Umstrukturierung und Reglement prägen FW27
Die interne Umstrukturierung im technischen Führungsstab und das neue Reglement gaben die Richtung in der Fahrzeugentwicklung vor
(Motorsport-Total.com) - Eine Vielzahl von veränderten Rahmenbedingungen haben den Konstruktions- und Entwicklungsprozess des FW27, des neuen Chassis des BMW WilliamsF1 Teams für die Saison 2005, geprägt. Der weitreichende Einfluss dieser Veränderungen macht Prognosen über die Leistungsfähigkeit des FW27 auf der Rennstrecke besonders schwierig. Obwohl die Computersimulationen erheblich aussagekräftiger geworden sind, wird der FW27 sein wahres Gesicht erstmals bei den Testfahrten im Februar zeigen.

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Nick Heidfeld beim Rollout im neuen BMW Williams FW27
Vor allem zwei Aspekte hatten gravierenden Einfluss bei der Entstehung des FW27: Der erste sind fundamentale Änderungen des technischen Reglements. Diese freilich sind nicht nur für das Konstrukteursteam von WilliamsF1 eine Herausforderung, sondern für die gesamte Formel 1. Die Aufgabe für die Mannschaft in Grove war es, die neuen Anforderungen bestmöglich umzusetzen. Der zweite einflussreiche Aspekt waren strukturelle und organisatorische Veränderungen im Konstrukteursteam von WilliamsF1. Die Umstrukturierung hatte während der Saison 2004 begonnen und soll 2005 zu einem besseren Chassis beitragen.#w1#
Head nicht mehr Technischer Direktor: "Entscheidender Wechsel"
Patrick Head hat seine frühere Tätigkeit als Technischer Direktor in der permanenten Weiterentwicklung des Chassis gegen die Position des Ingenieurs-Direktors getauscht. Head: "Das ist ein entscheidender Wechsel. Ursprünglich war ich täglich in alle Bereiche der Fahrzeugkonstruktion involviert. Je umfangreicher die technischen Möglichkeiten wurden, desto weniger steckte ich im Detail der einzelnen Maßnahmen und habe die Gesamtverantwortung und -leitung übernommen. Den Posten des Technischen Direktors zu verlassen, ist der nächste Schritt auf diesem Weg. Jetzt ist es meine Aufgabe, mich um die Forschung und Entwicklung zu kümmern, um weiterführende Technikprojekte sowie um den Einsatz von neuen und zukünftigen Ressourcen wie etwa den Windkanälen."
Sam Michael, der im Sommer 2004 die Rolle des Technischen Direktors von Head übernommen hat, erklärt seinen Aufgabenbereich innerhalb der neuen Strukturen: "Ich muss dem gesamten Konstruktionsteam klare Zielvorgaben machen. Das gilt für den Termin der Fahrzeugpräsentation ebenso wie für alle folgenden Entwicklungsschritte. Dafür braucht man klare Ziele vor Augen, die passenden Mittel und Möglichkeiten sowie die richtigen Leute am richtigen Platz. Wir haben in jüngster Zeit einige gute Veränderungen im Konstruktionsteam vorgenommen, die sich am neuen Fahrzeug positiv auswirken sollten."
Michael ergänzt: "Beim letzten Grand Prix der Saison 2004 waren wir mit dem FW26 sehr stark. Für den FW27 haben wir uns auf fundamentale Dinge konzentriert. Abgesehen davon, dass wir dem neuen Reglement gerecht werden mussten, haben wir Feinarbeit in jedem Detail betrieben, aerodynamisch wie mechanisch. Jedes Teil wurde optimiert, um Gewicht einzusparen, Reibung zu verringern oder Steifigkeit zu erhöhen, je nach individueller Anforderung. Bei der Gewichtseinsparung haben wir großen Wert auf Standfestigkeit gelegt, das gilt insbesondere für das Getriebe. Das Getriebe des FW27 war seit November 2004 im Testbetrieb, ohne dass größere Probleme auftraten. Die Schwierigkeiten, die wir im vergangenen Jahr mit dem Getriebe hatten, sind überwunden."
