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Nächstenliebe im Haifischbecken - oder die Causa Formel 1
Die Königsklasse auf der Suche nach (neuen) Fans: Piloten zum Anfassen, Lokalmatadoren oder Autos, deren Motoren der Otto Normalverbraucher fährt?
(Motorsport-Total.com) - Für die einen ist es Liebe seit Kindertagen, für manche eine technische Faszination, die erst im Erwachsenenalter reift. Andere wiederum halten es einfach für stumpfsinniges Fahren im Kreis und Verpesten der Umwelt: Die Formel 1 polarisiert, im "grünen" und postmodernen 21. Jahrhundert mehr als jemals zuvor. Obwohl Millionen jedes zweite Wochenende vor den Fernsehschirmen sitzen und Tausende die Strecken säumen, muss sich der Motorsport etwas einfallen lassen, um bei jungen Leuten zu punkten.

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Alonso ist ein Superstar, aber längst nicht alle sind ohne Helm so populär Zoom
Schließlich bietet die Freizeitlandschaft weltweit immer mehr Möglichkeiten und damit auch Alternativen zur Formel 1. Langfristig kann das teuer werden. "Wir könnten aus den Fahrern, ihrem Talent und ihrer Persönlichkeit sehr viel mehr machen. Die Leute haben gerne Ikonen, zu denen sie aufblicken", findet Paul Hembery. Der Pirelli-Sportchef fordert Stars zum Anfassen, die man auch ohne Helm und in einem anderen Umfeld erleben kann. Er vergleicht die Königsklasse mit der US-Szene: "Ein anderes Extrem ist die NASCAR, wo die Piloten kantige Charaktere sind."
Allerdings müssen auf diesem Weg auch die Teams, die Medien und nicht zuletzt die Fahrer selbst mitspielen. Das ist bei Repräsentanten eines Konzerns, die bei Ferrari oder Mercedes unter Vertrag stehen, keine einfache Aufgabe. Auch ein Kimi Räikkönen wird nicht unbedingt Luftsprünge veranstalten, wenn er demnächst in einer TV-Quizshow mitraten muss. Franz Tost sieht einen anderen Königsweg, jedoch sind dessen Kapazitäten naturgemäß beschränkt: "Man kann die jungen Leute nur mit einem Lokalmatadoren anziehen", findet der Toro-Rosso-Teamchef.
Braucht die Formel 1 die sozialen Netzwerke?
Der Österreicher kennt Beispiele aus der Vergangenheit, in denen das sichtbar wurde: "Als ich in den Achtzigerjahren nach Deutschland kam, interessierte sich niemand für die Formel 1. Dann kam Michael Schumacher und man hat es an den Kartbahnen ablesen können", erinnert sich Tost. "Das Gleiche passierte in Polen mit Robert Kubica." Auch andere Sportarten haben diesen Lokalkolorit-Effekt erlebt: Man denke an Tennis mit Boris Becker, an Boxen mit "Gentleman" Henry Maske oder Skispringen, wo mit Martin Schmitt und Sven Hannawald plötzlich Teenieidole aufkreuzten.
Zunehmend im Gespräch sind weiterhin die soziale Netzwerke, wie etwa 'Facebook' oder 'Twitter', als Kontaktmöglichkeit. Interaktion über das Internet wird nicht nur im Sportbusiness betont, um die Jugend für eine Sache zu gewinnen. "Was wir nicht wollen, ist ein großes Publikum, das altert", warnt Graeme Lowdon davor, sich nicht um den Nachwuchs zu bemühen. "Wir arbeiten viel mit Daten. Junge Leute wollen heute interagieren, wir haben da viele Anknüpfungspunkte." Auf die Frage nach dem "Wie?" hat der Marussia-Teamchef allerdings keine Antwort parat.
Fest steht für ihn, dass vorhandene Möglichkeiten besser ausgeschöpft werden müssen. "Wir haben alles beisammen, was Straßenautos in Zukunft ausmacht", stimmt Toro-Rosso-Kollege Franz Tost zu. Die Frage ist nur: Wer weiß das schon? Der 1,6-Liter-V6-Turbomotor samt Elektrounterstützung rückt die Königsklasse so nahe an Serienfahrzeuge wie selten zuvor, doch nur selten fällt das Wort Hybrid. "Das Ganze muss gegenüber den Fans ordentlich kommuniziert werden", fordert Lowdon. "Es gibt so viele Pluspunkte und so viel Ingenieurskunst. Hoffentlich kommt das rüber."
"Da müssen die Alarmglocken schrillen"

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Ein Caterham muss schon spektakulär abfliegen, damit er ins Bild kommt Zoom
Davon, dass die Regeländerungen beim Saisonauftakt in Australien nach anfänglicher Skepsis auf viel positives Echo gestoßen sind, war wenig zu lesen und zu hören. Wieder muss sich die Königsklasse die Frage stellen: Ziehen wirklich alle an einem Strang, wo sie an einem Strang ziehen sollten? Oder gibt es zu viele Einzelinteressen in einer Welt, die gemeinhin als Haifischbecken gilt? Und das nicht zu Unrecht. "Wer ist denn überhaupt die Formel 1?", stellt Cyril Abiteboul in den Raum. Mit seiner Caterham-Truppe gurkt er dem Feld meistens hinterher.
Deshalb moniert der Franzose: "Ich kann keine Erfolge für mich proklamieren - die Formel 1 ist ein Haufen Leute, die gegeneinander kämpfen. Natürlich jubeln die Jungs auf dem Podium, aber wir sind nur 28 Runden gefahren." Auch Monisha Kaltenborn gefällt diese scheinbar festgefahrene Situation nicht. Als Sauber-Teamchefin ist sie häufig Vorkämpferin für die Rechte der Kleinen der Szene. Wie mit der Regelnovelle im Vorfeld der Saison umgegangen wurde, gefällt Kaltenborn nicht: "Aus der Formel 1 kam so viel Negatives. Da müssen bei ins die Alarmglocken schrillen."
Im Haifischbecken gibt es nur Gegner

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Monisha Kaltenborn wünscht sich mehr Zusammenarbeit - ohne Revolution Zoom
Kaltenborn deutet an, dass eine Chance liegen gelassen wurde: "Das ist doch schade. Wir sind in eine neue Ära vorgedrungen, haben eine tolle Botschaft und wahnsinnig anspruchsvolle Technik, die auf dem Endverbraucher-Markt angestrebt wird." Für Abiteboul ist ein Ausweg aus dem Dilemma eine Plattform, auf der verschiedene Parteien zusammenarbeiten. "Es fehlt ein Gremium", weiß der Caterham-Mann und denkt dabei ausdrücklich nicht an die Teamvereinigung FOTA, die im Februar scheiterte. "Das ist diesem unglaublichen Konkurrenzdenken geschuldet."
Sollte sich die Formel 1 als eine Firma begreifen, um endlich zum Wohle aller miteinander zu kooperieren? Tost muss bei dieser Frage schmunzeln: "In der Theorie ist alles möglich", sagt er. Kaltenborn will nicht sofort die Grundfeste infrage stellen, sondern mit kleinen Schritten statt der großen Revolution beginnen. "Vielleicht gibt es auch eine Lösung mit dem derzeitigen Modell", deutet die Österreicherin an - schließlich würden von einer populäreren Formel 1 die Kleinen genauso wie die Großen profitieren. "Aber das Konkurrenzdenken bleibt", erwidert Abiteboul.

