die Rundenzeiten beider Einzelzeitfahren zur Ermittlung der Startaufstellung addiert. Und noch ein Aspekt spielt im Abschluss-Qualifying eine wichtige Rolle: Die Fahrzeuge müssen dann bereits jene Menge Kraftstoff an Bord haben, mit der sie zum Grand Prix starten sollen.

Heinz Paschen, Leiter der BMW Formel-1-Motorenentwicklung in München, erläutert: "Für die Motoren bedeutet das neue Reglement extreme und vielfältige Belastungen. Sie müssen die enorme Laufleistung von zwei Grand-Prix-Wochenenden - rund 1500 Kilometer - aushalten und zwischendurch Qualifying-Sprints meistern." So ein Multitalent zu entwickeln, ist eine gewaltige technische Herausforderung.

"Akribische Feinarbeit", um Verluste zu minimieren

Paschen: "Für die drastisch erhöhten Anforderungen an die Standfestigkeit müssen im Prinzip alle mechanisch und thermisch hoch belasteten Teile doppelt so robust ausgelegt werden wie bisher. Das bedeutet normalerweise: Der Motor wird größer und schwerer, was wiederum Drehzahl und somit Leistung kostet. Um diese Verluste zu minimieren", erklärt Paschen weiter, "ist akribische Feinarbeit im gesamten Prozess gefordert. Das beginnt mit der Bauteilauslegung in der Konstruktion, ist eng mit Materialforschung und -wahl verknüpft und betrifft die Fertigung sowie den Versuch und die Qualitätskontrolle."

Die Ingenieure um Heinz Paschen arbeiten im engen Schulterschluss mit den Spezialisten aus dem BMW Forschungs- und Innovationszentrum (FIZ). Für den Motor 2005 musste vergleichsweise kurzfristig reagiert werden. Erst im Juli 2004 wurde bekannt gegeben, dass die Renntriebwerke 2005 an zwei aufeinander folgenden Grand-Prix-Wochenenden verwendet werden sollen. "Diese späte und einschneidende Vorgabenänderung", sagt Paschen, "hat großen zusätzlichen Entwicklungsaufwand verursacht. Zum Zeitpunkt der Bekanntgabe hatte der ursprünglich vorgesehene Motor bereits Prüfstandsreife."

Jener BMW P85 Motor wurde ad acta gelegt. Das neue Projekt hieß: kontinuierliche Weiterentwicklung auf Basis des Motors der Saison 2004. Der BMW P84/5 entstand. Sein Konstruktionsstand hat sich seither Woche um Woche verändert. Ab den Testfahrten im November 2004 war das Team mit dem jeweils aktuellen Stand des BMW P84/5 unterwegs. Theissen: "Die Zielsetzung lautete: mit möglichst geringen Leistungseinbußen standfest zu werden für die doppelte Distanz. Der BMW Motor soll auch 2005 die Messlatte in der Formel 1 sein." Dass die Auswirkungen auf Maße und Gewichte beim P84/5 gering blieben, ist maßgeblich den Materialspezialisten des FIZ zu verdanken, die neue Verfahren der Oberflächenbehandlung für höhere Standfestigkeit erarbeiteten.

Monza ist weiterhin die Referenzstrecke auf den Prüfständen

Die Generalprobe, der Dauerlauf auf dem dynamischen Prüfstand, erfolgt weiterhin mit dem Streckenprofil von Monza, weil dieser Kurs im Vergleich der GP-Rennstrecken den höchsten Volllastanteil aufweist. Allerdings wurde die Qualifikation für den Einsatz auf 1500 Kilometer erhöht.

"Die viel zitierte Grenze des technisch Machbaren gibt es nicht", sagt Theissen, "sie wird mit jeder Innovation weiter hinaus geschoben." Das lässt sich am Beispiel der Höchstdrehzahlen der BMW F1-Motoren eindrucksvoll ablesen. Der P82, der Motor des BMW WilliamsF1 Teams 2002, hatte in seiner letzten Ausbaustufe den Spitzenwert von 19 050 Umdrehungen pro Minute erreicht. 2003 herrschten neue Bedingungen: Kein Motorwechsel mehr zwischen Qualifying und Rennen. Durch das Einzelzeitfahren am Samstag wuchs die Laufleistung inklusive der Renndistanz auf rund 400 Kilometer mit einem komplexen Belastungsprofil. In etwa so, als würde man einen Marathonläufer kurz vor dem Start noch auf einen Sprint schicken.