30 Prozent Abtrieb gehen durch Änderungen verloren
Gemäß des neuen Regelwerks musste der Frontflügel um 50 Millimeter angehoben und der Heckflügel um 150 Millimeter nach vorn gezogen werden. Die Höhe des Diffusors wurde signifikant beschnitten, und der Unterboden im Bereich vor den Hinterrädern musste verschwinden. Ursprünglich resultierten diese Maßnahmen in einen Abtriebsverlust von nahezu 30 Prozent. Die Aufgabe in den Wintermonaten war, möglichst viel davon wieder zurückzugewinnen.
WilliamsF1 ging diese Herausforderung von verschiedenen Richtungen an. Im Laufe des Jahres 2004 wurden die Kapazitäten im Bereich Computational Fluid Dynamics (CFD) erhöht, indem die Leistungsfähigkeit des WilliamsF1 Linux Cluster verbessert wurde. Mit Unterstützung von HP verfügt WilliamsF1 über konkurrenzlose Super-Rechner-Kapazitäten, die bei der Simulation von aerodynamischen Aktivitäten helfen. So können mehr Ideen in Augenschein genommen, ausprobiert und bewertet werden - virtuell, noch ehe die Modellbauabteilung neue Teile für den Windkanaltest erstellt. Parallel hat WilliamsF1 zur Aerodynamik-Entwicklung für den FW27 die Windkanal-Kapazitäten erhöht und verbessert.
Eine andere einschneidende Veränderung im Reglement für 2005 sieht die Verwendung von nur noch einem Satz Reifen für Qualifying und Rennen vor. Diese Neuerung hat zu erheblichem Forschungs- und Entwicklungseinsatz seitens der Reifenhersteller geführt, die den besten Kompromiss zwischen zwei Anforderungen finden mussten: maximaler Grip im Qualifying versus lange Haltbarkeit über die Renndistanz. Auch diese Reglementänderung musste bei der Konstruktion des FW27 berücksicht werden.
Reifenreglement beeinflusst das gesamte Fahrzeug
Michael: "Dieser Punkt stellt sowohl an Michelin als auch an das Fahrzeug neue Ansprüche, das kann man nicht getrennt betrachten. Jede Variable am Chassis beeinflusst letztlich die Leistungsfähigkeit der Reifen, man muss die verschiedenen Belange richtig gewichten. Aerodynamik, Gewichtsverteilung, mechanische Balance und Traktionskontrolle - alle Disziplinen sind Sklaven für die optimale Leistungsfähigkeit der Reifen. Nehmen wir die Traktionskontrolle als Beispiel: Es geht darum, den optimalen Schlupf für den größtmöglichen Grip zu erreichen, ohne dabei die Reifen zu ruinieren. Diese Herausforderung ist durch die neue Regel, dass während des Rennens keine Reifen mehr gewechselt werden dürfen, viel größer geworden."
Vor Weihnachten hatte das Team nur begrenzt Möglichkeiten, neue Reifenmischungen und -Konstruktionen von Michelin zu testen und zu bewerten. Diese Daten standen spät im Konstruktionsablauf des FW27 zur Verfügung, werden aber nachhaltigen Einfluss haben.
Zu den Auswirkungen von organisatorischen und vom Reglement bedingten Änderungen auf Konstruktion und Entwicklung des FW27 sagt Patrick Head: "Letztlich geht es in der Formel 1 um den Umgang mit kurzfristigen Veränderungen. Im Gegensatz zu anderen Technikprojekten müssen wir quasi über Nacht auf massive Veränderungen reagieren, um auf der Rennstrecke konkurrenzfähig zu sein. Von daher gehört Anpassungsfähigkeit zu unserem Job. Ich hoffe, dass wir unsere Möglichkeiten ausgeschöpft und für die Regeländerungen eine bessere Umsetzung als die Konkurrenz gefunden haben. Dies wird letztlich darüber entscheiden, ob der FW27 ein Siegerauto ist oder nicht."