Dieser Vorgaben zum Trotz realisierte BMW Steigerungen in Drehzahl und Leistung. Der BMW P83 schaffte beim Saisonfinale in Japan beeindruckende 19.200 Umdrehungen pro Minute und setzte klar über 900 PS frei. Dabei war er ein Muster an Zuverlässigkeit. Der einzige Motorschaden der Saison 2003 war beim Großen Preis von Österreich zu beklagen und hatte seine Ursache in einem Wasserleck im Kühlkreislauf. 2004 folgte die Ein-Wochenend-Regel und damit die Verdoppelung der Laufleistung. Bei nun 36 Rennstarts gab es einen Motordefekt, der auf ein fehlerhaftes Bauteil zurückgeführt werden konnte. Bereits beim Europaauftakt in Imola war BMW in der Lage, die Höchstdrehzahl von wiederum gut 19.000 Umdrehungen pro Minute über die gesamte Renndistanz freizugeben. "Und das", betont Theissen, "auch im siebten Gang - also in der höchsten Schaltstufe, in der die Verweildauer am längsten ist, nachdem die tieferen Gänge praktisch durchgerissen wurden."

Standfestigkeit hat Vorrang vor hohen Drehzahlen

2005 erwartet Theissen einen allgemeinen Rückgang der Drehzahlen: "Klare Priorität hat die Standfestigkeit. Wenn dieses Ziel erreicht ist, werden wir uns wieder um Drehzahl- bzw. Leistungssteigerung kümmern."

"Das Formel-1-Projekt ist für BMW ein gewaltiges Technologielabor", sagt Theissen, "Synergieeffekte zwischen Formel-1- und Serienentwicklung herzustellen, war für unser Unternehmen die Grundvoraussetzung für den Wiedereinstieg."

So stand von Anfang an fest: Die BMW Triebwerke für die Königsklasse werden in München entwickelt und gefertigt. Dabei spielt das FIZ eine Schlüsselrolle. Die F1-Fabrik wurde in weniger als einem Kilometer Entfernung von dieser Denkwerkstatt errichtet und mit ihr verwoben. "Das FIZ repräsentiert die Zukunft von BMW", erklärt Theissen, "dort arbeiten die fähigsten Ingenieure in modernsten Forschungs- und Entwicklungs¬einrichtungen. Das FIZ verfügt über enorme Ressourcen, von denen wir unmittelbar profitieren. Umgekehrt stellt das F1-Engagement durch die extremen technischen Anforderungen und das geforderte Entwicklungstempo ein einzigartiges Versuchsfeld für unsere Techniker dar."

BMW hat die Vision einer lückenlosen Prozesskette im eigenen Haus realisiert - von der Konzeption über die Konstruktion, den Guss, die Teilefertigung, Aufbau und Versuchsphase bis hin zum Renneinsatz. Dadurch entfallen Transportwege und damit verbundene Qualitätsrisiken, und das im Unternehmen erworbene Know-how kann auf direktem Weg in die Serienentwicklung einfließen.

Die Gussqualität von Motorblock, Zylinderkopf und Getriebe entscheidet maßgeblich über Leistungsfähigkeit und Standfestigkeit der Aggregate. Fortschrittliche Gusstechnologien mit höchst genauer Prozessführung ermöglichen leichte Bauteile von hoher Steifigkeit. Um dies für Serienfahrzeuge zu gewährleisten, unterhält BMW eine Gießerei in Landshut. 2001 wurde ihr eine eigene F1-Gießerei angegliedert. "Beide Abteilungen", führt Theissen aus, "arbeiten unter einer gemeinsamen Führung. Das garantiert den permanenten Austausch." Mit dem gleichen Handgussverfahren, mit dem der Formel-1-V10 entsteht, werden Ölwannen für die M-Modelle, die Sauganlage für den Achtzylinder-Dieselmotor sowie die Prototypen künftiger Motorgenerationen gegossen.

Neue Teilefertigung für die Formel 1

Fast zeitgleich mit der Inbetriebnahme der F1-Gießerei wurde nach demselben Modell eine F1-Teilefertigung an jene für Serienkomponenten angeschlossen. Dort fertigt das F1-Team unter anderem die Nockenwellen und die Kurbelwellen für die Formel 1.

Von beiden Abteilungen profitiert mittlerweile auch WilliamsF1: Das F1-Aluminium-Getriebegehäuse entsteht im Sandguss¬verfahren in Landshut, weitere Getriebeteile kommen aus der BMW F1-Fertigung. Getriebezahnräder werden im BMW Werk Dingolfing hergestellt, parallel zur Serienfertigung.

Die Anforderungen an das Motormanagement eines Triebwerks, das bis zu 19.000 Umdrehungen pro Minute absolviert, aber auch bei niedrigen Drehzahlen problemlos fahrbar sein muss, sind immens. In jeder Millisekunde müssen Zündzeitpunkt und Treibstoffzufuhr perfekt aufeinander abgestimmt sein, um optimale Effizienz zu erreichen - maximale Leistung bei minimalem Kraftstoffverbrauch. Ein niedriger Verbrauch bedeutet sowohl bessere Rundenzeiten als auch mehr Flexibilität in der Rennstrategie. Neben der Steuerung ist die Bordelektronik auch verantwortlich für die Überwachung sämtlicher Funktionen.

Mit der Rückendeckung der Elektronik-Experten des FIZ wagte BMW von Anfang an, auch die F1-Motorsteuerung selbst zu entwickeln, anstatt auf Rennsportspezialisten zurückzugreifen. Ingenieure, die sich sonst mit der Bordelektronik für die M-Modelle befassen, schufen auch das Motor-Management für die F1-Triebwerke. Ihr dabei erworbenes Wissen fließt zurück in die Serie. Längst verfügen Spitzenmodelle von BMW wie der 7er und die M-Serien über zwei neue Mikroprozessor-Typen, die BMW erstmals in der Formel 1 eingesetzt und erprobt hat. Für den Internetzugang und das Navigationssystem der BMW 7er Reihe wurde zudem Speicher¬technologie verwendet, die sich zuvor in der F1 bewährt hatte. "Auch bezüglich der Überwachung von Funktionen", ergänzt Theissen, "lernen wir für Straßenfahrzeuge. Rechtzeitige Warnungen und automatisierte elektronische Eingriffe sind auch dort sicherheitsrelevant und schützen vor Schäden."

Getriebeinnovation aus der Formel 1 für die Serie

Im BMW M3, M5 und M6 hat sich eine weitere Getriebeinnovation aus der Formel 1 bewährt: das "Sequenzielle M Getriebe - SMG mit DRIVELOGIC". Das Antriebskonzept SMG bietet F1-Getriebetechnologie für den Alltagsbetrieb. Dabei werden die Gangwechsel elektrisch per Schaltwippe hinter dem Lenkrad ausgelöst. Wie in der Formel 1 ersetzt ein elektrohydraulisches System den mechanischen Kupplungs- und Schaltvorgang, und der SMG-Bediener darf beim Schalten ebenfalls auf dem Gas bleiben.

So leicht wie möglich und so widerstandsfähig wie nötig - das Credo des Motorenbaus erreicht in der Formel 1 höchstes Niveau. Wer zu sehr auf Sicherheit baut, bezahlt mit Gewicht. Die Materialforschung des FIZ liefert wichtige Impulse für die BMW F1-Motorenentwicklung. Häufig dient die Luft- und Raumfahrttechnik als Ausgangsbasis. Einige viel versprechende Entwicklungen, die aus Kostengründen für die Großserie heute noch nicht in Betracht kommen, haben im BMW F1-Motor bereits Verwendung gefunden. Diese Einsatzmöglichkeit neuer Technologien hilft den Ingenieuren, sie zur Serienreife weiterzuentwickeln.

Nur mit kurzen Reaktionszeiten sind im erbarmungslosen F1-Rhythmus Fortschritt und Problembewältigung möglich. Die Zahl der konstruktiven Änderungen am Formel-1-Motor ist ebenso hoch wie bei der gesamten Palette von Serienmotoren. Neue Konstruktion, neue Werkzeuge, neues Teil - das ist der Ablauf. Um diesen abzukürzen, kann die BMW F1-Mannschaft auf die FIZ-Abteilung Rapid Prototyping/Tooling Technology zugreifen. Sobald die benötigten Teile auf einem CAD-CAM-System gezeichnet wurden, produzieren ebenfalls von Computern gesteuerte Maschinen mittels Laserstrahlen oder dreidimensionaler Drucktechnik maßgetreue Modelle aus Harz, Kunststoff¬pulver, Stärke oder Wachs. Damit können kurzfristig Einbausituationen und Wechselwirkungen simuliert werden, um gegebenen¬falls vor der endgültigen Herstellungsprozess noch Modifikationen vornehmen zu können.